Die einfachen Gemüter
Verschwörungstheoretikern wird vorgeworfen, von einer immer komplexeren Realität überfordert zu sein und deshalb zu einfachen Welterklärungskonzepten zu greifen.
Politische Ansichten sind auch eine Intelligenzfrage. Sie glauben vielleicht, dass Ihre Weltanschauung das Ergebnis sorgfältig gesammelter Informationen und eigenständigen Nachdenkens sei. Das könnte jedoch ein Akt der Selbsttäuschung sein. Denn wenn es nach maßgeblichen Staats- und Presseorganen geht, sind Sie schlicht überfordert. Sie schaffen es nicht, komplexe Wahrheiten wie diese zu begreifen: „Unser Staat meint es gut mit uns.“ „Alle Hintergründe politischen Handelns liegen offen zutage.“ „Was die Tagesschau berichtet, ist die vollständige Wahrheit.“ Und da diese Erkenntnisse Ihre geistige Kapazität übersteigen, flüchten Sie sich in wirre Erzählungen. Vernünftige Menschen dagegen sehen ein, dass es nur die eine wirklich wahre Wahrheit gibt ... Die Kampagne gegen „Verschwörungstheorien“ ist älter als die Coronakrise. Sie zielt im Kern auf die Einengung des Meinungsspektrum auf einen kleinen Korridor des gesellschaftlich Akzeptierten und auf Einschüchterung von Widerspenstigen, deren Argumente nicht so leicht widerlegbar sind.
Kritiker der rigorosen Massnahmen gegen die sogenannte Corona-Pandemie wurden zunehmend mit dem Etikett „Verschwörungstheoretiker“ abgefertigt. Gleichzeitig äußerten sich plötzlich Expertinnen und Experten an Universitäten zum Phänomen „Verschwörungstheorie“, wobei etliche das Suffix „-theorie“ lieber mit „-erzählung“ ersetzt hätten. Denn eines ihrer Kennzeichen sei, so sagte man, dass nicht wissenschaftlich-rational argumentiert würde, sondern irrational, spekulativ und mit Sündenbocknarrativen. Die Erklärung für die Zunahme von Verschwörungstheorien sehen sie — fast unisono — darin, dass viele Menschen von einer immer komplexeren Realität überfordert seien, und deshalb gerne zu einfachen Welterklärungskonzepten greifen würden.
Dies meint auch Pascal Wagner-Egger, Forschungsprofessor für Sozialpsychologie und Statistik an der Universität Fribourg, der sich seit 20 Jahren mit der Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien befasst. In seiner zu einem Buch erweiterten Habilitation: „Psychologie des Glaubens an Verschwörungstheorien: Das Rauschen der Verschwörung“ sieht er den Aufschwung irrationaler Verschwörungstheorien als eine Möglichkeit, der Welt angesichts des Rückgangs religiöser Gefühle wieder etwas Magie zu verleihen.
Diese und viele ähnliche Erklärungen aus dem akademischen Bereich machen es sich jedoch meines Erachtens zu einfach. Es sind nicht die von rationalem Denken Überforderten, die zu Verschwörungsideen greifen. Das Phänomen liegt tiefer.
Der flächendeckende Ausbau von PR-Abteilungen
Ich blicke auf ein 40jähriges Berufsleben in einer großen Institution zurück. Als ich anfing, stellte sie erstmals einen sogenannten Informationsbeauftragten an. Mit einem Pensum von 50 Prozent brachte dieser die Pressekonferenzen des Vorstands oder einzelner Abteilungen auf ein „professionelleres Niveau“.
Bald gab er einen zweimonatigen Newsletter der Organisation heraus, redigierte auf Wunsch auch Pressetexte. Im Lauf der Jahre wurde der Stellen-Etat der „Kommunikationsabteilung“, wie sie nun hieß, erweitert: Pressetexte liefen nun zwingend vor ihrer Veröffentlichung über das Pult der Presseverantwortlichen.
Direkte Auskünfte wurde uns Fachstellenverantwortlichen ab dann untersagt. Journalisten hatten sich an den Kommunikationsbeauftragten zu wenden. Der dritte Stelleninhaber verlor dramatisch seine Stelle, als er sich weigerte, eine wahrheitswidrige Mitteilung des Vorstand zu veröffentlichen. Die Erarbeitung von Leitbildern zur Organisation wurden mit Regelungen zum Erscheinungsbild und Richtlinien zu Veröffentlichungen begleitet, damit die Institution gegen außen „kohärent“ erscheine.
Mit dem Internet und immer spezielleren und häufiger versandten Newslettern, differenzierten Webseiten sowie Dienstleistungen und Weiterbildungsmodulen für eine Perfektionierung der PR der Organisation und ihrer Dienststellen wuchs die Kommunikationsabteilung inzwischen auf gegen 15 Mitarbeitende. (Im gleichen Zeitraum sind die Mitglieder der Organisation um circa 30 Prozent zurückgegangen!)
Interessant wäre die Frage, wer denn hinter dem Druck steht, alle müssten gleich denken.
In Problem- oder Konfliktsituation wird mit den zuständigen Chefs nach so genannten „Sprachregelungen“ gesucht und festgelegt, wie kommuniziert wird und wer was bei Nachfragen der Presse mündlich sagt. Natürlich nicht, ohne dass die Kommunikationsabteilung solche Interviews gegenliest und autorisiert. Auch Auskünfte des CEO werden nie im O-Ton ohne diese Kontrolle veröffentlicht.
Wenn Wahrheit der Absicht geopfert wird
Diese Entwicklung, die ich in meiner Organisation hautnah erlebte, verlief in dieser Zeitspanne rings um mich herum genau gleich. Meine Institution vollzog nur nach, was um sie herum Usus wurde. Inzwischen haben alle Firmen, auch mittlere KMU, größere Vereine, politische Gemeinden solche Kommunikationsabteilungen.
Dabei hat sich etwas Wichtiges schleichend verschoben: Die Information erfolgt nicht mehr ungefiltert oder naiv. Sondern sie wird bewusst gestylt: Was will man beim Leser, der Leserin bewirken? Sie folgt primär dem „Soll“ einer Organisation (den schönen Idealen ihrer Leitbilder), nur sekundär dem real existierenden „Ist“.
Nur Tage, nachdem die Betrugsmanipulationen an Dieselfahrzeugen bekannt wurden, äußerte sich zum Beispiel VW natürlich nicht zum Dieselskandal, sondern seither zum Dieselthema. Nicht immer ist dem Leser/der Leserin solche Schönfärberei bewusst wie in diesem Fall.
Ich selber erlebte Analoges mit meiner Pensionskasse. Nachdem der Anlagechef große Summen Pensionsgelder einem Finanzjongleur (Pate seines Sohns) an der Börse anvertraut und verloren hatte, wurden die Tatsachen und Verantwortlichen im Newsletter an uns Mitglieder schöngeschrieben, was das Zeug hielt. Aus der Presse wussten Kundige, was Sache war. Die andern wurden schlicht für dumm verkauft.
Die zentrale Funktion von PR-Abteilungen (ein ehrlicherer Name für heutige Kommunikationsstäbe) besteht darin, das Image der Organisation möglichst hochzuhalten. Texte werden adressatenspezifisch auf den Effekt hin redigiert, der bei der Leserschaft bewirkt werden soll. Wahrheit wird dabei der Wirkung geopfert — jedenfalls in für die Organisation kritischen Situationen. Einerseits verständlich. Nicht immer erfolgt die Manipulation der Leserschaft bewusst oder grob. Sie erfolgt jedoch professionell mit dieser Zielsetzung. Sie hat Methode.
Wenn aus Information Propaganda wird, steht viel auf dem Spiel
Joseph Bernays, der Neffe von Sigmund Freud, gilt als „Vater der Public Relations“. In seinem Klassiker „Propaganda — die Kunst der Public Relations“ schrieb er 1928, wie diese funktioniert:
„Die bewusste und zielgerichtete Manipulation von Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften … Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben wollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich.“
Er selber beriet nicht nur die US-Regierung, sondern auch die mächtige Tabakindustrie. Dies jedoch mit ganz anderer Stoßrichtung, so dass über Jahrzehnte die krebserzeugende Wirkung des Rauchens vernebelt werden konnte. Bernays stützte sich auf das 1922 erschienene Werk „Die öffentliche Meinung“ des Sozialpsychologen Walter Lippmann. Dieser beschrieb die Stellung des publicity mans, der zwischen einer Organisation und der Presse steht, so:
„Er ist Zensor und Propagandist zugleich und dabei lediglich seinen Brotgebern verantwortlich. Der ganzen Wahrheit hingegen nur soweit, wie sich diese mit den Interessen seiner Arbeitgeber decken.“
Inzwischen ist die wirkungsorientierte Aufbereitung von Informationen flächendeckend geworden. Guter, das heißt auch kritischer Journalismus, ist größtenteils weggespart. Und so nehmen Redaktionen gerne die vorgefertigten Texte der PR-Abteilungen, oft samt Headline. Man täusche sich jedoch nicht: auch wenn diese Verschiebung — von Wahrheit zu Wirkung — größtenteils unbewusst erfolgt ist (auch von den Machern!), stehen „offizielle“ Pressemeldungen heute doch schnell im Verdacht, mit der Wahrheit höchst selektiv umzugehen. Wir Empfänger realisieren unbewusst: Was ist flächendeckend-professionelle PR oft anderes als eine permanente Verschwörung der Absender gegen die Empfänger?
Hohe Schule der Verschwörung
Inzwischen hat PR ein ganz anderes Niveau erreicht als in den Gründerjahren eines Bernays und Lippmann. Empirische Daten zur Manipulierbarkeit menschlichen Psyche empfehlen zum Beispiel, wenn es darum geht, wichtige Informationen zu verschweigen oder Meinungen zu prägen, nicht nur Sprachregelungen, Erzählen von verkürzten Geschichten, Wiederholen von Übertreibungen und Lügen, Hofieren und Kaufen willfähriger Journalisten, selektives Aufführen von Experten, Abwerten und Diffamieren von Kritikern, Konflikte nutzen und inszenieren, unterschiedliche Botschaften auf verschiedenen Kanälen senden, Ablenken auf Nebenschauplätze, Verschweigen (und dieses Aussitzen!) etc. noch viel anderes.
Führend sind in der Disziplin PR schon lange die Geheimdienste und Kriegspropaganda. Größere Organisationen kaufen heute in besonderen Situationen PR-Manipulationsdienstleistungen in Kommunikationsagenturen ein, die vor allem auch Juristen beschäftigen, um gegebenenfalls bis an die Grenze des Zulässigen gehen zu können. In größeren Projekten wird gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen und auch langfristig gearbeitet (bis sich zum Beispiel lancierte Begriffe und Wertungen in der Öffentlichkeit allmählich durchsetzen).
Wer will, kann sich über das Instrumentarium und die Wirkungen professionell betriebener „Öffentlichkeitsarbeit“ bei MedienwissenschaftlerInnen und HistorikerInnen wie Elisabeth Noelle-Neumann („Die Theorie der Schweigespirale“), Anne Morelli („Die Prinzipien der Kriegspropaganda“), Douglas Rushkoff („Der Anschlag auf die Psyche. Wie wir ständig manipuliert werden“), kürzlich Michael Meyen („Die Propaganda-Matrix“) schon lange und bis in neuste Zeit kundig machen.
Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines und ihre Narrative
Die Sprengung der russisch-deutschen Gaspipelines im September 2022 in der Nordsee hat zunächst die Gemüter erhitzt. Unisono wurde geäußert, dass hinter diesem Attentat ein Staat stehen muss. Sofort beschuldigte man sich gegenseitig: Der Westen Russland, Russland den Westen. Deutschland, Dänemark und Norwegen begannen ihre Untersuchung.
Nachfragen im Bundestag (von „falscher Seite“: Sarah Wagenknecht von der Linken) ließ der Bundeskanzler mit der Bemerkung auflaufen, offene Informationen seien sicherheitsrelevant und deshalb nicht möglich.
Am 19. Februar publizierte der Doyen des amerikanischen Investigativjournalismus Seymour Hersh, dass die USA hinter dem Ende der Pipelines (wie von Präsident Biden vordem konkret angekündigt) stünden. Gleichentags kamen jedoch die USA ganz anders in die Schlagzeilen: Ein chinesischer Spionageballon über den USA! Das diplomatische Geplänkel inkl. Ballonabschüsse füllten während 2 Wochen die Schlagzeilen der Presse.
Hersh’s Information wurde, wenn überhaupt erwähnt, mit dem Hinweis abgefertigt, Hersh sei alt, seine Quelle unklar und er in letzter Zeit sowieso mit unseriösen Recherchen aufgefallen. Am 3. März besuchte Bundeskanzler Olav Scholz unangekündigt und in völlig ungewohnter Weise US-Präsident Biden: ohne mitreisende Delegation und Pressevertreter, ohne Angabe von Themen und ohne Pressekonferenz. Jedermann rätselte.
Am 8. März tauchte — so die Schlagzeile: „Nach einer groß angelegten Recherche von ARD, SWR und Die Zeit konnten die deutschen Ermittlungsbehörden einen Durchbruch bei der Aufklärung des Anschlags erringen.“ — eine andere Version auf: die Geschichte der von 6 Personen gemieteten Yacht, mit Verbindungen zur Ukraine.
Diese Version wurde sofort als glaubwürdig wiedergegeben und breit dargestellt. Das erneute Ersuchen Russlands, bei den (immer noch laufenden) Ermittlungen mitwirken zu können, wurde in der UNO jedoch abgeschmettert. Nicht genug: bereits am 16. März kam eine dritte Version ins Spiel, die nun wieder Russland verdächtigte: Seien doch russische Kriegsschiffe kurz vor der Explosion in der Nähe der Leitungen aufgekreuzt. Auch diese Geschichte schaffte es in die Medien, und Experten äußerten sich abwägend, jedoch nur zu den Narrativen zwei und drei, wobei sie die Geschichte mit der Yacht als eher unwahrscheinlich einschätzten, von der aus eine solche gewaltige Unterwassersprengung hätte durchgeführt werden können.
Dass es die USA gewesen sein könnten, darauf kam man interessanterweise nicht zurück, obschon Seymour Hersh inzwischen weitere Details zu seiner Recherche veröffentlichte. Die Leitmedien nehmen sie bis heute nicht zur Kenntnis: Die USA hätten ja sofort scharf dementiert, bei diesen Vorgängen beteiligt gewesen zu sein, auch kein US-Bürger … Aber eben: Da war gleichentags dieser chinesische Spionageballon in der Stratosphäre der USA eingedrungen, ein verirrter Wetterballon, wie die Chinesen sagten und sich später erwies. Außenminister Blinken sagte deshalb sogar seine geplante Reise nach China ab. Wahrlich große Schlagzeilen, die sich die USA etwas kosten ließen, um nicht mit Hersh in die Schlagzeilen zu kommen.
Ein Dieb, wer Böses denkt?
Die zeitliche Abfolge des eben Beschriebenen schmeckt nach Verschwörung, mindestens nach aufwändiger Propaganda. Viele vermuten inzwischen unter der Hand, dass es die USA waren. Aber man weiß es eben nicht genau, gibt es inzwischen doch sehr verschiedene Geschichten, die uns beschäftigen (sollen). Wie groß wäre der Aufschrei in Deutschland gewesen, wenn es klar wäre — oder die USA sogar zugäben, dass sie es gewesen sind?
Immerhin sind die Energiepreise deshalb explodiert, mussten Krisenszenarien für den Winter erarbeitet werden, und sind die langfristigen Folgen für Deutschland happig. Die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland wären mit Sicherheit nachhaltig beschädigt worden. Mit einer Portionierung der Information, inklusive Legen falscher Fährten, konnte man die Reaktion kontrollieren.
Bis heute bekommt die Öffentlichkeit von Regierungsseite keine Antworten, entweder weil die Ermittlungen noch laufen würden (von denen Russland weiterhin ausgeschlossen bleibt. Weshalb eigentlich, sind doch ermittelten westlichen Staaten in der Mehrheit?) … oder aus Gründen der Sicherheit. Die Yacht-Geschichte wirkt durchsichtig plump und billig, aber sie erfüllt offenbar ihren Zweck prima. Und sollte nach und nach die Wahrheit durchsickern, kann man mit einem Gewöhnungseffekt rechnen. Hat man Russland doch auch hinreichend als möglichen Verursacher erwähnt, dass die USA unbehelligt bleiben.
Und die Sache wäre ausgesessen.
Schließlich vergisst Mensch schnell, und kann man ihn gegebenenfalls mit weiteren Schlagzeilen von dummen Gedanken ablenken. Ein Dieb, wer derart Böses denkt? Man darf sich jedenfalls nicht wundern, wenn man angesichts des Ablaufs der Ereignisse und Veröffentlichungen, sowie der auffällig selektiven Rezeption in den Leitmedien auf solche Verschwörungsvermutungen kommt.
Die Theoretiker der Verschwörungstheorien machen es sich etwas gar einfach
Selbst wenn ich mit meiner — und der gleichsinnigen Vermutung vieler — nicht recht habe: Die gesamte Story mit ihren mehreren Stationen entspricht dem Drehbuch von PR-Handbüchern gehobener Stufe! Da wird schon mal Geld in die Hand genommen, manchmal braucht es sogar Opfer, um eine Geschichte zur Geschichte zu inszenieren, um von der Hauptgeschichte abzulenken.
Nachtrag zur Geschichte zwei: Der Version mit der Yacht, den 4 Tauchern, dem Koch und der Ärztin, welche die gut gepanzerten Leitungen mit 1,2 Meter Durchmesser in über 70 Metern Tiefe gesprengt haben sollen, wurde noch die Raffinesse beigefügt, dass sie eine „false-flag-Story“ sein könnte, um den Verdacht auf andere, zum Beispiel die Ukraine zu lenken. Die Geschichte wird sowohl in den Raum gestellt wie zugleich relativiert! Dieser Informationsgehalt soll durchaus auch verwirren, so steht’s wenigstens in den PR-Handbüchern, wenn’s um heikle Sachverhalte großer Konzerne oder gar Staaten geht. Wie wir aus zahlreichen Fällen wissen — halt immer erst im Nachhinein — wäre dies nicht das erste Mal!
Die WissenschaftlerInnen, die sich mit dem Phänomen Verschwörungstheorie befassen, machen es sich sehr einfach. Meist stoßen alle in dasselbe Horn: dass der von Komplexität und Nachrichtenflut überforderte Mensch sich an einfache Geschichten und Bösewichte halte. Dumm daran ist bloß, dass sie zugleich mit Verwunderung feststellen müssen, dass offensichtlich nicht nur einfache Gemüter, sondern sogar gebildete Akademiker Verschwörungstheorien anhängen. Dafür kennen sie jedoch bislang keine Erklärung.
Dass wir medial vermittelten Dauerverschwörungen ausgesetzt sind, ist für sie kein Thema. Natürlich gibt es krude Verschwörungstheorien. Aber jemandem dieses Etikett anzuhängen, ist inzwischen ein primär von PR-Agenturen eingesetzter Gesprächskiller, der verhindern soll, sich mit gewissen Sachverhalten überhaupt auseinanderzusetzen. Oft können „Verschwörer“ durchaus geortet werden. Oft jedoch nicht, dann öffnen sich spekulative Türen mannigfacher Art.
Die Suche nach Sündenböcken ist ein altes Übel. Es grassiert jedoch auf beiden Seiten, sowohl gegen anonyme Weltverschwörer, jedoch auch gegenüber renitenten Nichtgläubigen, die sich dem Druck, alle müssten dem Mainstream-Konsens folgen, kritisch verweigern.
Interessant wäre die Frage, wer denn hinter dem Druck steht, alle müssten gleich denken. Warum werden alle, die sich mit der medial vermittelten so genannten „wissenschaftlichen Rationalität“ nicht zufrieden geben, gleich einer Irrationalität bezichtigt? Wer erträgt Abweichler — eigenständig denkende Menschen — nicht?
Es gibt zunehmend viele rationale Gründe, zum Verschwörungstheoretiker zu werden. Wir werden sozusagen täglich dazu gezüchtet. Woher die Pandemie dieses Virus — des PR-Virus — kommt, ist eine offene Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Die Institution, in der ich mein Brot verdiente, ging freiwillig diesen Weg. Aber sie wäre ein Anachronismus in der heutigen Landschaft, hätte sie nicht mitgemacht, was alle machen. Vielleicht würde sie heute jedoch sogar attraktiver: glaubwürdiger und lebendiger dastehen, wer weiß?
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Wie wir täglich zu Verschwörungstheoretikern gemacht werden“ im Zeitpunkt.