Die dunkle Aufklärung

Technokraten im Weißen Haus treiben das Projekt voran, die USA wie eine Firma zu managen.

Der Staat habe in seiner demokratischen Funktionsweise versagt und müsse daher zu einer kapitalistischen Unternehmensstruktur ummodelliert werden, so Curtis Yarvin, der Mastermind hinter den Technokraten der neuen US-Regierung. Eine Firma jedoch ist normalerweise keine demokratische Institution. Wer gewieft ist und Geld hat, kann sich in ein Unternehmen einkaufen und dieses dominieren. Die enge Verbindung der neuen US-amerikanischen Führung mit Tech-Milliardären wie Elon Musk kann insofern besorgt stimmen. Denn Bürgermitbestimmung würde in so einem Konstrukt keine Rolle mehr spielen. Was dagegen an Einfluss gewinnen dürfte, ist künstliche Intelligenz.

Schon lange plädiert der Autor und Programmierer aus dem Silicon Valley Curtis Yarvin für eine amerikanische Monarchie. Zwischen 2007 und 2016 erregte er Aufsehen durch seinen Blog, den er unter dem Pseudonym Mencius Moldbug verfasste und der seinerzeit viele Anhänger gewinnen konnte. Darunter auch den akademischen Philosophen Nick Land, welcher in seiner Rezension über Moldbug den Begriff des „Dark Enlightenment“ prägte und Yarvins Konzept wie folgt zusammenfasste: Alle inoffiziellen Machtstrukturen wie etwa Lobbying, Bestechung, Manipulation et cetera sollten in der Unternehmensstruktur Staat formalisiert werden.

In einem Staat, der die Struktur eines kapitalistischen Unternehmens aufweise, sollten demnach auch nur jene mitbestimmen können, die eine Anleihe am Staat besitzen. Im Ziel käme das einer hyperkapitalistischen Technokratie gleich, die sich nun um Präsident Donald Trump versammelt hat.

Denn nicht nur Musk ist ein glühender Anhänger von Yarvin, sondern auch der neue US-Vizepräsident J.D. Vance. Könnte uns mit der Schattenregierung Trumps eine nie dagewesene Technokratie drohen?

Nicht zuletzt durch seinen Protegé Elon Musk zeichnete sich ab, dass mit einer Regierung unter Donald Trump auch Big Tech ins Weiße Haus einzieht — was dann spätestens am Tag der Inauguration für alle ersichtlich werden sollte. Denn nicht nur Musk stand fest an Trumps Seite, sondern auch viele weitere hochkarätige Gäste aus der Tech-Industrie. Darunter nicht zuletzt der Amazon-CEO Jeff Bezos, der zusammen mit Musk zu einem Abendessen mit Trump in Mar-a-Lago geladen war, sondern auch der Meta-Chef Mark Zuckerberg, der in Sachen Meinungsfreiheit inzwischen ganz neue Töne spuckt.

Doch allen voran stellt Trumps Vizepräsident J.D. Vance ein entscheidendes Bindeglied zum mächtigen Investor und visionären Tech-Unternehmer Peter Thiel dar. Thiel hatte durch seine frühe Investition in Facebook Bekanntheit erlangt und kreierte mit Elon Musk das Unternehmen PayPal, bevor beide wieder getrennte Wege gingen. Doch vor allem hat Thiel durch seine Investitionen in Vances Unternehmen Mithril und Narya und die Finanzierung seines Wahlkampfs für den US-Senat im Jahr 2022 den Vizepräsidenten erst zu einer politischen Erscheinung erhoben. Durch den Einzug von Vance ins Weiße Haus könnte sich nun auch Thiels Investition indirekt durch eine politische Einflussnahme auszahlen.

Warum sich die Macher aus dem Silicon-Valley plötzlich so fleißig im Kniefall vor dem neuen Präsidenten üben, liegt mittlerweile ebenfalls auf der Hand: Kaum im Weißen Haus, setzt Trump auch schon das um, wovon Experten ausgingen, nämlich die Aufhebung der durch Joe Biden im Oktober 2023 erlassenen Executive Order hinsichtlich der „sicheren und vertrauenswürdigen“ Entwicklung und Nutzung künstlicher Intelligenz (KI).

Nicht zuletzt der Tech-Milliardär und Entwickler von Mosaic, dem ersten international verbreiteten Internetbrowser, Marc Andreessen, welcher lange Zeit als Unterstützer der Demokraten galt, suchte sich in weiser Voraussicht, dass bald ein neuer Wind aufziehen wird, einen festen Platz an der Seite des neuen US-Präsidenten.

Denn nach Ansicht der Republikaner würde die Executive Order Innovationen hemmen — und dies, obwohl ausgerechnet Musk bereits mehrmals Bedenken gegenüber der Technologie äußerte und 2023 zusammen mit mehr als 1.000 Experten aus der Tech-Branche sogar eine Pause bei der KI-Entwicklung forderte. Trumps Vizepräsident tut diese KI-Bedenken gerne als Branchentrick ab, der vordergründig dazu diene, neue Vorschriften einzuleiten, die es „für neue Marktteilnehmer tatsächlich schwieriger machen würden, die Innovationen zu schaffen, welche die nächste Generation des amerikanischen Wachstums antreiben würden“ (1).

Ob Musk Trumps Nähe letztlich also nur deswegen gesucht hat, um sich selbst einen Branchenvorteil zu verschaffen, bleibt dahingestellt. Fest steht allerdings, dass sich Trump durch seine KI-Initiative „Stargate“ gleich weitere Asse aus der Tech-Branche ins Boot geholt hat, nämlich unter anderem den OpenAI-Chef Sam Altman sowie den CEO von Oracle, Larry Ellison. Altman steht nicht nur immer wieder mit Aussagen zur Entwicklung einer Superintelligenz im medialen Blitzlichtgewitter, sondern hat durch sein Worldcoin-Projekt seinerzeit den Iris-Scan salonfähig gemacht. Ellison hingegen schwärmte bereits auf einem Finanzanalystentreffen von Oracle 2024 davon, dass dank der Ära der Massenüberwachung Polizisten und Bürger stets „ihr bestes Verhalten an den Tag legen“ (2).

Sollte uns das beunruhigen? Auf jeden Fall! Denn hinter all den internen Fehden über die Finanzierbarkeit des „Stargate“-Projekts sollte nicht aus dem Blick gelassen werden, dass die Technokraten im Weißen Haus ein und demselben „Hausphilosophen“ anhängen, der da Curtis Yarvin heißt.

„The Dark Enlightenment“

In seiner verstörenden Dystopie, welche der hochintelligente Programmierer Yarvin unter dem Pseudonym Mencius Moldburg veröffentlichte, beschreibt er das San Francisco von morgen wie folgt: „Alle Einwohner, selbst vorübergehende Besucher, tragen Ausweise mit RFID-Chips. Von allen werden DNA und Netzhaut gescannt. Öffentliche Plätze und Nahverkehrssysteme tracken jeden. Sicherheitskameras sind allgegenwärtig. Jedes Auto weiß, wo es ist und wer darin sitzt, und meldet den Behörden beides“ (3).

Yarvins Dystopie, so verrückt sie auch klingen mag, stieß seinerzeit nicht nur auf Anhänger der Tech-Branche. Auch der akademische Philosoph Nick Land nahm Yarvins Ideen auf und prägte in einer seiner Rezensionen erstmals den Begriff des „Dark Enlightenment“, dessen Theorie auf Yarvins Interpretation des Evolutionsbiologen und Verfechters der Aufklärung, Richard Dawkins, beruht. Mit dem Begriff „Mem“ stellte Dawkins seinerzeit ein sozialtheoretisches Äquivalent zum Gen der Evolutionsbiologie auf und beschrieb damit den Code für gesellschaftliche Praktiken. Jegliches soziale Verhalten — welches demnach nicht auf die Evolutionsbiologie zurückzuführen ist —, sei durch ein Mem erklärbar. Nach Dawkins würden hierunter religiöse Praktiken fallen, da diese gegen rational und biologisch logische Verhaltensweisen agieren und sich gegenüber der Evolution nur deswegen durchzusetzen vermögen, da sie dem Menschen ein Trugbild einflößten und parasitär strukturiert seien (4).

Jene parasitäre Struktur übertrug Yarvin auf die irrationalen Moralvorstellungen liberaler Demokratien. Seiner Meinung nach würden auch diese parasitäre Merkmale aufweisen. Hierfür führt er unter anderem den Universalismus als dominierende Moralvorstellung liberaler Demokratien an, welche die Menschen dazu veranlassen würden, bestimmte Dinge zu glauben, wie etwa, dass alle Menschen gleich seien.

In einer Art zweiten, „dunklen“ Aufklärung gelte es, sich aus diesem Aberglauben der „Kathedrale“ — wie Yarvin das Institutionsgeflecht taufte — zu befreien, da das anfängliche Versprechen der Aufklärung, nämlich die Trennung zwischen Rationalem und Irrationalem, gescheitert war.

„Dark Enlightenment“ impliziert somit die Abschaffung der Demokratie zugunsten eines CEOs, da eine Regierung laut Yarvin nichts weiter sei als ein Konzern, der das Land managt. Da die USA ziemlich schlecht gemanagt würden, müsse man mit dem Staat wie mit einer maroden Firma verfahren und diese zugunsten eines „nationalen CEO“ auflösen.

Der Hausphilosoph der Tech-Giganten

Allen voran der PayPal-Gründer Peter Thiel sowie sein „Investment“, der derzeitige Vizepräsident J.D. Vance, sind glühende Anhänger von Yarvin. Besonders beeindruckt zeigen sich beide dabei von Yarvins Idee, die USA wie eine Firma zu managen. Thiel bekannte hierzu in einem Essay, der beim Cato Institute veröffentlicht wurde: „Ich glaube nicht länger daran, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind“ (5). The Baffler warnte daher bereits 2014 vor einem „Silicon-Reich“. Ausgangspunkt war hierbei die Petition auf der Website des Weißen Hauses der Google-Ingenieurin Justine Tunney, welche ein Referendum vorschlug, um der Technologiebranche die Regierungsführung zu übertragen. Hierbei bezog sie sich gegenüber ihren Twitter-Followern explizit auf Mencius Moldbug.

Dasselbe schlug übrigens auch Vance vor, wenn auch mit einigem zeitlichen Abstand zu Tunney und mit anderen Worten. 2021 appellierte er nämlich an Donald Trump, die Vision der „dunklen Aufklärung“ nach seiner Wiederwahl in die Tat umzusetzen, indem die derzeitige amerikanische Führungsklasse wie ein Tumor herausgerissen und dann eine Art amerikanische politische Religion etabliert werde (6).

Obwohl sich durch die Schaffung eines neuerlichen Aberglaubens in eine amerikanische politische Religion wohl das Ziel der „dunklen Aufklärung“ im Kern widerspricht, sollte doch die Frage zulässig sein, ob es in einer Demokratie Multimilliardären gestattet werden sollte, sich durch ihre finanziellen Zuwendungen in die Politik einzumischen.

Erst recht, wenn es ihnen darum geht, die Staatsmacht in dem Sinne „richtig“ zu verwalten, indem der Staat an die Strukturen eines kapitalistischen Unternehmens angeglichen wird. Denn alle Freiheiten, die nach Yarvins „libertären“ Vorstellungen in seinem Staatskonstrukt existieren, wären dann seine ganz eigenen freiheitlichen Produkte, die er seinen Bürgern/Konsumenten großzügig zugesteht.

Besorgniserregend wird es dann, wenn man Yarvins Ideen nicht nur auf die USA beschränkt sieht. Mit Blick auf den diesjährigen „AI Action Summit“, der vom 10. bis zum 11. Februar in Paris tagt, kündigte der französische Präsident Macron bereits „ein neues Paris der Aufklärung“ an. Mit freundlicher Unterstützung der „Artificial Intelligence World Society“ (AIWS) — also einer selbst ernannten AI-Weltregierung — soll es unter anderem dann um die Frage gehen, wie künstliche Intelligenz die Governance zum Besseren verändern kann. Zumindest im Ansatz klingen hier auch die Ideen Yarvins durch.