Die Bio-Revolution
Um mehrere Milliarden Menschen zu ernähren, müssen wir auf nachhaltige Landwirtschaft umsatteln. Ein Interview mit dem Landwirt Felix zu Löwenstein.
Die moderne Art der Landwirtschaft richtet langfristig mehr Schäden an, als dass sie uns nutzt. Trotzdem breiten sich überholte Bewirtschaftungsmodelle weiterhin in alle Welt aus. Nur unzureichend durchdachte, profitorientierte Entwicklungshilfemaßnahmen sind daran nicht schuldlos. Dabei mangelt es wahrlich nicht an Alternativen. Im Interview mit Rubikon zeigt der Landwirt Felix zu Löwenstein auf, dass ein Wandel hin zu einer nachhaltigen Form ökologischen Landbaus längst nur noch eine Frage des Willens ist.
Die Landwirtschaft ist die Lebensader unserer modernen Gesellschaften. Ohne sie wären Arbeitsteilung und Spezialisierung nur beschränkt möglich gewesen, und der Mensch würde noch immer den Großteil seines Tages damit zubringen, durch die Wälder zu streifen auf der Suche nach ausreichend Nahrung für sich und seine Familie. Auch unsere pulsierenden Metropolen würden schnell zum Erliegen kommen, wenn sie nicht von außerhalb durch einen steten Strom an essbaren Naturalien versorgt würden. Insofern markiert die Neolithische Revolution – als vor etwa 13.000 Jahren der jagende und sammelnde Homo sapiens langsam sesshaft wurde und Ackerbau zu betreiben begann – einen einschneidenden Zeitraum in der Menschheitsgeschichte. Um es überspitzt zu sagen: Ohne Neolithische Revolution kein iPhone.
Seit dem ersten Getreideanbau im fruchtbaren Halbmond – der sich von den irakisch-iranischen Grenzgebieten am Persischen Golf weiter nach Norden über die Staatsgebiete des heutigen Iraks und Syriens zurück nach Süden über den Libanon, Jordanien, Israel und Palästina bis ins nördliche Ägypten erstreckte – hat sich einiges geändert. Über die Jahre hat sich die Landwirtschaft aus den unterschiedlichsten Anbaumethoden und einer Reihe bedeutsamer, wissenschaftlicher Entdeckungen letztlich zu dem entwickelt, was wir heute „industrielle Landwirtschaft“ nennen.
Dabei hat sie nicht nur die außergewöhnliche Leistung vollbracht, mit einer explodierenden Weltbevölkerung Schritt zu halten, sondern hat uns bis an einen Punkt geführt, an dem Hunger nicht mehr Folge unzureichender Ernteerträge, sondern deren ungleichmäßiger Verteilung ist. Eine Tatsache, die angesichts prall gefüllter Supermarktregale – selbst in Zeiten von Covid19 – schnell in Vergessenheit gerät und gleichzeitig das Hungerleiden von etwa 842 Millionen Menschen (jeder neunte Mensch, Stand: 2012) in ein von Menschenhand verursachtes Verbrechen transformiert.
Doch nicht allein die Distributionsproblematik stellt die Weltgemeinschaft vor große Herausforderungen. Das Wissen um die Folgeerscheinungen des konventionellen Landbaus wächst täglich an und hat einen Umfang angenommen, bei dem Kritik nicht länger als ökologische Spinnerei abgetan werden kann. Sehr deutlich zeigt sich dies im Kontext des Klimawandels: Hier, wo Land- und Ernährungswirtschaft für etwa ein Drittel des Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase verantwortlich sind, ist industrieller Landbau so etwas wie das Gaspedal in Richtung Erderwärmung. Dies spiegelt sich unter anderem im Verhältnis zwischen aufgewendeter Energie und erzeugter Nahrungsenergie wider, bei dem die traditionelle, nicht-mechanisierte Landwirtschaft im Vergleich zu ihrem hochgerüsteten, industriellen Gegenspieler ganz klar die Nase vorne hat.
Weiterhin sind die Schäden, die durch diese Bewirtschaftungsform hervorgerufen werden, zusehends mit bloßem Auge erkennbar. Neben Bodendegradation durch Versalzung und abnehmendem Artenreichtum im Boden steht auch zunehmende Grundwasserbelastung durch Überdüngung längst auf der Tagesordnung. Von den gesundheitlichen Auswirkungen des Verzehrs belasteter Lebensmittel für den Menschen ganz zu schweigen.
Da erscheint es doch erschreckend, dass einige Entwicklungshilfemaßnahmen darauf abzielen, genau dieses Bewirtschaftungsmodell in kleinbäuerlich geprägte Nationen zu exportieren.
Die Landwirtschaft befindet sich heute abermals an einem wichtigen Wendepunkt in ihrer Geschichte. Wir leben in Zeiten, in denen sich langsamen Schrittes ein neues Bewusstsein über die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und damit ein neues Verhältnis zu ihnen herausbildet. Damit einher geht nicht, all die bemerkenswerten Leistungen der Grünen Revolution zu leugnen, sondern sich anhand der Erfahrungen aus der Vergangenheit einen erfolgreichen Weg in die Zukunft zu bahnen. Die alleinige Fixierung auf immer höhere Ertragsraten bei nahezu vollständiger Ausklammerung ökologischer und sozialer Folgen ist somit ein Irrweg, den wir schnellstmöglich wieder verlassen sollten.
Dieser Meinung ist auch Felix zu Löwenstein. Er ist Landwirt mit langjähriger Erfahrung und hat den elterlichen Betrieb auf biologischen Anbau umgestellt. Mit seinem breiten Wissen um natürliche Prozesse hat er zudem an verschiedenen Entwicklungshilfeprojekten mitgearbeitet und kann aus den gewonnenen Erfahrungen abschätzen, welche Maßnahmen erfolgversprechend sind. Löwenstein ist sich sicher: „Wenn wir künftig neun Milliarden Menschen ernähren wollen, ist die Umstellung auf biologischen Anbau unabdingbar“.
RUBIKON: Herr Löwenstein, laut einer Statistik der FAO gibt es aktuell 842 Millionen Menschen, die an Hunger leiden. Brauchen wir eine neue „Grüne Revolution“?
Felix zu Löwenstein: Das ist vorrangig eine Definitionsfrage. Dieser Begriff ist in den 1960er-Jahren durch Norman Borlaug und seine Leute geprägt worden, deren Lösungsansatz es war, durch technische Innovationen die Intensität der landwirtschaftlichen Produktion zu erhöhen, um so das Hungerproblem in den Griff zu bekommen. Dabei bedienten sie sich viererlei Instrumente, namentlich mineralischem Dünger, Pestiziden, Bewässerung und Hochertragssorten. Wenn heute Leute davon sprechen, wir bräuchten die nächste Stufe der Grünen Revolution, dann meinen sie damit wieder eine technikzentrierte Lösung und haben ihren Instrumentenkasten noch um die Gentechnik erweitert.
Obwohl man nicht bezweifeln kann, dass die Grüne Revolution zu enormen Ertragszuwächsen geführt hat, hat sie aber leider auch an anderen Stellen massive Schäden angerichtet. Ich spreche zum Beispiel von Wasserverschmutzung, Biodiversitätsverlusten und einem nicht unerheblichen Beitrag zum Klimawandel. Außerdem ist es seit Beginn der Grünen Revolution zu enormen Effizienzverminderungen gekommen, was die eingesetzten Ressourcen angeht. Wenn wir also über eine solche „synthetische“ Grüne Revolution sprechen, dann ist das sicherlich der falsche Weg.
Sie selbst sind Biolandwirt. Warum haben Sie sich gegen den konventionellen und für den ökologischen Landbau entschieden?
Dafür gibt es einen sehr konkreten Grund: der Umgang mit Pestiziden. Ich habe sechs Jahre lang konventionell gewirtschaftet, und es geht schon damit los, dass auf einer Packung Fungizid oder Insektizid eigentlich schon draufsteht, dass das Mittel Stoffe enthält, die in der Natur nichts verloren haben. Alleine deswegen habe ich mich sehr unwohl gefühlt beim Umgang mit diesen Stoffen. Was dann letzten Endes den Ausschlag gegeben hat, waren die ständigen Kompromisse, die man gegen die gute fachliche Praxis eingehen muss.
Ein konkretes Beispiel: Ich fahre auf den Acker raus und spritze ein Mittel. Das Zeitfenster ist knapp, denn es droht ein Unwetter. Von den 10.000 Litern in meinem Tank habe ich schon 5.000 verspritzt. Jetzt kommt auf einmal Wind auf. Eigentlich müsste ich heimfahren, weil man bei Wind nicht spritzen darf. Das macht aber kein Mensch, weil niemand ein halbvolles Fass für mehrere Tage am Hof abstellt. Das bringt nur Korrosionsprobleme bei den Metallteilen. Also wird das Fass leergemacht. Außerdem tragen nur die wenigsten meiner Kollegen die nötige Schutzkleidung, wenn sie mit diesen Stoffen umgehen.
Als mir klar geworden ist, dass es auch ohne geht, habe ich umgestellt.
Das Hofgut Habitzheim im hessischen Otzberg.
In ihrem Buch „Es ist genug da. Für alle.“ sprechen Sie von ökologischer Intensivierung. Was genau meinen Sie damit?
Vorneweg: Bei solchen Begriffen ist immer Vorsicht geboten. Begriffe wie „ökologische Intensivierung“, „Agrarökologie“ oder „nachhaltige Intensivierung“ lassen viel Interpretationsspielraum zu und sind deswegen nicht ganz ungefährlich. Diejenigen, die etwas ganz anderes meinen, setzen sich auf diese Begriffe, um sie für sich zu beanspruchen. Trotzdem habe ich den Begriff „ökologische Intensivierung“ gewählt, weil ich nicht will, dass jemand denkt, ich rede über den zertifizierten Ökolandbau als einzige zukunftsfähige Form der Landwirtschaft. Mir geht es nämlich in erster Linie nicht um zertifizierte Wertschöpfungsketten, sondern darum, die biologischen Prozesse – und wir reden hier insbesondere über die Photosynthese und die Bodenfruchtbarkeit – so zu intensivieren, dass sie landwirtschaftlich dauerhaft und produktiv genutzt werden können, ohne die Produktionsvoraussetzungen der Landwirtschaft kaputt zu machen.
Kann es auf diese Weise gelingen, eine wachsende Weltbevölkerung vollständig von ökologischen Produkten zu ernähren?
Es kann nicht nur gelingen, es muss gelingen. Denn was sicherlich nicht gelingen wird, ist, mit der aktuellen Form der konventionellen Landwirtschaft auf Dauer einfach weiter zu machen.
Wir fahren da gegen eine Wand, weil wir schlicht und ergreifend die Ressourcen, die uns die Natur zur Verfügung stellt, überstrapazieren.
Bei dieser Frage geht es aber nicht nur um Landwirtschaft, sondern auch um Ernährung. Man kann die Fragen „Wie ernähren wir uns?“ und „Wie produzieren wir?“ nicht voneinander abkoppeln. Das wird aber immer wieder gemacht. Leute, die einem vorrechnen, dass eine Umstellung nicht gelingen kann, machen immer denselben Rechenfehler: Sie gehen von gleichbleibenden Essgewohnheiten aus. Dass das nicht geht, ist aber überhaupt gar keine Frage. Unser Fleischkonsum – hochgerechnet auf die gesamte Weltbevölkerung – würde viel mehr Getreide verbrauchen, als uns überhaupt zur Verfügung steht. Wenden wir aber die Grundrechenarten der Marktlehre an, zeigt sich, dass das auch gar nicht nötig ist. Wenn Sie ein Huhn dreimal so teuer am Markt anbieten – was Sie müssen, wenn Sie es artgerecht aufziehen und füttern – dann wird sich der Fleischkonsum von ganz alleine anpassen.
Welcher Grundvoraussetzungen bedarf es denn, damit ein flächendeckender Wandel hin zu ökologischer Landwirtschaft tatsächlich auch gelingen kann?
Es gibt dazu ein interessantes Beispiel aus Indien. Andhra Pradesh ist jetzt bereits der dritte indische Bundesstaat, der eine komplette Umgestaltung auf die sogenannte Zero Budget Agriculture vollzogen hat. Die haben etwas sehr Einfaches gemacht. Der Staat hat die Subventionen auf Spritz- und Düngemittel runtergefahren und stattdessen die Beratung intensiviert. Da ist den Kleinbauern schnell klar geworden, dass es ökonomisch viel sinnvoller ist, ökologisch zu wirtschaften. Die Beratung ist dabei aber eine unabdingbare Voraussetzung, weil es für die Bauern auch keine Lösung sein kann, nur den mineralischen Dünger wegzulassen. Dann würden sie ökonomisch schnell mit dem Rücken zur Wand stehen. Dieses Beispiel zeigt uns, dass selbst unter den Bedingungen extremer Witterungsverhältnisse und einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft die ökologische Wirtschaftsweise ökonomisch am sinnvollsten ist.
Bei uns gestaltet sich die Lage etwas anders. Wir haben ja keine Düngemittelsubventionierung. Was wir aber haben, sind Schäden an Umweltgütern und daraus resultierende Kosten. Wenn wir also etwas ändern wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, diese Kosten den Verursachern in Rechnung zu stellen.
Im Moment ist unsere Herangehensweise eine andere: Wir versuchen, die Verbraucher davon zu überzeugen, dass die Verantwortung bei ihnen liege und dass sie deswegen mehr Geld ausgeben müssen, wenn ihnen gesunde Lebensmittel etwas bedeuten. Klar, das funktioniert auch zu einem gewissen Maße, kann aber nur eine Wegetappe sein. Wir können doch nicht auf Dauer eine Ökonomie betreiben, wo derjenige, der den größten Schaden an Gemeingütern wie Wasser oder Boden anrichtet, auf dem Markt die billigsten Produkte anbieten kann, während derjenige, der solche Schäden nicht verursacht, die teuersten Produkte herstellt und das auch nur deswegen tun kann, weil die Verbraucher freiwillig bereit sind, mehr Geld dafür zu bezahlen. Wir müssen an einen Punkt kommen, an dem die Leute, die Schäden am Gemeineigentum anrichten, dafür zur Kasse gebeten werden. Dann würden konventionelle Produkte schnell so teuer, dass sie sich nur noch sehr reiche Leute leisten könnten.
In Ihrem Buch wird auch das Thema Flucht behandelt, bei dem Hunger eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Sie waren selbst an verschiedenen Entwicklungshilfeprojekten beteiligt, unter anderem drei Jahre auf Haiti. Im Zuge dessen haben Sie auch die Erfahrung machen müssen, dass es viele verschiedene Gründe gibt, warum Entwicklungshilfe oftmals zum Scheitern verurteilt ist. Können Sie hierzu ein konkretes Beispiel nennen?
Oft erzielt Entwicklungshilfe nicht die gewünschten Effekte, weil sie die Eigenverantwortung derer, denen geholfen werden soll, untergräbt. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: In Haiti hatte ich die Aufgabe, mit Bauern in einer Ebene im Süden der Insel ein Bewässerungssystem mit zugehöriger Organisationsstruktur aufzubauen. Eines Tages sind die Bauern einer nahegelegenen Siedlung auf mich zugekommen und haben gefragt, ob ich ihnen bei einem Problem mit einem alten Kanal helfen könne. Aus diesem würde bei Regen immer sehr viel Wasser in einen Weg laufen, der sich daraufhin in Schlamm verwandelt und so die Leute am Vorankommen hindert. Also habe ich vermessen, wie sie den Kanal führen müssten, damit das Wasser nicht in den Weg läuft. Ich habe Ihnen angeboten, das nötige Baumaterial und die Gerätschaften zur Verfügung zu stellen. Alle waren begeistert und am nächsten Samstag begann die gemeinsame Arbeit der Dorfbewohner.
In der darauffolgenden Woche kamen dann aber ein paar Leute zu mir und drucksten etwas verlegen rum, dass sie das Projekt ja schon gerne weiter machen würden, aber ob es denn nicht möglich wäre, ihnen ein paar „Sinistré“ (Lebensmittel) dafür zu geben. „Food for Work“ nennt man das. Ich entgegnete ihnen, dass das Wasser nicht bei mir vor die Haustüre laufen würde. Wieso sollte ich ihnen etwas dafür geben, dass sie ihr eigenes Problem lösen?
Mit hängenden Schultern sind sie dann abgezogen und es passierte lange Zeit nichts mehr. Der Hintergrund des Ganzen ist, dass in Haiti so viele „Food for Work“-Projekte laufen, dass andere Dorfbewohner ihnen gesagt haben: „Ja, seid ihr denn verrückt? Da kommt der „Blanc“ (Weiße) schon einmal hierher und macht Arbeit mit euch, und ihr fragt ihn nicht einmal nach ein paar Lebensmitteln. Wir haben doch alle Hunger!“ Das Schöne an dieser Geschichte war, dass sie es sich nach ein paar Wochen doch noch einmal überlegt und das Projekt zu Ende geführt haben. Das ist aber nicht der Normalfall!
Dieses Beispiel hat mir gezeigt, dass das Überschütten mit Entwicklungshilfeleistungen die Eigeninitiative der Menschen zunichtemachen kann.
Wie kann Entwicklungshilfe verbessert werden?
Das große Problem der staatlichen Entwicklungshilfe ist, dass sie immer über staatliche Kanäle laufen muss und sich dort oft innerhalb korrupter Strukturen bewegt. Es ist schon sehr, sehr schwer, da herauszukommen. Wenn man außerdem Entwicklungshilfe macht mit dem Anspruch, so die Welt zu retten, dann sollte man es lieber gleich sein lassen.
Felix zu Löwenstein bei einem Projekt auf den Philippinen.
Ich glaube, dass die Vermittlung von Fähigkeiten im intelligenten Umgang mit natürlichen Systemen im Vordergrund stehen muss. Wir sind sehr glücklich, dass die bundesdeutsche Entwicklungshilfe (BMZ) nun drei Wissenszentren für ökologischen Landbau in Afrika einrichten wird. Das ist sicher ein sinnvoller Ansatz. Am Ende bleibt jedoch ein großes Stück Eigenverantwortung bei den Ländern und ihrer Bevölkerung. Gerade deswegen finde ich es sehr spannend, was aktuell in Indien passiert. Es scheint, als habe man sich ein Stück weit von dem alten Modell losgesagt und das Heft in die eigene Hand genommen.
Dass Entwicklungshilfe auch ganz anders gehen kann, haben Sie unter anderem in Äthiopien bei einer britisch-kenianischen Kooperation erlebt.
Das war hochinteressant. Das dort angewandte „Push & Pull“-Konzept beschreibe ich ausführlich in meinem Buch Food Crash. Grundsätzlich zeigt die Kooperation eindeutig, dass man viel mehr erreichen kann, wenn man Technologie und Informationstransfer in die Hände der Bauern legt, anstatt ein Top-Down-System mit Experten aus Übersee aufzuziehen. Was ich besonders faszinierend fand, war, dass ich dort Flächen gesehen habe, wo dank des neuen Ansatzes die Probleme in den Griff bekommen wurden und wo just daneben Flächen waren, die total von Unkraut überwuchert waren. Mit anderen Worten: Da haben Bauern die Erfahrung gemacht, dass gewisse Dinge funktionieren, und der Nachbarbauer hat sich nicht etwa gedacht: „Oh, wenn das so ist, dann mache ich das halt auch“, sondern es wurden weiter dieselben Fehler begangen.
Dieses Phänomen kann man eins zu eins nach Europa übertragen. Für mich ist es völlig unverständlich, warum die Leute um mich herum noch nicht auf Ökolandbau umgestellt haben. Es funktioniert nicht nur, sondern es rechnet sich auch. Ich verdiene mehr Geld als sie! Ich erkläre mir das zum einen mit der Angst vor Veränderungen und zum anderen mit ideologischen Vorurteilen.
Ideologie hängt oft damit zusammen, was man in seiner Ausbildung gelernt hat. Ich persönlich habe zum Beispiel in Weihenstephan studiert. Aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass Sie, wenn Sie eine solche Uni verlassen, davon überzeugt sind, ohne Chemie nicht überleben zu können. Sie wähnen sich in einer feindlichen Natur, in der sie nur überleben können, wenn sie von BASF oder Bayer-Monsanto an den Händen geführt werden. Wir stecken da in einem Teufelskreis, in dem sich sowohl die Ausbildenden als auch die Auszubildenden eine Landwirtschaft ohne Chemie nicht mehr vorstellen können.
Also ist eine Grundvoraussetzung für einen Wandel hin zu mehr Öko auch ein Wandel in der Ausbildung?
Ja klar! Schauen wir uns zunächst einmal die Unis an, wo über die Hälfte der Betriebsleiter ausgebildet werden. An praktisch allen Unis ist die Person, die sich um Ökolandbau kümmert, ein Einzelkämpfer. Das ist so einer, den „man halt auch haben muss“. Es gibt nur eine einzige Uni, die nur aus Ökos besteht, nämlich die in Kassel. Die wird deshalb aber auch von allen anderen Unis stark von oben herab betrachtet.
Und wie steht es um die Forschung im Allgemeinen? Nun, Drittmittel aus der Industrie gibt es nur von Firmen, die mit der Landwirtschaft ihr Geld verdienen, also überwiegend Chemiekonzerne. Neun Prozent Ökolandbau in Deutschland bedeutet für die neun Prozent Umsatzeinbruch. Das finden die alles andere als komisch. Dazu kommt, dass für eine wissenschaftliche Karriere die Frage „Was bewirke ich mit meiner Landwirtschaft?“ von sehr viel geringerer Bedeutung ist als die Frage „Welche Peer-reviewed-Journals kann ich mit meinen Artikeln bestücken?“. Dieses Problem beschränkt sich allerdings nicht nur auf unser Fachgebiet. Auch an den Fachschulen, wo die andere Hälfte der Landwirte ausgebildet wird, versuchen wir bis heute vergeblich durchzusetzen, dass Ökolandbau zum Prüfungsfach wird.
Ich meine, jeder, der einmal in der Schule war, weiß, wie relevant ein Fach ist, welches gar nicht geprüft wird.
Was macht Ihnen eigentlich Hoffnung?
Am faszinierendsten finde ich, dass man immer wieder auf einzelne Typen trifft, die einfach unendlich mehr können als andere. Daraus ergibt sich die Aufgabe, die Innovationskraft dieser Pioniere für die gesamte landwirtschaftliche Entwicklung fruchtbar zu machen. Dazu benötigen wir Forschungssysteme, die den einzelnen Landwirten als Mitforschenden ernst nimmt. Das ist leider nur selten der Fall. Heutzutage läuft Forschung meist so ab, dass der Forschende auf den Landwirten zukommt und fragt, ob er dessen Flächen gegen eine Entschädigungsgebühr nutzen darf. Der macht dann da seine Versuche und wenn es gut läuft, erklärt er dem Landwirt noch, was er eigentlich untersucht.
Besser wäre: Auf Augenhöhe miteinander die Probleme analysieren und lösen. Das gilt für uns in Deutschland ebenso wie für die Entwicklungshilfe. Ein Kollege von mir, der in Äthiopien arbeitet, hat das vorgemacht. Er hat dort die sogenannte Best Practice Association (BPA) ins Leben gerufen. Die machen nichts anderes, als zu schauen, wo Bauern sind, die irgendwelche tollen Sachen können, das zu dokumentieren und die Bauern dazu zu animieren, ihr Wissen zu teilen. Das funktioniert!
Kurz und knapp zusammengefasst: Wenn ich das nächste Mal durch den Supermarkt laufe und überlege, für welche Lebensmittel ich mich entscheide. Warum sollte ich zu Bioprodukten greifen?
Weil Bio die einzig gesetzlich definierte und mit einem eigenen Kontrollsystem versehene Form von Landwirtschaft ist, die an vielen Stellen die Probleme, die wir mit der heutigen Landwirtschaft haben, schon gelöst hat.
Vielen Dank für Ihre Zeit!