Die Aushöhlung der Demokratie
Unter dem Einfluss des Wirtschaftslobbyismus handeln immer mehr Politiker als Erfüllungsgehilfen der Industrie. Exklusivabdruck aus „Demokratie versus Parteienherrschaft“.
„Dem deutschen Volke“ lautet die Inschrift auf der Fassade des Reichstags. Angesichts des enormen Lobbyeinflusses, dem gerade der Bundestag ausgesetzt ist, wird dieser Slogan jedoch zur Farce. Denn unter der Glaskuppel werden Entscheidungen immer seltener zum Wohle der Bevölkerung und immer häufiger zum Wohle der Konzern-Bilanzen gefällt. Lobbystrukturen wuchern wie Efeu an den griechischen Säulen des Reichstags empor. Der Geldschein der Vermögenden hat einen signifikant höheren Einfluss auf politische Entscheidungen als der Wahlschein des Bürgers. Welches Ausmaß dieser Angriff auf die Demokratie mittlerweile angenommen hat, bezeugen zahlreiche, teils sehr bizarre Beispiele von Lobbyismus sowie der sogenannte Drehtüreffekt zwischen Politik und Wirtschaft. Ein Exklusivauszug aus „Demokratie versus Parteienherrschaft“.
Lobbyismus bezeichnet die zielgerichtete Einflussnahme auf Akteure des politischen Entscheidungsprozesses durch diverse Methoden, unter der Prämisse, die Anliegen von Interessensgruppen möglichst umfassend bei politischen Entscheidungen durchzusetzen. Dabei wird Lobbyismus von Personen betrieben, die persönlich am Entscheidungsprozess nicht beteiligt sind, jedoch mittels einer in öffentlichen Auftritten eingebetteten Strategie die Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern pflegen.
Aktuell findet Lobbyismus vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Ungleichheiten und verfestigter Machtstrukturen statt. Diese spiegeln sich im Feld des Lobbyings wider und sorgen für ungleiche Ausgangsbedingungen. Da politische Gegenkräfte oder institutionelle Schranken fehlen, begünstigt diese ungleiche Verteilung der Ressourcen große einflussreiche Akteure des Kapitals sowie anderer Verbände und gefährdet damit einen demokratischen, am Gemeinwohl orientierten Interessenausgleich.
Das pluralistische Ideal einer ausgewogenen und gleichberechtigten Interessenvertretung, bei der sich das beste Argument durchsetzt, ist eine Illusion.
Politische Entscheidungen entsprechen häufig den Meinungen Vermögender. Die wachsende Lobbyübermacht der Unternehmen und Wirtschaftsverbände droht unerlässliche Staatsaufgaben, wie ökologische und soziale Belange an den Rand zu drängen. Zum Beispiel ist die jahrelange Nichtbeachtung der Abgasnormen für Dieselfahrzeuge und die mangelnde Aufklärung dieses Skandals ist dem großen Einfluss der Autolobby zuzuschreiben. Die Kosten für Gesundheit und Umwelt trägt jedoch die gesamte Gesellschaft. Auch Machtgefälle innerhalb und zwischen einzelnen Wirtschaftsbranchen führen zu unausgewogenen Entscheidungen.
Mit dem Regierungsumzug nach Berlin und der vertieften europäischen Integration hat sich die Landschaft der Lobbyakteure weiterentwickelt. Die klassischen Verbände verlieren immer mehr an Bedeutung. Bekannt ist, dass stattdessen viele große Unternehmen eigene Lobbybüros in Berlin unterhalten, um direkten Einfluss zu nehmen. Viele spezialisierte und hochprofessionelle Lobbydienstleister verkaufen ihre Leistung an zahlungskräftige Kunden. Und neben Lobbyagenturen mischen auch Anwaltskanzleien, Beratungsunternehmen und intransparent finanzierte Denkfabriken und Stiftungen im politischen Geschäft mit.
LobbyControl berichtet, dass an privaten Hochschulen Lobbyist/innen und solche, die es werden wollen, das Handwerkszeug moderner Lobbyarbeit vermittelt bekommen:
„… Im Ergebnis ist Lobbyarbeit aufwendiger, teurer und undurchsichtiger geworden — dies begünstigt finanzstarke Akteure und erschwert politische Abwägungsprozesse. Angesichts vielfältiger und kleinteiliger Versuche der Einflussnahme müssten die demokratischen Institutionen auf Distanz achten und für ausreichende eigene Kapazitäten zur Abwägung unterschiedlicher Argumente und Interessen sorgen. In der Tendenz erleben wir aber das genaue Gegenteil.
Staat und Parteien binden private Akteure und Lobbyist/innen immer enger in Entscheidungsprozesse ein. Wenn politische Entscheidungen in Expertengremien und Kommissionen ausgelagert oder Gesetzestexte gleich vollständig von Anwaltsfirmen geschrieben werden, untergräbt der Staat seine Verantwortung für einen fairen und transparenten Interessenausgleich“ (39).
Diese Entwicklungen sind einerseits Ausdruck grundlegender Machtverschiebungen zwischen Markt und Staat, deren strukturelle Ursachen in einer marktorientierten Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung liege und andererseits entsprechen sie einem Staatsverständnis großer Kapitaleigner, nach dem Politik als Management betrieben wird und der Staat eher eine moderierende denn eine gestaltende Rolle hat. LobbyControl meint, dass die Triebkräfte dieses Staatsverständnisses wiederum diejenigen seien, die vom Politikoutsourcing profitieren und das zunehmende finanzielle und personelle Verflechtungen die Unabhängigkeit demokratischer Institutionen und die Ausgewogenheit politischer Entscheidungen gefährden würden:
„Seitenwechsel ehemaliger Regierungsmitglieder, lukrative Nebentätigkeiten von Abgeordneten, externe Mitarbeiter/innen in Ministerien oder das Auslagern von Gesetzesformulierungen an private Anwaltskanzleien können zu Interessenkonflikten (…) führen und privilegierte Zugänge für Einzelne schaffen. Politische Entscheidungen werden dann mit einem Seitenblick auf andere Arbeitgeber, Kunden oder Geldgeber getroffen“ (39).
Lobbyismus ist in Deutschland fast vollständig intransparent. Es gibt keine gesetzlichen Offenlegungspflichten, denen sich Lobbyisten unterwerfen müssen. Fehlende Transparenzregeln lassen privilegierte Zugänge und Einflussnahme der Akteure aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten. Durch fehlende Transparenz schwindet der Raum für Kritik und Protest und verschafft vor allem denen Vorteile, die über informelle Wege — wie etwa gute Kontakte — einen Informationsvorsprung erlangen können. Außerdem ermöglicht Intransparenz unlautere Methoden, wie zum Beispiel die Einrichtung von Tarnorganisationen oder vorgetäuschte Bürgerproteste.
Finanzielle Verflechtungen, fliegende Seitenwechsel und intransparente Entscheidungen mit der Vermutung nach einseitiger Einflussnahme — in der Öffentlichkeit wird die zu große Nähe zwischen Politiker/innen und Lobbyist/innen sehr negativ bewertet. Das interessiert unsere Volksvertreter aber scheinbar nicht, denn die Bereitschaft für grundlegende Veränderungen seitens der Parteien, in denen unsere Abgeordneten organisiert sind, ist mehr als gering.
Sich mit konkreten Schritten für mehr Demokratie und Transparenz zu beschäftigen, ist den Damen und Herren unbequem und schadet ihren Machtinteressen. Dadurch unterbleibt eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem heutigen Lobbyismus, seinen Methoden und den zugrunde liegenden Machtverschiebungen. Der privilegierte Zugang zur Politik von Konzernmacht und Reichtum untergräbt jedoch das demokratische Gleichheitsprinzip und muss umgehend verboten werden.
Die folgenden, der Öffentlichkeit bekannten Beispiele verdeutlichen die Verstrickung, der in den Parlamenten ungehindert ein- und ausgehenden Interessenvertreter jeder Couleur mit den Abgeordneten:
Arzneimittel-Importe: Altmaier beugt sich Lobbydruck aus Wahlkreis
Im August 2019 berichteten nach Recherchen die SZ, der WDR und der NDR, aber auch LobbyControl, dass Wirtschaftsminister Peter Altmaier sich offenbar dem Lobbydruck eines Pharmakonzerns aus seinem Wahlkreis gebeugt hat. Konkret ging es um die staatlich vorgeschriebene Förderquote für den Import von Arzneimitteln. Diese wird schon seit Jahren von vielen Seiten kritisiert, da sie die Arzneimittelsicherheit gefährde und fragwürdigem Medikamentenhandel Vorschub leiste. Die Bundesregierung nahm dies zum Anlass, die Quote zu streichen, und formulierte eine entsprechende Passage in einem Gesetzesentwurf. Doch Altmaier kassierte die geplante Neuregelung ein, nachdem der saarländische Arzneimittelimporteur kohlpharma sich bei ihm gemeldet hatte.
Die Arzneimittel-Importquote stand schon kurz vor dem Aus, die geplante Streichung war innerhalb des zuständigen Gesundheitsministeriums abgestimmt, auch die Fachreferenten aus dem Wirtschaftsministerium hatten schon ihre Zustimmung signalisiert. Doch praktisch in letzter Minute stoppte Wirtschaftsminister Altmaier persönlich das Gesetzgebungsverfahren. Der offenbare Grund: Dem größten deutschen Arzneimittel-Importeur mit Sitz in Altmaiers saarländischem Wahlkreis hätte das Quoten-Aus große Umsatzeinbußen gebracht.
Das Rechercheteam von SZ, WDR und NDR gelangte über das Informationsfreiheitsgesetz an interne Unterlagen und E-Mail-Wechsel aus dem Wirtschaftsministerium und konnte so belegen, dass ein Anruf und Gespräch bei Altmaier ausreichten, um den Passus wieder zu streichen. Am Ende stimmten Bundesrat und Bundestag einem Gesetzespaket zu, dass die Importquote von Arzneimitteln weiterhin zulässt. Die kohlpharma GmbH konnte also ihre guten Kontakte zum Wirtschaftsminister nutzen, um die eigenen wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.
Andreas Scheuer — Minister der Autolobby
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat im Jahr 2018 15 Lobbytermine mit Autokonzernen wahrgenommen, aber keinen einzigen mit einer Umweltorganisation. Das geht aus einer Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Anfrage der Grünenfraktion hervor, über die zuerst der Spiegel berichtet hatte.
„Andreas Scheuer ist der Minister der Autolobby“, kommentierte der anfragende Grünenabgeordnete Sven-Christian Kindler die Antwort des Ministeriums. Das hat Folgen: „Die Automobilindustrie kann lügen und betrügen, ohne dass es Konsequenzen hat. Die Gesundheit der Menschen und der Klimaschutz bleiben auf der Strecke“, sagte Kindler.
Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland sprach sich Scheuer gegen die Vorgaben in dem Klimaschutzgesetz aus, das Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) plante. Er bezeichnete sie als Ökoplanwirtschaft.
Minister Scheuers Auftreten in der sogenannten Dieselaffäre, sein Kommentar zur Initiative der Grünen, im Bundestag über Tempo 130 auf deutschen Autobahnen abstimmen zu lassen (Scheuer: „Ist gegen jeden Menschenverstand.“) sowie sein Verhalten im Maut- Desaster zeigen deutlich und nachvollziehbar die Verstrickung eines Politikers mit den Interessen der Wirtschaft. Davon, dass Parlamentarier und Regierungsvertreter Entscheidungen zu treffen haben, die dem Gemeinwohl dienen sollen, hat Scheuer scheinbar noch nie etwas gehört.
Der Bundesrechnungshof fällt in einem neuen Gutachten ein vernichtendes Urteil zu Scheuers Maut-Desaster und kritisiert die gescheiterte Pkw-Maut von Verkehrsminister Andreas Scheuer scharf. Sein Ministerium habe gegen Vergabe- und Haushaltsrecht verstoßen. Die Verhandlungen seien unzulässig gewesen, der Bundestag sei übergangen worden.
Scheuer steht unter Druck, weil er die Verträge zur Erhebung und Kontrolle der Maut mit den Betreibern Kapsch und CTS Eventim schon 2018 geschlossen hatte, bevor endgültige Rechtssicherheit bestand. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Pkw-Maut Mitte Juni für rechtswidrig erklärte, kündigte das Verkehrsministerium die Verträge direkt nach dem Urteil. Daraus sind Forderungen der Firmen in Millionenhöhe zu erwarten, Schätzungen gehen von ungefähr 300 Millionen Euro aus. Hinzu kommen weitere 50 Millionen Euro, die seit 2014 für das Maut-Projekt ausgegeben wurden, sowie der Ausfall von bereits einkalkulierten Mauteinnahmen von 350 bis 500 Millionen Euro.
Außerdem wurde bekannt, dass Scheuer zur Aufarbeitung der eigenen Maut-Affäre bislang ungefähr 611.000 Euro ausgegeben hat (40). Das geht aus der Antwort auf eine Berichtsbitte des Grünen-Abgeordneten Sven-Christian Kindler hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Demnach wurden für die sogenannte Task Force nach derzeit vorliegenden Stundennachweisen rund 2.600 Stunden für rechtliche und wirtschaftliche Beratung zu einem durchschnittlichen Stundensatz von 235 Euro erbracht. Die Task Force war im Juni 2019 gegründet worden.
Es ist unfassbar, dass ein Minister mit diesem Fehlverhalten noch im Amt ist und eine Anzeige wegen arglistiger Täuschung des Bundestages und Verschwendung von Steuergeldern bisher unterblieb.
Die Opposition forderte zurecht den sofortigen Rücktritt Scheuers.
Drehtüreffekt
Der sogenannte Drehtüreffekt bezeichnet einen Seitenwechsel von der Politik zur Wirtschaft oder umgekehrt. Hier einige der bekanntesten Beispiele:
- Eckart von Klaeden, Wechsel in den Job des Daimler-Cheflobbyisten Ende 2013. Der 48-Jährige gehörte vor seinem Wechsel in die Wirtschaft zum engsten Mitarbeiterkreis um Bundeskanzlerin Angela Merkel: Er war Staatsminister im Kanzleramt und hatte sich als solcher auch in den Streit mit der EU über Abgasnormen für Autos eingeschaltet, die für Daimler eine große Rolle spielen.
- Gerhard Schröder übernahm kurz nach seinem Abschied aus dem Kanzleramt 2005 den Aufsichtsratsvorsitz bei der vom russischen Konzern Gazprom dominierten Ostsee-Pipeline Nord Stream. Damit handelte sich der SPD-Politiker parteiübergreifend Kritik ein, weil er als Bundeskanzler das Geschäft gemeinsam mit dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin politisch in die Wege geleitet hatte.
- Ronald Pofalla warf Altkanzler Schröder damals fehlenden Anstand vor. 2013 zog wiederum Ronald Pofalla die öffentliche Erregung auf sich. Nach der Wahl fiel er nach Angela Merkels Personalrochade aus seinem Job als Chef des Kanzleramtes und wurde Cheflobbyist beim Staatskonzern Deutsche Bahn.
- Matthias Wissmann, von 1993 bis 1998 Bundesverkehrsminister, wechselt im Juni 2007 an die Spitze des Verbandes für Automobilindustrie. Sein CDU-Bundestagsmandat legt er einen Monat vor dem Seitenwechsel nieder.
Das perfideste Beispiel des Drehtüreffekts ist aber Friedrich Merz. Seine Ambitionen, in der CDU eine maßgebliche Rolle zu spielen, könnten zum wohl größten anzunehmenden politischen Unfall führen, der Deutschland passieren könnte. Wir befürworten die Meinung von Jens Berger (Redakteur der NachDenkSeiten), dass Merz das personifizierte Trojanische Pferd der Wall Street und der transatlantischen Netzwerke sei — eine politische Bordsteinschwalbe, die ihre Haut stets an den Meistbietenden verkauft. Er ist der Deutschland-Repräsentant von BlackRock und Vorstandsvorsitzende der Atlantik-Brücke und hätte schon immer die Interessen der Bürger für einen Judaslohn verschachert, so Berger.
Friedrich Merz sei schon immer Lobbyist gewesen. Bevor er 1989 Berufspolitiker wurde, war er bereits Lobbyist des Verbands der chemischen Industrie. Zahlreiche andere Geldgeber folgten und spätestens seit seiner Niederlage beim Duell um den Fraktionsvorsitz gegen Angela Merkel im Jahre 2002 brachen bei Friedrich Merz sämtliche Dämme. Merz war lange Politiker, ob er aber jemals hauptberuflich oder doch eher nebenberuflich in Partei und Bundestag tätig war, bleibt fraglich.
Wir wollen uns näher mit der Vita des Friedrich Merz befassen, weil Lobbyismus sowie der sogenannte Drehtüreffekt und seine Folgen am Beispiel seines Wirkens sehr gut darstellbar sind.
Merz war von 2005 bis 2014 (bis 2009 noch neben dem Bundestagsmandat) als Partner der internationalen Anwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP tätig — ein Schwergewicht der Branche mit einem Jahresumsatz in Milliardenhöhe, das übrigens zu den 20 größten Anwaltskanzleien der Welt gehört und vor allem Wall-Street-Firmen vertritt. Darüber berichtet Jens Berger in einem Artikel der NachDenkSeiten:
„Als Repräsentant dieser Kanzlei wurde Merz 2010 als Anwalt vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) beauftragt, einen Käufer für die marode WestLB zu finden, nachdem die Kanzlei Mayer Brown bereits die Auslagerung der Ramschpapiere dieser Bank im Werte von 77 Milliarden Euro in eine mit Steuergeldern finanzierte Bad Bank gemanagt hatte. Für Merz und Mayer Brown hat sich dieser Deal zweifelsohne gelohnt: Friedrich Merz, der in seinen politischen Reden stets darauf hinweist, dass der Staat kein Selbstbedienungsladen sei, bekam für seine Dienste ein Honorar in Höhe von 5.000 Euro — nicht pro Monat, sondern pro Tag!
Indirekt bezahlt wurde dieses ‚Traumhonorar‘ übrigens von all den Krankenschwestern, Paketboten und Handwerkern, sprich dem Steuerzahler. Sein Engagement war übrigens durchaus ein Erfolg; nur halt nicht für den Steuerzahler, sondern für das Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt, das bei der Übernahme der WestLB-Aktiva zum Zuge kam. Als Dank dafür durfte Merz den sicher gut dotierten Vorsitz des Verwaltungsrats von HSBC übernehmen, den er heute noch bekleidet. Den Steuerzahler kostete die Zerschlagung der WestLB hingegen 18 Milliarden Euro. Gemäß dem Sprichwort, nach dem das Geld nie weg, sondern jetzt nur, wo anders ist, fragt man sich ja immer, wer die Profiteure dieser Milliardenpleite waren: Friedrich Merz ist einer davon.
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, an dieser Stelle sämtliche 'nebenberuflichen' Tätigkeiten von Friedrich Merz aufzuzählen. Vor allem die Finanzbranche scheint in Merz einen willfährigen Vertreter ihrer Interessen gefunden zu haben.
Der politisch-lobbyistische Tausendsassa saß und sitzt unter anderem in den Gremien der AXA Konzern AG, der DBV-Winterthur Holding AG, der Deutschen Börse AG, der Ernst & Young AG, der Rockwoll Beteiligungs GmbH, der WEPA Industrieholding SE, der Commerzbank AG und der HSBC Trinkaus. Sein größter Karriereschritt war jedoch sicherlich die Ernennung zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates beim deutschen Ableger des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock“ (41).
BlackRock ist der größte Vermögensverwalter der Welt mit einem Anlageportfolio in Höhe von fast fünf Billionen Euro. BlackRock ist nicht nur bei fast allen Dax-Konzernen der größte Einzelaktionär, sondern auch der größte Aktionär von Google, Apple, Microsoft, ExxonMobil, Chevron, Nestlé und vielen anderen Großkonzernen, deren Interessen alles andere als gemeinnützig sind.
Die Vorstellung, dass der oberste Deutschland-Repräsentant und ‑Lobbyist dieses Unternehmens, das sich wie wohl kaum ein anderes gegen die Interessen der Allgemeinheit und für die Interessen der Großfinanz einsetzt, künftig in Partei und Politik eine dominierende Rolle spielen soll, ist geradezu grotesk. Dass einige Medien sich dabei mit dem Argument, er habe Sachverstand, hinter ihn stellen, mutet befremdlich an.
Eines kann man Merz nicht vorwerfen: dass er aus seinen marktliberalen Überzeugungen einen Hehl macht. Er ist Gründungsmitglied der neoliberalen Denkfabrik Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und sitzt in den Gremien des neoliberalen Netzwerkes Stiftung Marktwirtschaft. Merz muss nicht von wirtschaftsliberalen Lobbyisten überzeugt werden, er ist selbst einer. Merz war stets ein Anhänger von Privatisierungen, Deregulierungen und Kürzungen im Bereich der Sozialpolitik.
Es gibt wohl keinen Politiker in Deutschland, der Merz in Sachen Neoliberalismus das Wasser reichen könnte. Seine zweite Kerneigenschaft ist die bedingungslose transatlantische Ausrichtung. Er sitzt in den Gremien des Council on Public Policy, des Aspen-Instituts, war seit 2009 bis 2019 Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke und Mitglied der deutschen Sektion der Trilateralen Kommission. Auch hier ist Friedrich Merz wohl einer der exponiertesten Politiker Deutschlands, der nicht nur die finanziellen, sondern auch die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der USA ohne Vorbehalt über die Interessen der eigenen Bürger stellt.
Die Rückkehr eines Friedrich Merz wäre für Deutschland nicht nur eine politische Katastrophe, sondern vor allem ein Armutszeugnis unserer Demokratie.
In diesem Zusammenhang müssen wir uns der Fragen nach der Sinnhaftigkeit demokratischer Ordnung stellen:
Was stimmt mit dieser Gesellschaftsordnung nicht, in der
- ein Mensch wie Friedrich Merz, vom Souverän weder gefragt noch bestimmt, sich zum Hoffnungsträger für Partei und Staat hochstilisiert und dabei von weiten Teilen der Medien unterstützt wird?
- wir es zulassen, dass Abgeordnete, wie zuvor beschrieben, sich verselbstständigt haben und sich zudem den Vorgaben ihrer Parteien unterwerfen, anstatt den Menschen in ihrem Wahlkreis gemeinwohlorientiert zu dienen?
- die Bevölkerungen in fast allen westlichen Demokratien scheinbar ohnmächtig dem toxischen Treiben politischer und wirtschaftlicher Eliten ausgesetzt sind?
Besonders das Beispiel des Ausnahmelobbyisten Friedrich Merz kennzeichnet ein demokratieschädliches Verhalten, das nicht nur das Vertrauen in die Politik schwer beschädigt, sondern Demokratie durch wirtschaftliche Vasallen quasi abschafft. Es ist ein klarer Beleg dafür, wie notwendig eine radikale Veränderung im Gesetzgebungsprozess ist.
Die „Gemeinschaft für Frieden und Gerechtigkeit“ (GFG) ist eine Vereinigung politisch und gesellschaftlich engagierter Menschen mit verschiedenen beruflichen Hintergründen. Sie bündelt unterschiedliche Kompetenzen, Erfahrungen und Erkenntnisse, um aktuelle gesellschaftlich-politische Fragen zu erörtern und Alternativen für die Zukunft aufzuzeigen.
Quellen und Anmerkungen:
Auszug aus dem Buch der Gemeinschaft für Frieden und Gerechtigkeit „Demokratie versus Parteienherrschaft. Wege und Entscheidung zu einer wahren Demokratie“, tredition, 2019, Seite 108 bis 119.
Das Buch ist hier auch als e-book erhältlich.
Alle Angaben zu Quellen und weiterführenden Informationen finden sich auf den Seiten.