Die falsche Wahl
Die destruktive Macht eines Parteienkartells, das keine echten Alternativen mehr zulässt, kann nur noch durch Wahlenthaltung gebrochen werden.
Wer nicht wählt, der wählt Rechts. Man muss wählen, um das Schlimmste zu verhindern. Man muss das geringere Übel wählen. In anderen Ländern sterben Menschen, um wählen zu dürfen. Diese und andere Argumente werden uns vor den Wahlen in zwei ostdeutschen Ländern wieder mal um die Ohren gehauen. Immer häufiger empfehlen Medienkampagnen nicht nur die eine oder andere Wahlalternative, sondern das Wählen selbst. Das zeigt, welche Angst das herrschende Parteienkartell vor seiner Delegitimation durch Wahlenthaltung hat. Die Angst ist begründet, denn immer mehr Menschen fühlen sich verschaukelt von einem System, in dem immer dreister gegen die Bedürfnisse der Mehrheit regiert wird. Die Idee der Gewaltenteilung ist längst zur Farce verkommen, ebenso wie die einer unabhängigen Presse. Und Direkte Demokratie wird von den gewählten „Repräsentanten” wirksam verhindert. Für Menschen, die eine andere Politik wollen, ist gegen diese von den Eliten fest gefügte Mauer der Alternativlosigkeit kein Durchkommen mehr. Was bleibt ist nur, aus einem Spiel auszusteigen, in dem es nichts mehr zu gewinnen gibt. Nicht mehr zu wählen ist die letzte wirkliche Wahl, die wir haben.
Die EU-Wahl, nicht die Europa-Wahl wie versucht wird immer wieder in die Köpfe zu hämmern, hat den Wählern wieder einmal vor Augen geführt, dass ihre Wahl eigentlich keinerlei Einfluss darauf hatte, wer welches Amt bekam oder welche Politik verfolgt wird. Und „unsere“ Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das auch ganz ungeniert selbst gesagt:
„Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden“ (1).
Sie nennt es das Primat der Politik. Und meint die Herrschaft der Parteien.
„Und an dem sollte auch festgehalten werden“ (1). Sie erklärt indirekt auch, wie es möglich ist, dass die Politik Entscheidungen gegen die Mehrheitsmeinung der Deutschen fällen kann, ohne dass letztere auf die Barrikaden gehen. „Erst im Nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der Deutschen verändert“ (1). Indirekt erklärt sie, warum die Parteien in der Lage waren, ihre Macht zu behalten, denn diese Änderung der Meinung in einigen — nicht allen Fällen — verdanken die Parteien den Medien. Diese sorgen dafür, dass kein Zweifel an der Legitimation des Systems auftreten.
Aber die EU-Wahlen haben auch gezeigt, wovor das politische Establishment und die von diesem profitierenden Kreise Angst haben: vor der Delegitimation durch zu niedrige Wahlbeteiligung. Und so führten vor der letzten EU-Wahl nicht nur die Parteien eine in diesem Ausmaß ungewöhnliche Werbekampagne, sondern alle Kräfte des Establishments, wie zum Beispiel die Industrieverbände. Dabei wurde versucht, folgende falsche Narrative in die Köpfe der Empfänger der Nachrichten zu implementieren:
- Die EU wurde als „Europa“ bezeichnet, obwohl sie weniger als die Hälfte der Landmasse Europas umfasst.
- Die EU wäre ein „Friedensprojekt“, obwohl es im Kosovo-Angriffskrieg vom 24. März 1999 bis 9. Juni 1999 auf Seiten der UCK Serbien bombardierte (2) und in allen Kriegen der USA irgendwie involviert war und ist.
- Die EU würde es ermöglichen, innerhalb „Europas“ (gemeint ist wieder die EU) frei zu reisen, obwohl natürlich schon vor dem Wegfall der Grenzkontrollen eine freie Reise möglich war, nur eben, dass man seinen Pass vorweisen musste.
- Die EU wäre notwendig, damit die Stimme der europäischen Länder (gemeint sind wieder die EU-Länder) in der Welt ein Gewicht hat, und das, obwohl sich die EU im Prinzip der NATO untergeordnet hat und in seinen Assoziierungsverträgen eine „Harmonisierung“ der Sicherheitspolitik verlangt, eben eine solche, welche die NATO bestimmt. Und wie man bei allen Sanktionsorgien der USA erkennen kann, spielt die EU lediglich als Vasall der USA eine Rolle in der Welt, nicht aber als eigenständige politische Kraft.
Und natürlich wurde mit den gleichen Drohungen beziehungsweise Mahnungen gearbeitet wie bei allen Wahlen:
Wer nicht wählt, der wählt Rechts. Man kann kleine Parteien wählen, die gegen den Konsens (erlaubte Diskussion) der „staatstragenden“ Parteien stehen. Man muss wählen, um das Schlimmste zu verhindern. Man muss das geringere Übel wählen. In anderen Ländern sterben Menschen, um wählen zu dürfen. … Diskutiert und mehrfach widerlegt, zum Beispiel in einem Gespräch mit Dr. Alexander Neu (3).
Gründe für das Nichtwählen und dessen Ziele
Die Wähler fühlen sich immer weniger von ihren „Volksvertretern“ vertreten. Und je größer die politischen Einheiten werden, desto abgehobener erscheinen die Politiker. Und natürlich ist den Menschen die Tatsache nicht entgangen, dass die Politik sich verselbständigt hat und der sogenannte Souverän darauf reduzierte wurde, einmal alle paar Jahre sein Kreuz bei einer der Parteien zu machen, welche von den Medien als ausreichend qualifiziert für ein Kreuz unterstützt werden. Ob und welche Politik danach aber wirklich verfolgt wurde, darauf hat der Wähler keinerlei Einfluss mehr.
Weder kann er die Regierung direkt wählen, noch kann er in wichtigen Fragen irgendwie mitreden. Selbst über eine so wichtige Entscheidung wie Krieg oder Frieden räumt man ihm keine Mitbestimmung ein. Weder kann er mitbestimmen, wenn die Wahl des Bundespräsidenten ansteht, noch wenn die obersten Richter, die Hüter der Verfassung, aus den Reihen der Parteien bestimmt werden. Apropos Verfassung. Natürlich durfte er auch noch nie über eine Verfassung oder deren Änderungen abstimmen. Eine Tatsache, die man in der angeblichen „Mullah-Diktatur” im Iran für selbstverständlich hält.
Und aus diesen eindeutigen Defiziten, die aufzeigen, dass es sich in Deutschland eben nicht um eine Demokratie handelt, resultieren die Ziele der „Delegitimatoren“ durch Nichtwählen:
Mehr direkte Demokratie!
1. Realisierung der Gewaltenteilung
Zu mehr direkter Demokratie gehört ganz am Anfang die Realisierung einer Gewaltenteilung. Vom Europarat und vom obersten EU-Gericht wurde bestätigt, dass die deutsche Justiz nicht unabhängig ist (4). Einzelheiten hat der ehemalige Richter Udo Hochschild schon in seinem Blog www.gewaltenteilung.de beschrieben. Es ist unerträglich, dass Parteien über die Berufung von Richtern bestimmen, die über ihre Entscheidungen richten, noch schlimmer, dass diese Richter dann ehemalige Politiker sind. Ebenso untragbar ist die Tatsache, dass Staatsanwälte von Politikern ernannt werden und dann deren Anweisungen befolgen müssen. Ebenso ist die finanzielle Abhängigkeit zu beenden, indem die Justiz ein eigenes Budget erhält.
2. Volksabstimmungen über Verfassung und Verfassungsänderungen
Die Parteien haben das Versprechen im Grundgesetz nicht erfüllt, dass sich Deutsche nach der Wiedervereinigung eine eigene Verfassung geben dürfen. Dieses Versprechen muss endlich eingelöst werden. Und Verfassungsänderungen müssen grundsätzlich von Referenden bestätigt werden.
3. Öffentlich-rechtliche Medien müssen vom Einfluss der Parteien befreit werden
Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Basis der Wählerentscheidungen so neutral wie möglich ist. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind nicht neutral, sondern verstehen sich als Erziehungsmedien im Sinne der herrschenden Parteien. Die Verwaltung der öffentlich-rechtlichen Medien muss endlich so organisiert werden, dass diese Medien eine Kontrollfunktion wahrnehmen können.
Das heißt, sie dürfen nicht durch die Parteien im Bundestag kontrolliert werden, sondern müssen den Medienkonsumenten gegenüber verantwortlich sein und selbst die Parteien kontrollieren, insbesondere die regierenden. Die Parteien müssen sich einer kritischen Kontrolle durch die Medien unterwerfen, nicht umgekehrt und diese Medien müssen sich einer pluralistischen und die Vielfalt der Meinungen angemessen darstellenden Berichterstattung verpflichten.
4. Plebiszitäre Elemente
Und schließlich müssen Elemente der direkten Demokratie sicherstellen, dass nicht Repräsentanten, sondern die Menschen selbst über ganz wesentliche Aspekte ihres Lebens entscheiden. Dazu gehören internationale Verträge, insbesondere solche, welche die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland einschränken. Wie kann es angehen, dass Repräsentanten darüber entscheiden, welchen Grad an Souveränität diejenigen noch haben sollen, welche sie repräsentieren? Dazu gehören aber auch Fragen über Krieg oder Frieden, grundsätzliche Veränderungen der Budgetpolitik, zum Beispiel Verdopplung der Rüstungsausgaben, der Steuer- und der Sozialpolitik.
Das Ende von „teile und herrsche”
Diese vier Forderungen sollten vollkommen unabhängig von Ideologie, politischer Einstellung oder Weltanschauung von allen Menschen zu vertreten sein, welche sich einer wirklich demokratischen Grundordnung verpflichtet fühlen.
Damit könnte diese Bewegung auch zum ersten Mal den Rahmen der politischen Einflussnahme alleine durch Parteien sprengen.
Eine neue Partei wird immer irgendwann in eine politische Ecke gestellt werden, und dann von allen gemieden werden, die sich mit dieser politischen Richtung nicht anfreunden können. Die Forderungen nach Rückgabe der Souveränität von den Parteien an die Wähler ist aber eine universale Forderung, die von Menschen aller demokratischen politischen Richtungen geteilt werden kann und sollte. Außer natürlich von jenen, welche direkt vom System des Parteienkonsens profitieren. Und so werden die „systemtragenden“ linken Parteien den Vorschlag als „rechts” diffamieren und rechte Parteien als „linksextrem“.
Anstehende Landtagswahlen
Nun stehen am 1. September Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen an. Und viele Wähler in diesen Ländern glauben wieder, etwas durch ihre Stimmabgabe verändern zu können. In beiden Ländern sehen Umfragen ein deutliches Anwachsen der Stimmen für die AfD voraus. Viele Wähler glauben, durch die Wahl der AfD eine Veränderung der desolaten Migrationspolitik der Bundesregierung erreichen zu können.
Dabei übersehen sie jedoch, dass sich die AfD in erster Linie gegen die Symptome, verkörpert durch Migranten und Asylsuchende, wendet, aber kaum etwas ernsthaft gegen die Ursachen, die zu der Krise geführt haben (5).
Andere wiederum glauben, jetzt unbedingt den etablierten Parteien ihre Stimme geben zu müssen, um den „Ruck nach Rechts“ aufzuhalten. Und selbst wenn sie unzufrieden sind mit der Politik, glauben sie, das „geringere Übel“ wählen zu müssen.
Beide Gruppen werden dann nach der Wahl ernüchtert feststellen, dass ihre Erwartungen mitnichten erfüllt wurden, aber die Medien werden ihnen erklären, dass das voll in Ordnung geht. Und bei der nächsten Wahl wieder mit den gleichen Argumenten trommeln, damit die Menschen zur Wahl gehen.
Warum gibt es kein Quorum für Landtags- und Bundestagswahlen?
Dabei lag die Wahlbeteiligung in Brandenburg und Sachsen im Jahr 2014 bei der letzten Wahl bei unter 50 Prozent. In Bayern gilt ein Quorum von 10 Prozent der Wahlberechtigten als Voraussetzung, dass ein Volksbegehren als „gültig“ angesehen wird. In Sachsen beträgt das Quorum 25 Prozent der Wahlberechtigten, die dem Volksbegehren zustimmen müssen (6). In Bundestag und Landtagen gibt es für die Abstimmung über Gesetze ebenfalls Quoren. Das heißt, es wird festgelegt, wie viele Abgeordnete überhaupt ihre Stimme abgegeben haben müssen, damit die Wahl als gültig angesehen wird.
„Beteiligungsquoren finden sich in den Geschäftsordnungen aller deutschen Parlamente (Bundestag und Länderparlamente) wie auch in den Satzungen vieler Vereine. In den Parlamenten ist oftmals ein Quorum von 50 Prozent vorgesehen“ (7).
Wie kommt es, dass kein Quorum festgelegt wurde, welches die Wahl eines Landes- oder Bundesparlamentes legitimiert?
Diese Diskussion könnte in Fahrt kommen, wenn sich in Sachsen und Brandenburg die Wähler überlegen, dieses Mal einfach nicht zur Wahl zu gehen, statt wieder einmal „das geringere Übel“ oder das „wir machen es ganz bestimmt besser“ zu wählen. Man stelle sich vor, jeder Wähler, der mit dem System dieser „Parlamentarischen Demokratie“ unzufrieden ist, weil er einsieht, keinen wirklichen Einfluss auf die Politik zu haben, würde zu Hause bleiben und nicht wählen. Und die Wahlbeteiligung würde unter 40 Prozent sinken, und alle Parteien würden ihre Ziele weit verfehlen. Könnte dann ein „Wahlgewinner“ überhaupt festgestellt werden? Wären die Parteien dann nicht gezwungen, in eine Diskussion über mehr direkte Demokratie und Abgabe eines Teiles ihrer Macht zurück an den Wähler einzutreten?
Fazit
Gerade eben wurde bekannt, wie die Bundesregierung auf die Frage reagiert hatte, ob sie nun ihre Unterstützung der britischen Kaperung des Tankers mit dem iranischen Öl beenden würde. Schließlich war die Völkerrechtswidrigkeit, übrigens zum dritten Mal innerhalb von 11 Monaten, vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages bestätigt worden. Die Antwort lautete, dass das wissenschaftliche Gutachten keine Relevanz hätte.
Deutschland ist zu einer Einsäulengewaltenteilung (8) verkommen. Es wurde zu einem System, in dem die politische Elite sich gegenseitig von einer Position in die nächste befördert, indem es keine Verantwortungsübernahme für Verstöße gegen Völkerrecht oder Grundgesetz gibt und ganz sicher nicht gegen Missachtung des Wählerwillens.
Durch Wahlenthaltung diesem politischen System die Rote Karte zeigend, ist vielleicht die letzte Chance, es dazu zu bringen, dem „Deutschen Volke“ seine Souveränität zurück zu geben. Jedenfalls soweit es eine Souveränität angesichts der zahlreichen Abtretungen von Souveränität an multinationale Organisationen wie EU, NATO noch gibt. Wenn die Parteien nicht dazu bereit sind, droht eine immer stärkere Abwanderung der Wähler in das Lager der Extremisten.
Wir sollten nicht vergessen, warum Parlamente und Wahlen einst entstanden sind. Sie sollten bei geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen eine Machtübernahme ohne Blutvergießen ermöglichen. Durch das Kartell der „staatstragenden“ Parteien und des Primats der Politik (siehe oben Angela Merkel) ist dies aber unmöglich geworden.
Wer Extremismus, Frustration, Hass und Abwanderung zu obskuren Führern verhindern will, der muss bereit sein, Deutschlands Wählern Demokratie zuzubilligen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://kenfm.de/standpunkte-%E2%80%A2-das-primat-der-politischen-parteien/
(2) https://kenfm.de/standpunkte-von-jugoslawien-bis-venezuela-teil-1-podcast/
(3) https://kenfm.de/die-parteienoligarchie-und-ihre-machtbasis/
(4) https://verfassungsblog.de/die-institutionelle-unabhaengigkeit-der-justiz-in-deutschland-ein-defizitbefund/
(5) https://youtu.be/hGuziKsya14
(6) https://www.landtag.sachsen-anhalt.de/service/lexikon/definition/begriff/quorum/
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Quorum_(Politik)#Beteiligungsquorum
(8) https://kenfm.de/standpunkte-%E2%80%A2-die-einsaeulengewaltenteilung/