Die Bundeswehr im Kinderzimmer
Vier erfolgreiche Influencer stellen jetzt die Bundeswehr vor. Zwischen Krieg und Wehrpflichtdebatte bringen sie ihrem jungen Publikum das Kriegshandwerk nahe.
Der Bundeswehr fliegen nicht von vornherein alle Herzen zu. Sie klagt über Personalnot. Da wir aber in einem Land leben, das kriegstüchtig werden will, darf man den Personalstand beim Militär nicht allein davon abhängig machen, ob jemand wirklich Soldat werden will. Dieser „Wille“ ist formbar wie Knetmasse. Und wer wäre besser geeignet, um Menschen zu beeinflussen als eben Influencer? Die Zielgruppe für die Bundeswehr sind naturgemäß junge Menschen. Die lassen sich nicht so leicht von behäbigen älteren Herrn mit Krawatte und erhobenem Zeigefinger überzeugen — bei hippen, smarten jungen Leuten ist das ganz anders. „Wenn du die Massen beeinflussen willst, beeinflusse Influencer“ müssen Militärstrategen gedacht haben und kauften sich vier erfolgreiche TikTok-Stars ein, die jetzt das Soldat-Sein als ganz normalen, ja ungemein reizvollen und coolen Beruf zu verkaufen versuchen. Die Vorbereitung auf Töten und Sterben als Jugendtrend — wer möchte da abseits stehen?
Can Akpinar kann kochen. Das beweist er seit fast sechs Jahren auf seinem YouTube-Kanal namens „Can Der Koch“. Seine Schwerpunkte sind die türkische und zugleich die schnelle Küche. Knapp 280.000 Abonnenten zählt sein Kanal. Can ist Mittzwanziger, hat Ökonomie studiert und versteht sich als Unternehmensberater. Wenn er seine Gemeinde in seinen Kochvideos begrüßt, zeigt er ihr in aller Regel ein schmackhaftes Gericht, das man auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch unkompliziert zaubern kann. Can Akpinar wirkt in seinen Clips stets bescheiden, er spricht wie der nette Kerl von nebenan. Einen wie Can will man näher kennen — nicht nur, weil er offensichtlich ausgezeichnete Speisen kredenzt.
Bei TikTok gibt es Can auch. Dort verfolgen sogar 1,5 Millionen Follower, was er zubereitet. Die Videos, die er dort zeigt, gestalten sich — dem Medium entsprechend — viel kürzer. Anders als bei YouTube postet er dort neuerdings auch noch andere Clips. Man sieht ihn mit anderen Influencern, wie er Berufe vorstellt, die man bei der Bundeswehr ergreifen kann. Aufgezogen ist dieser Schnupperkurs wie eine große Abenteuertour inmitten von reichlich Camouflage. Der nette Can: Ausgerechnet jetzt, da die Wehrpflicht debattiert wird — und als Kriegsdienst gemeint ist —, macht Werbung für die Armee.
Vier Influencer auf Roadtrip
„Explorers: Roadtrip durch die Bundeswehr“ nennt sich dieses Arrangement zwischen Bundeswehr und TikTok-Größen. Neben Can Akpinar sind das: Der 19-jährige Tizian Häger, die 22-jährige Tina Neumann und die 20-jährige Selma (der Nachname der Redaktion nicht bekannt). Auch diese drei Influencer, die innerhalb der Bundeswehr als „Creatoren und Creatorinnen“ bezeichnet werden, sind erfolgreich bei TikTok. Hägers Kanal haben 1,2 Millionen Follower abonniert. Auf Selmas Kanal tummeln sich 1,3 Millionen, Neumann — sie ist der Big Player in dieser Riege — aktiviert 2,8 Millionen Follower.
Während Akpinar kocht, findet man bei Neumann Beauty-Beratung ohne zu hohen Anspruch. Selma hingegen beschäftigt sich — ja, mit was eigentlich? — mit sich selbst: Sie zeigt sich beim Singen, Melone essen oder guckt mit großen Augen in die Kamera und macht dabei Grimassen. Häger sitzt oft im Bärchen-Kostüm vor der Kamera und berichtet aus seinem Leben und von dem, was ihm wichtig erscheint.
Zusätzlich bieten die vier jungen Leute ihren Zuschauern nun auch noch eine neue Rubrik an: Sie präsentieren einen Einblick ins Soldatenleben — nicht nur wohlgemerkt, auch andere Bereiche der Bundeswehr besuchen sie auf ihrem Roadtrip durch die Bundeswehr. Man zeige „die große Bandbreite an Ausbildungen, Laufbahnen und Berufen im militärischen und zivilen Bereich der Bundeswehr“, teilt das Verteidigungsministerium auf Nachfrage mit.
Und so erzählt Tina ihrem Publikum, wie cool es sei, sich in einen Tauchanzug zu zwängen und mit den Tauchern der Bundeswehr unter Wasser zu gehen.
Can betont in einigen Videos den Abenteuercharakter. Bei der Bundeswehr zu arbeiten: Das scheint einer riesigen Robinsonade zu gleichen — ein Leben voller spannender Arbeitstage blüht einem nur, so man sich für die Bundeswehr als Arbeitgeber entscheidet.
An Bus- und Bahnhaltestellen macht die Bundeswehr auf „die neue Serie auf TikTok“ mittels Plakaten aufmerksam.
Über Motive und Entlohnung lässt sich an dieser Stelle leider nichts sagen. Denn alle vier Influencer haben auf Nachfrage nicht reagiert. Vertreten werden alle vier von der Agentur Enkime — dort werden sie als Talents geführt. Enkime selbst ist auch bei TikTok zu finden, hat 1,1 Millionen Follower, präsentiert aber nichts vom Roadtrip ihrer Klienten.
„Interesse am Arbeitgeber Bundeswehr generieren“
Auf Nachfrage erklärte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums, dass „zu Geschäftsbeziehungen keine Angaben“ gemacht können, „die wirtschaftlichen Interessen Dritter berühren oder interne Entscheidungsprozesse abbilden“. Auch weshalb man ausgerechnet auf jene vier Influencer kam, beantwortete das Verteidigungsministerium nicht. Die „Auswahl der Creatoren und Creatorinnen“ bleibt somit für Interpretationsspielräume offen. Warum sie sich für das Format erwärmten ebenso.
Das Verteidigungsministerium erklärt, dass solcherlei Formate — die es immer wieder mal gab —, das „Interesse am Arbeitgeber Bundeswehr generieren“ sollen. Wie andere große Unternehmen, so habe auch die Bundeswehr massive Probleme mit dem „Fachkräftemangel, der demographischen Entwicklung, der Optionenvielfalt an beruflichen Möglichkeiten, vor denen Schulabsolventen heute stehen“. Daher nimmt man das Publikum von Influencern ins Visier:
„Wie viele junge Menschen heute haben die Creatoren und Creatorinnen kaum mehr Berührungspunkte mit der Bundeswehr, deshalb sind ihre ungefilterten Eindrücke auf ihrer Reise auch so authentisch und glaubwürdig für die Zielgruppe auf TikTok, Instagram und YouTube.“
Die zeitliche Nähe zur aktuellen Wehrpflichtdebatte lässt das Verteidigungsministerium nicht gelten, denn die käme seit Jahren immer wieder mal auf. Dennoch habe man in dieser Zeit „zahlreiche weitere nachwuchswerbliche Maßnahmen, unter anderem Webserien, ausgespielt“.
Der Unterschied zu den Wehrpflichtdebatten der vorherigen Zeit wäre an dieser Stelle hervorzuheben: Wehrpflicht meint im aktuellen Bezug zum Ukrainekrieg, junge Menschen kriegstüchtig zu machen, sie also der real gegebenen Möglichkeit zu unterziehen, tatsächlich einen Krieg erleben „zu dürfen“. Die Wehrpflicht, die man vormals diskutierte, bewegte sich in einem eher theoretischen Rahmen.
Die Kampagne rund um Can, Tizian, Tina und Selma wird aus „Bundeshaushaltsmittel aus dem Einzelplan 14 (Ausgaben für den Verteidigungshaushalt), die für die Nachwuchswerbung der Bundeswehr zur Verfügung stehen“, finanziert, teilt die Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf Nachfrage außerdem mit. „Sie betragen in diesem Haushaltsjahr 58 Millionen Euro.“ Was „Explorers: Roadtrip durch die Bundeswehr“ explizit gekostet hat, beantwortete sie indes nicht.
Heranwanzen an die Jugend
Die Bundeswehr sei „dort, wo junge Menschen unterwegs sind: im öffentlichen Raum wie an Bahnhöfen, Bushaltestellen sowie öffentlichen Verkehrsmitteln, in Fußgängerzonen oder Einkaufszentren, aber auch auf Social Media oder im Internet“, teilt das Verkehrsministerium zudem mit. Sprich: Sie nimmt junge Leute ins Visier, bemüht sich sehr, um als ganz normaler Arbeitgeber unter vielen gelten zu können.
Dieses Unterfangen ist zunächst mal legitim. Die Bundeswehr ist kein beliebter Arbeitgeber, sie leidet unter Personalmangel — wie so gut wie jeder Betrieb in Deutschland. Will man den Auftrag des Grundgesetzes nachkommen können, der da lautet, die Landesverteidigung zu erfüllen, falls denn ein Ernstfall eintritt, so benötigt man Personal. Und eben nicht nur militärische Angestellte, sondern auch in anderen Berufsfeldern.
Dass ein solches Projekt wie dieser Roadtrip mit potenten Web-Größen ausgerechnet in eine Zeit fällt, in der Verteidigungsminister Pistorius verkündet, dass Deutschland in einigen Jahren bereit sein müsse, auch Krieg führen zu können, kann man natürlich einen dummen Zufall nennen.
Oder aber es spielt, wie die Sprecherin des Ministeriums anriss, tatsächlich keine Rolle für die Bundeswehr und ist somit eingepreist.
Viel interessanter ist ohnehin, warum sich die vier Influencer dazu entschieden haben, bei dieser PR mitzumachen. Wie gesagt, sie äußerten sich allesamt nicht dazu. Sie geben sich nicht einfach nur für die Vorstellung diverser Berufe innerhalb des Bundeswehrbetriebes her — nein, sie sind in diesem gesellschaftlichen Klima auch Teil der Kriegsindustrie. Dabei geht es nicht (oder nicht nur) darum, junge Leute für einen bürgerlichen Beruf in der Bundeswehr zu begeistern oder deren Bedenken zu zerstreuen. Sie räumen damit den Zweifel aus, der einen befallen kann, wenn man sich für die Bundeswehr verpflichtet. Gerade jetzt, da „wir einen Krieg gegen Russland führen“, wie die Außenministerin schon vor langer Zeit zu Protokoll gab, ist das Hinführen zur Bundeswehr ein vielleicht todbringender Beitrag an der Gesellschaft.
Eltern sollten dieser Tage den Social-Media-Konsum ihres Nachwuchses im Auge behalten. Selbst recht unscheinbare Leichtgewichte aus der TikoTok-Welt werden nun eingespannt, um nicht nur die Bundeswehr, sondern eben auch das Soldatenleben salonfähig zu machen. In Friedenszeiten könnte man damit umgehen; es gefiele freilich auch nicht jedermann, aber es wäre erträglich. Aber im Krieg ist es eine besonders perfide Form des Shanghaiens. Sich an die Jugend heranzuwanzen, indem man andere junge Leute, die über ein einschlägiges Medium verfügen, als Köder nutzt: Das ist schon wirklich eine Perfektion der Rekrutierung, die Sorgen bereiten muss. Rekrutiert wird nicht mehr verschämt auf der Straße, sondern direkt im Kinderzimmer. Hätte Can nur geschwiegen — er wäre Koch geblieben …
Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel "Angriffskrieg im Kinderzimmer" im Overton-Magazin.