Die Bundeswehr macht Schule
Die Bundeswehr an einem sächsischen Gymnasium. Ein Erlebnisbericht von Nina Forberger.
Zwei Monate lang haben wir uns intensiv mit den Hintergründen der Mission Mali, dem dazugehörigen Image-Feldzug der Bundeswehr sowie der Militarisierung Deutschlands auseinandergesetzt. Unsere Ergebnisse präsentieren wir in dieser Artikelreihe(A).
Als Donald Trump im April dieses Jahres nach dem Giftgasangriff, der offiziell der syrischen Regierung zugeschrieben wird, mit einem militärischen Rückschlag drohte, war ich zutiefst betroffen und hatte Angst vor einer Eskalation, die weite Wellen schlagen würde. Ich verfolge die Geschehnisse in Syrien schon lange und sah mir Vorträge zum Thema von Michael Lüders und Daniele Ganser an.
Ich schrieb meiner GRW-Lehrerin (Gesellschaft, Recht, Wirtschaft) noch am selben Tag eine E-Mail und erzählte ihr von meinem großen Interesse an diesem Thema wie auch von meiner Angst und Betroffenheit. Ich fragte sie, ob ich meine Mitschüler in der nächsten Stunde über dieses Thema informieren dürfe. Die Antwort folgte schnell. Sie teilte mir mit, dass das leider nicht möglich sei, da wir in der nächsten Doppelstunde einen Gast im Unterricht haben würden, einen Jugendoffizier der Bundeswehr. Er würde uns über Deutschland in internationalen Organisationen informieren. Aber da passe das Thema Syrien rein und ich könne mich in der Stunde mit meinem Wissen beteiligen. Wenn wir nach unserem zweiwöchigen Praktikum noch Zeit haben sollten, könne ich den Vortrag noch halten.
Diese Antwort machte mich sprachlos, sie bügelte das Interesse einer Schülerin für ein aktuelles Thema einfach ab und verschob es auf „irgendwann, wenn es reinpasst“ – und der Grund, warum es nicht sofort möglich war, war ein Offizier der Bundeswehr an der Schule?! Hätte ich ihr die E-Mail wegen meines Vortrages nicht geschrieben, so hätte ich auch bis zur letzten Minute nicht gewusst, dass die Bundeswehr überhaupt an die Schule kommt. Das war der absolute Hammer für mich und ich bereitete mich völlig erbost auf die Stunde mit dem Offizier vor.
Am Montag in den ersten beiden Stunden fand auch schon die 90-minütige Veranstaltung statt. In den ersten 30 Minuten schrieb ich mit zwei anderen Mitschülern noch eine Arbeit nach, weshalb ich nicht weiß, wie sich der Offizier vorgestellt hat und was er in dieser Zeit behandelt hat.
Vollkommen wütend über die Gesamtsituation saß ich mit einer inneren Abwehrhaltung in dieser Veranstaltung und habe nichts mitgeschrieben. Wenn ich damals schon gewusst hätte, dass ich später mal einen Artikel darüber schreiben würde, hätte ich das sicher getan.
Ich weiß noch, dass die Themen Terrorismus, innere Sicherheit, Deutschland in der UNO und der NATO und die Bundeswehr im Ausland waren. Von den Themen Terrorismus und innere Sicherheit habe ich nicht mehr viel mitbekommen, da das gleich in der ersten halben Stunde abgehandelt wurde. In diesem Zusammenhang hatte der Jugendoffizier Bundestagsbeschlüsse und verschiedene UN-Resolutionen an die Tafel geschrieben, die nach dem Anschlag in Paris erlassen wurden und jetzt anscheinend die Einführung des Überwachungsstaates im Inneren und Einsätze im Ausland decken und rechtfertigen sollten. Als ich mich dann in der Klasse befand, waren wir beim Thema „Deutschland in internationalen Organisationen“ angekommen. Der Offizier fragte uns zum Einstieg, ob wir denn wüssten, was die NATO ist, welchen Zweck sie hat und welche Mitgliedsstaaten. Die gleiche Fragestellung galt für die UNO. Hier habe ich mich natürlich beteiligt.
Ich antwortete:
„Die NATO soll ein Verteidigungsbündnis sein, welches nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Da mir aber keine Beispiele aus den letzten 20 Jahren einfallen, in denen ein NATO-Land angegriffen wurde, weshalb der Bündnisfall eintreten müsste, und zur Zeit allerdings trotzdem sehr viele Kriegseinsätze geführt werden, würde ich sie eher als ein Angriffsbündnis bezeichnen.“
Deutschland ist dem Militärbündnis 1955 beigetreten. Weiterhin führte ich aus, dass die NATO von den USA angeführt wird. Zu Zeiten des Kalten Krieges standen sich die NATO und der Warschauer Vertrag feindlich gegenüber. Nach dem Untergang der Sowjetunion und dem Zerfall des Warschauer Vertrages löste sich die NATO jedoch nicht auch auf; stattdessen sind in den letzten Jahren immer mehr Staaten der NATO beigetreten, und sie dehnt sich immer weiter nach Osten aus.
Die UNO hingegen als Weltfriedensorganisation wurde 1948 gegründet und hat derzeit 193 Mitgliedsstaaten. Sie gibt das internationale Völkerrecht vor, welches die Regeln zwischenstaatlicher Beziehungen beinhaltet.
Eine dieser Regeln besagt, dass alle Mitgliedsstaaten in ihren internationalen Beziehungen auf Gewaltanwendung verzichten. Da fast alle Länder der Erde Mitglieder der UNO sind, dürfte es nach geltendem Völkerrecht keine Kriege geben.
Aber auch die UNO ist nicht perfekt und sozusagen eine Klassengesellschaft. Der UNO-Sicherheitsrat hat 10 Mitglieder, 5 davon sind ständige Mitglieder (USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich). Diese fünf ständigen Mitglieder haben gleichzeitig ein Veto-Recht, was bedeutet, dass sie mehr Macht haben als die anderen 188 Länder.
In meinen Ausführungen zur NATO stimmte mir der junge Herr von der Bundeswehr nicht ganz zu; er meinte, aufgrund der Aggression und Bedrohung Russlands und der Unberechenbarkeit Putins sei es notwendig, ein starkes Bündnis zu haben.
An dieser Stelle musste ich wieder einhaken und darauf hinweisen, dass allein am Rüstungsbudget gemessen Russland nicht die Bedrohung sein kann – in den USA allein werden circa 611 Milliarden Dollar pro Jahr für Rüstungsausgaben aufgewendet, in Russland circa 69 Milliarden Dollar. Hier lenkte er ein und erklärte, wer zu diesem Thema auch mal die russische Meinung hören möchte, könne ja bei Russia Today vorbeischauen. Diese Art von Feindbildproduktion unterschwellig in Schulen zu tragen, wo sie hoffentlich bei vielen Schülern fruchtet, stimmte mich nur noch abgeneigter der ganzen Veranstaltung gegenüber. Der Versuch des Offiziers, meinen Einwand mit dem kurzen Hinweis auf RT abzuwimmeln, machte es nicht besser.
Jedenfalls war ich zu diesem Zeitpunkt schon einmal negativ aufgefallen, weil ich meine kritische Haltung nicht zu verbergen versuchte.
Weiter im Programm waren wir bei den Einsätzen der Bundeswehr im Ausland angekommen. Auf der Weltkarte, welche die politische Stabilität der Staaten zeigte, erklärte er uns, in welchen Ländern die Bundeswehr gemeinsam mit anderen Ländern Hilfe leistet. Er erwähnte auch den humanitären Einsatz in Mali. Damals wusste ich noch nichts über den Einsatz in Mali; doch die Bezeichnung des „humanitären Einsatzes“ im Kontext einer Militärmission ließ mich hellhörig werden.
Über die deutsche Beteiligung im „syrischen Bürgerkrieg“ erzählte er, dass sich die Bundeswehr natürlich nicht mit Waffen beteilige, sondern „Tornados“ fliege . Dazu zeigte er uns ein Video, welches Aufbau und Funktion eines Tornados erklären sollte. Das Video lief jedoch nicht durch; der Jugendoffizier spulte regelrecht hektisch immer wieder Sequenzen vor. Ich fragte mich, was wohl in diesem Video gesagt und gezeigt wurde, was wir Schüler besser nicht sehen sollten, weil es sonst das Bild der friedlichen, guten, humanitären, helfenden Bundeswehr, welches er die ganze Zeit über aufzubauen versuchte, zerstören könnte. Mit dem Ende des Videos war er auch am Ende seines Vortrages angekommen und wir wurden nun von unserer Lehrerin und ihm aufgefordert, Fragen zu stellen. Das fand ich gut, denn ich hatte in der Tat zwei Fragen auf dem Herzen:
- Wieso er den Konflikt in Syrien als Bürgerkrieg bezeichnete, und
- was die rechtliche Grundlage für deutsche Tornados im syrischen Luftraum sei, denn schließlich werden auf Grundlage der Daten, die die Tornados liefern, Angriffe ausgeführt.
Auf die erste Frage ging er gar nicht ein und bei der zweiten Frage verwies er auf die UN-Resolutionen, die er zu Beginn erwähnt hatte. Gerade, als ich zu meiner Gegenargumentation ansetzen wollte, unterbrach mich meine Lehrerin. Sie sagte, dass wir jetzt an der Stelle abbrechen müssten, da sie noch etwas zu unserem Praktikum nächste Woche sagen wolle. Das verwirrte mich. Die Fragenrunde war eröffnet und außer mir stellte niemand Fragen, warum war also plötzlich keine Zeit mehr? Und hatte mir meine Lehrerin nicht noch in ihrer Mail geschrieben, dass ich mich mit meinem Wissen zu Syrien gern am Unterricht beteiligen könne? Die Verwirrung verflog jedoch schnell und mir war klar, dass ich eine unangenehme Frage gestellt hatte.
Natürlich ließ ich mich nicht einfach abweisen, ich wollte eine offene Diskussion führen. Ich meinte daher, ich würde gern loswerden, was ich zu sagen habe. Das könne ich vor der Tür machen, lautete die Antwort.
Ich musste mich hier sehr beherrschen, nicht die Fassung zu verlieren! Ganz bestimmt ließ ich mich nicht einfach so vor die Tür stellen. Die Lehrerin beharrte jedoch darauf, etwas zum Praktikum sagen zu müssen, also bat ich den Offizier, mit mir vor die Tür zu kommen, damit ich, wenn schon nicht vor der Klasse, wenigstens persönlich mit ihm über die Problematik reden könne. Hierauf ging er ein.
Erstmal machte ich deutlich, dass seine angeführten UN-Resolutionen und Bundestagsbeschlüsse schön und gut sind, aber keine Legitimation für die Tornados darstellen . Denn es braucht ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates, damit Tornados nach geltendem Völkerrecht legal im Luftraum eines anderen Landes fliegen dürfen. Dieses Mandat gibt es nicht und da auch der syrische Staatschef keine deutschen Tornados angefordert hat, ist die ganze Aktion nach internationalem Recht illegal.
Ich konnte mir auch nicht verkneifen, noch anzufügen, dass Russland im Gegensatz zu den USA und Deutschland sogar legal in Syrien kämpft, denn Baschar al-Assad hat Russlands Unterstützung angefordert. Ich hatte jetzt eine fundierte Gegenargumentation erwartet.
Stattdessen stimmte er mir zu, fügte aber noch hinzu, dass Russland zwar legal in Syrien vertreten sei, aber auch viele Verbrechen beginge. Ich merkte, dass er nun die deutsche Beteiligung zu legitimieren versuchte.
Ich wollte daraufhin wissen, wie er, in dem vollen Bewusstsein, dass die deutschen Tornados illegal im syrischen Luftraum sind, vor einer Klasse stehen und die deutsche Beteiligung als „richtig“ verkaufen kann – und dabei nicht mal im Ansatz erwähnte, dass man für militärische Interventionen ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates braucht.
Er wich der Frage aus und antwortete nur, dass er ja auch nicht alles an der Bundeswehr gut fände, das hier aber nunmal sein Job sei. Dieses „Outing“ überraschte mich und brachte mich ein weiteres Mal an diesem Morgen aus der Fassung. Wir unterhielten uns noch gut und kamen vom Hundertsten ins Tausendste.
Dieses Gespräch war unglaublich aufschlussreich für mich. Meine Abneigung gegen ihn ist in diesem Dialog völlig verflogen. Mir wurde bewusst, dass er auch nur ein Mensch mit einem inneren Kompass ist, der ihn unter Umständen zum Zweifeln bringt – er aber gefangen ist in seiner Uniform und der Rolle, die er einnehmen muss. Dass er mir gestand, auch nicht alles gut zu finden und selbst gern RT Deutsch zu schauen, lässt mich jetzt im Nachhinein hoffen, dass er seinen Vortrag in den nächsten Klassen vielschichtiger und offener gestaltet.
Die rechtlichen Grundlagen
Nach dieser lehrreichen Erfahrung stellte sich mir die Frage, auf welchen rechtlichen Grundlagen der Besuch des Bundeswehroffiziers an meiner Schule beruhte. Die Bundeswehr kann nämlich nicht einfach von sich aus in die Schulen einmarschieren, denn in einem gewaltengeteilten, repräsentativ-demokratischen Rechtsstaat muss es für jedes Handeln des Staates gegenüber seinen Bürgern eine ununterbrochene demokratische Legitimation geben. Diese grundlegenden Prinzipien sind in Artikel 20 Grundgesetz, der „Verfassung in Kurzform“, zusammengefasst.
Da Bildung Ländersache ist (Artikel 70 ff. Grundgesetz), untersuchte ich deshalb das Sächsische Schulgesetz nach Vorschriften, die die Anwesenheit von Bundeswehroffizieren an sächsischen Schulen regeln. Konkrete Aussagen fand ich nicht, aber immerhin fordert § 35b Absatz 2 SächsSchulG die Schulen auf, mit außerschulischen Einrichtungen wie Unternehmen, Vereinen, Kirchen, Einrichtungen der kulturellen und politischen Bildung, mit Einrichtungen der Weiterbildung sowie mit Partnern im In- und Ausland zusammenzuarbeiten.
Auch wenn dort nicht speziell von der Bundeswehr die Rede ist, halte ich es grundsätzlich für eine gute Idee, Schulen nicht abzuschirmen, sondern für die Kooperation mit gesellschaftlichen Akteuren zu öffnen. Wenn man in der Schule für das Leben lernen soll, dann kann dies nur unter Einbeziehung der ganzen Breite der Gesellschaft geschehen. Und wenn ich für mich selbst Meinungsfreiheit und Pluralismus einfordere, gehört es für mich auch dazu, mich mit Institutionen auseinandersetzen zu müssen, denen ich, wie im Falle der Bundeswehr, sehr kritisch gegenüberstehe.
Die konkrete Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Bundeswehr regelt eine mit dem Kultusministerium geschlossene Kooperationsvereinbarung. Interessant ist dabei, dass es den einzelnen Schulen selbst überlassen ist, ob sie sich die Bundeswehr ins Haus holen oder nicht. In welchem Umfang die Angebote der Bundeswehr angenommen werden, dokumentieren die Jahresberichte der Jugendoffiziere der Bundeswehr. 2016 fanden insgesamt 5.468 Veranstaltungen statt, bei denen 146.509 TeilnehmerInnen erreicht wurden. Dies ist das niedrigste numerische Ergebnis im Vergleich zu den Vorjahren. Ob dies, wie von der Bundeswehr angegeben, an der hohen Zahl unbesetzter Stellen bei den Jugendoffizieren liegt oder an einer geringeren Nachfrage durch die Schulen, war für mich nicht überprüfbar.
Die angesprochene Kooperationsvereinbarung besagt, dass die Jugendoffiziere an den „Beutelsbacher Konsens“ gebunden sind. Dieser wurde in den 1970er Jahren formuliert und enthält Grundprinzipien, die bei der politischen Bildungsarbeit zu beachten sind. Diese Grundprinzipien lesen sich im Wortlaut wie folgt:
1. Überwältigungsverbot
Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen
Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.
Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden. Um ein bereits genanntes Beispiel erneut aufzugreifen: Sein Demokratieverständnis stellt kein Problem dar, denn auch dem entgegenstehende andere Ansichten kommen ja zum Zuge.
3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,
sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich – etwa gegen Herman Giesecke und Rolf Schmiederer – erhobene Vorwurf einer ,Rückkehr zur Formalität‘, um die eigenen Inhalte nicht korrigieren zu müssen, trifft insofern nicht, als es hier nicht um die Suche nach einem Maximal-, sondern nach einem Minimalkonsens geht.“
Ob diese Grundprinzipien in der Praxis tatsächlich befolgt werden, wage ich zu bezweifeln. Schon der eigene Jahresbericht der Jugendoffiziere offenbart Tendenzen der Indoktrination und der fehlenden Kontroverse.
Der Bericht für 2016 benennt als häufigstes behandeltes Thema den „Bürgerkrieg in Syrien“. Es wird also schon durch die Verwendung des Begriffes „Bürgerkrieg“ als nicht zu hinterfragende Tatsache unterstellt, dass es sich um einen rein innersyrischen Konflikt handele, obwohl mittlerweile völlig klar ist, dass auf syrischem Boden ein internationaler Stellvertreterkrieg tobt.
Weitere im Jahr 2016 behandelte Themen waren nach dem aktuellen Jahresbericht „unkontrollierte und irreguläre Migration als Herausforderung für Europa“. Da steckt ein ganzes Bündel an ideologisch aufgeladenen Wörtern drin, welche nichts anderes als eine neoliberale, neokoloniale und rassistische Weltsicht offenbaren. Bemerkenswert ist auch folgende Passage im Jahresbericht:
„Die grundsätzliche Notwendigkeit und Legitimation von Streitkräften wurde so gut wie nie in Frage gestellt. Solche fundamentalen Fragen wurden meist nur dann diskutiert, wenn der Jugendoffizier oder die Lehrkraft sie zuvor angestoßen hatten.“
Nach dem Beutelsbacher Konsens müssten diese Fragen aber immer und gerade dann von den Jugendoffizieren aufgeworfen werden, wenn die Schüler sie nicht selbst stellen.
Wenn die verpflichtende Einhaltung des Beutelsbacher Konsens durch die Jugendoffiziere in der Praxis nicht zu gewährleisten ist, kann die Bundeswehr den mit dem Kultusministerium bestehenden Kooperationsvertrag auch nicht erfüllen. Dann ist der Kooperationsvertrag insgesamt zu beenden. Dies gilt natürlich auch dann, wenn sich die Anwesenheit der Bundeswehr nicht nur auf die vom Schulgesetz erlaubte und gewünschte „politische Bildung“ beschränkt, sondern für Nachwuchswerbung missbraucht wird.
Der Anreiz hierfür ist, vor allem seit der Abschaffung der Wehrpflicht, sehr groß. Da die Übergänge zwischen politischer Bildung und rechtswidriger Nachwuchswerbung fließend sind und sich eine effektive Kontrolle der Arbeit der Jugendoffiziere schwierig gestaltet, spricht also vieles dafür, die Bundeswehr gänzlich aus den Schulen zu verbannen. Zumindest aber müssten die Schulen gewährleisten, dass nicht nur die Bundeswehr ihre Sicht der Dinge unter die Schüler bringen darf, sondern dass Gegengewichte geschaffen werden.
Friedensorganisationen sind also im gleichen Maße wie die Bundeswehr zu beteiligen.
Umfrage
Nicht nur die rechtlichen Grundlagen zu diesem Thema erschienen mir spannend zu ergründen, mich hat auch interessiert, wie andere Jugendliche über die Bundeswehr denken. Aus diesem Anlass habe ich im November eine Umfrage in den 11. und 12. Klassen meiner Schule durchgeführt. 120 Schülerinnen und Schülern habe ich in diesem Rahmen 5 Fragen zum Thema Bundeswehr gestellt. Die Auswertung gestaltet sich wie folgt:
Frage 1: Wie bewertest du, dass sich die Bundeswehr im Unterricht vorstellt?
59 Prozent finden es gut, dass sich die Bundeswehr im Unterricht vorstellt, 22 Prozent finden es schlecht und fast ebenso viele haben keine Meinung dazu. Dieses Ergebnis zeigt also klar, dass eine überwiegende Akzeptanz mit einem großen Duldungsanteil gegenüber der Bundeswehr herrscht. Das überraschte mich nicht, da es, wie oben erwähnt, wenig kritische Stimmen oder Proteste gegen das Auftreten des Jugendoffiziers gab.
Frage 2: Verfolgst du, an welchen Einsätzen im Ausland die Bundeswehr beteiligt ist?
und
Frage 3: Wie bewertest du die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen?
Mit der zweiten und dritten Frage wollte ich herausfinden, wie gut meine MitschülerInnen über das Wirken der Bundeswehr im Ausland informiert sind und wie sie die Beteiligung einschätzen.
Hierbei kam heraus, dass nur 18 Prozent wissen, an welchen Einsätzen die Bundeswehr beteiligt ist. 49 Prozent sind zudem für eine deutsche Beteiligung im Ausland, 30 Prozent sind dagegen und 21 Prozent interessiert das nicht. Beim ersten Durchschauen der Bögen ist mir aufgefallen, dass viele derjenigen, die nicht wissen, wo die Bundeswehr im Ausland agiert, die Beteiligung allerdings prinzipiell befürworten. In Zahlen sind das 38 Prozent.
Dieses Ergebnis verdeutlicht, wie gut Feindbilder funktionieren und bei jungen Leuten Einzug ins Gedächtnis halten. Nicht zu wissen, wo die Bundeswehr Kriege führt, diese Beteiligung aber grundsätzlich für gut zu befinden, deute ich als eine innere rassistische Haltung, die natürlich niemand so offen zugeben würde.
Wer Kriege gegen Menschen befürwortet, die er gar nicht kennt und von denen er nicht einmal weiß, in welchem Land sie leben, kann dies nur aus der Überzeugung heraus rechtfertigen, dass „wir“ immer die Guten und Überlegenen seien.
Ein Vergleich zum kolonialen Denken ist hier nicht weit weg. Damals unter dem Deckmantel des Bringens von Zivilisation und wahrer Religion sind es heute ganz allgemein „westliche Werte“, die vertreten und vor dem sogenannten islamistischen Terrorismus geschützt werden müssen. Unsere Regierung könne Soldaten ja nur dort hinschicken, wo unsere Hilfe gebraucht würde. Darin offenbart sich der Geist, dass unsere westliche Welt gerade der muslimischen gegenüber überlegen sei. Es kann natürlich sein, dass ich meinen Mitschülern damit zu Unrecht Rassismus unterstelle. Um dazu eine genauere Aussage zu treffen, müsste man dieses Thema einer empirisch-soziologischen Untersuchung unterziehen. Das konnte ich mit meinen Mitteln nicht umsetzen.
Frage 4: Kennst du die Serien „Mali“ und/oder „Die Rekruten“?
Die Bundeswehr betreibt massiv Werbung für ihre neue YouTube-Serie „Mali“, deren Vorgänger „Die Rekruten“ hieß, in Form von Plakaten in Innenstädten, Werbeanzeigen in Tageszeitungen und über Werbespots vor YouTube-Videos, die nicht zu überspringen sind. Mich interessierte, wie viele meiner Mitschüler die Werbung angenommen haben und die Serien kennen. 49,6 Prozent kennen sie, 50,4 Proz ent nicht. Dieses ausgeglichene Ergebnis zeigt, dass die Werbung immerhin die Hälfte der befragten Schüler erreicht. In beiden Serien werden der Alltag der Soldaten sowie Kriegsvorbereitungen und -einsätze verherrlichend dargestellt. Krieg als Abenteuer soll die Bundeswehr und das Leben als Soldat attraktiv machen.
Frage 5: Hast du vor, nach der Schule zur Bundeswehr zu gehen?
Nur 1,7 Prozent der befragten Schüler wollen nach der Schule zur Bundeswehr gehen, 13,7 Prozent wissen es noch nicht genau und 84,6 Prozent haben es nicht vor. Das ist ein durchaus aufmunterndes Resultat. Seit der Abschaffung der Wehrpflicht macht die Bundeswehr auch als Studienpartner auf sich aufmerksam. Dass dieses Angebot von so wenigen der Befragten angenommen wird, liegt entweder daran, dass es nicht populär genug ist oder dass das Kriegsunternehmen Bundeswehr schlichtweg niemand als Karrieresprungbrett nutzen möchte . Es zeigt auch, dass die obengenannten Serien zwar bewirken, dass die Bundeswehr und deren Einsätze als „gut“ und „helfend“ wahrgenommen werden. Jedoch verleiten die Werbespots die jungen Leute an meiner Schule nicht dazu, selbst zur Bundeswehr zu gehen und das „Abenteuer Soldat“ zu wagen. Zumindest dieses Ergebnis beruhigt mich.
Quellen und Anmerkungen:
(A) Eine Übersicht über die anderen Artikel dieser Serie finden Sie hier.