Die Bauern-Demokratie
Im jahrelangen Kampf gegen Monokulturen und Artenschwund winkt ein wichtiger Sieg, zumindest in Bayern.
Bauern haben es schwer. Die Lebensmittelketten diktieren ihnen niederige Preis, und die Verbraucher profitieren nur allzu gern davon. Aber Bauern und ihre mächtigen Verbände haben sich in letzter Zeit zu oft als Bremsklötze bei jeder geplanten politischen Maßnahme zum Klima-, Umwelt- und Tierschutz positioniert. So als ob sie sich außerhalb des Ökosystems befänden, von dessen Weiterbestehen auch sie als Lebewesen abhängen. Ähnlich Großkonzernen scheinen sie in kleinräumigem, profitorientiertem Denken gefangen zu sein. Das Bienen-Volksbegehren in Bayern war ein Sieg für Naturliebe und gesunden Menschenverstand, der auch gegen den Widerstand von Bauernverbänden erreicht wurde. Um den Arten- und Klimaschutz nachhaltig zu machen, müssen wir Landwirte mit an den runden Tisch holen und ihnen zuhören. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass Insekten, Bienen, Vögel und am Ende das ganze Ökosystem zum „Bauernopfer“ werden in einem gefährlichen Spiel um unser aller Überleben.
„Nicht nur meine Bauern …“ — So drückte Hubert Aiwanger, der Vorsitzende der Freien Wähler, im Bierzelt seine Unterstützung für die bayerischen Bauern aus. Nach der überwältigenden Zustimmung zur Volksinitiative Artenvielfalt befürchten diese, dass sie die Hauptlast der Umsetzung tragen müssen; ihre tägliche Arbeit sehen sie unterbewertet.
Aiwanger versprach, ihre Interessen mit allen Mitteln zu schützen. Klar, er ist gefordert, Wege zu suchen, die nicht nur sein bäuerliches Klientel belasten. Denn tatsächlich enthält der Gesetzentwurf des Volksbegehrens gewaltige Auflagen für die Landwirtschaft. Weniger Düngung, weniger Pestizide, mehr Schutzflächen, mehr Bio und zudem noch eingeschränkte Zeiten fürs Mähen und für die Bodenbearbeitung.
Es ist ein Gesetzentwurf, der ins Detail geht und dessen Erstellung entsprechend viel Arbeit war. Er musste ohne die Unterstützung der Fachleute der Ministerien und ohne Zuarbeit durch die Regierung erstellt werden. Und dann mussten noch Unterschriften gesammelt werden — gegen das Trommelfeuer des Bauernverbandes, einer finanziell gut ausgestatteten Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Trotz der Widerstände war der Erfolg überwältigend: Mehr als 1,7 Millionen Menschen haben die Volksinitiative unterzeichnet — rund 18,4 Prozent der bayerischen Bevölkerung! Damit war der Weg frei für das bayerische Volksbegehren. Denn in Bayern kann auch das Volk eine Gesetzesvorlage zur Abstimmung in den Landtag einbringen, also ein Gesetz „begehren“, wie es etwas altmodisch heißt. Stimmt der Landtag nicht zu, kommt es zum Volksentscheid.
Frühere Beispiele waren das Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren, das der Landtag annahm, oder das zum Rauchverbot, das der Landtag ablehnte und das erst durch den Volksentscheid Gesetz wurde. Anders als in der Schweiz sind in Bayern trotz der hier bestehenden verfassungsrechtlichen Voraussetzungen Volksentscheide selten, denn die Hürden sind hoch und der Arbeitsaufwand für die Organisatoren enorm. Zu leisten ist das eigentlich nur, wenn man eine Partei oder große Organisationen wie den Bund Naturschutz als Unterstützung hat.
Der bayerische Volksentscheid bedeutet viel Arbeit
Diesmal scheint sich der enorme Arbeitsaufwand der Organisatoren zur Erstellung eines überzeugenden Gesetzentwurfs gelohnt zu haben. Im jahrelangen Kampf gegen Monokulturen und Artenschwund winkt ein wichtiger Sieg, zumindest in Bayern. Nach dem Erfolg der Volksinitiative hat Ministerpräsident Markus Söder vier Wochen Zeit, den Gesetzentwurf mit einem Kommentar an den Landtag weiterzureichen. Zur Vorbereitung hat er bekanntlich einen „Runden Tisch“ eingerichtet und seinen langjährigen Parteikollegen und früheren Landtagspräsidenten Alois Glück mit der Moderation beauftragt.
Der Volksentscheid in Bayern ist ein dreistufiges Verfahren: In der ersten Stufe — dem Zulassungsantrag — sind 25.000 Unterschriften nötig. Danach braucht es die Zustimmung von zehn Prozent aller Wahlberechtigten für die sogenannte Volksinitiative und dann erst folgt ein Volksentscheid und damit die Abstimmung über das Gesetz, sofern es der Landtag nicht unverändert annimmt. Zur Stimmabgabe für dieses „Begehren“ musste jeder in seinem Rathaus oder einem kommunalen Wahlraum erscheinen, während der Dienststunden und dies innerhalb von nur zwei Wochen.
Das ist nicht selbstverständlich, denn die Unterstützer müssen sich tagsüber, also während der Arbeitszeit auf den Weg machen. Alle Unterschriften müssen mit Adresse und Alter abgegeben werden, zur Kontrolle von Wohnsitz und Wahlberechtigung durch die Heimatgemeinde. Die Gemeindeämter mussten sich also durch die mehr als 1,7 Millionen Unterschriften durcharbeiten, manuell Unterschrift für Unterschrift prüfen und dann die Gesamtzahl der gültigen Unterschriften melden für das amtliche Endergebnis.
Man sieht, ein Volksentscheid bedeutet viel Arbeit — und diese ist nach dem Zwischenerfolg noch nicht erledigt. Denn rechtlich entspricht die angenommene Volksinitiative einem in den Landtag eingebrachten Gesetzentwurf. Dieser muss sich nun damit auseinandersetzen, muss entweder zustimmen oder einen Gegenentwurf in einem Volksentscheid vorlegen. Der Gegenentwurf muss überzeugender sein als das bisherige Gesetz, wenn er beim Volksentscheid nicht durchfallen will.
Nicht nur auf dem Rücken der Bauern
Der Runde Tisch soll nun die gekränkten Bauern, die Organisatoren und weitere Fachverbände von Landwirtschaft und Naturschutz an einen Tisch bringen und die Gegensätze befrieden. Und dazu ausloten, wie über die Landwirtschaft hinaus Kommunen und Allgemeinheit zum Artenschutz beitragen können. Letzte Woche nun tagte der Runde Tisch zum zweiten Mal, und die Einrichtung von vier Arbeitsgruppen deutet schon den Trend an. Denn die Gruppe „offene Landschaft“ — also die klassische Landwirtschaft — wird ergänzt durch Fachgruppen für Wald, Gewässer und kommunale sowie urbane Räume.
Auch der Bauernverband gibt sich nun versöhnlicher — wenn auch in aussichtsloser Position — und legt Wert darauf, dass aus dem Artenschutz eine allgemeine Aufgabe wird. Wobei diesem ziemlich radikalen Verband sowieso nur zwei Drittel der Bauern angehören, während die moderateren sich inzwischen anderen Vereinigungen angeschlossen haben.
Den Gesetzesvorschlag zu erweitern, lautet also letztlich die Aufgabe für den Landtag. Denn ein reduzierter Gegenvorschlag dürfte in einem Volksentscheid nur geringe Chancen haben. Zu sehr ist die Bevölkerung über den Artenschwund beunruhigt. Das ist die dritte Stufe, die Erarbeitung eines Gegenentwurfs, es sei denn, der Landtag akzeptiert die Gesetzesvorlage so wie erarbeitet — aber das ist unwahrscheinlich.
Wie erwähnt, hat das Gesetz zahlreiche Erschwernisse für die bayerischen Bauern. Und das sind nicht nur Wähler, sie sind auch ein wichtiger Faktor des Lebens in Bayern, insbesondere im ländlichen Raum — und sie sind entscheidend für den Erhalt der typischen bayerischen Landschaft. Denn deren Verödung mangels Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb will niemand.
Eigentlich müsste es ja ein europaweites Gesetz geben, oder wenigstens ein deutschlandweites. Aber da gibt es die Möglichkeit zum Volksentscheid nicht — noch nicht zumindest. Er wird seit vielen Jahren gefordert und seine Prüfung für die deutsche Gesetzgebung steht auch im aktuellen Koalitionsvertrag. Und gerade deshalb ist der Vorgang in Bayern so interessant und mit Signalwirkung für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Expertengruppe zum bundesweiten Volksentscheid.
Es bleibt also spannend, wie es in Bayern ausgeht. Und es bleibt spannend, ob Volksinitiative und Volksentscheide geeignet sind, Gruppeninteressen zurückzudrängen, gegen die sich die Politik nicht durchsetzen kann. Dieses Thema wird vertieft in meinem neuen Buch: „Zähmt die Wirtschaft“ behandelt. Es entwirft ein neues Modell einer ökosozialen Marktwirtschaft und plädiert für eine Beteiligungsdemokratie, die den Bürgern mehr Mitsprache bietet. Denn wir Bürger müssen uns mehr einmischen — es geht um unser aller Zukunft!