Die ewigen Fremden
In Deutschland nimmt die Migration zu, während die Integration immer weniger gelingt — eine gefährliche Gemengelage. Teil 1 von 3.
Es waren einmal — die „Gastarbeiter“. In der Nachkriegszeit waren sie relativ beliebt, weil man ihre Arbeitskraft brauchte und sie durch italienische oder jugoslawische Restaurants erfreuten. Es gab in geringerem Umfang schon Ausländerfeindlichkeit, aber noch keine Parteien, die in der Migrationsfrage ihren politischen Hauptinhalt sahen. Der Vergleich zwischen damals und heute zeigt, dass alles eine Frage der richtigen Dosierung ist. Heute fühlen sich viele ursprünglich Deutsche durch die schiere Menge der zu uns Kommenden bedroht. Subjektiv wie vielfach auch objektiv liegt Überforderung vor — wenn etwa schlicht nicht genug Plätze für alle da sind, die einer Gemeinde durch Bundesbehörden „zugewiesen“ wurden. Flüchtende in Not kommen mit einer anderen Mentalität zu uns als Arbeitswillige. Menschen aus einer traditionellen islamischen Kultur bringen andere Grundeinstellungen mit als Griechen. Aus Kapazitätsgründen kann nicht jedem Ankommenden eine Sozialarbeiterin zur Seite gestellt werden. Logischerweise kommt es so zu einer Scherenbewegung: Es wandern immer mehr zu, während die Integration immer weniger gelingt. Der Autor zeigt in seinem dreiteiligen Artikel auf, dass wir Probleme klar ins Auge fassen müssen, um zu praktikablen Lösungen zu gelangen.
Die größten Sorgen der Bürger führen nicht automatisch dazu, dass die Politik, also Parlamente, Gemeinderäte oder die zuständigen Behörden diese auf ihre Prioritätenliste setzen. Alle demokratischen Institutionen haben ihre eigenen Abläufe, die durch Wahlen, Koalitionen, den Zwang zu Kompromissen oder auch gelegentliche Skandale die Tagesordnungen dominieren. Tektonische Verschiebungen in den Parteiensystemen, wie sie zurzeit in Europa stattfinden, lenken die Politiker allzu leicht von Problembereichen ab, die eigentlich dringend ihrer Aufmerksamkeit bedürfen.
Ob sie durch politische Entscheidungen oder Gesetzgebung lösbar wären, ist eine andere Frage. Denn allzu oft sind die politischen Maßnahmen in der Praxis weit von der versprochenen Wirkung entfernt, etwa die aktuellen Grenzkontrollen und Abschiebungen. Das hat in Deutschland erheblich zu der gegenwärtigen Unzufriedenheit mit der Regierungskoalition beigetragen, die nicht mehr in der Lage zu sein scheint, eine stagnierende oder schrumpfende Wirtschaft, die bröckelnde Infrastruktur, die Rentenreform oder den Wohnungsmarkt in den Griff zu bekommen.
Neben all diesen Dauerbrennerproblemen hat die Migrationspolitik seit 2015 viele Bürger bereits so beunruhigt, dass aus spontanen Bewegungen an den Brennpunkten und in Problemvierteln neue Parteien entstanden sind, vor allem die Alternative für Deutschland. Ihre steigenden Wahlerfolge zeigen, dass es aussichtslos oder sogar kontraproduktiv ist, sie als rechtsradikal auszugrenzen.
Vielleicht trägt gerade die fast einheitlich negative mediale Berichterstattung dazu bei, dass die traditionelle Nazikeule bei der jungen Generation nicht mehr die gewünschte Wirkung zeigt.
Problemwahrnehmung und politische Lösungsansätze
Lebenshaltungskosten, bezahlbarer Wohnraum, Krankenversicherung, Jobsicherheit oder die Altersvorsorge stehen in allen europäischen Ländern weit oben auf der Sorgenliste der meisten Menschen. Nicht nur in Deutschland wird sie seit mindestens zehn Jahren durch das immer offensichtlicher werdende Migrationsproblem ergänzt. Die neueste Prognose der Weltbank erwartet in den nächsten 15 Jahren bis zu 800 Millionen Arbeitslose im Globalen Süden, von denen viele Millionen ihr Glück in den reichen Ländern suchen werden. Für mehr als 50 Prozent der deutschen Bevölkerung gehört dies schon jetzt zu den dringendsten politischen Baustellen, wohingegen Klimawandel, Ukraine- und Gaza-Krieg oder Cannabislegalisierung an Bedeutung verlieren.
Was ist versäumt worden? Eine langfristige Strategie war bei der Anwerbung europäischer Gastarbeiter seit Ende der 1950er Jahre so wenig erkennbar wie im Laufe der folgenden 60 Jahre ein überzeugendes Konzept für ihre Integration in die deutsche Gesellschaft. Italienische Eiscafés, griechische, portugiesische, spanische, chinesische und Balkanrestaurants wurden noch als kulinarische Bereicherung der deutschen Küche empfunden.
Die Integration der Gastarbeiter, deren Rückkehr in die Heimat die Politik lange als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, ging in bestimmten Sektoren des Arbeitsmarkts erstaunlich reibungslos über die Bühne. Auf dem Bau, im Einzelhandel, in der Haar- und Nagelpflege und im Rotlichtbereich wurde die Arbeit von Migranten akzeptiert und meistens schlecht bezahlt, im Extremfall schwarz und ohne Versicherungen. Das hat weder die Nachbarn noch die Medien noch die Politik besonders interessiert. Die medial unterstützte Willkommenskultur nach der Merkel’schen Grenzöffnung 2015 war wohl mehr gesteuerte Euphorie als langfristig tragfähige Überzeugung der Mehrheit.
Die erwartbare Ernüchterung setzte dann mit steigender Ausländerkriminalität und schwieriger werdender Unterbringung der Einwanderer ein. Während Nachbarschaftsinitiativen in Blankenese und vergleichbar privilegierten Orten die Errichtung solcher Unterkünfte noch verhindern konnten, entstanden Containerdörfer immer öfter in kleinen Gemeinden, die sich nicht wirksam genug gegen die Planung der Landesbehörden wehren konnten.
Wenn einem Ort dabei fast so viele Migranten zugewiesen wurden, wie es Einwohner gab oder sogar mehr, griffen die Medien die Protestversuche regelmäßig auf, allerdings zu oft ohne Reaktionen aus der Politik.
Von der nationalen Ebene bis gelegentlich auch in den Kommunen entzündeten sich die Debatten häufig an fundamentalen weltanschaulichen Einstellungen, oszillierten zwischen Menschenrechten, Asylanspruch, Humanität, Arbeitskräftemangel, Überfremdung, Bevölkerungsaustausch und verwandten Begriffen. Die aktuelle Aufmischung des Parteienspektrums ist eine der Folgen, vielleicht die gefährlichste.
Politische Prioritäten und die Medien in der Migrationskrise
Zu den Themen, an denen sich Politik, Medien und Gesellschaft intensiver abgearbeitet haben, gehören Umweltschutz und Klimawandel, erneuerbare Energien und Kernenergie. Sie wurden zu Jugend- und dann Mehrheitsthemen, von den Parteien zwar im Wettbewerb um Wählerstimmen aufgegriffen, aber nicht immer zu Ende gedacht. Daneben erregten sich Politik, Medien und Wissenschaft über nicht unbedingt lebenswichtige Themen, sondern eher marginale und meist belanglos im wirklichen Leben wie eine Rechtschreibreform, die dann kaum beachtet wurde, oder Gendersternchen.
Besonders emotional wurde es bei den Varianten sexueller Orientierung, der Anerkennung und Gleichstellung von LGBT und weiteren Untergruppen. Deutschland hat zwar einen im europäischen Vergleich hohen Anteil von rund 11 Prozent Nichtbinären, deren Diskriminierung war aber eher subjektiv als wirklich gefährlich für den Einzelnen. Lange wurde das omnipräsente Drogenproblem ignoriert, besonders bei dem in feineren Kreisen gern konsumierten Kokain. Schließlich sollte Deutschland mit der Legalisierung von Cannabis vor der Drogenmafia gerettet werden. Die Regelung kümmert sich um Details des industriellen Hanfanbaus und seinen Schutz vor kriminellem Missbrauch, derweil in der Praxis der Markt für alle Arten von Rauschmitteln fast ungehemmt wachsen konnte.
Mit dieser Auswahl von politischen Problembereichen muss die Frage beginnen, warum wir die Integration von Millionen von Migranten organisatorisch nicht in den Griff bekommen. Immerhin haben 25 Millionen der 84 Millionen Einwohner Deutschlands, also knapp 30 Prozent, einen sogenannten Migrationshintergrund, was ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft zusammen mit der stotternden Wirtschaft und ihrem geplanten ökologischen Umbau in der Tat zu einer nationalen Schicksalsfrage macht.
Offenbar haben das bestimmte Parteien eher erkannt als die Regierungskoalition und dabei die latente Unzufriedenheit der Bevölkerung in Wählerstimmen umwandeln können.
Doch hat es fast von Anfang an nicht an politischen Lösungsversuchen gefehlt. Seit 1978 haben bekannte Politiker wie Heinz Kühn, Liselotte Funke, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Marieluise Beck und andere als Ausländer- und Migrationsbeauftragte versucht, die Integration in geordnete und erfolgversprechende Bahnen zu lenken.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat im September 2010 das von zahlreichen Experten erarbeitete „Bundesweite Integrationsprogramm“ mit Empfehlungen zu Integrationsangeboten und ihrer Weiterentwicklung vorgelegt. Auf 200 Seiten werden notwendige Angebote mit den Schwerpunkten Sprachliche Integration, Bildung und Integration sowie Gesellschaftliche Integration behandelt. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung und Veröffentlichung schien das Problem noch einigermaßen überschaubar.
Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth nannte die Integrationsförderung „pragmatisches Improvisieren“. Die Entwicklung nach 2015 hat dann sowohl das BAMF als auch die Gesellschaft schon durch die wachsenden Zahlen überfordert. Warum wir die Migration nicht in den Griff bekommen, liegt vielleicht am dialektischen Umschlag von der Quantität zur Qualität, einem aus der Mode gekommenen Theorieansatz. Eine wirksame Kontrolle der Einwanderung ist bei der geographischen Lage Deutschlands weitgehend unmöglich. Grenzkontrollen an bestimmten ausgewählten Autobahnen und Straßen helfen offensichtlich nicht, selbst an den Flughäfen sind sie nicht immer konsequent möglich.
Kann Integration überhaupt funktionieren?
Bei den großen Einwanderungswellen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre in fast alle wohlhabenden Länder Europas wurde die Faustregel diskutiert, dass eine annehmbare Integration bis zu einer Schwelle von 10 Prozent Migranten an der Gesamtbevölkerung machbar sei. Darüber sind jedoch inzwischen alle weit hinaus. Die Einwanderungsgeschichte Deutschlands seit der Ankunft der ersten Gastarbeiter, 1955 der Italiener und 1961 der Türken, zeigt deutlich genug, dass Integration möglich ist. Mit den Europäern war es so gut wie problemlos und mit vielen türkischen Migranten, die ins Erwerbsleben eingegliedert wurden, ebenfalls.
Die Akzeptanz bei den „Bio-Deutschen“ wird aber übermäßig strapaziert, wenn die Medien regelmäßig Erfolgsgeschichten geglückter Integration verbreiten und wenn daneben die Horrormeldungen von Ausländerkriminalität und Abschottung bestimmter Problemgruppen alltäglich werden, aber die Politik notwendige Maßnahmen nicht überzeugend umsetzen kann.
Sogar in den anfangs sehr offenen skandinavischen Ländern und immer mehr im gesamten Rest Europas scheint deshalb der Glaube an die Integrationsfähigkeit der Migranten zu schwinden. Die Patentrezepte der Migrationsgegner, Abschottung und Ausweisung, sind zwar populär, werden aber der Dimension und Komplexität des Problems nicht gerecht. Ihre Popularität wächst indessen angesichts der illusionären Argumente der Migrationsbefürworter immer weiter.
Der arbeitenden und steuerzahlenden Bevölkerung ist schwer zu vermitteln, dass fast die Hälfte der 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger Ausländer sind. Nach dem Mikrozensus von 2023 haben inzwischen 12,6 Millionen Ausländer einen deutschen Pass, also gut die Hälfte der knapp 25 Millionen mit Migrationshintergrund. Die neu eingebürgerten Deutschen haben selbstverständlich die gleichen Rechte wie alle Bürger. Bei den staatsbürgerlichen Pflichten wie Steuerpflicht, Schulpflicht, Meldepflicht, Ausweispflicht und der allgemeinen Gesetzestreue beginnen für bestimmte Migrantengruppen aber die Grauzonen, in denen sie sich den Pflichten entziehen oder sie einfach ignorieren.
In der Regel, oder allzu oft, beeinträchtig das aber nicht ihre gesetzlichen Ansprüche auf soziale Leistungen. Die Berichterstattung über bestimmte Großfamilien und ihren Lebensstil hat in den letzten Jahren erheblich dazu beigetragen, das Vertrauen breiter Kreise in die Einwanderungspolitik Deutschlands zu untergraben. Parallelgesellschaften sind als Ergebnis der Einwanderung der letzten Jahrzehnte so unübersehbar, dass bestimmte Regionen und immer öfter ganze Stadtviertel zu Problemzonen geworden sind. Das legendäre Duisburg-Marxloh gibt es in ähnlicher Form in vielen deutschen sowie europäischen Städten.
Die Suche nach Auswegen oder Lösungen
Inzwischen gehört Deutschland nicht mehr zu den 20 reichsten Ländern der Welt, die Wirtschaft stagniert und damit auch die Steuereinnahmen. Wenn Staat und Politik derart große Probleme nicht mehr mit Geld lösen können, sind wir als Gesellschaft aufgerufen, alles daranzusetzen, um Wege aus diesem Dilemma zu suchen. Dazu würde ein zusätzliches parlamentarisches oder bei der ohnehin überlasteten BAMF angesiedeltes Expertengremium nicht reichen, könnte aber dazu beitragen, die Anstrengungen zu strukturieren und zu koordinieren. Aufgerufen zur Neubewertung der Problematik und Suche nach Lösungen wären Beiträge aus Soziologie, Psychologie, Justiz, Polizei, Theologie und Religionssoziologie, Stadt- und Raumplanung, Wohnungsbau, Pädagogik, Wirtschaft, Gesundheitswesen und Politikwissenschaft. Der Ausgang ist ungewiss, beim Status quo kann es aber nicht bleiben.
Der zweite Teil dieses Diskussionsbeitrags vergleicht die Migrationserfahrungen verschiedener Länder, ihre Erfolge, Misserfolge und Lösungsversuche.