Die Diskurs-Manipulation

Die Hochschulrektorenkonferenz folgt bei der Antisemitismus-Definition einem Vorschlag pro-israelischer Jugendorganisationen und will das selbstständige Denken verbieten.

Sind Kritiker der Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien „islamophob“, Merkel-Gegner gar „antideutsch“ gesinnt? Natürlich nicht. Aber wer etwas gegen die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland sagt, kann schon mal mit dem Vorwurf konfrontiert werden, ein Antisemit zu sein. Das ist bitter, denn speziell infolge der jüngeren deutschen Geschichte hat dieser Vorwurf eine verheerende Wirkung — man steht damit quasi in der Nachfolge der Nazis. Die Definition von „Antisemitismus“ wurde in letzter Zeit sehr stark erweitert und somit ausgehöhlt. Der Vorwurf dient oft nicht mehr dazu, auf Unmenschlichkeit hinzuweisen, sondern soll Unmenschlichkeit gegen berechtigte Kritik immunisieren. Viele durchschauen das Spiel mittlerweile — aber der Einschüchterungseffekt ist so groß, dass sich nicht jeder aufzubegehren traut...

„Anti-Semitismus? Was bedeutet das?“
„Es bedeutet, wenn die Leute die Juden hassen.“
„Das gibt es nicht, Mann. Die Juden kontrollieren die Welt.“

Dieser Wortwechsel stammt aus dem Film „Defamation“ (deutsch: Verleumdung) von dem israelischen Regisseur Yoav Shamir (1). Der Film stammt aus dem Jahr 2009 und Shamir, selber ein Jude, geht der Frage nach, was eigentlich Anti-Semitismus sei. Er befragt seine Oma, eine Jüdin, deren Eltern im 19. Jahrhundert aus Russland nach Palästina einwanderten.

Er reist in die USA, um die Arbeit der Anti-Defamation-League, ADL, zu dokumentieren. In einem Taxi unterwegs fragt Shamir den Fahrer, ob dieser wisse, worum es in seinem Film gehen solle. Nein, antwortet der Fahrer, woraufhin Shamir sagt: „Es geht um Anti-Semitismus“.

Dann folgt der anfangs zitierte kurze Wortwechsel: „Anti-Semitismus? Was bedeutet das“, fragt der Fahrer. „Es bedeutet, wenn die Leute die Juden hassen“, antwortet Shamir. Nach einem kurzen Moment antwortet der Fahrer: „Das gibt es nicht, Mann. Die Juden kontrollieren die Welt.“ „Ja?“, hört man Shamir fragen. „Natürlich“, meint der Fahrer.

In New York trifft Shamir den Direktor der Anti-Defamation-League, den Rechtsanwalt Abraham „Abe“ Henry Foxman. Die Anti-Defamation League, ADL, wurde 1913 von der jüdischen Organisation B’nai B’rith gegründet und verfügt 2009 über ein Jahresbudget von 70 Millionen US-Dollar (2).

„Abe“ Foxman öffnet Shamir alle Tore in der ADL, wo er auch den Regionaldirektor Bob Wolfson trifft. Von ihm erfährt er, dass die ADL die größte Nichtregierungs-Organisation weltweit ist, die Anti-Semitismus bekämpft. Das sei keine Frage, so Wolfson, „auf jeden Fall in den USA“. Die 20 Büros im Land hätten ihre „Ohren an den Bahngleisen“, sagt Wolfson. „Es beginnt mit einer Beleidigung, einer Erniedrigung und ganz oben steht der Völkermord. Dazwischen ist alles Schlechte, das passieren kann.“

Als übergeordnetes Ziel formuliert die ADL (2019):

„Eine Welt, in der keine Gruppe, kein Individuum unter Vorurteilen, Diskriminierung und Hass leiden muss.“

Der Film von Yoav Shamir ist ein Meisterstück. Hier wird nicht kommentiert, hier stehen die Bilder und Aussagen für sich. Shamir spricht mit der ADL, begleitet sie bei einer Lobbyreise nach Europa und er lässt einen der schärfsten ADL-Kritiker, Norman Finkelstein zu Wort kommen. Shamir begleitet israelische Schulkinder nach Auschwitz, geht den Berichten über Gewalt an Juden in Brooklyn nach und entdeckt die Realität des heutigen Anti-Semitismus. Was er herausfindet ist „schockierend, aufschlussreich und überraschenderweise oft sogar komisch“, heißt es in der Filmbeschreibung.

Shamir erschüttere die absolute „heilige Kuh“ der Juden. Provokativ und manchmal auch respektlos habe er sich auf die Suche gemacht, um eine Antwort auf die Frage zu finden: „Was bedeutet Anti-Semitismus heute?“ Handelt es sich weiterhin um eine gefährliche und unmittelbare Bedrohung? Oder ist es eine Abschreckungs- und Einschüchterungstaktik von rechten Zionisten, um ihre Kritiker in Misskredit zu bringen?

Ein Ministerium zur Bekämpfung von Kritikern

Nur 10 Jahre sind seit dem Erscheinen des Films „Defamation“ vergangen, viel ist seither geschehen.

Das israelische Ministerium für strategische Angelegenheiten hat eigens eine Abteilung gegründet, um Kritiker des Staates Israel aufzuspüren, ihnen „Anti-Semitismus“ vorzuwerfen und sie öffentlich an den Pranger zu stellen.

Gezielt geht es dabei vor allem gegen Unterstützer der BDS-Kampagne, die zum Boykott, zum Desinvestment und Sanktionen gegen Israel aufruft, bis Israel die Besatzung der palästinensischen Gebiete beendet, die Mauer abreißt, die fundamentalen Rechte der arabisch-palästinensischen Bürger Israels akzeptiert und das Recht der Rückkehr der Palästinenser in ihre Heimat gemäß der UN-Resolution 194 anerkennt.

Die BDS-Kampagne ist eine Initiative der palästinensischen Zivilgesellschaft. Die Kampagne entstand 2005 und lehnt sich an die 1956 entstandene Anti-Apartheid-Bewegung der schwarzen Bevölkerung in Südafrika an, die sich auf diese Weise erfolgreich gegen ihre Unterdrückung durch die weiße Siedlerregierung zur Wehr gesetzt hatte.

Inzwischen findet die Kampagne in Israel und weltweit breite Unterstützung, die israelische Regierung gerät zunehmend unter Druck. Auch wenn die Regierung Netanyahu nicht bereit ist einzulenken und sich aktuell durch die Unterstützung von US-Präsident Donald Trump sogar berechtigt sieht, die völkerrechtswidrig besetzten Gebiete der syrischen Golanhöhen, Ostjerusalem, das Westjordanland und das Jordantal zu annektieren oder Israel ganz einzuverleiben, ist das Bewusstsein über die Unrechtsmäßigkeit solcher Vorhaben international präsent und der Ruf der Netanyahu-Regierung ist erheblich ramponiert.

Die israelische Regierung stuft die BDS-Kampagne mittlerweile als Gefahr für die nationale Sicherheit ein, sagt der Ökonom Shir Hever, der sich intensiv mit der „Politischen Ökonomie der israelischen Besatzung“ auseinandergesetzt hat. (3) In einem Interview mit der Autorin berichtet Hever, dass Gilad Erdan, amtierender Minister für öffentliche Sicherheit und strategische Angelegenheiten „20 Prozent seines Budgets dafür verwendet, in Israel Werbung gegen BDS zu verbreiten, in Hebräisch“. (4) Das bedeutet, viele Israelis unterstützen die Kritik an ihrem Staat.

Infiltrieren, diffamieren

Das Ministerium für strategische Angelegenheiten wurde 2006 gegründet, um Sicherheit, geheimdienstliche und diplomatische Initiativen gegen strategische Bedrohungen, insbesondere gegen den Iran zu koordinieren. Nach einer kurzen Unterbrechung im Jahr 2008 wurde das Ministerium 2009 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu mit erweiterten Aufgaben wieder eröffnet. Viel ist über diese Einrichtung nicht bekannt, weil sie vor allem für geheimdienstliche Operationen zuständig ist, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Hier werden Spione, Überwachung und subversive Operationen geleitet, die sich gegen Aktivisten der BDS-Kampagne und andere Kritiker der Politik des Staates Israel richten.

Das Ministerium baute über die israelischen Botschaften oder Institutionen wie die „Anti-Defamation-League“ ein weltweites Netzwerk von Informanten und Aktivisten auf. Ihre Aufgabe ist es, in den jeweiligen Ländern zivilgesellschaftliche Organisationen, Parteien, Stiftungen, Medien, Hochschulen, Kirchen und Moscheen zu beobachten und auf Anti-Semitismus zu überprüfen.

Eigene Gruppen werden gegründet, um den Kampf gegen Anti-Semitismus in bestehende Organisationen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Dabei wird der Kampf gegen tatsächlichen oder angeblichen Anti-Semitismus direkt mit der uneingeschränkten Solidarität mit Israel verknüpft.

Das sieht sich als „jüdischer Staat“ nach eigener Definition permanent von Anti-Semitismus bedroht und muss sich wehren. Wer den Staat Israel politisch kritisiert, wird zum Anti-Semiten.

Zum besseren Verständnis über die Art dieser Operationen ist eine vierteilige Dokumentation zu empfehlen, die der katarische Nachrichtensender Al Jazeera International schon 2017 ausgestrahlt hat. Die Lobby. (5)

Die Dokumentation zeigt, wie Israel sich mithilfe von gesellschaftlichen Organisationen in die britische Politik einmischt. Gezielt werden britische Studierenden- und Arbeiterorganisationen, Jugendorganisationen von Parteien von jeweils pro-israelischen Organisationen unterwandert, wie der Union jüdischer Studenten, Jüdische Arbeiterbewegung und innerhalb der Labour Partei durch die Parlamentariergruppe „Labour-Freunde mit Israel“, die gezielt engere Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in Israel verfolgt. Ziel der Einmischung ist, innerhalb der jeweiligen Organisationen und Parteien deren „Anti-Semitismus“ herauszustellen, indem man die Organisation oder Einzelpersonen wegen politischer Positionen oder Äußerungen zum Nahost-Konflikt als „anti-semitisch“ verleumdet, diffamiert.

Die vierteilige Dokumentation wurde durch investigative Recherche möglich. Ein junger Mann wurde Mitglied in einer pro-israelischen Studierendenorganisation und machte dort schnell Karriere. Seine Begegnungen und Gespräche zeichnete er sechs Monate lang mit einer versteckten Kamera auf, die er an sich trug. Dabei traf er unter anderem auch auf einen Mann namens Shai Masot, der in der israelischen Botschaft in London arbeitete und die verschiedenen Gruppen koordinierte und instruierte, welche Themen sie wo und wie vorbringen sollten.

Insbesondere ging es um eine pro-israelische Jugendorganisation, die sich mit der Parlamentariergruppe „Labour-Freunde von Israel“ verbinden sollte. In einem aufgenommenen Gespräch erklärt Masot, er habe 1 Million britische Pfund zur Verfügung, um Reisen nach Israel zu finanzieren. In einem anderen Gespräch erklärte Masot, dass britische Politiker, darunter der damalige Staatsminister für Europa und Amerika Alan Duncan, gestürzt werden müssten. Grund: Kritik an Israel oder angeblicher „Anti-Semitismus“.

Hitliste der „Top-Ten“ Anti-Semiten

Die Einflussnahme israelischer Lobbygruppen wurde für Großbritannien und die USA in „The Lobby“ umfassend dokumentiert. Der Mechanismus ist einfach. Eine Lobbygruppe behauptet, eine Äußerung oder ein Verhalten seien „anti-semitisch“ und/oder „anti-israelisch“ und fordert Konsequenzen.

Weil die Lobbygruppe Juden und Israel vertritt, hat diese Gruppe die Deutungshoheit und damit Recht. Was tatsächlich gesagt wurde, was gemeint ist, worum es geht, warum jemand sich so oder anders verhalten hat, spielt keine Rolle.

Hier beginnt die Verleumdung und öffentliche Diffamierung von Parteien und Einzelpersonen, die an den Pranger gestellt werden. In Großbritannien trifft trifft es die Labour Partei und deren Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Es trifft Künstler wie den weltberühmten Musiker Roger Waters von Pink Floyd, es trifft Wissenschaftler an Universitäten, Medien und Journalisten. Kürzlich traf es sogar den deutschen Botschafter bei den Vereinten Nationen, Christoph Heusgen.

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum mit Sitz in Los Angeles, USA veröffentlicht jährlich eine Liste der 10 weltweit schwersten anti-semitischen und anti-israelischen Vorfälle. (6) Auf Platz 1 der Liste 2019 steht der britische Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn, der es 2018 auf Platz 4 geschafft hatte. „Eine Corbyn-Regierung in Großbritannien ist eine existenzielle Bedrohung für die Juden“, hieß es vor einem Jahr und Corbyn wurde als „anti-semitischer Rassist“ diffamiert. 2018 stand auch die UN-Organisation für die Hilfe von palästinensischen Flüchtlingen, UNRWA auf der Top-Ten-Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Direkte Folge war, dass die US-Administration keine weiteren Zahlungen an die UNRWA vornahm. (7)

Zurück zur Top Ten-Liste 2019, wo auf Platz 5 Rashida Tlaib und Ilhan Omar stehen, zwei US-amerikanische Kongressabgeordnete. Auf Platz 7 dann folgt der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen. Sein „Vergehen“: Er habe im UN-Sicherheitsrat 25 Mal „gegen Israel gestimmt“ und „israelische Bulldozer mit Hamas-Raketen gleichgesetzt“. Auf Platz 8 geht es um Universitäten in den USA. „Juden und Israel werden auf nordamerikanischen Universitäten angegriffen“, heißt es. Nordamerikanische Eliteuniversitäten hätten sich als fruchtbarer Boden für Anti-Semitismus erwiesen, der sich als „Anti-Zionismus“ verkleide und durch „Redefreiheit“ geschützt werde.

US-Präsident Donald Trump reagierte schnell. Die New York Times, NYT, berichtete am Internationalen Tag der Menschenrechte, am 10. Dezember 2019, der US-Präsident plane einen Erlass zu unterzeichnen, um finanzielle Zuschüsse an Universitäten zu stoppen, sollten diese nicht Anti-Semitismus auf ihrem Campus unterbinden. In dem Erlass solle das Judentum ausdrücklich nicht nur als Religion, sondern als Rasse oder Nationalität anerkannt werden. Hintergrund sei, so die NYT, dass die BDS-Kampagne in den letzten Jahren an den Universitäten an Unterstützung gewonnen habe und „einige jüdische Studenten sich unerwünscht oder angegriffen fühlten“.

Allerdings, so die NYT weiter, sähen Kritiker eine solche Maßnahme als Angriff auf die Redefreiheit. „Legitime Opposition gegen die israelische Politik gegenüber den Palästinensern solle unter dem Vorwand des Anti-Semitismus“ unterdrückt werden. Dabei bezögen sich Regierung und Außenministerium auf eine Anti-Semitismus-Definition, die zwar auch von anderen Staaten angewandt würde, die aber als „offen und pauschal“ kritisiert werde. (8) Dabei handelt es sich um einen Text, der am 26. Mai 2016 in Bukarest von den 31 Mitgliedern der Internationalen Allianz für das Gedenken an den Holocaust (IHRA) verabschiedet wurde. (9) Die Rede ist von einer rechtlich nicht bindenden „Arbeitsdefinition“. (10)

Anti-Semitismus in zwei Sätzen

Auch Deutschland gehört der IHRA an und so ist es kein Wunder, dass die Bundesregierung sich im September 2017 exakt diese nach Kritikern „offene und pauschale“ Anti-Semitismus-Definition zu Eigen machte. Sie lautet:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen." (11)

Diese Definition soll nach dem Willen der Bundesregierung auch im Schulunterricht, in der Ausbildung von Berufen der Justiz und im Polizeidienst verwendet werden.

Ganz anderer Meinung ist da Dr. Peter Ullrich vom Zentrum für Anti-Semitismus-Forschung an der TU Berlin. Im Februar 2019 wurde ein Gutachten Ullrichs veröffentlicht, das er für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeitet hatte. (12) Die „Arbeitsdefinition Anti-Semitismus“ sei „inkonsistent, widersprüchlich und ausgesprochen vage formuliert“ heißt es in dem Gutachten. „Die Schwächen der „Arbeitsdefinition“ seien das „Einfallstor für ihre politische Instrumentalisierung, etwa um gegnerische Positionen im Nahostkonflikt durch den Vorwurf des Antisemitismus moralisch zu diskreditieren.“ Je mehr so eine „Arbeitsdefinition“ als „quasi-rechtliche Grundlage“ übernommen werde, suggeriere sie „Orientierung“. Faktisch sei sie hingegen „ein zu Willkür geradezu einladendes Instrument (….), um Grundrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit, in Bezug auf missliebige israelbezogene Positionen zu beschneiden.“

Selbstknebelung

Das Ende von freier Rede und Diskussion, das in den US-Universitäten nun möglicherweise per Präsidentenerlass durchgesetzt werden soll, hat die deutsche Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in vorauseilendem Gehorsam selber beschlossen.

An deutschen Hochschulen sei kein Platz für Anti-Semitismus, heißt es in einer Entschließung vom 19. November 2019, mit der die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) die Resolution „Gegen BDS und jeden Antisemitismus“ des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und anderer Studierendenorganisationen und parteinahen Hochschulgruppen unterstützt.

Ausdrücklich wird dabei von der HRK die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernommen, die auch die Bundesregierung anerkenne. Diese biete eine „klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass und ist damit ein wichtiges Werkzeug bei seiner Bekämpfung. Dabei wird auch der israelbezogene Antisemitismus berücksichtigt.“ Diese Definition solle „an allen Hochschulstandorten etabliert“ werden. (13)

Widerspruch blieb nicht aus. Der emeritierte Hochschullehrer und Professor für Philosophie an der Universität Leipzig, Georg Meggle veröffentlichte einen Einspruch gegen den HRK-Beschluss und wandte sich entschieden gegen Sprachregelungen an den Universitäten. (14) Unterstützt wurde der Einspruch von dem emeritierten Sozialökonomen und Professor für Rechtswissenschaften Norman Paech aus Hamburg sowie von Professor Dr. Rolf Verleger vom Institut für Psychologie an der Universität Lübeck.

Die Vorgabe der Hochschulrektorenkonferenz, die IHRA-Anti-Semitismus-Definition von allen 268 HRK-Mitgliedshochschulen übernehmen und „an allen Hochschulstandorten“ etablieren zu lassen, sei „ein Verstoß der HRK gegen Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre garantiert“, hieß es in dem Text der drei Professoren. Von oben verordnete Sprachregelungen dürften „nicht zur verpflichtenden Norm“ an den Hochschulen gemacht werden.

Die drei Hochschullehrer veröffentlichten eine Petition zur Unterschrift, um ihren Einspruch an die HRK zu unterstreichen: https://www.openpetition.de/petition/online/einspruch-gegen-sprachregelungen-fuer-hochschulen

Doch bisher ist die Resonanz gering, heißt es aus dem Kreis der Initiatoren. Das sei nicht auf politisches Desinteresse zurückzuführen, da etliche Zuschriften darauf hinwiesen, dass die einschüchternde Wirkung des HRK-Beschlusses bereits ihre Wirkung entfalte. Eine Person schrieb demnach, sie würde die Petition gern unterzeichnen: „Doch wie kann ich das nach der HRK-Drohung noch machen, ohne meine berufliche Zukunft an der Uni zu gefährden?“
Und in einem anderen Schreiben hieß es:

„Ich habe nur einen befristeten Vertrag. Wenn mein Name unter der Petition steht, kann ich mir eine Verlängerung abschminken. Die HRK-Resolution ist zwar ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit an deutschen Hochschulen (….), durch die damit verbundene Androhung von Sanktionen muss ich aber befürchten, dass ich mit meiner Unterschrift das Ende meiner wissenschaftlichen Karriere einläute. Das Risiko ist mir zu groß!“

Die Autoren der Petition haben nun ermöglicht, dass man die Petition auch ohne Namensnennung unterzeichnen kann. Rund 14 Prozent der Unterzeichner und Unterzeichnerinnen haben das bisher getan. Die Angst geht um an deutschen Universitäten. Um seine Meinung zu sagen, braucht es wieder Mut.

Übrigens hatte der israelische Regisseur Yoav Shamir 2003 einen Film an den Kontrollpunkten der israelischen Armee gedreht, „Checkpoint“ (Machssommin). (15) Diese Kontrollpunkte befinden sich an jedem palästinensischen Dorf, auf den Straßen der besetzten palästinensischen Gebiete, überall. Die Reisenden müssen sie passieren, wenn sie nach Jerusalem, in ein Krankenhaus, zur Arbeit, zur Schule oder zur Universität wollen. Der Blick der Kamera hält die entwürdigende Behandlung der Menschen fest. Für ihr menschenverachtendes Verhalten sind die israelischen Soldaten verantwortlich. Und die israelische Besatzungsmacht, die ihnen die Befehle gibt.

Shamir wurde nach Veröffentlichung des vielfach ausgezeichneten Films „Checkpoint“ als „anti-semitisch“ beschimpft. Seine Antwort war ein neuer Film. „Defamation“ (Verleumdung).


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://archive.org/details/Defamation
(2) https://www.adl.org/
(3) Shir Hever, Die Politische Ökonomie der israelischen Besatzung, Unterdrückung über die Ausbeutung hinaus
263 Seiten, € 19.80, 2014, ISBN 978-3-89900-140-2https://www.neuerispverlag.de/verweis.php?nr=148
(4) In Deutschland gibt es ein eigenartiges Phänomen, Shir Hever über Israelkritik und Antideutsche; Interview RT Deutsch, 18.2.2019: https://deutsch.rt.com/gesellschaft/84319-in-deutschland-gibt-es-eigenartiges/
(5) The Lobby, Teil 1: https://www.youtube.com/watch?v=ceCOhdgRBoc
(6) 2019 Top Ten Worst Global Anti-Semitic and Anti-Israel Incidents 2019: http://www.wiesenthal.com/assets/pdf/top-ten-anti-semitic.pdf
(7) 2018 Top Ten Worst (…) Incidents: http://www.wiesenthal.com/assets/pdf/2018-top-ten-anti-semitic-2.pdf
(8) New York Times, 10.12.2019, Trump targets Anti-Semitism and Israeli Boycott on College Campuses: https://www.nytimes.com/2019/12/10/us/politics/trump-antisemitism-executive-order.html
(9) Anti-Semitismus definieren, Washington, 8.6.2010: https://2009-2017.state.gov/j/drl/rls/fs/2010/122352.htm
(10) https://www.holocaustremembrance.com/international-holocaust-remembrance-alliance
(11) Anti-Semitismus in zwei Sätzen, tageschau 20.9.2017, https://www.tagesschau.de/inland/antisemitismus-definition-101.html
(12) Dr. Peter Ullrich, Gutachten zur "Arbeitsdefinition Anti-Semitismus" der International Holocaust Remembrance Alliance, Rosa Luxemburg Stiftung, Berlin 2/2019: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls_papers/Papers_2-2019_Antisemitismus.pdf
(13) https://www.hrk.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/meldung/hrk-an-deutschen-hochschulen-ist-kein-platz-fuer-antisemitismus-4664/
(14) https://www.heise.de/tp/features/Sprachregelung-fuer-unsere-Unis-Einspruch-4598877.html
(14) Checkpoint, Video: https://www.youtube.com/watch?v=WWpvRmUyxTE