Die andere Perspektive
Der Alltag in Kenia unterscheidet sich drastisch von unserem — das gilt auch für den Umgang mit dem Coronavirus.
Das Leben in Kenia ist den meisten Deutschen gänzlich fremd. Das Land ist aus unserer Perspektive weit entfernt, es zählt nicht zum „Wertewesten“. Hierzulande ist Kenia allenfalls in den Schlagzeilen, wenn es um Experimente rund um ein bedingungsloses Grundeinkommen geht. Doch wie läuft der Alltag einer achtköpfigen kenianischen Familie ab, die zwischen Slums und Villengegend lebt? Wie haben die Kenianer die „Pandemie“ wahrgenommen und wie gehen sie mit Corona um? Die Autorin berichtet von ihrer Freiwilligenarbeit in Mombasa, der zweitgrößten Stadt Kenias.
Der reinste Kulturschock
Am Sonntag, den 7. August 2022, kam ich am Flughafen Mombasa an. Mein Flugzeug war hauptsächlich mit einer skandinavischen Mädchen-Reisegruppe besetzt gewesen, die ungefähr 20 Jahre alt waren. Ansonsten noch hellhäutige Familien und nur einige wenige dunkelhäutige Menschen, die ich als einheimisch einordnete. Am Flughafen angekommen, sollten alle Passagiere ihren Impfausweis vorzeigen, und die, die keinen hatten, waren verpflichtet, sich einem 30 US-Dollar teuren Corona-Schnelltest zu unterziehen. So auch ich.
Im Büro des Gesundheitsbeauftragten vom Flughafen saß ich nun mit drei Männern und zwei Teenagern. Die drei Männer waren Kenianer, die vor fünf bis zehn Jahren in die Schweiz ausgewandert sind, um einen Beruf zu finden und Geld für ihre Familien zu verdienen. Diese sehen sie dann maximal drei Wochen im Jahr, weil sie kaum Urlaubstage haben und die Flüge natürlich ziemlich teuer sind. Die beiden hellhäutigen Teenies wiederum waren auf dem Weg ins Urlaubshotel mit ihrer Familie. Ich hingegen befand mich auf meinem Weg ins Abenteuer, welches sich als viel größeres Abenteuer entpuppte, als ich es zuvor erwartet hatte.
Obwohl das Auswärtige Amt auf seiner Website darauf hinweist, dass für die Einreise Ungeimpfter ein negatives PCR-Testergebnis erforderlich ist, interessierte sich dafür niemand. Wer keinen Impfpass vorzeigen konnte, musste den Schnelltest machen. In einem kleinen Kämmerchen wurden wir sechs Ungeimpfte anschließend einzeln befragt, warum wir nicht geimpft seien und ob wir das nicht mal eben nachholen wollen würden. Tatsächlich war im Raum nebenan ein Impfzentrum aufgebaut.
Das freundliche Angebot abgelehnt und die 30 US-Dollar bezahlt, durfte ich nach ungefähr einer Dreiviertelstunde Verzögerung endlich raus aus dem Flughafen. Daraufhin wurde ich zu meiner Unterkunft gefahren, in der ich für die nächsten zwei Monate während meiner Freiwilligenarbeit in einer Grundschule Mombasas leben sollte. Wie sich herausstellte, befand sich diese Unterkunft direkt neben einer riesigen Mülldeponie vor den Toren der Slums.
Ausblick auf die Müllhalde.
Meine kenianische Gastfamilie mit ihren sechs Kindern lebt genau in dem Gebiet zwischen den Slums und den Villen von Nyali, gehört also quasi zum Mittelstand Kenias. Umso erschrockener war ich über das Leben, das diese Familie dort führt. Das Frühstück besteht aus zwei Scheiben ungetoastetem Toast mit Butter und, wenn man Glück hat, einem Ei; das Abendessen, welches meist aus Reis oder Ugali — einem traditionellen Gericht aus Maismehl — und Hühnchen auf einer Art Spinat besteht, wird auf dem Boden des Schlafzimmers, in dem vier Personen gemeinsam schlafen, zubereitet, über einer Gasflasche gekocht und auf dem Boden mit den Händen gegessen. Letzteres hat allerdings religiöse und traditionelle Gründe.
Traditionelles Abendessen in Kenia.
Trotzdem wurde mir durch diese Art und Weise zu leben bewusst, dass es in Kenia sehr viel größere Probleme gibt als das Corona-Virus — denn wenn bereits der Mittelstand so lebt, wie würden dann die Ärmsten der Armen leben?
Bezahlen in Kenia
Am darauffolgenden Tag wurde mir vonseiten meiner deutschen Organisation ein lokaler Guide zugeteilt, mit dem ich die Stadt erkunden und sonstige Aktivitäten machen sollte. Also besuchte ich die Burg Fort Jesus, ein historisch bedeutsames Museum in Mombasa. Auf dem Weg dorthin kaufte ich mir eine kenianische SIM-Karte, die mich umgerechnet nur ungefähr 3 Euro kostete. Für 15 Gigabyte mobile Daten, 2000 freie SMS und 1000 freie Telefonate musste ich ebenfalls nur 20 Euro bezahlen. Gebrauchte, aber noch intakte Handys sind auch schon bereits ab ungefähr 5 Euro zu erwerben.
Das erklärt, wie es möglich ist, dass jeder Kenianer, egal wie arm er ist, ein Handy besitzt.
Doch warum sind Flats und SIM-Karten so viel günstiger in Kenia, obwohl wir in Deutschland nicht mehr Leistungen dafür erhalten? Welches Interesse hat die Wirtschaft, hat die Regierung an der breiten Verfügbarkeit von Smartphones?
Immerhin steht das Zahlungsmittel M-Pesa in Kenia an oberster Stelle. M-Pesa ist vergleichbar mit PayPal, nur dass es über die Telefonnummer statt über die E-Mail-Adresse funktioniert. Man zahlt also Geld auf sein M-Pesa-Konto und kann damit praktisch alles bezahlen, indem man die Nummer des Verkäufers eingibt und das Geld sendet. Jeder in Mombasa nutzt diese Zahlungsmethode.
Viele Stände und Läden bieten M-Pesa sogar als einzige Zahlungsmethode an. Derart gefragt ist diese Zahlungsmethode deshalb, weil sie sehr viel praktischer — und auch sicherer — ist, als mit einer Bankkarte oder gar mit Bargeld herumzulaufen. Zudem leben in Mombasa viele Menschen, die aus kleineren Dörfern in Kenia stammen, in der Stadt aber mehr Geld verdienen und dieses Geld dann über M-Pesa an ihre Familien in den Dörfern schicken können, ohne den weiten Weg dorthin antreten zu müssen. In den kleinen Dörfern in Kenia gibt es meist kilometerweit keine Banken.
Nichtsdestotrotz macht M-Pesa jeden Kauf und jede Zahlung, die jeder Einzelne tätigt, nachvollziehbar und kontrollierbar. Da es in Kenia so etwas wie Datenschutz nicht gibt, müssen die großen Konzerne wie Safaricom — die Firma, die 2007 M-Pesa eingeführt hat und dessen Hauptaktionäre Vodafone und die kenianische Regierung sind (1) — nicht einmal verheimlichen, dass sie die Daten für ihre eigenen Zwecke nutzen. In einem Land, in dem das bedingungslose Grundeinkommen bereits an rund 20.000 Menschen getestet wird, scheint dies nicht sonderlich abwegig (2).
Kenia und der Westen
Doch zurück zu meinen Reiseerfahrungen. Im Gegensatz zu der sehr günstigen SIM-Karte musste ich 40 Euro bezahlen, um die Burg Fort Jesus zu besuchen. Außerdem riet mir mein Guide, dem Museumsführer 5 bis 10 Euro Trinkgeld zu geben. Tags darauf sollte ich weitere 30 Euro zahlen, nur um durch die Straßen der Altstadt zu gehen. Ich erlebte an diesen ersten Tagen also etwas, das ich als umgekehrten Rassismus bezeichnen würde. Nur weil ich eine weiße Touristin bin, forderten die Einheimischen, dass ich ihnen sehr viel mehr zahle, als es die „Locals“ tun müssen. Außerdem versuchten eine Menge Kenianer, meine Nummer zu bekommen. Auf der Straße hörte ich überall „Mzungo“, das swahilische Wort für „weiße Person“.
Während es der Moralpolizei in Deutschland nicht einmal mehr genügt, von „dunkelhäutigen“ Menschen zu sprechen, wird man als weiße Person in Kenia als reich abgestempelt und durchgehend „Mzungo“ genannt. Dabei bin ich so viel mehr als eine weiße Person. Tatsächlich fühlte es sich nicht schön an, durch die Straßen in der armen Gegend, in der ich lebe, zu gehen. Schnell begann ich, nur noch auf den Boden zu gucken, um jeglichen Blickkontakt zu vermeiden, der die Einheimischen dazu veranlasst, mich anzusprechen.
Obwohl ich meinem Guide nach den merkwürdigen Preisen für die Sehenswürdigkeiten nicht mehr traute, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen, ob er gegen Corona geimpft sei und wie er Corona in Kenia erlebte. Er berichtete mir dann, dass weder er noch der Großteil der in den Slums lebenden Kenianer geimpft seien, da sie dem kostenlosen Impfstoff skeptisch gegenüberstehen.
In Kenia gebe es nichts gratis, also würde eine kostenlose Impfung ihnen merkwürdig vorkommen.
Mein Guide erzählte mir, dass tatsächlich einige Einheimische vor den Impfbussen weggelaufen seien, um zu vermeiden, geimpft zu werden. Zudem berichtete er mir, dass er das Gefühl hatte, die Politik würde über das Coronavirus nicht die Wahrheit sagen. Er habe mitbekommen, dass von vielen Malaria-Toten behauptet worden sei, sie wären an Corona gestorben. Nichtsdestotrotz sei die Angst groß gewesen, berichtete er mir weiter. Die Nachrichten seien voll gewesen mit den Bildern und Todeszahlen aus Italien und Spanien.
Daher dachten viele Kenianer, sie hätten Glück gehabt, dass Corona hier nicht so stark eingeschlagen hätte. Hinzu kommt die Wut vieler Kenianer, die ihren Job durch Corona verloren und es nun noch schwerer haben, ausreichend Geld für sich und ihre Familien zu verdienen. Deutlich wurde mir, dass Malaria und die Armut sehr viel schlimmere Probleme im Alltag der Kenianer darstellen als das Virus, vor dem sich der Westen seit zwei Jahren ängstigt.
Die afrikanische Kultur, die so aufgeschlossen und lebenslustig ist, wurde in Kenia nicht durch Corona zerstört. Noch immer sitzen die Leute dicht an dicht und ohne Maske in den sogenannten Matatus, das sind kleine Busse, die als öffentliche Verkehrsmittel herhalten. Sie hören laute Musik und lachen miteinander, als wäre nichts gewesen. Generell werden kaum Masken getragen. Zwar werden an manchen Orten OP-Masken auf der Straße verkauft, doch trägt fast niemand eine.
Ein farbenfroher Matatu.
Über das Wochenende bin ich nach Diani gefahren, einem Ort am paradiesischen Strand Kenias. Hier unterhielt ich mich mit einem hellhäutigen Einheimischen, der in Diani lebt und eher zur höheren Einkommensklasse zählt. Auch mit ihm kam ich nach einer Weile auf Corona zu sprechen — und auch er ist nicht geimpft, denn er hält die medieninduzierte Angst vor Corona und vor allem die Impfung für eine Lobby-Veranstaltung der Pharmazieunternehmen — also im Grunde für Geldmacherei.
Ich habe also in der Zeit, die ich bisher in Kenia verbracht habe, noch niemanden kennengelernt, der gegen das Coronavirus geimpft ist. Umso interessanter ist, dass genau in diesem Land die Impfung bei der Einreise so wichtig scheint. Allerdings können sich die vielen ärmeren Menschen, mit denen ich darüber gesprochen habe, eine Reise per Flugzeug gar nicht leisten. Das „Argument“ vieler Menschen in Deutschland, sich „für ihre Freiheit“ impfen zu lassen, ist Kenianern, die in den Slums leben, wenig verständlich. Somit gibt es auch weniger Gruppenzwang, beziehungsweise weniger Impfungen aus dem Bedürfnis heraus, „dazuzugehören“.
Vor allem aber gibt es in Kenia keine Moralpolizei wie in Deutschland. Die Individuen handeln in der Regel so, wie es für sie selbst und ihre Familien am besten ist, besonders dann, wenn es um Geld geht. In Deutschland wäre es schließlich nicht möglich, dass Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben unterschiedliche Preise zu bezahlen haben.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.safaricom.co.ke/about/who-we-are
(2) https://taz.de/Grundeinkommen-in-Kenia/!5606317/