Die Diskursverrohung
Die „Debatte“ über den Umgang mit Corona-Maßnahmenkritikern gleicht einem Wettbewerb um den unmenschlichsten Vorschlag. Exklusivabdruck aus „Das Corona-Dossier“.
Eine lange Linie und ein durchgehendes Piepen auf dem EKG der gesitteten Debattenkultur. Der Diskurs — so man noch von einem solchen sprechen kann — ist vollends verroht! Heute kommt man tatsächlich ungeschoren davon, wenn man öffentlich die vor Menschenverachtung triefende Forderung aufstellt, bestimmten Personen medizinische Behandlung oder im Bedarfsfall ein Intensivbett zu verwehren. Gemeint sind Menschen, die den Corona-Maßnahmen skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen. Dies wird haarsträubenderweise damit gleichgesetzt, dass jemand die Existenz des Virus leugnet. Wer die Gefahr leugne, brauche ja keine medizinische Hilfe, wenn sie für ihn Realtität geworden sei. Abgesehen von dem zutiefst boshaften Charakter solcher Forderungen, sind sie auch von unerträglicher Heuchelei geprägt. Personen, die so etwas fordern, schweigen meist gleichzeitig zu weitaus größeren gesundheitlichen Gefahren und auch zum Abbau der medizinischen Infrastruktur. Exklusivabdruck aus „Das Corona-Dossier — Unter falscher Flagge gegen Freiheit, Menschenrechte und Demokratie“.
*„Der schlaueste Weg, Menschen passiv und folgsam zu halten, ist, das Spektrum akzeptierter Meinungen strikt zu limitieren, aber innerhalb dieses Spektrums sehr lebhafte Debatten zu erlauben“ — Noam Chomsky.
Die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Kritikern der Corona-Maßnahmen nehmen zum Teil bedenkliche Formen an. So hatte die US-Sängerin Alecia Moore, besser bekannt als Pink, die Idee, dass Corona-Demonstranten nach einer Infektion die ärztliche Behandlung verweigert werden sollte. Pink sah sich auch noch zu einer Hetzkampagne gegen Andersdenkende genötigt. Wer jedoch über ein geschätztes Vermögen von 185 Millionen Euro verfügt wie Pink, dürfte sich zumindest keine Sorgen um eine medizinische Mangelversorgung machen müssen (1, 2).
Ein Bruder im Geiste ist Willy Oggier, der verschiedene Krankenhäuser in der Corona-Krise berät. Oggier forderte im Schweizer Tages-Anzeiger:
„Wer angezeigt wird, weil er die Abstands- und Hygieneregeln mutwillig missachtet, soll die Verantwortung für sein Handeln tragen. Ich schlage vor, dass diese Personen namentlich erfasst werden und im Zweifelsfall kein Intensivbett erhalten. Ganz nach dem Verursacherprinzip.“
Oggier findet es fairer, wenn „selbst ernannte Corona-Rebellen das Nachsehen“ hätten, sollte es in den Krankenhäusern eng werden. Und „saftige Ordnungsbußen, die ohne lange Verfahren ausgestellt werden können“ , wolle er auch. Die Verantwortlichen der vielen Kollateralschäden des Lockdowns, besonders jene mit Todesfolge, für ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehen, kam Oggier bei seiner Forderung „nach dem Verursacherprinzip“ nicht in den Sinn. Eine Haftung für den Lockdown-Wiederholungsfall wäre aber auch denkbar. Zu klären wären noch: Ist ein „Skeptiker“ dasselbe wie ein „Leugner“, ein „Leugner“ dasselbe wie ein „Kritiker“ und ein „Kritiker“ dasselbe wie ein „Skeptiker“? Und inwieweit ist ein Corona-Kritiker dafür verantwortlich, dass das Gesundheitssystem dezimiert, privatisiert und in den USA in einem katastrophalen Zustand ist? Sollen die dafür verantwortlichen Politiker und Berater nun auch keine Behandlung mehr bekommen?
Waren Berater wie Oggier jemals nötig? Wäre das Geld für Betten und Lohnerhöhungen des Personals nicht sinnvoller angelegt? Und vor allem: Wer ist an den Streichungen Hunderter Krankenhausbetten in der Corona-Krise schuld? Und, und, und? (3, 4).
Das französische Medium Basta Mag will bei seiner Recherche herausgefunden haben, dass die französische Regierung nicht nur 2019, sondern auch in der Coronakrise in mehr als einem Dutzend Krankenhäusern Krankenhausbetten und Personal reduzierte und weiterhin reduziert. Auch in Gebieten mit hohen Covid-19-Fallzahlen wie in Paris oder der Provence-Alpes-Côte d’Azur. In Paris sind es etwa 200 Betten weniger. In Marseille werden bald 230 Betten fehlen. In Nantes sind seit Anfang 2020 rund 100 Betten weggefallen und in Straßburg sollen 20 Intensivbetten verschwinden. Zwischen den Jahren 2003 und 2017 sind im ganzen Land insgesamt rund 69.000 Krankenhausbetten abgebaut worden, so ein Bericht des französischen Gesundheitsministeriums (5, 6, 7).
Und in Deutschland? Die Bürgerinitiative GemeinWohlLobby schrieb am 19. Dezember 2020: „Während und trotz der Pandemie haben 13 Krankenhäuser geschlossen, und für 19 Kliniken wurde ein entsprechender Beschluss gefasst. Es geht um 3.400 Betten und 6.000 Beschäftigte — mindestens. Und ob Kreiskrankenhaus oder Großklinik: Fast alle haben oder hatten sie Notaufnahmen, Intensivbetten, Chirurgie und innere Medizin — und haben Corona-Patienten behandelt oder den benachbarten Kliniken den Rücken freigehalten für deren Corona-Station.
Während zu den nicht-medizinischen Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht und Quarantäne alle zwei Wochen große Regierungspressekonferenzen stattfinden, werden die fatalen Klinikschließungen still und leise vorgenommen“, was man stoppen müsse, weshalb das Bündnis Klinikrettung gegründet wurde. „Die Schließungen werden mit viel Geld gefördert: bis zu 750 Millionen Euro allein dieses Jahr.“ Die Politik würde das machen, weil man „willig den Vorschlägen der Berater“ folge, so die Initiative. „Im August 2019 und somit vor Ausbruch der Pandemie forderte die Bertelsmann Stiftung, mehr als die Hälfte aller deutschen Krankenhäuser zu schließen. Ist den Lobbyisten ihr Vorschlag heute peinlich? Keineswegs. Vor wenigen Tagen veröffentlichten sie zusammen mit der Robert Bosch Stiftung und dem Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung ein sogenanntes Richtungspapier, in dem sie von ‚Lehren aus Corona‘ sprechen.
Gelernt hat man aber wenig, denn es wird weiter dazu geraten, Krankenhäuser zu schließen! Kleinere Krankenhäuser, so Bertelsmann und Co sinngemäß, hätten wenig zur Behandlung von Corona-Patienten beigetragen oder sie sogar schlecht behandelt.“ Deshalb sollten sie weg. Doch das sei auch für die „Leitenden Krankenhausärzte und Krankenhausdirektoren Deutschlands ‚die völlig falsche Richtung‘“.
Gesundheitsminister Jens Spahn sieht die stationäre Versorgung durch die Epidemie zwar kurz vor der Überlastung, die Schließungen von Krankenhäusern will er aber nicht stoppen.
Bertelsmann-Eigentümerin Brigitte Mohn sitzt im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken, einem der großen Profiteure von Klinikschließungen“ und die Privatinvestoren stünden schon in den Startlöchern, „um das Krankenhauswesen zu kapern“. Ihr Traum seien „Megakrankenhäuser und viele orthopädische Kliniken, die mit verschiedenen Ersatzteilen schönen Profit erwirtschaften“, weshalb „unsere Gesundheit“ völlig im Dienst der Profitgier stehen und die Politik nur auf Lobbyisten hören würde.
Man habe zugelassen, dass sich „eine Seuche um den Globus ausbreiten konnte, die wir Finanzindustrie nennen. Dieses Monster sucht täglich nach Nahrung und zerstört alles.“ Seine Geisel sei die Menschheit, seine Söldner die Politiker, die Lenker, die großen Konzerne. Für die Interessen einiger weniger müssten „fortlaufend Millionen Menschen leiden oder gar sterben!“ Deshalb sei man gezwungen, das „Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“. Das Selbstbestimmungsrecht sei „ein Naturrecht jedes Volkes“, schreibt die Initiative (8).
In Deutschland werden aber nicht nur Krankenhäuser dichtgemacht und privatisiert. Es würden auch „mindestens 100.000 Vollzeitstellen“ in der stationären Krankenpflege fehlen, so die Hans-Böckler-Stiftung. Zudem habe die Privatisierungswelle dazu geführt, dass es erstmals weniger öffentliche Allgemeinkrankenhäuser als private Kliniken, die zu gewinnorientierten Konzernen gehören, gebe. Und dieser Trend könnte sich in der Corona-Pandemie fortsetzen (9).
Trotz des Abbaus von Krankenhausbetten, des schlecht bezahlten, chronisch unterbesetzten Krankenhauspersonals, vermehrter Corona-Tests an möglichst allen Patienten, kollabierte das Gesundheitssystem nicht. Das wird dann zwar gerne auf die Lockdown-Orgien zurückgeführt, hatte damit aber wohl kaum etwas zu tun, da die ohnehin wenig aussagekräftigen „Fallzahlen“ ständig explodierten und sich weitere Lockdown-Orgien ansonsten erübrigt hätten. Und das nicht nur in Deutschland. Außerdem, so Christian Karagiannidis, Sprecher der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), verfüge Deutschland über eine (bei DIVI registrierte) „stille Reserve“ mit zurzeit um die 12.858 Intensivbetten, für die man allerdings Personal bräuchte (10).
Der DIVI-Präsident Uwe Janssens sprach im November 2020 sogar von einem bislang vergleichsweise milden Verlauf der Pandemie. Und plötzlich hänge die Auslastung der Intensivbetten unter anderem ja noch von der kommenden Grippewelle ab. Schließlich würden Untersuchungen des RKI nahelegen, dass die Hygienemaßnahmen „auch die Verbreitung der Grippe eindämmen“ (11). Wie sich zeigen sollte, aber eben nur der Grippe. Jedenfalls waren laut RKI-Lagebericht vom 18. Dezember 2020 noch 17 Prozent der 27.042 registrierten Intensivbetten in der Bundesrepublik frei (12).
Quellen und Anmerkungen:
(1) www.tz.de/stars/coronavirus-pink-musik-usa-protest-COVID-19-behandlung-infektion-trump- demonstration-zr-13747506.html
(2) www.vermoegenmagazin.de/pink-vermoegen/
(3) www.tagesanzeiger.ch/corona-skeptiker-verwirken-ihr-recht-auf-einen-intensivplatz-bei-
engpaessen-229138575079
(4) https://de.rt.com/europa/109287-schweizer-gesundheitsberater-fordert-corona-skeptikern-intensivbetten-zu-verweigern/
(5) www.bastamag.net/carte-des-suppressions-de-lits-hopital-covid-reanimation-ARS-CHU
(6) https://rapportsannuels.chuv.ch/activite/2016/1-1-evolution-de-lactivite-dhospitalisation-et-dhebergement
(7) https://corona-transition.org/frankreichs-regierung-streicht-trotz-coronakrise-hunderte-von-krankenhausbetten
(8) https://www.change.org/p/bundestag-keine-privatisierung-von-schulen-und-autobahnen/u/28245007
(9) www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-krankenhauser-fallpauschalen-abschaffen-28850.htm
(10) www.aerzteblatt.de/archiv/216577/Intensivbetten-Die-Kapazitaeten-schwinden
(11) https://www.br.de/nachrichten/wissen/corona-und-intensivbetten-wie-ist-die-auslastung-der-intensivstationen-mit-covid-patienten,SFx4X9b
(12) www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-18-de.pdf?__blob=publicationFile