Die „gefallenen Engel“ bauen Brücken
Am Tag der Deutschen Einheit bewies die Friedensbewegung, dass sie keine Eintagsfliege ist — bei der „Mir reicht’s“-Demo füllte sie erneut die Münchner Straßen.
Die „gefallenen Engel“ sind zurück. Gemeint sind nach den Worten von Kanzler Scholz, der eine 100-Milliarden-Neuverschuldung für die Rüstung auf den Weg gebracht hat, all jene Menschen, die sich der Militarisierung der Gesellschaft entschieden entgegenstellen. Mittlerweile hat sich in der immer größer werdenden Friedensbewegung in Zeiten von Cancel Culture und Kontaktschuldkonstruktionen immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir vor der Atombombe alle gleich sind. So kamen an diesem 3. Oktober Menschen zusammen, die sich sonst politisch wohl eher spinnefeind sind. Die Friedensbewegung gewinnt an Zulauf, während die martialische Unterstützungseuphorie für die Ukraine allmählich am Abklingen ist. Ein Erfahrungsbericht.
Das Echo des Kanzlers hallt immer noch am Münchner Marienplatz. Vor etwa eineinhalb Monaten bezeichnete der gefallene Sozialdemokrat an genau jenem Ort des Demoauftakts die anwesenden Friedensbewegten als „Engel aus der Hölle“, die einem Kriegstreiber das Wort reden würden.
Nun wird der Kanzler die gerufenen Geister beziehungsweise Engel nicht los. An diesem durch und durch sommerlichen Oktobertag versammelten sich rund 4.000 Menschen mit unzähligen Friedenstauben unter dem Motto „Mir reicht’s“. Initiiert hatte das Bündnis „Macht Frieden“ das erneute Zusammentreffen der Friedensbewegung nach der erfolgreichen Demo gegen die Münchner Sicherheitskonferenz.
Nicht unerwähnt bleiben sollte die Veranstaltung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer Ende Februar. So wie beim letztgenannten Treffen war auch die „Mir reicht‘s“-Demo auf der Bühne von einer eher ungewöhnlichen Zusammenkunft ganz und gar unterschiedlich denkender Redner gekennzeichnet. Während ein Reiner Braun, ein Diether Dehm, ein Jürgen Todenhöfer oder eine Ingrid Pfanzelt eher zu den „üblichen Verdächtigen“ zählen, die man auf einer Friedensveranstaltung erwarten würde, war die Anwesenheit des Unternehmensberaters Markus Krall eher ungewöhnlich.
Doch es gelang, wofür Diether Dehm plädierte:
„Um dem gefährlichen US-amerikanischen Dominanzgebaren zu begegnen, sollten Linke mit konservativen Kräften strategisch zusammenarbeiten.“
Bei Markus Krall mochte so mancher der Anwesenden eine unterschiedliche Meinung zu Fragen der Ökonomie haben. Geht es jedoch um die Aufrechterhaltung des Friedens und des Wohlstands in diesem Land, so konnten sich zahlreiche Teilnehmer — dem Applaus nach zu urteilen — darauf verständigen, dass beides nicht durch eine Idiotie-Diplomatie à la Baerbock oder durch eine suizidale Wirtschaftspolitik zerstört werden darf. Zugegebenermaßen ist es dafür bereits in vielerlei Hinsicht schon zu spät.
Dem „Macht Frieden“-Bündnis war es gelungen, unterschiedlich denkende Menschen unter dem Dach des Friedens zu vereinigen, Gräben zu überwinden, ehe sich andernorts Gefechtsgräben vertiefen.
Der Demozug verlief durch und durch friedlich durch die bayerische Landeshauptstadt. Die frühherbstliche Sonneneinstrahlung tauchte die ganze Szenerie in ein farbenfrohes Licht. Die AfD versuchte an diesem Tag gar nicht erst – soweit ich das überblicken konnte – auf den Demozug aufzusatteln, wie das in jüngster Zeit gehäuft der Fall war.
Einzig an einer Stelle drohte es kritisch zu werden, als der Demozug an einer in ihrer Teilnehmerzahl überschaubaren Gegendemonstration vorbeikam, die blau-gelb-beflaggt die Friedensbewegung ausbuhte. Trotz des konflikthaften Gemisches in der Luft entzündete sich nirgendwo eine ernsthafte Auseinandersetzung.
Auffällig war, dass manche der von den Münchner Corona-Demonstrationen einschlägig bekannten Fotografen wieder FFP2-Masken trugen — und das bei herrlichstem Herbstwetter. Wird das Thema „Ukraine“ zeitnah wieder durch die nächste Viren-Panik abgelöst?
Jedenfalls blieben die für „Endstation rechts“ geschossenen Fotos dem voreingenommenen Betrachter das Zeigen von Nazis oder von anders gearteten Rechten schuldig. Auf ihnen abgelichtet waren lediglich friedliche Bürger, die für den Frieden auf die Straße gehen.
Nachdem der Demozug an den Münchner Marienplatz zurückgekehrt war, hielt Jürgen Todenhöfer noch eine fulminante Abschlussrede, in welcher er jeden Kriegstreiber beider Himmelsrichtungen verurteilte und ein flammendes Plädoyer für Deeskalation und Abrüstung hielt – im Besonderen vor dem Hintergrund des potenziell weltvernichtenden Arsenals an Nuklearwaffen beidseits der Front.
Zum finalen Ausklingen verzauberte der Meister-Gitarrist André Krengel die einsetzende Blaue Stunde mit seinen Gitarrenklängen, die so harmonisch klangen, als kämen sie nicht von dieser Welt … und schon gar nicht von einem gefallenen Engel.