Der Wandel sind wir!
Was jeder von uns für eine bessere Welt tun kann, Teil 3.
Im dritten Teil des Textes von Ruben Schattevoy geht es um energetische Betrachtungen, um Denken in hierarchischen Systemen und Alternativen. Vor allem aber geht es ihm darum, Mut zu machen und den eigenen, einzigartigen Wert eines jeden Menschen zu entdecken. Lassen Menschen das zu, die Einzigartigkeit, dann überwinden sie auch ihre Ängste und ein Wandel ist möglich – jederzeit, schon heute.
Rückblick auf den zweiten Teil
In den ersten beiden Teilen haben wir (a1) erklärt, wieso und wie wir dem System, das uns in den Abgrund führt, seine Energie entziehen können. Im dritten und letzten Teil gehen wir der Frage nach, wieso wir nicht ohne weiteres ins Handeln kommen.
Angst
Wandel durch Annäherung
Wir alle haben im Verlauf unserer Sozialisierung das Hierarchieprinzip mehr oder weniger verinnerlicht. Wenn wir nicht an der Pyramidenspitze stehen, geben wir unsere Energie nach oben ab. Wenn wir an der Pyramidenspitze stehen, nehmen wir diese Energie auf und bringen die Gesellschaft – und uns selbst – weiter voran.
Menschen mit einer psychopathischen Grundkonstellation sind für eine Position an der Pyramidenspitze bestens geeignet, da sie wenig vom Mitgefühl für einzelne Mitmenschen oder Reue gequält werden, da sie blind für Risiken sind und sie sich daher voll und ganz auf das große Ziel konzentrieren können.
Psychopathen berauschen sich an ihrer Macht und an der Anerkennung, die sie vom „Unterbau“ für ihre Leistungen ernten. Um diesen Rauschzustand aufrechtzuerhalten, schaffen sie fortwährend Situationen, in denen psychopathisches Verhalten vorteilhaft ist. Als Anschauungsmaterial können wir unseren Lesern das Buch „Die Getriebenen“ von Robin Alexander empfehlen. Da die Psychopathen das System immer wieder und immer weiter in einen Zustand treiben, in dem es auf „des Messers Schneide“ steht, treiben in dem System immer mehr Psychopathen nach oben.
Die Menschen, die durch die Spielregeln dieses Systems nach oben geschwemmt werden, sind teilweise entsprechend vorgeprägt und teilweise passen sie sich beim „Marsch durch die Institutionen“ dem System an, ohne es selbst zu merken. Ganz so, wie es Noam Chomsky für den Bereich der Medien in seinem Buch „Herstellung von Zustimmung“ beschreibt.
Die Menschen, die weiter unten in der Pyramide stehen, genießen, wenn sie nicht gerade zu den Verlierern des Systems gehören, dessen Errungenschaften. Das ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, kulturell abgesichert über Jahrtausende.
Wenn wir nun lange genug „hinter den Vorhang“ geblickt haben, beginnen wir einen Hass auf die Menschen an der Pyramidenspitze zu entwickeln. Das ist genau der Moment, in dem wir innehalten und in uns hinein horchen müssen. Was spüren wir bei diesem Gedanken in unserem Bauch? Woher kommt dieser Hass und worauf richtet er sich wirklich?
Vermutlich gab es in der natürlichen Variationsbandbreite schon immer Menschen mit mehr und mit weniger psychopathischer Grundkonstellation. Vermutlich waren Psychopathen für das Überleben früher Menschengruppen sogar essentiell. Die Veranlagung zur Psychopathie hätte sich vermutlich durchgesetzt, wenn sie nicht auch nachteilig für deren Träger gewesen wäre. Möglicherweise waren die Bedingungen in den letzten zweitausend Jahren so, dass sich Psychopathie weiter ausgebreitet und dass das Merkmal auch individuell stärker ausgeprägt wurde.
Dennoch spielt sich das alles noch in der normalen Variationsbandbreite unserer Art ab. Ob das einzelne Individuum sich zum Psychopathen entwickelt, ist weiterhin vor allem von seinem persönlichen Schicksal bestimmt.
Welchen Einfluss Glück, Herkunft und Umwelt auf das Leben eines Menschen haben, lässt sich sehr gut bei der Lektüre des Buches „Anatomie der Ungleichheit“ von Per Molander erfassen. Die dramatischen Auswirkungen des persönlichen Schicksals auf die Physiologie und den Geist eines Menschen, kann man beispielsweise beim Lesen des Buches „Knappheit“ von Sendhil Mullainathan und Eldar Shafir begreifen.
Wir alle ahnen, dass unser Ausprägungsgrad an Psychopathie und unsere Position in der Pyramide weitgehend vom Schicksal bestimmt sind und nichts mit unserem Wesenskern zu tun haben.
Insgeheim hegen wir den Verdacht, dass wir, bei einem anderen Verlauf des Schicksals auch als Psychopath an der Pyramidenspitze thronen und den Rest der Menschheit zur Geisel unserer Sucht nach Macht und Anerkennung machen könnten. Dieses ist die Angst, der wir nicht ins Auge blicken wollen.
Daher kommt der Hass und dagegen – also gegen uns selbst – richtet er sich. Aus der Angst vor unserer Angst projizieren wir unseren Hass nach außen. Darum vermeiden wir es auch, in einen ehrlichen Austausch mit denjenigen einzutreten, die das ausleben, was wir auch in uns fühlen. Den Psychopathen geht es dabei wie uns, nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Wir stützen insgeheim das System, geben unsere Energie her, sind brave Konsumenten, lassen uns medial verblöden, lassen uns gegeneinander hetzen und lassen uns und unsere Kinder sogar in Kriege treiben. Lieber stürzen wir uns, unsere Lieben und unsere ganze Zivilisation in den Abgrund, als dass wir in unseren eigenen Abgrund blicken. Dabei gibt es nichts, was uns so wohlgesonnen ist, wie unser innerstes Selbst.
Wir Menschen sind ziemlich knuddelige Kreaturen, aber doch auch ganz schön verrückt!
Aktion
Wer wollen wir gewesen sein?
Jeder von uns trägt einen Anteil der Gesamtverantwortung, der in etwa dem Verhältnis von 1:8.000.000.000 entspricht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Wem das alles zu viel ist, wer nicht bereit ist, über seinen Schatten zu springen, dem können wir nur sagen, dass die Zeit knapp ist. Der Gestaltungsspielraum wird immer geringer. Das Wort Gestaltungsspielraum ist in diesem Zusammenhang ein übler Euphemismus. Unserer Einschätzung nach verbleibt uns maximal noch eine Generation (20 Jahre) bevor unsere Zivilisation aufgehört haben wird, zu existieren.
Vielleicht auch viel weniger. Man stelle sich nur vor, die Psychopathen dieser Welt treten wirklich einen Krieg los, der außer Kontrolle gerät. Der verringerte Gestaltungsspielraum wird dann konkret etwa so aussehen, dass wir massive Verluste an Menschenleben zu beklagen haben, die Überlebenden Furchtbares erfuhren (beispielsweise den Tod der eigenen Kinder), dass nur noch Teile der Erde bewohnbar sind, dass wir technologisch und zivilisatorisch um Jahrhunderte zurückgeworfen sind und so weiter.
Die Überlebenden werden mit Not, Elend und Tod konfrontiert sein, im Gegensatz zu früheren Generationen aber wissen, wie die Welt einmal war. Sie werden ihr Überleben möglicherweise als Last empfinden. Unserer Einschätzung nach ist die beschriebene Systemanpassung daher keine ins Belieben gestellte Option, wie ein Kirchgang an Heiligabend.
Epilog
Unsere Zivilisation ist an einem Punkt angelangt, an dem offensichtlich wird, dass uns ein „Weiter so“ ins Verderben führt. Genau nur in solchen Situationen kann wirklich Neues entstehen. Wir haben keine Chance, also lasst sie uns nutzen. In diesem Sinne rufen wir unseren Lesern aus tiefstem Herzen ein psychopathisches „Nur keine Panik!“ zu.
Mitmachen
Wir veröffentlichen diesen Artikel, um neue Impulse zur Weiterentwicklung unserer Idee zu erhalten, unsere Argumentationslinie zu verbessern und vielleicht auch um dem einen oder anderen zu ermöglichen, für sich eine Handlungsanleitung abzuleiten. Gerne würden wir auch Gleichgesinnte kennenlernen, uns mit ihnen vernetzen, mit ihnen treffen und gemeinsam etwas im Sinne der hier formulierten Leitgedanken auf die Beine stellen.
Wir wünschen uns von unseren Lesern, dass sie uns spiegeln, wie unser Text auf sie gewirkt hat, welche Gedanken und Gefühle er bei ihnen ausgelöst hat.
Ruben Schattevoy, Jahrgang 1961, geboren und aufgewachsen in Bonn, lebt seit 1999 in München, ist promovierter Physiker, arbeitete als Teilchenphysiker, Softwareentwickler, Bioinformatiker und Rechenzentrumsleiter und ist nun seit einigen Jahren als Projektmanager und Berater im Bereich IT-Servicemanagement tätig. Soweit möglich, pflegt er auch in seinem beruflichen Umfeld partizipative und kollaborative Umgangsformen und experimentiert seit einigen Jahren in oft schwierigem Terrain mit dem Ansatz „Führen ohne Macht“. Dieser Artikel ist das Ergebnis eines langjährigen intensiven Gedankenaustauschs mit einem guten Freund, dem der Autor auf diesem Weg nochmal herzlich dankt.
Quellen und Anmerkungen:
(a1) Ruben Schattevoy hat die hier wiedergegebenen Gedanken gemeinsam mit einem langjährigen Freund entwickelt, daher die Wir-Form im Artikel. Ebenso haben sie gemeinsam entschieden, die Texte unter dem Namen von Ruben Schattevoy an die Öffentlichkeit zu bringen.
(Allgemein) Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann es weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Der Artikel wurde zeitgleich und unter dem selben Titel“ auf der Online-Plattform Rubikon veröffentlicht; herzlichen Dank an die Freunde vom Rubikon.