Die Corona-Demokratie
Die Krise um das Virus offenbart ein äußert bizarres Demokratieverständnis der Bevölkerung.
Alle Macht geht vom Volke aus — aber wo geht sie hin? Schon bevor die Virus-Hysterie unseren Globus infizierte, war Demokratie ihrem ursprünglichen Sinn entfremdet. Politiker agierten nach dem Motto „Wir nehmen gern deine Stimme — und machen dann damit, was wir wollen“. Was wir jetzt jedoch erleben, wäre einer Monarchie in den finstersten Zeiten des Gottesgnadentums würdig gewesen. An die Stelle des Herrn sind jetzt nur Christian Drosten und andere Halbgötter in Weiß getreten. Unter dem Vorwand angeblicher Sachzwänge wird gnadenlos von oben nach unten durchregiert. Als wäre Deutschland zu einem riesengroßen Kindergarten verkommen, fragen sich alle nur noch ängstlich, was sie „dürfen“. Wo sind die ganzen aufrechten Antifaschisten geblieben, die durchaus standgehalten haben, wenn es um kleinere oder größere Fehler der AfD ging?
„Bitte lasst uns als Volk schön artig und gehorsam bleiben, damit unsere Volksvertreter uns nicht mit härteren Maßnahmen bestrafen!“, tönte es dieser Tage vielerorts. Bei näherer Betrachtung offenbart diese Haltung ein vollkommen bizarres und völlig auf den Kopf gestelltes Verständnis von Demokratie.
Das Fass mit den Fragen, was Demokratie eigentlich bedeutet, ist ein Fass ohne Boden. Deshalb möchte ich es gar nicht erst aufmachen. Denn abseits unendlichen Philosophierens über die genaue Definition von Demokratie lässt sich ihre Essenz doch in eine Nussschale packen: Die Demokratie ist eine Herrschaftsform beziehungsweise ein politisches System, in dem die Herrschaft durch das Volk ausgeübt wird. In Elektoral-Repräsentativen Demokratien soll, so die graue Theorie, die angesichts der Realität immer grauer wird, der Volkswille durch die gewählten Volksvertreter umgesetzt werden.
Nun stellt sich angesichts der derzeitigen Corona-Hysterie und des damit verbundenen Traktierens unseres Grundgesetzes die Situation so dar, dass die Bevölkerung ihre gewählten Volksvertreter, die die diversen Partikularinteressen der Bevölkerung repräsentieren sollen, mit Macht ausübenden Herrschern verwechselt.
Es gilt nicht mehr die Maxime, die Politiker handeln gemäß des Volkswillen, sondern anhand dessen, was „richtig“ ist.
Das Corona-Demokratie-Verständnis besagt also, dass nicht die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wie die Dinge zu laufen haben und die Politiker das entsprechend in Form von Gesetzen und Beschlüssen umsetzen. Nein, die Politikerinnen und Politiker entscheiden im Verbund mit den Göttern in weißen Kitteln, was nun zu tun ist. Wenn die Bevölkerung sich nach der ersten Shutdown-Stufe — Schließung der Kitas, Schulen, Universitäten und weiterer öffentlicher Einrichtungen — gemeinsam im Park versammelt, um das schöne Frühlingswetter zu genießen, dann repräsentiert das den Volkswillen.
Wer sind also die Politiker in einer Demokratie — die ihren Namen verdient — die sich nun anmaßen, dem Volk paternalistisch vorzuschreiben, sie dürften dies nicht tun? Wenn die Bevölkerung über die Gefahren „informiert“ wurde — wobei über die Güte des Informationsgehalts nun wirklich trefflich diskutiert werden kann und sollte — und sich dem Risiko dennoch aussetzt — dann bitte! So soll es geschehen.
Wäre dieses Coronavirus nun tatsächlich so todbringend, wie es medial dargestellt wird, haben wir dann als Volk nicht das Recht uns ins Elend zu stürzen? Wo bleibt denn die im neoliberalen System sonst so beschworene Eigenverantwortung?
Aktuell beobachte ich, dass das Volk einer — angeblichen — Demokratie die Hierarchie zwischen Herrchen, Frauchen und dem Hund verwechselt. In einer wahrlich funktionierenden Demokratie sind die gewählten Volksvertreter die Hunde an der Leine der Bevölkerung. Wenn diese Mist bauen, werden sie augenblicklich zurückgepfiffen. Wer in einer echten Demokratie gewählt wurde, hat einen Wählerauftrag zu erfüllen und sich an diesen strikt zu halten. Jedwede Abweichung darf nur durch Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger im Bürgerdialog erfolgen.
Nicht so wie hierzulande oder in anderen sich als demokratisch verstehenden Staaten. Dort genießen Politiker absolute Narrenfreiheit nach der Wahlkampf-Eskapade, bei der sie um Wählerstimmen gebuhlt haben. Danach können Politiker ungestraft das absolute Gegenteil dessen machen, was sie kurz zuvor noch versprachen. Als Beispiel sei hier nur die 180-Grad-Wende von Martin Schulz bei der Großen Koalition während der Regierungsbildung 2017/18 erwähnt.
Und die Mehrheit der Wähler hat diesen Missstand schon so verinnerlicht, dass er in ihrem politischen Denken so selbstverständlich ist wie für den Fisch das Wasser. Entsprechend haben viele schon völlig vergessen, dass in einer Demokratie eigentlich sie die Hosen an haben und nicht umgekehrt. Hier führt nun der Hund statt das Herrchen oder das Frauchen. Und welche Hunde tun dies in aller Regel? Genau! Blindenhunde. Das Volk ist blind und folgt blind seinen Vertretern, die sich zu Herrschern aufgeschwungen haben.
Einem Freund der Demokratie bereitet der Anblick fast schon Schmerzen, wie sich in den letzten Wochen Bürgerinnen und Bürger, die sich in Wahlkampfzeiten als glühende Verfechter der Demokratie verstehen, nun in einen unterwürfigen Duckmäuser-Modus verfallen und die restlichen Mitbürger dazu anhalten, doch unbedingt zuhause zu bleiben, damit uns „Vater“ Staat nicht einsperrt.
In einer echten Demokratie ist Vater Staat immer noch Vater Staat, aber die Bürgerinnen und Bürger sind erwachsen. Und welcher Mensch lässt sich ab etwa Mitte dreißig bitteschön noch etwas von seinen Eltern vorschreiben?
Faschismus der Mitte
Zu dem beschriebenen Demokratieverständnis, welches einer Demokratie nicht Rechnung trägt, gesellt sich als weiterer Begleiter ein Faschismus hinzu, der sich als solcher nicht zu erkennen gibt, beziehungsweise sich als solcher gar nicht zu erkennen geben mag.
Wäre es nicht so tragisch, wäre es zum Brüllen! Sämtliche Bürgerinnen und Bürger, solche die sich immerzu für die Kämpfer gegen den neuen Faschismus halten, niemals müde werden, aus voller Kehle „Fuck AfD!“, „Nazis raus!“ oder „Keinen Millimeter nach rechts!“ herauszurufen, bedienen sich nun der infamsten Denunziationsmethoden, die man sonst nur aus dem Dritten Reich kannte.
„Die stehen zusammen!“
„Die bilden eine Gruppe!“
„Bei meinem Nachbarn läuft Musik, die machen bestimmt eine Corona-Party!“
„Seht! Dieses Kennzeichen ist nicht von hier. Bewerfen wir das Auto mit ungeborenen Küken!“
Der Faschismus benötigt keine aggressiven Glatzen, keine AfD und keine Nazigesänge, um wieder Gestalt anzunehmen. Man versetze die Bevölkerung in Angst und schon kann das … „alte Programm“ neu gebootet werden.
Und dass aktuell die Grundpfeiler unserer ach so geliebten Demokratie massiv unter Beschuss stehen, die derzeit erlassenen Maßnahmen gemessen an der Verhältnismäßigkeit absolut verfassungswidrig sind, scheint den sonst so um unsere Demokratie besorgten Bürgern herzlich egal zu sein.
Plötzlich sorgt man sich wieder um die Alten und Schwachen dieser Gesellschaft, die einen vor kurzem doch einen feuchten Kehricht interessiert haben und ignoriert dabei all jene, die unter diesen Maßnahmen an Einsamkeit — hoch gesundheitsgefährdend —, häuslicher Gewalt und dem Bangen um den Verlust ihrer Existenz zutiefst leiden. Für alle, die kein komfortables Eigenheim besitzen oder nicht die Kröten für ein Netflix-Abo haben oder kein Home-Office machen können, für all die haben die #WirBleibenZuhause Influencer kein Herz. Oder sie kennen solch seltsame „Randgruppen“ nicht.
Wer jetzt raus geht, ist der neue Nazi, beziehungsweise Flüchtling, beziehungsweise Sozialschmarotzer, beziehungsweise Gutmensch, beziehungsweise bedient all die Feindbilder, die einem sonst noch so einfallen. Und so ganz nebenbei entbehrt die Forderung, zuhause zu bleiben, gegenüber allen Wohnungslosen nicht eines bösartigen Zynismus.
Wie eine echte Demokratie mit Corona umgehen würde
Versetzen wir uns in eine Demokratie, die einem demokratischen Ideal gerecht wird. Die Volksvertreter sind strikt an ihre Versprechungen gebunden, Volksabstimmungen sind fester Bestandteil des täglichen Lebens und generell ist die Mitgestaltung der Gesellschaft integraler Bestandteil des öffentlichen Lebens und tritt an die Stelle von Berieselung, Entertainment und Konsum. Und ich als Verfasser dieses Textes schlüpfe nun in die Rolle eines dieser Volksvertreter und spreche zu dem Volk über die Gefahren durch das Coronavirus:
“ Liebe Bürgerinnen und Bürger,
derzeit bereitet uns die Verbreitung eines uns weniger bekannten Virus namens SARS-CoV-2 Sorgen. Da uns nicht viele Zahlen vorliegen, sind wir derzeit außerstande, eine verlässliche Prognose über die Gefahren und Folgen durch dieses Virus zu treffen. Wir als Ihre Volksvertreter erachten es als unsere Aufgabe, Sie liebe Bürgerinnen und Bürger über etwaige Gefahren in Kenntnis zu setzen, damit Sie auf Grundlage dessen selbst entscheiden können, wie Sie mit dieser Gefahr umgehen, beziehungsweise welchen Risiken Sie sich aussetzen möchten.
Im engen Austausch mit unserem Experten-Gremium, deren Finanziers wir wie immer offenlegen, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir die Gefahren nicht unterschätzen sollten. Wir bitten Sie daher, sich eigenständig über die Risiken zu informieren, mit ihren Familien, Verwandten und Freunden darüber offen und respektvoll zu diskutieren und sich eigene Gedanken zu dieser aktuellen Situation zu machen.
Wir als Ihre Volksvertreter sprechen diesbezüglich ausdrückliche Empfehlungen aus, die Sie auf der Website unseres Parlamentes entnehmen können. Ob Sie diese Empfehlungen beherzigen, liegt ganz bei Ihnen! Sie sind mündige, autarke und selbstständig denkende Menschen in einer direkten Demokratie. Wir appellieren daher an Sie, sich ihrer innerdemokratischen Herz- und Denkfähigkeit zu bedienen und auf deren Grundlage Ihre Entscheidungen zu treffen.
All jenen, die um ihr gesundheitliches Wohl besorgt sind, bieten wir aus den Mitteln des Staatshaushaltes selbstverständlich Schutzmöglichkeiten an, in Form von Quarantäne-Schutzzonen, Desinfektionsmitteln, Mundschutz und vieles mehr. All dies kann ebenfalls auf der Seite des Parlaments einfach und unbürokratisch beantragt werden.
Wir sind voller Zuversicht, dass wir diese Situation durch gegenseitige Rücksichtnahme mit Bravour meistern werden!“