Die Buntwesten stehen auf!
Für den 16. Februar plant die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ Demos in allen Landeshauptstädten. Interview mit Ottopeter Flettner.
Gelb ist gut, bunt ist noch besser. Was Frankreich seit vielen Monaten aufmischt – die Proteste der Gelbwesten –, scheint sich nur schwer auf das traditionell eher schläfrige Deutschland übertragen zu lassen. Auch haben es die Medien geschafft, dass „gelb“ teilweise mit gewalttätigen Ausschreitungen assoziiert wird. Daher haben sich Aktivist*innen der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ etwas einfallen lassen: dezentrale Aktionen in vielen Städten des Landes unter dem Label „bunt“ – ein Aufschrei gegen die graue neoliberale Monokultur im Land. Das Motto der Aktionen: „Wir sind viele, wir sind vielfältig und wir haben die Schnauze voll!“
Florian Kirner: Herr Flettner, Sie gehören zu den Initiatoren, die, von der Basis der Sammlungsbewegung Aufstehen kommend, eine bundesweite Aktion mit dem Namen „Bunte Westen“ ins Leben gerufen haben. Was ist das für eine Aktion?
Ottopeter Flettner: Die Aktion „Bunte Westen – Wir sind viele, wir sind vielfältig und wir haben die Schnauze voll!“ ist entstanden aus einem von mir einberufenen Stammtisch in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die Anschieber der verschiedenen Ortsgruppen getroffen haben. Wir wollten eine gemeinsame Aktion machen, weil die einzelnen Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern noch ziemlich dünn besetzt sind. Daraus ist die Idee eines Aktionsaufrufs entstanden, auch damit die einzelnen Gruppen ihre Themen selbst bestimmen können.
Im weiteren Verlauf hat sich herausgestellt, dass diese Beschreibung der Bewegung selbst – Wir sind viele, wir sind vielfältig und wir haben die Schnauze voll! – das entscheidende Motto für die Aktion sein sollte. Die Aktion selbst ist dann bundesweit verbreitet worden und sehr gut aufgenommen und wiederum verbreitet worden, so dass wir sagen konnten: Wir planen das jetzt mal für den 16. Februar in allen Landeshauptstädten. Wir wollten uns konzentrieren. Wir wollten das nicht in jeder einzelnen kleinen Stadt machen. Wir wollten es an wenigen Punkten in der Bundesrepublik zentrieren, damit wir dort ein starkes Auftreten garantieren können.
(Alle Termine hier)
„Bunte Westen“ ist offensichtlich ein Bezug auf die Gelbwesten in Frankreich. Was hat diese Bewegung, für Sie ganz persönlich, ausgelöst? Was könnten wir nach Deutschland übertragen?
Man sieht das ja oft falsch. Man denkt, die Gelbwesten waren auf einmal da und glaubt sofort, das können wir in Deutschland auch machen. Aber diese Gelbwestenbewegung hat über ein Jahr hinweg in kleineren Städten und Orten immer wieder Aktionen gemacht, mit drei, vier Leuten und manchmal auch etwas größer.
Durch die geplante Erhöhung der Benzinpreise durch eine höhere Steuer hat das dann diesen landesweiten Hype in Frankreich bekommen und dann wirklich sehr viele Leute auf die Straße gebracht.
Da fehlt in Deutschland etwas. Wir haben kein so brisantes Thema, was ideologieübergreifend alle Menschen so stark aktuell betrifft, dass sie dafür auf die Straße gehen. Deshalb haben wir erstmal eine Aktionsform gewählt, in der von den Aufstehern viele verschiedene Themen angebracht werden können.
Und wir haben es auch Buntwesten genannt, weil es in Deutschland Menschen gibt, die mit den Gelbwesten auch viel Gewalt verbinden, was ja letztlich nicht so ist, aber durch die Medien doch immer wieder so berichtet wird. Und da wollen sich viele dann nicht so direkt solidarisieren. Denen haben wir die Möglichkeit geboten, auch in andersfarbigen Westen aufzutreten. Was ja in Frankreich ebenfalls gemacht wird, inzwischen.
Ihr Motto beinhaltet auch eine Behauptung: "Wir sind viele!" Die Reaktion auf den Gründungsaufruf von Aufstehen hat gezeigt, dass es ein großes Bedürfnis bei sehr vielen gibt nach einem entschlosseneren Widerstand. Nun hat Aufstehen das erste halbe Jahr hinter sich. Was ist Ihre Bilanz?
Meine Beobachtung von der Bewegung ist die, dass in vielen Orten und Städten kleinere Aktionen gelaufen sind zu verschiedenen Themenaufrufen. Diese Aktionen waren aber relativ gering besetzt. Wenn man sich anschaut, was zu der Kampagne „Würde statt Waffen“ gelaufen ist, waren auch in den großen Städten relativ wenige Leute auf der Straße.
Wir haben nun versucht, mit dieser Aktion das Selbstbewusstsein der Sammlungsbewegung zu stärken. Indem wir gesagt haben: Wir sind viele! und: Wir sind vielfältig. Denn diesen Auseinandersetzungen der verschiedensten Strömungen gegeneinander, die es bei Aufstehen ja gibt, wollten wir eine Einigung entgegensetzen, indem wir sagen: Wir sind viele und wir sind vielfältig. Also soll dieses Vielfältige kein Trennungsmoment sein, sondern ein Moment der Zusammenführung.
Aber Aufstehen ist ja angetreten als eine „Sammlungsbewegung“. War da nicht von vorneherein zu erwarten, dass recht unterschiedliche Leute zusammenkommen und man Zeit brauchen wird, das zusammenzubringen.
Ja, und wo sehr viele Menschen zusammenkommen, aus vielen verschiedenen Richtungen, da möchte jeder auch Recht haben. Es sei denn es ist ein eklatantes Ereignis da. Wenn man sich mal vorstellt, in Deutschland würden die Spritpreise plötzlich verdoppelt werden – da würden die Leute in Deutschland auch auf die Straße gehen wie in Frankreich, davon bin ich fest überzeugt.
Aber diese Initialzündung, dieses Ereignis haben wir in Deutschland nicht.
Uns geht es eigentlich relativ gut. Natürlich: Den bewussten und politisch denkenden Menschen ist klar, dass vieles schief läuft, dass wir nicht in einem sozial gerechten Staat leben und viele andere Dinge. Aber man kann es gerade noch so aushalten. Dazu kommt die Bequemlichkeit vieler Menschen. Wenn wir jetzt verschiedene Gruppen haben in einer Sammlungsbewegung und jeder sich in den Vordergrund bringen will und sagt, ich habe Recht und das muss jetzt so laufen, dann passiert vorläufig erstmal nichts.
Deswegen haben wir beschlossen, wir sind vielfältig und diese Vielfalt ist unsere Stärke. Und nicht etwas, das uns hindert.
Die Aktion „Bunte Westen – Wir sind viele! Wir sind vielfältig und wir haben die Schnauze voll!“ wurde auch in der letzten Massenmail von Aufstehen an alle 165.000 Unterstützer zentral beworben. War das für Sie eine Überraschung?
Ich habe ganz zu Anfang, als die Aktion ausgerufen worden ist, verschiedentlich versucht, Kontakt aufzunehmen zu den vom Arbeitsausschuss von Aufstehen initiierten Kreisen und Arbeitsgruppen. Das ist damals nicht gelungen, aus unterschiedlichen Gründen, die ich jetzt hier nicht ausbreiten möchte.
Für uns ist deshalb schon wichtig, dass die Buntwesten eine Aktion aus der Basis sind.
Es ist nicht eine Aktion irgendwelcher übergeordneter Strukturen, nichts, was von oben oder außen in die Bewegung hineingetragen worden ist. Sondern es ist aus der Bewegung für die Bewegung entstanden.
Dass dann relativ zum Schluss, als man sehen konnte, die Sache wird groß und man kann nicht mehr daran vorbeigehen, auch aus der Umgebung des Arbeitsausschusses eine Verbreitung der Aktion gestartet wird, damit war eigentlich zu rechnen. Das ist jetzt auch passiert. Inwieweit das tatsächlich noch zum Erfolg der Aktion „Bunte Westen – Wir sind viele, wir sind vielfältig und wir haben die Schnauze voll!“ beitragen kann, ist eine Frage, die im Grunde unnötig ist zu stellen.
Die Handlungsfähigkeit der Basis ist in Deutschland ein schwieriges Thema. Findet bei Aufstehen eine Vernetzung und Selbstermächtigung in der Breite statt?
Wenn man den Untersuchungen und Stimmen einiger Wissenschaftler folgt, die sich mit politischen Bewegungen weltweit seit vielen Jahren beschäftigen, hört man immer wieder: „Die Bewegung Aufstehen hat einen Geburtsfehler.“
Aufstehen wurde gegründet und ausgerufen aus parteinahen Strukturen. Parteistrukturen stehen immer im Gegensatz zu Bewegungsstrukturen. Beide wollen etwas anderes.
Eine Partei ist immer bestrebt, den Machterhalt zu sichern. Während eine Bewegung immer bestrebt ist, das nächste Ereignis durchzuführen und dadurch viel Öffentlichkeit zu bekommen. Eine Bewegung ist nicht von Posten abhängig. Sie ist von Ereignissen abhängig.
Nun haben wir aber nunmal diese Situation, dass diese Bewegung aus Parteistrukturen heraus ausgerufen wurde, und dass die Leute, die ausgerufen haben und das jetzt zu steuern versuchen, mehrheitlich auch in Parteistrukturen leben.
Diejenigen, die sich in der Bewegung organisieren, haben ein anderes Bedürfnis nach Strukturen. Und dieser Konflikt muss gelöst werden. Da muss etwas zusammenkommen oder sich annähern. Das ist sehr schwierig und wie es klappt, muss die Zukunft zeigen.
Die Aktion „Bunte Westen – Wir sind viele, wir sind vielfältig und wir haben die Schnauze voll!“ kann ein erster Schritt dahin sein, dass die Bewegung so viel emanzipatorisches Selbstbewusstsein entwickelt, dass eine Bewegung miteinander auf Augenhöhe zustandekommen kann.
Zoomen wir zum Schluss hin einmal nach Mecklenburg-Vorpommern. Wie sieht der Alltag von Aufstehen in Mecklenburg-Vorpommern aus?
Der Alltag sieht so aus, dass viele Mecklenburger in Ortsgruppen zusammengefunden haben, die teilweise regionale Themen bearbeiten, die aber teilweise sich auch um bundesweite Themen kümmern.
Für uns in Mecklenburg-Vorpommern war eines der ganz wichtigen Themen am Anfang unsere eigene Vernetzung. Wir sind ja ein Flächenland. Es ist bei uns nicht so wie in Hamburg, dass es ganz viele Gruppen auf einer kleinen geografischen Fläche gibt. Bei uns sind die Entfernungen dann doch sehr groß. Für uns war es erst einmal wichtig, die Leute, die in den Ortsgruppen etwas in Bewegung bringen, mal alle an einen Tisch zu bekommen. Nicht nur über Telefon oder Social Media oder sonst was. Sondern sie wirklich an einen Tisch zu bekommen.
Der erste Tagesordnungspunkt zu diesem „Anschieberstammtisch“, wie ich das genannt habe, hieß: „Hey, wer bist Du denn? Was kann ich von Dir lernen?“ Dieses persönliche Gegenübertreten, dieses Schauen, was man miteinander machen und voneinander lernen kann, das ist alltagsprägend bei uns in Mecklenburg-Vorpommern. Von da heraus hat sich auch diese Kraft entwickelt, die es uns möglich gemacht hat, diese Aktion bundesweit voranzubringen.
Jetzt haben wir das erste halbe Jahr Aufstehen hinter uns. Wenn es im nächsten halben Jahr so laufen würde, wie Sie das aus Ihrer Perspektive gut finden würden, was würde dann passieren?
Es würden weitere Aktionen zustandekommen, allerdings themenorientiert. So dass man sich bundesweit auf ein bestimmtes Thema einigt und das auf die Straße bringt. Entscheidend finde ich, dass sich Aufstehen öffentlich zeigt. Dass Aufstehen nicht verschwindet in irgendwelchen langwierigen Diskussionen in Ortsgruppen.
Ich hatte selbst ein solches Erlebnis in einer Ortsgruppe, die ich als Gast besucht habe. Da waren einige neue Mitglieder hinzugekommen und da wurde erst einmal eine Stunde in der Kneipe sitzend diskutiert. Bis dann einer von den Neuen sagte, was ist hier eigentlich los? Ich habe gedacht, ich bin zu Aufstehen gekommen. Warum sitzen wir hier rum und reden?
Ich finde, dieses Aufstehen, also: dieses tatsächliche Aufstehen, und das Sich-Zeigen-In-der-Öffentlichkeit wird das Wichtigste sein für Aufstehen im nächsten halben Jahr. Dadurch wird auch ein emanzipatorisches Selbstbewusstsein in der Bewegung entstehen, was sie wirklich weiterbringen kann.
Ottopeter Flettner, geboren 1952 im Schwarzwald, politisch sozialisiert durch die 68er Bewegung. Seit 1970 in Bremen. Dort Straßengespräche (Politische Gespräche in der Öffentlichkeit) und Aufbau eines kleinen privaten Theaters „Bremer Bühne“. Lehre als Möbeltischler auf der AG Weser ab 74 selbstständig. Ab 83 in Hamburg, dort „Schule des Luftikus“ ein Gemeinschaftsprojekt mit Künstlern aus der DDR und der BRD. Seit 1990 ständiger Aufenthalt in Mecklenburg-Vorpommern.