Die eingefärbte Wahrheit
Emotionen und die Leugnung der Realität stehen in einer engen Beziehung zueinander.
Wir haben Gefühle, und diese beeinflussen unsere Wahrnehmung. Vollkommene Objektivität ist kaum menschenmöglich. Darin ist zunächst nichts Schlimmes, es ist Teil unseres Wesens. Wichtig ist nur, sich dieser Dynamik bewusst zu sein, wenn wir das Verhalten von Menschen, vor allem auch unser eigenes, beurteilen wollen. Hierfür müssen wir auf eine rationale Ebene kommen. Emotionalität hilft uns, zu glauben; Rationalität zeigt uns den Weg zum Wissen. Nicht zuletzt deshalb arbeitet politische Propaganda nur allzu gern mit Emotionen.
Reden wir über eine — wie ich meine — gespaltene Persönlichkeit, so wie Unzählige seiner Zeitgenossen. Das folgende Zitat stammt von Frank Luntz, einem Kommunikationsberater, welcher den US-Republikanern nahesteht:
„Es sind alles Emotionen. Aber an Gefühlen ist nichts auszusetzen. Wenn wir verliebt sind, sind wir nicht rational; wir sind emotional. Wenn wir im Urlaub sind, sind wir nicht rational; wir sind emotional. Wenn wir glücklich sind, sind wir nicht (rational). Tatsächlich sind wir in den meisten Fällen, wenn wir rational sind, eigentlich unglücklich. Emotionen sind gut; Leidenschaft ist gut. Es ist eine gute Sache, sich für das zu interessieren, wofür man sich interessiert, vorausgesetzt, es ist ein gesundes Streben“ (a1, 1).
Aber Luntz stand und steht nicht nur einer politischen Strömung nahe. Er ist ein Opportunist, ist sozusagen für alle da, die ihn gebrauchen können. Leute, die sich im Geschäft der Manipulation auskennen, waren schon immer begehrt. Pharmakonzerne leben von der Angst und den vorgeblich rettenden Mittelchen. Und Konzerne wie Pfizer verdanken ihren Einfluss und daraus resultierenden geschäftlichen Erfolg Menschen wie Frank Luntz:
„Ich glaube an die Menschen, die in den Unternehmen arbeiten, für die ich tätig bin, und an die politischen Menschen. Das beste Beispiel ist Rudy Giuliani. Was habe ich falsch gemacht, wenn ich jemandem wie Rudy Giuliani oder einem Unternehmen wie Pfizer eine Sprache zur Verfügung stelle, die ihnen hilft, zu erklären oder aufzuklären?“ (1i).
Die Frage ist, was Luntz wusste, was er glaubte beziehungsweise was er nicht wissen wollte. Damals, 2003, betrieb er emotional höchst eindringliche Werbung für ein neues Wundermittel:
„Ich bin ein Befürworter eines sehr berühmten Medikaments, nämlich OxyContin, weil ich glaube, dass dies ein Wundermittel ist, das den Menschen hilft, den Tag zu überstehen. Und das ist ein Medikament, von dem einige Leute wollen, dass es vom Markt genommen wird“ (1ii).
Das war Öffentlichkeitsarbeit für den Pharmahersteller Purdue Pharma. 2021 nahm sich Tucker Carlson — nach seinem Interview mit Russlands Präsident Putin derzeit in aller Munde (2) — des Themas an (3). Denn inzwischen haben die USA ein ausgewachsenes Drogenproblem mit OxyContin (4).
Frank Luntz betreibt schlicht und einfach Öffentlichkeitsarbeit. Man mag nicht ohne Grund seine Vorbilder in Gustave Le Bon, Walter Lippmann und Edward Bernays erkennen. Öffentlichkeitsarbeit ist die Kunst strategischer Kommunikation (Public Relation) mit dem Ziel der Einflussnahme auf das Gegenüber im Sinne der Auftraggeber. Daher lautet das Credo des Unternehmens- und Politikberaters Frank Luntz auch:
„Es gibt eine einfache Regel: Man sagt es immer wieder, und man sagt es immer wieder, und man sagt es immer wieder, und man sagt es immer wieder, und dann wieder und wieder und wieder und wieder, und der Zeitpunkt, an dem man es nicht mehr sagen kann, ist ungefähr der Zeitpunkt, an dem die Zielgruppe es zum ersten Mal gehört hat. Und es ist so schwer, aber man muss es einfach ständig wiederholen (…)“ (1iii).
Öffentlichkeitsarbeit ist ein begrifflicher Ersatz für den in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts irgendwann diskreditierten Begriff der Propaganda.
Öffentlichkeitsarbeit als gezielt eingeführte emotionale Begrifflichkeit ist selbst bereits Propaganda, eine Manipulation. Es ist eine Verdrehung, eine Umkehrung der inhärenten Logik von Sprache, so wie sie George Orwell in seinem Werk „1984“ beschrieb. Die Macht der Sprache, die eben auch darin besteht, Menschen zu bestimmten Handlungen zu zwingen. Um ihnen dabei auch noch die Illusion zu vermitteln, es wäre ihr freier Wille, ihre eigene Entscheidung. Auf die Frage, ob Worte der Schlüssel zu Gefühlen sind, antwortete er:
„Ja, genau. Sie nennen es Schlüssel, aber meine Aufgabe ist es, die Worte zu suchen, die die Emotion auslösen. Worte allein kann man in einem Wörterbuch oder einem Telefonbuch finden, aber Worte mit Emotionen können das Schicksal verändern, können das Leben, wie wir es kennen, verändern. Wir wissen, dass sie die Geschichte verändert haben; wir wissen, dass sie das Verhalten verändert haben; wir wissen, dass sie einen Krieg beginnen oder beenden können. Wir wissen, dass Worte und Gefühle zusammen die mächtigste Kraft sind, die die Menschheit kennt“ (1iv).
Wie legitimiert ein Mensch sein opportunistisches Wesen bei sich selbst? Er braucht diese Legitimation, um sich nicht allzu schlecht zu fühlen. Ein beruflich tätiger Missionar — und Luntz ist ein solcher — muss fest an das glauben, was er missionarisch verkaufen möchte:
„Es gibt Worte, die funktionieren, die erklären und aufklären sollen über Strategien, die funktionieren, über Produkte, die funktionieren, über Dienstleistungen, die funktionieren. Ich werde nie versuchen, eine Zitrone zu verkaufen. Das tue ich nicht. Ich arbeite für Pharmaunternehmen, weil mein Vater dank Unternehmen wie Pfizer lange Zeit mit Medikamenten am Leben gehalten wurde. Ich arbeite für ein Unternehmen wie Federal Express, weil es mir ermöglicht, meine Pakete am nächsten Morgen zuzustellen. Es ist ein wunderbares, innovatives Unternehmen. Ich arbeite für ein Unternehmen wie Merrill Lynch, weil ich an die Finanzdienstleistungen und die Qualität des Produkts glaube“ (1v).
Oder er muss glauben machen, dass er an all das selbst glaubt. Er muss in der Lage sein, zu manipulieren. Und diese Manipulation auch für sich selbst annehmen. Dafür gibt es sogar eine Redewendung: sich die Welt schönreden.
All diese Zitate des Frank Luntz sind über 20 Jahre alt. Menschen zeichnen sich durch ihr jeweilig einzigartiges Wesen aus. Im Rahmen dieses Wesens können sie sich verändern, und sie werden verändert. Frank Luntz schwamm immer im ideologischen Gleichstrom der Meinungsherrschaft in den USA. Das ist Teil seiner gespaltenen Persönlichkeit, mit hochgradig opportunistischer Ausrichtung. Wie sonst hätte er sonst seinen Job als Berater betreiben können, ohne innerlich zerrissen zu werden?
Im Jahre 2002 plädierte Luntz übrigens auch für eine kritische Sicht auf Dinge, welche die Leute nicht einfach als gegeben hinnehmen sollten:
„Fahrt damit fort, das Fehlen wissenschaftlicher Sicherheit zum Kernaspekt in der Debatte zu machen (…,) betont die Wichtigkeit, erst dann zu handeln, wenn alle Fakten (bekannt sind). (…) Das wichtigste Prinzip ist euer Bekenntnis zu solider Wissenschaft“ (1vi).
War das die wahrhaftige Seite des Frank Luntz oder auch nur Opportunismus?
Er, der ja selbst mit solchen Mechanismen bestens vertraut ist, hatte erkannt, dass die in den öffentlichen Raum lancierte Debatte um eine angebliche Klimaerwärmung emotional getrieben wurde. Er hatte die Sensoren dafür, weil er, ganz rational, Politik und Wirtschaft beratend zur Seite stand, damit diese emotional erfolgreich auf ihr Publikum wirken konnten. Ihm war klar, dass bereits der Begriff Klimaerwärmung zwar genauso abstrakt ist wie der des Klimawandels — Wandel ist das Wesen des Klimas —, dafür aber emotional viel stärker, weil beängstigend wirkte. Erst recht, wenn so etwas mit „Hockeyschläger-Kurven“ „bewiesen“ wurde (5).
Frank Luntz warb Anfang der 2000er-Jahre dafür, die durch interessierte Machtgruppen ins Spiel gebrachte Debatte um einen tatsächlichen oder vermeintlichen, durch Menschen verursachten Klimawandel auf einer rationalen statt emotionalen Ebene zu führen, ja eine Sachdebatte überhaupt zuzulassen. In den Augen der messianischen Eiferer einer drohenden „Klimaerhitzung“ musste ihn das zwangsläufig zum „Klimaleugner“ machen. Ja, er wurde durch sie sogar zu einem „Leugner des wissenschaftlichen Konsens“ (6).
Man muss sich vor Augen führen, was das bedeutet: Es wird ein „wissenschaftlicher Konsens“ zu den Fragen einer — nachzuweisenden — globalen Erwärmung vorgegeben, verordnet, geradezu befohlen. Was zur Folge hat, dass auch jede wissenschaftliche Diskussion um das Thema selbst, also einer bestehenden oder auch nicht bestehenden globalen Erwärmung, einschließlich der Ursachenforschung, quasi verboten wird.
Damit aber ist sie hinfort, die Wissenschaft, um Platz zu machen für eine kompromisslose, in sich geschlossene Ideologie.
Im gleichen Maße, wie die Eiferer einer Klimaerhitzung — also eben nicht ernsthaft, sachlich und offen argumentierende Wissenschaftler, welche eine solche Ansicht vertreten — ihrerseits zunehmend heißliefen und die Politik massiv zu beeinflussen begannen, bekam Frank Luntz wachsenden Druck zu spüren. Ganz wie im Mittelalter bekam er außerdem die Möglichkeit, vor dem hohen Klimagericht, einer Art Inquisition der Neuzeit, sich zu seinen Sünden zu bekennen und der herrschenden Ideologie — verbrämt gern „wissenschaftlicher Konsens“ genannt — beizutreten. Frank Luntz, der weiß wie das Geschäft läuft, kippte um (7). Womit er weiterhin im Geschäft bleiben darf. Ein klassisches opportunistisches Verhalten, verständlich, menschlich — und trotzdem fatal.
Frank Luntz wurde vorgeworfen, zu leugnen. Aber er verleugnete sich selbst, als er seinen Überzeugungen abschwor. Oder hatte er diese schon davor nicht? Dabei hatte er überhaupt nicht „die Klimaerwärmung geleugnet“, sondern seinen Klienten lediglich empfohlen, die wissenschaftliche Debatte zu suchen. Er hatte für Rationalität plädiert. Um nun die Erfahrung machen zu dürfen, dass man ihn emotional so sehr in den Schwitzkasten nehmen konnte, dass ihm die Rationalität nicht weiter half. Er wurde mit einer „offensiven“ Variante von Öffentlichkeitsarbeit konfrontiert, mit der er sein Geld verdient: starker emotionaler Beeinflussung, um gewünschte Handlungen vorzunehmen.
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.