Die Arroganz der Täter
Die USA versuchen mit Drohungen zu verhindern, dass der Internationale Strafgerichtshof ihre Verbrechen aufdeckt.
Die USA wehren sich mit Zähnen und Klauen — also wie gewohnt mit Drohungen und Erpressung — gegen die vom Internationalen Strafgerichtshof initiierte Untersuchung von Menschenrechtsverstößen in Afghanistan. Diese Drohungen beginnen aber, ins Leere zu laufen — Länder und Institutionen sind nicht länger bereit, sich dem Diktat der USA zu unterwerfen. Ein Hoffnungsschimmer?
von André Vltchek
Die USA zum Internationalen Strafgerichtshof: „Wir werden Euch die Beine brechen!“ — Naja, nicht genau so, aber irgendwie eben doch. Jetzt endlich haben sie „die Samthandschuhe ausgezogen“. Die USA drohen ganz offen dem traditionell ängstlichen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und seinen Richtern. Und ganz unerwartet schlägt der IStGH zurück. Er weigert sich, den Mund zu halten, sich niederzuwerfen, um Gnade zu betteln.
Plötzlich können nicht einmal mehr die westlichen Massenmedien die aggressiven, mafiösen Ausbrüche der US-Regierungsvertreter verbergen. Am 15. März berichtete Reuters:
„Die USA werden allen Mitarbeitern des IStGH, die mögliche von den USA oder seinen Verbündeten in Afghanistan begangene Kriegsverbrechen untersuchen, die Visa entziehen oder verweigern“, sagte Außenminister Mike Pompeo am Freitag (hier ist der 15. März gemeint; Anmerkung der Übersetzerin).
Der Gerichtshof mit Sitz in Den Haag erwiderte, er sei eine unabhängige und unparteiische Institution und werde seine Arbeit fortführen und sich durch Washingtons Aktionen „nicht abschrecken“ lassen. Die Trump-Administration hatte im September [2018] damit gedroht, Richtern und Staatsanwälten des IStGH die Einreise in die USA zu verweigern und Gelder des IStGH in den USA zu sanktionieren, sollte dieser eine Untersuchung der Kriegsverbrechen in Afghanistan beginnen.
Mit Pompeos Erklärung machte Washington am Freitag nun den ersten Schritt. „Ich kündige eine Politik der US-Visa-Beschränkungen für jene Individuen an, die direkt für IStGH-Ermittlungen zu US-Personal verantwortlich sind“, sagte Pompeo auf einer Pressekonferenz in Washington. „Diese Visa-Einschränkungen werden möglicherweise auch eingesetzt, um den IStGH davon abzuhalten, verbündete Mitarbeiter, einschließlich Israelis, ohne die Einwilligung der Bündnispartner zu verfolgen.“
„Sonst setzt‘s was!“
Und so weiter … Mike Pompeos arroganter Gesichtsausdruck erschien auf zahllosen Zeitungsmeldungen und sagte alles: Die Welt muss dem Diktat der USA gehorchen, sonst setzt‘s was!
Selbstverständlich steckt eine — wenn auch verdrehte — Logik hinter den Drohungen der USA. Dies ist eine extrem gefährliche Lage!
Koloniale Politik und Außenpolitik — alles aus einem Guss
Kein anderes Land hat in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg so viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen und so viele Völkermorde unterstützt wie die USA. Und insgesamt hat kein anderer Teil der Welt mehr Menschen auf unserer Welt umgebracht als Europa. Die meisten Nordamerikaner stammen jedoch von den Europäern ab — die „Außenpolitik“ der USA ist eine direkte Fortsetzung der kolonialen Politik der früheren europäischen Mächte. Deswegen haben vom Westen begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit nie aufgehört — über Jahrhunderte hinweg nicht.
Diese simple Tatsache wurde bisher vertuscht — sie wurde bisher weder von den Massenmedien, noch in Klassenzimmern und auch in Gerichtshöfen nicht offen diskutiert.
Sollte der IStGH vom Westen begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchen — und sollte man ihn dabei gewähren lassen—, könnte das ganze verdrehte Konzept einer USA und eines Europas als Pioniere von Frieden und Gerechtigkeit ganz schnell wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen.
„Haltet den Dieb!“ hat dann ausgedient
Selbst die Kritik aus Washington, Paris oder London über „Menschenrechtsverstöße“ von Ländern wie Venezuela, China oder Russland erschiene dann absurd und grotesk. Das gesamte „Regime Change“-Konzept würde dann als das entblößt, was es tatsächlich schon immer war — gesetzloses Gangstertum.
Die US-Herrscher sind sich durchaus der Tatsache bewusst, dass dies ein denkbar schlechter Zeitpunkt für das Imperium ist, sich von so manchen zumindest ansatzweise unabhängigen internationalen Organisationen herausfordern zu lassen.
Sie versuchen, jede abweichende Meinung aus dem Weg zu räumen — wie 2018, als die USA und ihr enger Verbündeter Israel aus dem zumindest in Ansätzen aufmüpfigen intellektuellen Organ der UN, aus der UNESCO, austraten.
Der Westen ist ganz deutlich dabei, den ideologischen Krieg zu verlieren und gerät nun in Panik. Und je mehr Panik er verspürt, desto aggressiver wird er.
Weiche und harte Putsche
Ein Land nach dem anderen wird als „undemokratisch“ bezeichnet und für einen „Regime Change“ bestimmt. Die Methoden variieren — es gibt „weiche“ Putsche, welche links gerichtete Regierungen in Argentinien und später auch in Brasilien gestürzt haben. Und dann gibt es die harten Methoden, die das Imperium in und gegen Afghanistan, Syrien, Venezuela, Iran, Jemen, große Teile Afrikas, Nicaragua und Nordkorea angewendet hat.
Der Westen unterstützt ganz offen Völkermorde in der Demokratischen Republik Kongo, in West Papua, das von Indonesien besetzt und geplündert wird, im von Indien besetzten Kaschmir — und es unterstützt die Apartheid, die Israel ausübt.
Der IStGH konzentriert sich nun auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von den USA in Afghanistan verübt wurden, wo infolge der fast zwanzigjährigen NATO-Besetzung mindestens 100.000 Menschen starben. Diese Verbrechen sind real und unbestreitbar. Ich arbeite bis heute immer wieder in Afghanistan und könnte bezeugen, wie der Westen — und hier vor allem die USA und Großbritannien — dieses stolze Land in einen jämmerlichen Zustand versetzt hat.
Büchse der Pandora
Aber Afghanistan könnte nur der Anfang sein — die sprichwörtliche Büchse der Pandora könnte sich hier öffnen.
Die Gerichtsverfahren gegen die USA und deren Verbrechen würden, wenn sie denn stattfinden, wahrscheinlich nicht sofort dem Terror ein Ende setzen, den der Westen auf der ganzen Welt verbreitet. Aber sie würden eine Diskussion in Gang bringen — zumindest in den Ländern, die Opfer dieser furchtbaren Ungerechtigkeit geworden sind. Mit Hilfe solcher Gerichtsverfahren würde die Welt auch wieder neu ausgerichtet — sicher in Richtung Russland und China und wieder zurück zum Sozialismus in Lateinamerika und sehr wahrscheinlich auch in Afrika und Teilen Asiens.
Pompeos Erklärung war so extrem, dass sie durchaus als kontraproduktiv für das Imperium bezeichnet werden kann.
Reaktionen der „Menschenrechtsorganisationen“
Selbst die westlichen Mainstream-Medien mussten reagieren. Selbst „Menschenrechtsorganisationen“ fühlten sich verpflichtet, zu protestieren.
Am 15. März veröffentlichte AP einen beispiellosen Bericht:
„Human Rights Watch nannte es ‚einen gangsterhaften Versuch, Ermittler‘ beim IStGH zu ‚bestrafen. Die Trump-Administration versucht noch ein letztes Mal, sich der Verantwortung zu entziehen‘, heißt es da. ‚Sich gegen jene zu wenden, die für den IStGH arbeiten, sendet eine klare Botschaft an Folterer und Mörder gleichermaßen — dass sie ihre Verbrechen weiterhin ungehindert ausüben können.‘
Amnesty International beschrieb den Schritt als ‚den jüngsten Angriff gegen internationale Gerechtigkeit und internationale Institutionen — durch eine Regierung, die alles daran setzt, den Menschenrechtsschutz rückgängig zu machen.‘
Die American Civil Liberties Union, die vor dem IStGH drei Menschen repräsentiert, die ihren eigenen Aussagen zufolge in Afghanistan gefoltert wurden, nannte die Entscheidung ‚fehlgeleitet und gefährlich‘ und einen ‚beispiellosen Versuch, internationale Rechenschaftspflichten für genau dokumentierte Kriegsverbrechen zu umgehen, die unsere Klienten bis heute heimsuchen.‘“
Ein Großteil der Welt ist bereits entsetzt über die jüngsten Angriffe des Westens gegen Venezuela sowie über die Versuche, Länder wie China, Russland und Nordkorea in einen militärischen Konflikt zu ziehen.
Eine so unverfrorene Forderung nach Straffreiheit wird vielerorts auf der Welt nicht gut ankommen.
Man ist immer davon ausgegangen, dass der Westen die Welt gezwungen hat, seinen Exzeptionalismus zu akzeptieren — es war jedoch nur oder hauptsächlich eine gut informierte Minderheit, die davon ausgegangen ist.
Über‘s Ziel hinausgeschossen
Die jüngsten Schlagzeilen werden von den Massen auf allen Kontinenten gelesen werden.
Herr Pompeo machte einen riesengroßen taktischen Fehler. Er sprach das „große Thema“ an, von dem stets „ausgegangen“ wurde, das aber nie ausdrücklich ausgesprochen wurde. Und nun ist es raus.
Der nächste Schritt könnte die Erkenntnis sein, dass das Völkerrecht für den Westen nicht gilt.
Diese unbestreitbare Tatsache auszusprechen, könnte einen Aufruhr zur Folge haben, und schließlich die Weigerung zumindest einiger Staaten und von Milliarden Menschen weltweit, den Status Quo weiterhin zu akzeptieren.
Es sieht so aus, als sei das Imperium einen Schritt zu weit gegangen. Paradoxerweise könnte es damit wirklich seine Straffreiheit gefährdet haben.
Andre Vltchek ist Philosoph, Romancier, Filmemacher und investigativer Journalist. Er lebt in Ostasien sowie im Mittleren Osten und verfasste Berichte über Kriege und Konflikte in Dutzenden Ländern. Drei seiner jüngsten Buchveröffentlichungen sind „The Great October Socialist Revolution“, ein Tribut an die Oktoberrevolution, „Aurora“, ein revolutionärer Roman, und „Exposing Lies Of The Empire“. Hinzu kommen seine Dokumentation über Ruanda und die Demokratische Republik Kongo mit dem Titel „Rwanda Gambit“ sowie sein Film „On Western Terrorism“ mit Noam Chomsky. Weitere Informationen unter http://andrevltchek.weebly.com/.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „U.S. to the International Criminal Court (ICC): We Will Break Your Legs“. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.