Die Bargeldretter

Eine Graswurzelbewegung kleiner Einzelhändler hat das Potenzial, Bargeld als Zahlungsmittel für die Zukunft zu bewahren.

Bargeld ist gebührenfrei, privatsphärefreundlich und immer einsatzbereit. In der württembergischen Universitätsstadt Tübingen haben sich Ladenbetreiber und Selbstständige zusammengetan, damit das einzige freie etablierte Zahlungsmittel auch in Zukunft überall zum Einkaufen genutzt werden kann. Das Beispiel soll in ganz Deutschland Schule machen.

Bruno Gebhart hat das Kartenlesegerät abgeschafft. Schon vor fünf Jahren. In der Tübinger Altstadt verkauft er fair gehandelte Lebensmittel, Kerzen oder Postkarten. Dass Konzerne wie Mastercard und Visa „Milliarden Reingewinne machen“, ärgert Gebhart. Kreditkarten hatte er noch nie akzeptiert. Das Geschäft der beiden US-Unternehmen ist tatsächlich eines der profitabelsten der Welt: Der Gewinn entspricht rund 50 Prozent des Umsatzes.

Bruno Gebhart arbeitet dagegen mit einer winzigen Handelsspanne: zwischen 5 und 15 Prozent bei fair gehandelten Waren. Was 1 Euro im Großhandel kostet, steht theoretisch für 1,10 Euro im Regal. Umso geringer war Gebharts Bereitschaft, „50 oder 60 Euro“ Monatsmiete für ein Kartenbezahlterminal aufzubringen und jedes Mal, wenn ein Kunde bargeldlos bezahlt, „10 oder 15 Cent“ an die Finanzbranche abzugeben.

Einige Male machte Gebhart Verluste, als Bankkonten von Kunden nicht gedeckt waren. Das Kartenlesegerät habe das nicht erkennen können. In einem Fall sei es um 150 Euro gegangen. Die Bank konnte ihm aus Datenschutzgründen nicht einmal einen Namen nennen.

„Da hatte ich Glück“, sagt Gebhart. Der Kunde habe ihn zwei Wochen später angerufen und sich entschuldigt. Den offenen Betrag sandte er per Banküberweisung inklusive der Strafgebühren, die Gebhart wegen der Rückbuchung zu tragen hatte.

Die Bankomaten von Sparkasse und Volksbank stehen nur wenige Meter von Gebharts Laden entfernt. Ein Privileg – denn außerhalb der Altstadt sei der Zugang zu Bargeld bereits schlechter geworden. Die Kunden „entschuldigen sich manchmal, dass sie kein Bargeld haben, und gehen dann zum Automaten“. Die Bereitschaft, den Weg auf sich zu nehmen, sei da. Wenn Kunden fragen, weshalb man nur mit Bargeld bezahlen kann, überreicht Gebhart seit dem Jahr 2024 einen Flyer. Und er ist nicht der Einzige, der aufklärt. Ob ein Fahrradladen, ein Teehaus oder ein Schmuckgeschäft – die Einzelhändler in der Altstadt tun sich zusammen. Ihr Slogan: „Tübingen zahlt bar.“

Offene Türen eingerannt

Im Sommer 2023 klapperte Conrad Heckmann die Läden ab. Der Heilpraktiker und Übersetzer aus Tübingen warb für einen Vortrag von Hansjörg Stützle. Thema: die Verdrängung des Bargelds. In 30 bis 40 Läden hing später ein Veranstaltungsplakat. Und so entstand die lokale Einzelhandels-Initiative. „Man merkt, man stößt auf eine Bedarfslage“, sagt Heckmann. In 80 Prozent der Läden sei das Anliegen positiv aufgenommen worden. „Das ist wirklich einmalig.“

Als Erstes musste etwas zum Weiterreichen her. Es durfte kein „politisch aufgeladener Flyer“ sein. Da würden viele Einzelhändler nur „kalte Füße kriegen“, so Heckmann. Ein drohender Überwachungsstaat, in dem jede Zahlung in Echtzeit protokolliert und ausgewertet wird? Auf solche Bilder wurde bewusst verzichtet. Der Flyer streift nur am Rande die Gefahr einer ungesunden Machtfülle, wenn es heißt, dass auch Edward Snowden auf Bargeld zählt. Der Text thematisiert vielmehr den kulturellen Verlust einer weitgehend bargeldlosen Welt oder auch die Gebührenlast des Händlers für Kartenzahlungen, die letztlich der Kunde trägt, weil Kosten in die Ware eingepreist werden müssen.

Eine große Vision

Der Erhalt der Barzahlung für die Zukunft sei ein „sehr konsensfähiges Thema“, findet Heckmann und hofft auf Initiativen in anderen Städten. Die könnten sich die Vorarbeit der Tübinger auch zunutze machen. Im Prinzip müsste nur die Silhouette der Tübinger Altstadt auf dem Faltflyer ausgetauscht werden, schon hätte Berlin einen Flyer mit dem Brandenburger Tor oder Stuttgart eine Handreichung mit dem Fernsehturm im Hintergrund. Interessierte erreichen die Tübinger unter der E-Mail-Adresse info@Tuebingen-zahlt-bar.de.

Neue Projekte stehen schon im Raum: Conrad Heckmann spricht über einen Einkaufsführer mit bargeldfreundlichen Geschäften und über eine Webseite mit Hintergrundinformationen. Eine Hürde, „wo die Initiative scheitern kann“, sehe er aber noch in der „Kommunikation zwischen Ladeninhabern und Kunden“. Wenn „die Ladenbetreiber zu zurückhaltend sind und nur Flyer auslegen“, dann bleibe es dabei, „dass die meisten Käufer weiterhin zur bequemsten Zahlungsweise mit Karte und Handy greifen“.

Tipps für gutes Gelingen

Die Einzelhändler von „Tübingen zahlt bar“ vereint ihr gemeinsames Engagement für eine Zukunft mit Bargeld – trotz unterschiedlicher politischer Ansichten. Wie geht man damit um, wenn auf einem gemeinsamen Treffen ein politischer Nebenkriegsschauplatz aufpoppt? Conrad Heckmann: „Dann sage ich einfach, dass es unsere große Stärke ist, so eine breite Unterstützung zu haben.“ Ein Minimalkonsens sei völlig ausreichend, findet der Tübinger. Es schwäche nur die Initiative, sich in weitere Themen hineinzusteigern.

Und wie tritt Heckmann an Ladenbetreiber heran? „Sie haben vielleicht schon von der Bargeldinitiative in Tübingen gehört“, beginnt der selbstständige Unternehmer das Gespräch und fährt mit dem Leiden fort, das die Ladner miteinander vereint: der Gebührendruck.

Und wenn das Bargeld nach und nach verschwindet, würde der Druck „unweigerlich steigen, weil die Konkurrenz durch Bargeld fehlt“. Je größer also die Abhängigkeit von den Bezahldiensten, desto mehr kann die Finanzbranche verlangen.

Mit Bargeld gehe auch ein jahrtausendealtes Symbol verloren. „Etwas, das von Geldbeutel zu Geldbeutel wandert.“ Ein Symbol, das darauf hinweist, dass Leben nur durch Austausch funktioniert, dass man aufeinander angewiesen ist. „Menschen werden immer mehr zu Inseln, die miteinander immer weniger zu tun haben und von einer anonymen Autorität abhängig sind“, sagt Heckmann. Und währenddessen stellt er den Ladenbetreibern den Flyer vor, ein „freundlich zurückhaltendes Werbematerial für den Kunden“.

Auch in der Kommunalpolitik lässt sich etwas bewirken. Der Gemeinderat Bruno Gebhart setzte sich mit seinen Kollegen erfolgreich dafür ein, dass Barzahler beim Parken weiterhin denselben Preis bezahlen wie Handyzahler. Oberbürgermeister Boris Palmer hatte sich 2023 dafür eingesetzt, dass Smartphone-Nutzer Rabatt erhalten. Bei EC-Karten-Zahlung oder Münzgeldeinwurf wäre dagegen der normale Satz zu bezahlen gewesen. Derweil freut sich Bruno Gebhart, dass in seinem Laden etliche Kunden einen Flyer mitnehmen und sogar nachfragen, wie man für den Erhalt der Barzahlung aktiv werden kann.


Redaktionellen Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Plattform Bargeldverbot.info.