Der Wucher-Turbo

Auf die Deutschen rollt eine neue Welle von Mieterhöhungen zu — der eigentliche Grund hierfür wird wieder einmal verschwiegen.

Wer im Wohlstand leben will, muss fleißig sein und viel arbeiten. So haben es uns unsere Eltern jedenfalls erzählt. Das stimmt aber nicht unbedingt. Als weitaus smarter erweist es sich oft, Aktionär zu sein. Dann fliegt einem das Geld einfach zu, arbeiten müssen andere. Wenn man in bewohnte Immobilien investiert, ist dies nicht einmal besonders riskant. Gewohnt wird immer. Seit Jahrzehnten schon wird über Wohnungsnot und Mietwucher geklagt. Geschehen ist nichts. In dieser Zeit schmerzhafter Teuerung und wirtschaftlicher Unsicherheit kündigt nun ein großes Wohnungsunternehmen an, die Mieten weiter erhöhen zu „müssen“. Was die Manager verschweigen: Würden nicht hohe Dividenden als leistungsloses Einkommen an Aktionäre ausgeschüttet, könnten alle Mieter deutlich günstiger wohnen, könnten ihre Existenzsorgen in vielen Fällen auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Viele beklagen sich jetzt, der Kern des Problems allerdings wird noch immer gern verschleiert: Es ist die Tatsache, dass Grund und Boden überhaupt als Ware gehandelt werden dürfen.

Mieterhöhung für eine halbe Million Mieter angekündigt

Ende August sagte Lars von Lackum, der Vorstandsvorsitzende des zweitgrößten deutschen Wohnungsunternehmens LEG in einem Interview: „Wir müssen die Mieten weiter erhöhen“ (1). Als Gründe, warum die im MDAX gelistete LEG Immobilien SE die Mieten 2024 um 3,4 Prozent erhöhen wird, werden alle möglichen Argumente angeführt (2). Nur eines fehlt: dass LEG 2024 wieder eine Dividende ausgeschüttet hat, und zwar in Höhe von 181 Millionen Euro (3).

2023 waren wegen eines großen Buch-Verlusts durch Immobilienabwertungen die Dividenden zum ersten Mal in zehn Jahren ausgesetzt worden (4). Umso überraschender war für Marktteilnehmer, dass 2024 erneut Dividenden ausgeschüttet wurden.

Wer zahlt die Dividenden?

Die Mieter. LEG hatte 2023 Einnahmen aus Nettokaltmieten in Höhe von 834 Millionen Euro (5). Setzt man hierzu die Dividenden ins Verhältnis, ergibt sich 21,7 Prozent (6). Was heißt 21,7 Prozent? Das heißt, die Miethaushalte von LEG könnten 2024 eine Mietsenkung von 21,7 Prozent erhalten, wenn keine Dividenden gezahlt würden; also wenn man keine Dividenden bezahlt, könnten die Mieten um ein Fünftel gesenkt statt um 3,4 Prozent erhöht werden. Das verschweigt Herr von Lackum, wie praktisch alle anderen Immobilienspezialisten auch. Unehrlichkeit und Heuchelei in diesem Punkt sind hier vollkommen normal und so stark verbreitet, dass fast niemand mehr darüber nachdenkt.

Dividenden werden gezahlt, nachdem alle Wartungs- und Renovierungsarbeiten getätigt sind, nachdem der Rasen gemäht, alte Fenster und Dächer repariert und die Steuern gezahlt sind — wenn welche nach Ausschöpfung aller Steuerberatungstricks überhaupt gezahlt werden. Also Dividenden sind der reine Extra-Profit, der nach sämtlichen Kosten und Aufwendungen übrig bleibt.

Somit das Geld, das man einfach nicht mehr braucht für Renovierungen oder Investitionen, für das Bauen neuen Wohnraums, das man auch in der Zukunft nicht investieren, sondern lieber an die weit entfernt wohnenden Aktionäre auszahlen will. Nach der Auszahlung ist das Geld weg — weit weg.

Wer bekommt die Dividenden?

Die Aktionäre. Wer sind die Hauptaktionäre? Die beiden größten Aktionäre von LEG sind MFS, Massachusetts Financial Services Company, Boston, mit 13,6 Prozent und BlackRock Inc., der 10,2 Prozent der Aktien gehören. Insgesamt entfallen 10 Prozent des Aktienbesitzes auf Aktionäre in Deutschland. Die allermeisten Aktionäre wissen also nicht wirklich, wo eigentlich die 166.500 Mietwohnungen mit etwa einer halben Million Mietern sind. Sie halten nur die Hand auf und arbeiten nicht dafür. In keiner Weise. Genau das ist das Grundprinzip der sogenannten leistungslosen Einkommen, passiven Einkommen, Nichtarbeitseinkommen: Man muss nicht dafür arbeiten. Die Mieter für ihre Miete schon.

Vonovia

Die LEG ist selbstverständlich kein Einzelfall. Der ganze professionelle Mietmarkt arbeitet nach diesem Prinzip: Die einen, die Mehrheit, arbeiten und zahlen — die Miete —, eine relativ kleine Minderheit, die glücklichen Immobilieneigentümer beziehungsweise Aktienbesitzer, halten die Hand auf und bekommen die Dividende, die aus den Mieten bezahlt werden. Vonovia, das größte Vermietungsunternehmen von Deutschland, arbeitet nach demselben Prinzip. Vonovia ist etwa dreimal so groß wie LEG und hat knapp 500.000 Wohnungen. Vonovia hat in den letzten vier Jahren zwischen 676 und 1.289 Millionen Euro Dividende ausgeschüttet. Im Verhältnis zu den Mieteinnahmen waren das 2020 31 Prozent, 2021 37,2 Prozent, 2022 14,5 Prozent und 2023 15,6 Prozent der Mieteinnahmen (7). Im Durchschnitt betrug die Dividende in den letzten vier Jahren also etwas über 20 Prozent der Mieteinnahmen.

Also ganz ähnlich wie bei der kleineren Schwester LEG könnte man auch bei Vonovia die Mieten um gut ein Fünftel senken, wenn man das Geld nicht an die Aktionäre auszahlen würde. Ähnlich wie bei LEG wohnen die Aktionäre von Vonovia weit, weit weg und wissen vermutlich nicht, wo die Wohnungen eigentlich sind. Etwa jeder zehnte Aktionär wohnt in Deutschland und hätte theoretisch die Chance, sich einmal eine Wohnung tatsächlich live anzusehen (8). Aber wozu? Darum kümmern muss man sich ja sowieso nicht. Dafür hat man ja Angestellte, Bediente, Hausmeister, Reparateure, Serviceagenturen und so weiter, die einem die Mühe abnehmen. Nachdem man diese arbeitenden Menschen bezahlt hat, bleibt in der Regel eine hübsche Dividende übrig — ganz arbeitslos, denn die Arbeit überlässt man den anderen, den Nichtinvestoren, denjenigen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen.

Ökonomischen Sinn haben diese Dividendenauszahlungen nicht. Sie fließen aus den Unternehmen hinaus, stehen für künftige Investitionen wie Wohnraumerstellung oder Renovierung nicht mehr zur Verfügung, sondern dienen zum größten Teil Millionären oder Milliardären, ihr Vermögen weiter leistungslos zu vermehren (9).

Insofern trifft der Präsident des Deutschen Mieterbundes Lukas Siebenkotten den Nagel auf den Kopf mit seiner Aussage: „Am Ende zahlen alles die Mieterinnen und Mieter, das ist das Geschäftsmodell von Vonovia und Co.“, und das Geschäftsmodell börsennotierter Wohnungskonzerne sei unsozial und spekulativ (10).

Hintergründe

Dieses nicht gerade soziale, geschweige denn gerechte, Monopoly-System führt dazu, dass die Mieten munter steigen, Mietwohnen immer teurer wird und die Mieter immer noch ein bisschen härter für die Miete arbeiten müssen, um die Dividenden für die glücklichen oberen ein bis zehn Prozent Wohlhabenden finanzieren zu können. Ein paar Zahlen:

In den letzten zehn Jahren, von 2014 bis 2023, stiegen die tariflichen Stundenverdienste in Deutschland — mit Sonderzahlungen — um 24,3 Prozent (11). Die Neuvertragsmieten erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 44,9 Prozent (12). Die Neumieten sind also beinahe doppelt so stark gestiegen wie die Tariflöhne.

In den sieben Ballungsgebieten Deutschlands sieht es noch ein wenig schlechter aus. Dort sind die Neumieten um 53,4 Prozent gestiegen. Also leider, leider müssen die arbeitenden Menschen, die eine neue Wohnung brauchen, heute ein wenig länger als vor zehn Jahren arbeiten, um sich eine Mietwohnung leisten zu können. Des einen Leid, des andern Freud: Die Großaktionäre bekommen sicher ihre Dividende und freuen sich über die ständig steigenden Mieterlöse. Nicht alle sind über steigende Mieten unglücklich.

Ähnliches gilt für den Erwerb von den eigenen vier Wänden. Eigentumswohnungen in Deutschland sind in den letzten zehn Jahren um 62,7 Prozent teurer geworden (13). Dazu kommen die in den letzten beiden Jahren dramatisch gestiegenen Zinsen. Für junge Häuslebauer sieht es momentan also gar nicht gut aus. Die Erschwinglichkeit von Wohneigentum für junge Familien ist heute in Deutschland so gering wie seit Generationen nicht. Junge Familien müssen daher leider in großem Umfang — und anders als beispielsweise vor zehn Jahren oder ihre Eltern — auf die eigenen vier Wände verzichten und stattdessen die stark gestiegenen Mieten zahlen. Die Entwicklung ähnelt verblüffend dem beliebten Monopoly-Spiel.

Monopoly im Alltagsleben

Da man für alles und jedes Grund und Boden braucht, zum Wohnen, Arbeiten, für Freizeit, Fortbewegung, Essengehen, Einkaufen und so weiter, sind die Bodenrenten in Form von Mieten und Pachten garantiert. Sie stellen eine Knappheitsrente dar, für die man nichts tun muss — außer im Grundbuch stehen. Es ist wie beim Monopoly-Spiel: Fast egal, auf welches Feld man kommt, man muss dafür zahlen. Wenn man selbst keine Straßen und Häuser hat, zahlt man alles an die anderen. Hat man ein wenig Grundbesitz, bekommt man auch ein wenig Einnahmen ab. Hat man viele Straßen und viele Häuser beziehungsweise Hotels darauf, dann verdient man so richtig viel. Und diejenigen, die viele Immobilien haben, bekommen durch die Zahlungen der anderen immer noch mehr dazu. Und so ist es auch im wirklichen Leben, wie beispielsweise Zahlen aus den USA zeigen, wo sich der Bodenbesitz in den letzten zehn Jahren immer stärker bei den größten 100 Landeigentümern konzentriert hat (14).

Letztlich liegt der Grund für die permanent steigenden Bodenpreise darin, dass Boden ein nicht vermehrbares, „superiores“ Gut ist, also ein Gut, das man bei steigendem Einkommen vermehrt nachfragt. Bei Wirtschaftswachstum steigt daher der Bodenpreis von ganz allein und automatisch stärker als die Wachstumsrate des nominalen Sozialproduktes — ohne dass man irgendetwas dafür tun muss.

Die Zahlungen für die Bodenrenten fließen nicht nur durch die Mieter, sondern auch durch jeden Produkt- und Dienstleistungskauf. So sind beispielsweise in jedem Produkt, das wir kaufen, Bodenrenten in Form von Mieten oder Pachten als Teil des Kaufpreises enthalten. Mit jedem Produkt, das wir kaufen, zahlen wir die auch Bodennutzung, die für seine Erstellung nötig ist, ob wir es wissen oder nicht und ob wir es wollen oder nicht (15). Also auch die Familien, die in ihren eigenen vier Wänden wohnen und keine Miete überweisen, zahlen tagtäglich Bodenrenten an die Bodeneigentümer.

Viele kritische Ökonomen haben das seit Langem erkannt; Karl Marx, Henry George, Silvio Gesell, Rudolf Steiner — seiner Meinung nach dürfte Boden keine Ware, kein handelbares Gut sein, jeder Mensch habe Recht auf ein Stück Boden (16) —, John Maynard Keynes und viele andere kritisieren das Boden-Renten-System schon lange. Denn es sorgt dafür, dass leistungslose Einkommen auf die Konten privater Eigentümer fließen, wo es nicht hingehört oder bestenfalls nur in streng begrenztem Umfang. Mit etwas gesundem Menschenverstand betrachtet müssten die leistungslosen Bodenrenten an die leistungslosen Menschen fließen, also die Menschen, die nicht arbeiten können und sollen: unsere Kinder, die Jugend und die Senioren. Mit den Bodenrenten wäre ein guter Teil der Sozialausgaben finanzierbar: Die Bodenerträge in Deutschland betragen heute weit über 400 Milliarden Euro (17).

Was tun?

Es gibt eine ganze Reihe sehr vielversprechender Ansätze, um dem Übel abzuhelfen (18). Vorschläge sind unter anderem:

  1. die Enteignung von Großeigentümern, wie es bei dem Volksbegehren am 26. September 2021 in Berlin zur Abstimmung stand. Über 56 Prozent der Teilnehmer haben sich dabei für eine Enteignung ausgesprochen, 39 Prozent dagegen (19);
  2. könnte man ein neu und „smart“ ausgestaltetes, konzeptionell weiterentwickeltes kommunales Erbbaurecht einführen beziehungsweise wiederbeleben. Auf diese Weise könnten Wohnungsbestände in die Sozialbindung zurückgeholt werden (20);
  3. könnte man neue Wohnungsgemeinnützigkeit oder Gemeinwohlwohnungen ausbauen (21).
  4. Vorkaufsrecht für Kommunen bei zum Verkauf angebotenen Immobilien zu einem unter dem Marktpreis liegenden Wert. Im Anschluss könnten diese Liegenschaften auf Erbpachtbasis an private Nutzer oder Unternehmen für 99 Jahre vergeben werden;
  5. Vermehrung von Genossenschaften im Wohnbereich nach dem Vorbild der Raiffeisengenossenschaften;
  6. Progressive Abgabe auf Bodeneigentum, das nicht selbst genutzt wird. Nach Berücksichtigung eines Freibetrages von vielleicht 2 Millionen Euro für Bodeneigentum pro natürlichem Mensch wird alles nicht selbst genutzte Bodeneigentum mit einer immer weiter steigenden Bodenwertsteuer belegt. Besonders gut mit dem Thema vertraut ist „Grundsteuer zeitgemäß“ (22). Dort findet man gute Konzepte, die man dringend umsetzen müsste.

Was tut die Politik?

Die Politikerinnen und Politiker halten sich fest, fest die Augen zu, um sich nur ja nicht mit den äußert einflussreichen Großaktionären anzulegen, die im Übrigen wohlwollend Parteispenden überweisen, wenn man sich aktionärs- und milliardärsfreundlich verhält. Die Politik der Bundesregierung — und die vieler anderer Länder — dient meines Erachtens schon lange nicht mehr den Interessen der großen Mehrheit der Menschen im Lande, sondern bedient ganz überwiegend die Interessen einer sehr kleinen, sehr reichen Minderheit. Das ist nicht gerade demokratisch.