Die Erde als Untertanin
Die Expertokratie, die global das Zepter schwingt, hat in der Natur schon irreparable Schäden verursacht. Nötig wäre eine Kehrtwende hin zu einem ganzheitlichen Ansatz.
Fukushima und andere Katastrophen haben die Grenzen eines einseitig verstandenen wissenschaftlichen Weltbilds aufgezeigt. Der Versuch, die Naturkräfte mittels Technik zu bändigen und nutzbar machen, ist auf vielen Feldern furchtbar gescheitert. Ein Umdenken wäre dringend nötig. Menschen sollten anfangen, in einen Dialog zu treten — miteinander und mit dem Ökosystem. Die materialistische Grundhaltung sollte einer Berücksichtigung aller — auch der geistig-seelischen Aspekte — des Lebens weichen. Das Paradigma der Naturbeherrschung muss aufgegeben werden zugunsten einer partnerschaftlichen Haltung zur Erde und ihren Lebensformen. Der Autor präsentiert in seinem Beitrag zehn Thesen zur Weltauffassung im 21. Jahrhundert.
Mehr denn je beeinflussen die Wissenschaften den heutigen Menschen. Deshalb können wissenschaftliche Themen nicht länger nur eine interne Angelegenheit von Eliten und Experten sein. Grundlage des vorliegenden Essays, das als Manifest verstanden werden soll, ist das eingehende Studium der derzeit bekannten acht Formen der Logik wie Klassische Logik, Modale Logik, Prädikatenlogik, Intuitionistische Logik, Temporale Logik, Fuzzylogik, Deontische Logik, Dialektische Logik (1) und der Forschungsmethoden, die zum Teil seit mehreren Jahrhunderten unverändert Verwendung finden.
Die Gesetze der klassischen Logik bilden die jeweilige Achse, um die sich das Denken und die menschliche Orientierung drehen. Die darauf aufbauende Analyse erläutert die epochale Entwicklung der politischen Philosophie seit dem 17. Jahrhundert. Ebenso wie andere Wissenschaften hat sich die Philosophie über die Jahrhunderte hinweg überwiegend mit sich selbst und weniger mit den Folgen ihrer Erkenntnisse beschäftigt.
Die Wende des Denkens spiegelte sich im 1929 veröffentlichten Manifest des Wiener Kreises (2), der eine programmatische und orientierende globale Konzeption für den Fortschritt der Weltgesellschaften auf der Grundlage der objektiven Erkenntnis entwarf. Der Kreis betonte Weltoffenheit und eine universelle Sicht. Im Gegensatz dazu standen das Kommunistische Manifest von 1848, ideologische Grundlage der Oktoberrevolution 1917, in dem der Klassenkampf die zentrale Rolle einnimmt, und vor allem die von Adolf Hitler 1925 in „Mein Kampf“ publizierte nationalsozialistische Ideologie — eine feindselige, egoistische, rassistische, nationalistische, sozialdarwinistische und antipluralistische Weltanschauung.
Der 1972 vom Club of Rome vorgelegte Bericht „Grenzen des Wachstums“ zeigte signifikante Fehlentwicklungen auf, die jedoch weitgehend ignoriert wurden. Einen wesentlichen Anteil an diesen Fehlentwicklungen, die in Wissenschaft und Forschung mehr und mehr sichtbar werden, haben sogenannte Experten. Ihre Ware ist ihr „Wissen“, das neben sich kein anderes Wissen zulassen kann, also absolute Formen annimmt, weil es sonst seinen Wert als Ware verliert. Diese Art der Marktbeherrschung hat die Gesellschaften, die ihr intellektuelles Grundgerüst aus dem Wissen aller Subjekte errichten, in eine Expertokratie geführt und damit nah an den Abgrund heran.
Bei der Nuklearkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi 2011, der zahlreiche Warnungen vorausgingen, die von Experten nicht ausreichend gewürdigt wurden, war ihr Versagen offensichtlich. Die Kernschmelze in drei Reaktorblöcken führte zur Kontaminierung der Luft, Böden, Nahrungsmittel und des Wassers und schädigte die Umwelt irreparabel.
Die Experten, die durch Ignoranz, Gleichgültigkeit oder Besserwisserei der Katastrophe von Fukushima den Weg ebneten, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings ist die Last der zu tragenden Verantwortung so gewaltig, dass dieser Personenkreis sie gar nicht übernehmen kann.
Bedingt durch die unkalkulierbaren Folgen der atomaren Verseuchung wird die Weltgesellschaft in letzter Konsequenz in Gegenwart und Zukunft die Verantwortung übernehmen — ob sie das will oder nicht.
Damit wurde das Ende der von partikularen Interessen gesteuerten Expertokratie mit ihrem Fukushima-Syndrom (3) eingeläutet. Die Herrschaft der Experten wird auch deshalb beendet, weil die Dynamik der wissenschaftlichen Theorien langfristig keine Hierarchie gelten lässt und Wissenschaft längst eine öffentliche Angelegenheit geworden ist.
Innerhalb der Völker und speziell in den Entwicklungsländern, zu denen 152 Staaten gezählt werden, entsteht ein neues Bewusstsein. Die Menschen wissen, oder sie ahnen es, dass politische Freiheit und nationale Autonomie in der globalisierten Welt erst dann realisierbar sind, wenn die intellektuelle und wissenschaftliche Abhängigkeit von fremden Kulturen und Denkweisen endgültig überwunden sein wird.
Die globale Welt und ihre Grenzen
Der Mensch unterscheidet zwischen inneren und äußeren Grenzen, zwischen psychologischen und ideologischen und zwischen natürlichen und künstlichen. Die Grenzbestimmung ist in der Regel ein Willensakt des Menschen. Ob er eine Grenze allerdings als Ausdruck der Sicherheit oder als Einschränkung der Freiheit betrachtet, ist lediglich eine Frage des Standpunkts.
Grenzziehungen erscheinen für das Zusammenleben der Völker, den Handel und Warenfluss, mehr als ungeeignet, und dennoch kam es in der Geschichte zu Grenzziehungen, die außergewöhnliche Ausmaße erreichten. Die über 6.200 Kilometer lange Chinesische Mauer ist dabei ein herausragendes Beispiel, und ebenso der von den Römern errichtete Limes, der durch große Teile Europas verläuft. Dieser Grenzwall war eine strategisch-militärische Anlage, aber auch eine kulturelle Trennlinie zwischen dem römischen Einflussbereich und den germanischen Völkern.
Im Zuge der Globalisierung, die Erweiterung und Öffnung nach allen Seiten bedeutet, entstand ein neues Weltbewusstsein. Gleichzeitig konnte eine Diskrepanz beobachtet werden: Einerseits fallen Grenzen oder sie werden zumindest bedeutungslos, andererseits entstehen neue, noch höhere und nahezu unüberwindbare Mauern, Zäune und Gräben. Beispiele sind die Berliner Mauer, ein Symbol des Kalten Krieges, die mit Posten und Sensoren gespickte israelische Sperranlage um den Gazastreifen, die von den USA erbaute Grenzbefestigung zu Mexiko oder der von Griechenland ausgehobene Graben, errichtet zur Abgrenzung gegenüber der Türkei und zur Abwehr von Migranten (4).
Euro-Science: Zur Weltauffassung im 20. Jahrhundert
Der Begriff „Wissenschaftliche Weltauffassung“ wurde im Jahre 1929 durch den Wiener Kreis des logischen Empirismus eingeführt. Die Verfasser des Manifestes „Wissenschaftliche Weltauffassung: Der Wiener Kreis“ (5), herausgegeben vom Verein Ernst Mach und erschienen im Verlag Artur Wolf, waren Hans Hahn, Otto Neurath und Rudolf Carnap. In ihrem Werk geht es um die Gestaltung der internationalen Gesellschaftsordnung durch die Erkenntnisse der Natur- und Geisteswissenschaften im 20. Jahrhundert. Zehn Aspekte sind hervorzuheben:
Der Geist der wissenschaftlichen Auffassung ist von der Philosophie der Aufklärung geprägt. Der nüchterne menschliche Verstand steht im Vordergrund. Damit wird die Ablehnung der Metaphysik und des theologischen Dogmatismus begründet.
Die politische Philosophie des Wiener Kreises war der Liberalismus, der den Menschen als Wertträger definiert. Wissen steht demnach im Dienste des Volkes (Anm. d. Autoren: Staatsvolk) und muss jedem Menschen zugänglich sein. Hieraus entstand die Idee der Volkshochschule.
Die Logik ist die Grundlage des klaren Denkens. Die Methode der wissenschaftlichen Weltauffassung ist die logische Analyse. Ihr Ziel ist die Einheitswissenschaft aller Disziplinen.
Wissenschaftliche Tätigkeit erstrebt Strukturerkenntnis (Ordnungsformen) des Objektes, nicht die Erkenntnis ihres Wesens. Subjektive Empfindungen wie die Lust sind Erlebnisse, keine Erkenntnisse und werden daher vernachlässigt.
In der Mathematik (Arithmetik) wurde Erkenntnisfortschritt durch Aufdecken der Antinomien (Anm. d. Autoren: logischer Widerspruch einer Aussage) erreicht. Die Arbeiten der Mathematiker George Boole, Gottlob Frege, Ernst Schröder und Giuseppe Peano ermöglichten die Entdeckung der symbolischen Logik (Logistik) durch die Mathematik-Philosophen Alfred North Whitehead und Bertrand Russell im Jahr 1910. In diesem Zusammenhang entstand die logistische, formale Grundlagenforschung als Zweig der Erkenntnistheorie.
In der Physik wurden Grundbegriffe wie Raum, Zeit, Wahrscheinlichkeit und andere von ihren metaphysischen Beimengungen befreit. Vorreiter dieser Richtung waren Hermann Helmholtz, Albert Einstein und Ernst Mach, Physiker, Philosoph und Mitbegründer des Wiener Kreises.
Die Quantentheorie verwandelte die normativen Naturgesetze in statistische Wahrscheinlichkeiten. Die Grenzen der Messbarkeit wurden erstmals thematisiert.
In der Geometrie wurde der klassische euklidische Raumbegriff — der Raum unserer Anschauung — erweitert. Es entstanden die hyperbolische und die sphärische Geometrie. (6)
Durch empirische Kontrollen haben Biologie, Psychologie und Sozialwissenschaften ihre spekulativen und hypothetischen Elemente überwunden. Damit gelangte der Erkenntnisfortschritt auf eine höhere Ebene. Bemerkenswert ist, dass sich die Medizin an der Wissenschaftsdiskussion des Wiener Kreises nicht beteiligt hat.
Das Manifest des Wiener Kreises gipfelt in dem Schlusssatz: „Die wissenschaftliche Weltauffassung dient dem Leben, und das Leben nimmt sie auf.“
Global Science im 21. Jahrhundert aus Sicht der politischen Philosophie
Im Gegensatz zu bereits bestehenden Ansätzen wie beispielsweise in der Wirtschafts- und Finanzwelt, im Global Business, zielt unsere Definition auf die darüber liegende und umfassendere Ebene der politischen Philosophie ab. Unter „global“ verstehen wir die Überwindung der inneren psychologischen und äußeren regionalen und nationalen geografischen Grenzen, mit dem Ziel, die Vieldimensionalität der pluralistischen Welt zu begreifen: „Entwicklung des globalen Denkens. Demgegenüber zeichnet sich das Lokale durch die bewusste Abgrenzung aus, wobei jedoch Grenzen prinzipiell Negation der Freiheit sind.
Global Science besteht aus drei Komponenten:
Logisch: Die dynamischen Beziehungen der Elemente untereinander werden unter Berücksichtigung ihres funktionalen Sinnzusammenhangs (Teleologie) dargestellt. Die Strukturerkenntnis unterscheidet sich von der konventionellen induktiven experimentellen Methode und Logik, 1843 beschrieben vom englischen Philosoph John Stuart Mill in seinem Buch „A System of Logic, Ratiocinative and Inductive“.
Entwicklungsgeschichtlich (genetisch): Erkenntnis dient der Orientierung und der Verbesserung in der Lebenswelt. Es ist das Ziel, über das Detailwissen hinauszugehen, dies zugunsten des Orientierungswissens. Hierdurch wird das Beständige im Wandel herausgestellt.
Topisch-perspektivisch: Der gesunde Menschenverstand formuliert einen Topos-Katalog, Topik des Aristoteles, (7), um ein Problem situativ und argumentativ zu erkennen und Lösungsmöglichkeiten zu finden. Der gesunde Menschenverstand setzt sich von dem normativen Sachverstand der Experten und ihrem häufig autoritären Verhalten ab, Problemdenken versus Systemdenken (8).
Im Unterschied zu der gängigen Wissenschaftsstrategie, die das wissenschaftliche Arbeiten als „Trial-and-Error“ (Versuch und Irrtum) versteht und dadurch zum unendlichen Experimentieren führt, sehen wir die Methode der Dialektik als Simultanität von Fortschritt und Rückschritt.
Die Philosophie des Dialoges mit der Natur versucht Herrschaftswissen, das mit Ideologischem verbunden ist, das heißt, mit falschem Bewusstsein und Entfremdung, zu überwinden.
Dadurch lässt sich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten irreversibler Schäden, so wie sie aus den nuklearen Katastrophen in Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 resultierten, die ihren Ursprung in der Nutzung riskanter Technologie und dem Glauben an Experten hatten, vermeiden.
Wie die Nichtregierungsorganisationen (NGO) der Vereinten Nationen in der Politik, fordern wir die Bildung unabhängiger internationaler Kontrollgremien, damit sich artifizielle Abgrenzungen wie beispielsweise zwischen „deutscher“ und „jüdischer“ Physik während der Naziherrschaft nicht wiederholen. Denn Wissen, gleichgültig in welcher Form, ist weder an Staatsgrenzen noch an Mächte gebunden.
Grenzüberschreitungen sind somit Fortschritte im Bewusstsein der Freiheit. Die Entwicklung des Globalen geht dabei vom Teil zum Ganzen, vom Einfachen zum Komplexen und vom Statischen zum Irregulär-Dynamischen. Diese Dynamik des Denkens hat zur Folge, dass Wissens- und Machtzentren ihre Monopolstellung nicht auf ewig halten können — ihre Zeit ist abgelaufen.
Die 10 Thesen zur Weltauffassung im 21. Jahrhundert — Ein Manifest und seine Erläuterungen
- Wissenschaftler können sich nicht über die Natur — oder außerhalb der Natur stellen. „Wissende“ und „Nichtwissende“ sind wie Pflanze und Tier integraler Bestandteil der Natur.
Wissenschaft ist ein nach Prinzipien geordnetes System von Aussagen, die entweder deduktiv durch Ableitung von Aussagen aus anderen Aussagen mithilfe logischer Schlussregeln, hypothetisch, also ausgehend von als wahr erklärten Prämissen, oder induktiv empirisch, das heißt ausgehend von Problemen, mit dem Ziel, eine praktikable Antwort darauf zu finden. Hierbei ist entscheidend, dass der Erkenntnisvorgang intersubjektiv nachvollziehbar und logisch stringent ist.
Der Homo-Mensura-Satz „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ des griechischen Philosophen der Antike, Protagoras, führte im Laufe der Entwicklungsgeschichte zu einer gewaltigen Selbstüberschätzung und Verabsolutierung des Menschen mit all ihren negativen Folgen.
Nach dem „Scheitern der Vernunft der Aufklärung, so die Frankfurter Schule, wird klar, dass die belebte Natur einen elementaren Wert hat, der bislang weitgehend ignoriert wurde. Die Konsequenz dieser Erkenntnis ist daher: Nicht der Mensch, sondern das Lebende als Ganzes, Mensch, Tier, Pflanze und so weiter, ist das Maß aller Dinge.
- Vom Menschen verfasste Gesetze können nicht Naturgesetze bestimmen.
Immanuel Kant, vielfach zitiert und als Maßstab genommen, hat seine Erkenntnistheorie folgendermaßen formuliert: „Der menschliche Verstand schreibt der Natur ihre Gesetze vor.“ Ohne die großartigen Leistungen des kritischen Philosophen Kant schmälern zu wollen: In dieser Hinsicht war er nicht kritisch genug. Prinzipiell ist die Ableitung der Natur aus der menschlichen Vernunft nicht akzeptabel, da diese Auffassung einem falschen Bewusstsein, einer Ideologie entspricht.
- Wissenschaft ist kein Monopol einer bestimmten Nation, eines Staates, einer Gesellschaft oder einer Institution. Jede Nation hat eine eigene spezifisch-kulturelle Tradition, die ihre individuelle, zu respektierende Art hat, Dinge zu betrachten und Probleme zu lösen. Zum Beispiel werden Schmerzen in Europa anders behandelt als in China oder Indien. Es gibt keine Hierarchie und keine Autoritäten des Wissens. Dies lässt die Dynamik nicht zu, da das Wissen ständigem Wandel unterworfen ist.
Während die wissenschaftliche Weltauffassung des 20. Jahrhunderts von der europäischen Philosophie geprägt war, ist die Tendenz des 21. Jahrhunderts, diesen Eurozentrismus zu überwinden. Ein Beispiel hierfür ist die gelungene Kombination verschiedener internationaler Forschungsansätze bei der Entwicklung der Systemtherapie der Makuladegeneration, einem fortschreitenden Sehverlust im zentralen Gesichtsfeld. Ein Patient, der sich in einer kritischen Situation befindet, wie die Gefahr der Erblindung, fragt nicht mehr nach nationalen Grenzen. Er sucht nur nach Hilfe — egal wo in der Welt!
- Daraus folgt die Forderung nach Methodenpluralismus in der Forschung. Es gibt keine spezifische und alleinige Methode, die zur Wahrheit führt. Die Geschichte des Wissens ist die Geschichte von Versuch und Irrtum (Trial-and-Error).
In der Logik gilt der Satz: „Nichts ist der Wahrheit näher, als der Irrtum.“ Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist unvollkommen, unvollständig und vorläufig. Wissenschaftliches Arbeiten besteht im Wesentlichen darin, die Grenzen und Grundlagen des Wissens ständig zu erweitern.
Als Grundlage dienen uns die derzeit bekannten acht Logik- und Methodenformen. Die Auswahl, welche dieser Methoden und Logiken jeweils angewandt werden soll, richtet sich nach dem Gegenstand und der spezifischen Fragestellung.
Während die induktiv-experimentelle Methode grundsätzlich davon ausgeht, dass jede neue Erkenntnis ein Fortschritt ist und die Grenzen des Fortschritts weiter ausdehnt, bezieht die Heraklitisch-Hegelsche Dialektik Fortschritt und Rückschritt gleichermaßen ein. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch die Beobachtung, dass trotz hoch entwickelter Technologien die irreversiblen Umweltschäden nicht weniger geworden sind, bestätigt.
- Das moderne Phänomen der normativen Expertokratie, der Herrschaft der Experten, verengt in unzulässiger Weise die Perspektive. Der gesunde Menschenverstand ist formal umfassender als der reduzierte sogenannte „wissenschaftliche“ Sachverstand. Vernunftargumente sind wichtiger und meist richtiger als statistische „Beweise“ und „signifikante“ Kurven. Die Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008 hat hierfür ebenso den Beweis geliefert wie Fukushima.
Komplexität und irreguläre Dynamik in der heutigen Welt, machen es den politisch Verantwortlichen unmöglich, eine klare Orientierung und Konzeption ihres Denkens und Handelns zu erlangen. Vielfach müssen sie wie Feuerwehrleute von einer Krise zu anderen eilen. Daher entstand eine neue politische Klasse: die Experten.
Experten haben ihre ursprüngliche beratende Funktion häufig überschritten und sind zu Entscheidungsinstanzen geworden. Im Laufe der Zeit haben sie sich kraft sogenannter „wissenschaftlicher Objektivität“ Immunität und Autorität angeeignet.
Der Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ hat bereits 1972 auf die Anomalien und Fehlentwicklungen von Wirtschaft und Wissenschaft aufmerksam gemacht. Politiker und Experten haben diese Mahnung bislang total ignoriert. Es ist an der Zeit, sie dafür zur Verantwortung zu ziehen.
Dies ist notwendig, da sich die Sicherung von Entscheidungen durch Signifikanzen, Statistiken, „klinische Erprobungen“, Tierexperimente und so weiter, das heißt, durch ein sogenanntes „wissenschaftliches Instrumentarium“, allzu oft als bloße Rechtfertigung eigener Interessen erwiesen hat. Durch die scheinbare Objektivität der Experten werden die Empfindungen und Erfahrungen, das heißt die Subjektivität der sogenannten Laien praktisch ausgeschaltet.
- Die aus der Expertokratie folgende Verrechtlichung des Wissens verwandelt das Kommunikationswissen in Herrschaftswissen. Dies ist zu unterbinden.
Die Allianz von Großindustrie, Expertentum, Parteipolitik und Gesetzgebung lässt weder eine kritische Betrachtung noch eine Alternative zu. Die Aussagen von Experten werden häufig dogmatisiert und zur herrschenden Meinung erklärt. Hierzu werden große Mengen von Untersuchungsmaterialien, multizentrische Studien, bekannte Persönlichkeiten, internationale Vergleiche benutzt. Die Lenkung beziehungsweise Manipulation der öffentlichen Meinung erfolgt durch Medien, die die gewünschte Meinung als Mehrheitsmeinung verbreiten.
Unter diesen Bedingungen wird „Recht gesprochen“ und werden Gesetze verabschiedet. Die juristische Begründung hierfür ist die „Konvention“. Wissenschaftstheoretisch gesehen bedeutet „Konvention“ eine willkürliche, einseitige Entscheidung für eine Theorie oder Hypothese, die weder logisch, noch sachlich begründet sein muss, so Henri Poincaré. Dieser Form der Konvention sowie der oben genannten Allianz ist entgegenzutreten, da durch diese Phalanx jede Art der Entwicklung blockiert wird.
- Fortschritt durch Wissenschaft ist nicht der alleinige Weg der Entwicklung. Oft ist dies lediglich eine Rechtfertigung von Interessen. Der auf den englischen Philosophen Francis Bacon zurückgehende Satz „Wissen ist Macht“ hat Bestand, auch weil dieses Wissen den Weg zu Korruption und Kriminalität ebnet. Der Philosoph Paul Feyerabend hat zu Recht den Begriff der „Wissenschaftsmafia“ als neue Dimension der gegenwärtigen Erkenntnistheorie eingeführt (9).
Neben der positiven Hauptwirkung des Wissens gibt es auch kognitive, negative Nebenwirkungen wie Entfremdung im Sinne einer degenerativen Bewusstseinsveränderung. Es ist anzumerken, dass normalerweise Wissen als eine Bereicherung empfunden, also als Wert verstanden wird. Sobald das Wissen als Macht gesehen wird, ist die Ebene des Machtmissbrauchs erreicht.
Die Dämonie der Macht und das falsche Bewusstsein, das manch einem Wissenschaftler unterstellt werden muss, verlagern die Logik der Forschung in die Psychologie und Psychopathologie der Forschung. Die Wissenschaftsgeschichte insbesondere des vergangenen Jahrhunderts zeigt Anomalien wie die Unterscheidung von „deutscher“ und „Einstein'scher“ Physik.
Die Verfälschung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und die Manipulation von Statistiken ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Einerseits werden wissenschaftliche Arbeiten mit neuen Erkenntnissen durch Intervention einzelner Protagonisten — ein Anruf genügt! — als unzureichend abgelehnt, während gleichzeitig Plagiate mit höchstem Lob versehen werden. Das Sich-berufen-auf „Wissenschaftlichkeit“ ist kein Kriterium mehr für Glaubwürdigkeit und Richtigkeit der Ergebnisse.
- Die Herstellung eines strategischen Gleichgewichts der Forschungsansätze zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Technologie und Biologie, zwischen natürlichen und synthetischen Stoffen, beispielsweise durch Genmanipulation, ist zu realisieren.
Die Überbewertung von Ökonomie und Technologie bewirkte eine Verschiebung des Verhältnisses von Erkenntnis und Interesse zulasten der Erkenntnis. Das Denken in den Kategorien des reinen materiellen Interesses macht auf die Dauer blind für Werte.
Auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Kyoto 1997 gab die Bush-Administration ihr Votum zugunsten der Ökonomie und gegen die Ökologie ab. Während dieser Konferenz sprach der demokratische Vizepräsident der USA, Al Gore, davon, dass die Natur krank sei und dringend einen Arzt brauche.
Die einseitige Konzentration auf Ökonomie und Technologie hat in der Natur bereits irreversible Schäden hervorgerufen. Die Herstellung synthetischer Stoffe, wie Kunststoffe und Gifte, haben das ökologische System dekompensiert. Die Erde ist eine Großgarage geworden.
Selbst die Medizin hat ihre historischen Wurzeln und ihre Grundlagen zugunsten spitzfindiger Technologien und einer ausschließlich artifiziellen Pharmakologie verlassen.
- Begriffe, Hypothesen und Theorien sind heuristisch notwendig, aber nicht ausreichend. Es sind zusätzlich Bilder erforderlich, um Gesamtzusammenhänge zu verdeutlichen. Kunst und Wissenschaft sollten eine intellektuelle Einheit bilden, zum Beispiel die Dali-Uhr und polyaxiale Chronometrie-Darstellung.
Wenn Hegel die Aufgabe der Philosophie darin sah, ihre Zeit in Begriffen zu erfassen, so hat die Kunst die Aufgabe, ihre Zeit in Bildern darzustellen. Abstrakte Begriffe wie Methodologie, Epistemologie und andere sind prinzipiell für den Erkenntnisfortschritt notwendig, aber nicht hinreichend. Jede Disziplin hat ihre eigene Terminologie. Die Interaktion von Bild und Begriff ist in der Lage, die hierdurch verursachte „Privatsprache“ einzelner Disziplinen zu überwinden. Farbe und Form sind in der Lage, auch komplizierte, abstrakte Sachverhalte verständlich darzustellen. In der Ästhetik sehen wir eine reale Möglichkeit der Verbindung von Geist und Natur.
Es ist notwendig, die Idee der Naturbeherrschung aufzugeben zugunsten der Versöhnung und des Dialoges mit der Natur. Hierbei erlangt die Idee der Ethik und der Moral in Wissenschaft und Forschung wieder besondere Bedeutung.
Der Begriff „Weisheit“ ist interkulturell. Die Weisheit als Ziel und Sinn des Wissens setzt dem maßlosen Streben des Menschen nach Naturbeherrschung Grenzen. Daraus folgt: Die Menschheit ist auf dem falschen Weg! Und die Herrschaft der Experten am Ende! Zur Umkehr ist es notwendig, dass sich jeder Einzelne für ein Miteinander von Natur und Mensch, der Teil der Natur ist, engagiert. Denn in letzter Konsequenz ist Naturbeherrschung identisch mit der Beherrschung des Menschen — seiner Versklavung.
Ausblick
Das Manifest „Global Science — Zehn Thesen zur Weltauffassung im 21. Jahrhundert“ versteht sich als eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Rolle der Wissenschaft in der modernen Gesellschaft. Die Autoren argumentieren für eine global ausgerichtete, offene und pluralistische Wissenschaft, die weder von nationalen Grenzen noch von Expertenmonopolen eingeschränkt wird. Deshalb wird die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Weltauffassung besonders betont.
Die Überwindung der destruktiven Expertokratie und die Rückkehr zu einem ganzheitlichen, dialogorientierten Ansatz werden als unerlässlich angesehen. Die grundlegende Kritik an der normativen Expertokratie, insbesondere im Kontext von Ereignissen wie der Nuklearkatastrophe in Fukushima, wird daher deutlich herausgestellt.
Plädiert wird für einen Methodenpluralismus in der Forschung, der die Vielfalt der menschlichen Perspektiven und kulturellen Traditionen berücksichtigt. Die Bedeutung des gesunden Menschenverstands, der einer verengten, auf theoretischen Modellen und Statistiken basierenden Expertenperspektive gegenübersteht, wird unterstrichen.
Daraus leitet sich die Forderung nach einer Ethik und Moral in der Wissenschaft ab, die sich gegen eine einseitige Naturbetrachtung und -beherrschung stellt und stattdessen einen respektvollen Dialog mit der Natur insgesamt anstrebt. Die Autoren verstehen ihr Manifest auch als einen Appell an die Menschheit, sich für ein Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie, Technologie und Biologie einzusetzen. Um dies zu erreichen, wird die greifbare Vision einer globalen Wissenschaft entfaltet, die auf Kooperation, Vielfalt und einem tieferen Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur basiert.