Der wahre Sieger
Die Verhaftung von Julian Assange zeigt, dass er die Mächtigen an einem empfindlichen Punkt getroffen hat.
Es mag viele erschreckt haben, Julian Assange so zu sehen — bleich, gealtert, hilflos. Doch nicht nur sein herausfordernder Blick und sein nach oben gereckter Daumen machen deutlich: Assange ist trotz Hausarrest aufrecht und kämpferisch geblieben. Seine Verhaftung ist ein Zeichen der Schwäche der Mächtigen, die ihre Felle davonschwimmen sehen, meint Andre Vltchek.
Im Laufe der Geschichte haben finstere und reaktionäre Kräfte immer versucht, die Welt zu beherrschen; durch Gewalt, Betrug, indem sie das vorherrschende Narrativ gekapert und pervertiert oder Angst und Furcht verbreitet haben.
Durchweg sind mutige und ehrliche Menschen aufgestanden, sie haben die Lügen ans Licht gezerrt, sich Brutalität und Verkommenheit entgegengestellt. Manche haben irre und korrupte Herrscher mit dem Schwert und Schusswaffen bekämpft; andere wählten Worte als ihre Waffen.
Viele wurden zu Fall gebracht, die meisten sogar. Doch neue Mitstreiter erhoben sich; neue Widerstandsbanner wurden gehisst.
Sich zu widersetzen heißt, von einer besseren Welt zu träumen. Und träumen heißt leben.
Die Mutigsten der Mutigen haben niemals nur für ihr eigenes Land, ihre eigene Kultur gekämpft; sie haben für die ganze Menschheit gekämpft. Sie waren und sind, was man „intuitive Internationalisten“ nennen könnte.
Julian Assange, australischer Computerexperte, Denker und Humanist, hatte eine neue und weithin unerprobte Form des Kampfes gewählt: Er ließ ein ganzes Bataillon von Buchstaben und Wörtern, Hunderttausende Dokumente auf das westliche Imperium los. Er drang in Datenbanken ein, auf denen die Beweise für die grausamsten Verbrechen gespeichert waren, die der Westen seit Jahren und Jahrzehnten verübt. Toxische Geheimnisse wurden enthüllt; Wahrheiten offenbart. Jene, die schweigend litten, bekamen endlich ihr Gesicht und ihre Würde zurück.
Julian Assange stand einem kleinen Team engagierter Experten und Aktivisten vor. Einige von ihnen habe ich kennengelernt und war ungeheuer beeindruckt. Es mag nur ein kleines Team sein, doch es ist ihm gelungen, die Welt zu verändern. Zumindest hat es der westlichen Öffentlichkeit die Chance gegeben zu wissen und folglich zu handeln.
Nach WikiLeaks hat niemand in New York, Berlin, London oder Paris ein Recht zu sagen: „Das wussten wir nicht“. Wenn sie nicht davon wissen, dann, weil sie bewusst nichts wissen wollten, aus Opportunismus und Zynismus.
Julian Assange und seine Genossen haben veröffentlicht, was der Westen dem afghanischen Volk und all jenen antut, die überall im Mittleren Osten, in Afrika, in Asien und in Lateinamerika unter dem Neo-Kolonialismus und dem Imperialismus leiden.
Was halten die Kritiker von WikiLeaks Herrn Assange denn vor? Dass er die Spitzel und Agenten des westlichen Imperiums „bloßgestellt“ hat? Soll die Welt etwa Mitleid mit ihnen empfinden? Sollen Abermillionen von Opfern vergessen werden, nur damit die Mitglieder westlicher Geheimdienste und ihre Lakaien sich sicher und geschützt fühlen können?
Vor wenigen Tagen wurde Julian Assange auf zynische Weise von einem Land betrogen, das früher von Sozialisten regiert wurde. Diese gewährten ihm Asyl und verliehen ihm die ecuadorianische Staatsbürgerschaft. Mit dem aktuellen Regierungschef Ecuadors, Lenin Moreno, wird die Geschichte hart ins Gericht gehen: Er wird in die Annalen eingehen als ein Mann, der damit begann, die sozialistischen Strukturen Ecuadors einzureißen, und als Mann, der den, der bereits mehr als sein Leben für die Wahrheit und für das Überleben unseres Planeten geopfert hat, buchstäblich verkaufte — und zwar an die unredliche britische und US-amerikanische Justiz.
Als die Metropolitan Police Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft in London in einen Kleinbus zerrte, konnte die ganze Welt einen Blick auf das Wesen des westlichen Regimes erhaschen; vom Regime in Aktion — repressiv, brandig, mörderisch und rachsüchtig.
Wir sollten eines jedoch nicht vergessen:
Das Regime handelt nicht so, weil es selbstsicher und stark ist. Es ist vielmehr zu Tode erschrocken. Panisch. Und befindet sich auf dem absteigenden Ast. Und wo immer es sich „verletzlich“ fühlt, mordet es, weltweit.
Warum? Weil Millionen von Menschen auf allen Kontinenten aufwachen, bereit, den Kampf gegen den westlichen Terror aufzunehmen, wenn es nicht anders geht.
Weil sie die Wahrheit kennen. Weil die Realität nicht verborgen werden kann; die Brutalität der westlichen Diktate weltweit kann niemand mehr leugnen. Dank der neuen Medien in Ländern, die den westlichen Einfluss abwerfen konnten. Und natürlich dank Helden wie Julian Assange und seinen Mitstreitern.
Julian Assange ist nicht gefallen. Man hat ihn von hinten in den Rücken gestochen. Aber er ist noch hier, er lebt, ist bei uns; an seiner Seite stehen Millionen von Menschen, die ihn unterstützen, bewundern und ihm dankbar sind für seine Ehrlichkeit, seinen Mut und seine Redlichkeit.
Er hat es mit dem ganzen Imperium aufgenommen, der stärksten, bösesten, zerstörerischsten und brutalsten Macht der Welt. Und es ist ihm gelungen, dessen Geheimorganisationen zu beschädigen, dadurch einige ihrer Pläne zu durchkreuzen und so Leben zu retten.
Das kann man als Sieg ansehen. Nicht den endgültigen Sieg, aber dennoch einen Sieg.
Indem das Imperium Assange gefangengenommen hat, hat es seine Schwäche gezeigt. Indem es ihn aus der Botschaft in einen Polizeibus gezerrt hat, hat es zugegeben, dass es schon dabei ist, sein eigenes Leichentuch zu nähen.