Der Wahrnehmungskrieg

Die boulevardeske Inszenierung des Ehepaars Selenskyj soll dem Kriegsgeschehen in der Ukraine Glamour verleihen.

In der Ukraine gibt es ganz unterschiedliche Fotomotive. Bei einigen sterben junge Männer durch Kugeln aus Gewehrmagazinen, bei anderen lässt sich der Schauspieler und Präsident Selenskyj mit seiner Gattin von westlichen Hochglanzmagazinen ablichten. Es ist die hochaufwendige Inszenierung eines zum politischen Freiheitskämpfer hochstilisierten Promis. Sie steht exemplarisch für den schon vor Kriegsbeginn laufenden Angriff auf unsere Wahrnehmung. Ein bestimmtes Narrativ wird mit aller Härte in die Herzen und Hirne der Masse hineingehämmert; jedweder Widerspruch und jeder noch so zaghafte Zweifel wird dadurch brutal erstickt.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Frau von Saddam Hussein auf dem Titelblatt der Vogue abgebildet war, als der Irak illegal überfallen wurde. Sie vielleicht?

Jetzt jedoch finden wir dort die ukrainische First Lady Olena Selenska, in Szene gesetzt von Starfotografin Annie Leibovitz, im eleganten Chic als westliche Lifestyle-Ikone mit dem Attribut der Stärke und Tapferkeit („Bravery“) auf dem Cover. In dem zugehörigen Editorial im Innenteil ist auch ihr Ehemann auf einigen Bildern zu sehen.

Auf einem Bild sieht man die modebewusste Dame in einem langen dunkelblauen Mantel, sicher Cashmere oder Merino-Wolle – ohne Blutspritzer und auch ohne Hinweise von „Vogue”, wo man das teure Stück in Kiew kaufen kann.

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Inszenierung ist alles: Arbeitsteilung beim Ehepaar Selenskyj. Er als martialischer Warlord, sie als elegante Salonlöwin; Fotos: Imago

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Foto: Twitter Screenshot

Die 1892 für die New Yorker Gesellschaftselite gegründete Zeitschrift Vogue ist das einflussreichste amerikanische Mode- und Lifestyle-Magazin. Es erscheint heute weltweit mit 26 internationalen Ausgaben. Diese reichen von Australien bis Deutschland, Indien, Korea, Mexiko, Skandinavien und Taiwan.

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Foto: Twitter Screenshot

Lange vor dem PR-Fotoshooting für Selinskyi und seine Frau veröffentlichte die Vogue im März 2011 einen langen Artikel mit dem Titel „Asma al-Assad: Eine Rose in der Wüste“. Das war noch zu einer Zeit, als Syriens Präsident Assad und seine Frau in den Vereinigten Staaten als potenziell nützlich angesehen wurden und dort noch keinen ramponierten Ruf hatten, sondern sogar als „dynamisch“ galten, wie es in dem Artikel hieß. Als Washington jedoch aus geopolitischen und wirtschaftlichen Gründen seine Einschätzung änderte und im Zuge des syrischen Bürgerkrieges dazu überging, Assad und seine Familie zu dämonisieren, zog das Magazin den Artikel stillschweigend zurück. Ein vielleicht nicht ganz unwichtiges Detail in diesem Zusammenhang: Damals war das syrische Öl noch zu 100 Prozent in syrischer Hand; inzwischen haben sich die Vereinigten Staaten 90 Prozent des Öls — gegen den Willen Assads — unter den Nagel gerissen.

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Foto: Twitter Screenshot

Trotz seines vollen Terminkalenders mit PR-Auftritten für andere große westliche Institutionen fand Präsident Selinskyi auch Zeit für ein Vogue-Fotoshooting. Im neuen Vogue-Magazin schwärmt er poetisch von der Liebe zu seiner Frau. Und das trotz seiner vielbeschäftigten PR-Tour, die zahllose Videoauftritte erfordert, unter anderem bei den Grammy Awards, den Filmfestspielen von Cannes, dem Weltwirtschaftsforum und wahrscheinlich auch bei der sehr diskreten Bilderberg-Gruppe oder den vielen persönlichen Treffen mit Prominenten wie Ben Stiller, Sean Penn und Bono und The Edge von U2, ganz zu schweigen von den vielen Polittouristen aus Washington, Brüssel, Berlin, Paris, London, Bern und anderen Hauptstädten des Westens.

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Ein Präsident im Commandante-Armyshirt als virtueller Hansdampf in allen Gassen: Kein Anlass, bei dem „Kriegspräsident“ Selenskyj nicht zugegen ist; Foto: Twitter Screenshot

Ach ja, und findet in der Ukraine nicht auch gerade ein Krieg oder so etwas statt? Man sollte meinen, dass er auch damit beschäftigt sein könnte.

Wer das alles etwas genauer beobachtet, kann sich des Verdachts nicht erwehren, dass es sich hier um einen konzertierten Versuch handelt, die Wahrnehmung des Ukrainekrieges zu manipulieren. Tatsächlich hat es noch nie einen so aggressiven, wahrnehmungsgesteuerten Krieg gegeben.

So werden wir einerseits seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine nicht nur mit einer noch nie dagewesenen Propaganda in den Massenmedien überschwemmt. Andererseits wurden russische Medien sowie die als „Russland-Versteher“ verunglimpften Stimmen aus dem Äther entfernt. Das neue Medienelement der beispiellosen Online-Zensur sowie der Propaganda und des Trollings in den sozialen Medien, die durch Algorithmen massiv verstärkt werden, hat ein vorher noch nie gekanntes Ausmaß erreicht.

Nun muss man sich fragen: Warum wird überhaupt ein so beispielloser Versuch unternommen, die öffentliche Meinung über einen Krieg zu manipulieren? Die Antwort ist einfach: Es macht absolut Sinn, wenn man bedenkt, dass es sich um einen äußerst gefährlichen Stellvertreterkrieg handelt, von dem die normalen Bürger nicht nur in keiner Weise profitieren, sondern sogar schwer unter seinen Folgen zu leiden haben werden.