Der versperrte Ausweg
Im Ukrainekrieg ist eine Rückkehr zum Verhandlungstisch noch in weiter Ferne — Grund hierfür ist vor allem die Blockadehaltung transatlantischer Fanatiker.
Es wäre möglich, das Blutvergießen relativ schnell zu beenden, wenn man nur wollte. Ja: wenn! Leider ist die derzeit verfahrene Situation zwischen Russland, der Ukraine und dem Westen nicht das Ergebnis des „Versagens“ des Letzteren. Die Operation ist vor allem aus Sicht der USA überaus gelungen, alles läuft nach Plan. Russland wurde seit, sagen wir, 1991 in diese Falle hineingetrieben, in der sowohl ein Zurückweichen als auch der Angriff für das Land fatale Folgen haben können. Aber auch der Westen ist unter der Dominanz der USA nicht von ungefähr in dieses Dilemma geraten. Er braucht Krieg und Expansion zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz. Deren Grundlagen brechen aber im gleichen Maße weg, wie die Spekulationsblasen platzen.
Der Vorwurf, Russland solle an den Verhandlungstisch „zurückkehren“, kann nicht ernst gemeint sein. Denn es war der Westen, der Moskau wie eine verschmähte Braut behandelte und sitzenließ. Der Affront begann damit, die NATO-Ostgrenze bis an Russlands Haustür heranzuschieben, gefolgt von immer schrilleren Brüskierungen, Maßregelungen und Sanktionen. Eine entscheidende Etappe war erreicht mit dem Maidan-Putsch 2014, als rechte bis faschistische Kräfte in Kiew die Macht ergriffen.
Die Minsker Abkommen, die 2014 und 2015 ausgehandelt wurden, sollten den Donbass-Gebieten eine gewisse Autonomie innerhalb des ukrainischen Staates bieten. Das war, wie mittlerweile offiziell zugegeben, für das Regime in Kiew unannehmbar. Im Schatten geduldigen Papiers und stillschweigender Toleranz des Westens startete ein achtjähriger Terror gegen die auf eine gemäßigte Eigenständigkeit bedachte Bevölkerung.
Etwa 14.000 Menschen starben mit aktiver Unterstützung der medial in Szene gesetzten Spitze einer olivgrün lackierten Lobbyorganisation US-amerikanischer Interessen. In martialischem Outfit inspizierten sie die Frontlinie, um mehr Waffen für die Bombardements zu fordern. Sie forderten keine Verhandlungen, weil diese nie zur Diskussion standen. Worum es dem Westen und seinen Lakaien geht, ist die russische Akzeptanz des ukrainischen Staatsgebietes in Form eines finanzkapitalistischen, neoliberalen NATO/CIA-Themenparks.
Es führt in die Irre, wenn man auch in kritischer Absicht annimmt, die Erweiterung des transatlantischen „Verteidigungsbündnisses“ nach Osten sei ein Fehler gewesen. Es war kein Fehler, denn sie folgte der Logik eines auf Expansion angewiesenen Wirtschaftsmodells.
Deswegen wurden die russischen Vorschläge vom 17. Dezember 2021 ebenso ignoriert wie die Ergebnisse eines Kompromisses zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul Anfang April 2022: Beide Male wurde eine Autonomie des Donbass sowie eine Neutralität der Ukraine anvisiert. Die Vermeidung beziehungsweise Beendigung des Krieges wäre ziemlich günstig zu haben gewesen. Der Westen wollte und will mehr, nicht aus bloßer Gier, sondern systemimmanenter Notwendigkeit. Er ist zwanghaft Getriebener. Da verliert man leicht die Kontrolle und übersieht, dass mit dem Fortschreiten der militärischen Auseinandersetzung von der Ukraine immer weniger übrigbleiben wird.
Hochmut vor dem Fall
Die westlichen Durchhalteparolen erinnern an die Gewissheit des „liberalen“ US-Kommentators Joseph Alsop am 1. November 1972: „Hanoi hat die nahezu totale Niederlage akzeptiert.“ Am 16. April 1975 war der US-Präsident überzeugt von einer Stabilisierung der südvietnamesischen Regierung — wenn der Kongress 722 Millionen US-Dollar Militärhilfe bereitstellen würde (1). Keine zwei Wochen später hob der letzte Hubschrauber vom Dach der US-Botschaft in Saigon ab. Jetzt also steht Kiew kurz vorm Sieg. Diese Einschätzung geht einher mit einem vom Rest der Welt nicht geteilten Hochmut gegenüber russischer Zivilisation, Technologie und Kultur.
Im Rahmen dieser dumpfen Ressentiments sind russische Sportler, Musiker oder Literaten wie bei den Nazis der Verdrängung aus öffentlichem Leben und Bewusstsein anheim gestellt. In den USA wurden nach ihrem Kriegseintritt in den Ersten Weltkrieg deutsche Komponisten aus dem Programm gestrichen. Dackel, deren Verhängnis ihr deutscher Name „Dachshund“ war, wurden öffentlich verbrannt. Hat man keine guten Gründe für einen Krieg, greift das schlechte Gewissen zu Mitteln der totalen Mobilisierung. Im belagerten Leningrad wurde Beethoven gespielt. Ein Land mit einer solchen Kultur wollen transatlantische Sprechpuppen „ruinieren“? Das Scheitern dieses Ansinnens mussten schon die Generalstäbe der beiden Weltkriege in Echtzeit verfolgen.
Der Verlogenheit entsprechen die vernichtenden Urteile über die russische Armee: inkompetent, schlecht geführt, ineffizient, chaotisch organisiert. Vorgezogen wird offenbar die „Effizienz“ einer Vernichtungsmaschinerie, die während des Zweiten Weltkriegs im US-Staat Utah von Emigranten deutsche Dörfer nachbauen ließ. Einziger, von unseren NATO-Postillen lobend erwähnter Zweck war, im Zuge ihrer Zerstörung „das Brennverhalten der spezifischen Formen und Baustoffe (zu) ermitteln“ (2).
In den Genuss dieser so diszipliniert erworbenen Kompetenz kam die Bevölkerung in Hamburg, Dresden oder Tokio, das zum größten Teil aus Holz und Papier bestand. Die Hitze war so groß, dass ganze Straßenzüge in Flammen aufgingen, bevor das Feuer sie erreicht hatte. Bis zu 200.000 Menschen starben, die Stadt musste danach von der Liste potenzieller Ziele für einen Atombombenabwurf gestrichen werden. Im Februar 1991 wurde sehr kompetent der Amiriyah-Bunker in Bagdad zerstört, bis zu 1.000 Kinder, Frauen, alte Männer kamen ums Leben. 2011 bombardierte die US-Luftwaffe das libysche Sirte. Danach waren 13.000 Zivilisten tot. Die Liste ließe sich fortsetzen. Sie ist endlos.
Die Ansichten über die russische Armee werden untermauert von US-Generälen, deren Armee gegen die Karibikinsel Grenada 1983 einen glänzenden Sieg herausgefochten und in Panama 1989 in überlegender Manier bis zu 6.000 Zivilisten massakriert hatte. In Südostasien ging die Zahl der Toten in die Millionen, allerdings waren dafür bis zu 550.000 Soldaten erforderlich. Für den Irak, der 2003 von einer „Koalition der Willigen“, einer Koalition von zu totaler Zerrstörung, Vernichtung und Massenmord Willigen, überfallen wurde, reichten etwa 350.000 Soldaten.
Beide Länder waren wesentlich kleiner als die Ukraine, in die Russland mit etwa 150.000 Mann einmarschierte. Binnen kurzem wurden fast 100.000 km2 besetzt bei einem Vorgehen, das in der Tat an die offenbar zu bewundernden Standards unserer „regelbasierten Ordnung“ nicht heranreicht: Die russische Armee agiert, von keiner seriösen Quelle angezweifelt, weit entfernt von US-amerikanischer Massenzerstörung und -vernichtung.
Fanatismus, Hysterie und Realitätsverlust
Wenn es wie in Mariupol zur Zerstörung ganzer Straßenzüge kam, dann nur, weil sich die ukrainische Armee und vor allem ihre offen faschistischen Verbündeten mitten in Wohnvierteln verschanzt hatten — was auch nach Amnesty International den Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllt. Diese Taktik orientiert sich an der Abwehr des Vormarsches der Roten Armee 1945, als nicht nur jeder Ziegelstein in Königsberg, Breslau und Berlin verteidigt wurde, sondern auch ein freies Europa — wie die deutsche Außenministerin dankbar ihren Großvater rühmte. Fanatismus, Hysterie und Realitätsverlust geben sich auch bei der Beurteilung des Kriegsverlaufs in der Ukraine die Hand.
Ein Angreifer sollte als Faustregel eine Überlegenheit von 3 zu 1 haben. Die russische Armee erreichte nicht einmal 1 zu 1. Als die Front dann über gut 1.000 km verlief, stellte sie eine Einladung zu Überraschungsangriffen dar. Der Vorstoß in das Gebiet südlich von Charkow Anfang September 2022 beeindruckte für „gute“ Nachrichten Empfängliche angesichts des vergleichsweise zähen Vorrückens der russischen Armee und ihrer Verbündeten. Es war ein Vorstoß durch ein offenes Scheunentor. Zudem muss man nicht nur angesichts der immensen Verluste der Ukrainer, von denen Beobachter berichteten, von einem Pyrrhussieg sprechen. Das gilt vor allem in anderer Hinsicht.
In Moskau scheint zunächst aus vielerlei Gründen die schon wegen ihrer Kosten verführerische Ansicht dominiert zu haben, für die anstehende Aufgabe bedürfe es lediglich einer Art Expeditionschor.
Es mag ein Meisterstück für strategische und taktische Lehrbücher sein, wie man es mit minimalen Kräften und bedächtigem Vorgehen so weit bringen kann. Nach Jacques Baud „stützen sich die Russen auf ihre Meisterschaft in der ‚Operativen Kunst’ und spielen auf dem Kriegsschauplatz mit ihren operativen Modulen wie ein Schachspieler. Dadurch sind sie in der Lage, mit kleineren Truppenstärken schlagkräftig zu arbeiten“ (3).
Gleichwohl wird auch eine solche Armee an ihre Grenzen stoßen. Die bittere Ironie für das Kiewer Regime besteht darin, dass es mit seinen Charkower Taschenspielertricks schlagende Argumente für einen Meinungsumschwung in Moskauer Militär- und Politikkreisen geliefert hat. Kiew hat, stimuliert von Phrasen, Herrenmenschentum und den Jahresetat Russlands übertreffenden Milliardenzuwendungen für Waffenlieferungen aus dem Westen, endgültig den Sinn für die Realitäten verloren. Moskau hat ihn zurückgewonnen. Es setzte sich die Ansicht durch, dass die Trümpfe der bisherigen Strategie ausgereizt waren.
Die verkündete Teilmobilisierung umfasst mindestens 300.000 Mann, manche sprechen auch in Verbindung mit „Freiwilligen“, die jede Region Russlands stellen soll, von 1,2 Millionen. So ein Krieg kostet und kann nicht endlos geführt werden. Doch das gilt auch für die bisherige „militärische Spezialoperation“. In dieser Situation hat der „Durchbruch“ im Charkower Oblast ebenso wie die endlosen, den ukrainischen Truppen immense Verluste zufügenden Scharmützel bei Cherson das Fass halbherziger Entscheidungen zum Überlaufen gebracht.
Hoffnungen auf Verhandlungsfrieden
Wie kann ein Ende des Krieges in der Ukraine aussehen? Wie wäre es vorstellbar? Die Hoffnungen gehen dahin, dass es einen Verhandlungsfrieden geben könnte. Könnte, aber es hat einen Haken: Es dürfte dafür sowohl zu früh als auch zu spät sein.
Zu früh, weil der antirussische Fanatismus so sehr verwurzelt ist, dass sich schon seit Langem eine Art Dystopie entwickelt hat. In ihr erscheinen selbst minimale Konzessionen vom „Westen“, sprich den USA, als „Einknicken“ vor und „Triumph“ von „Putin“.
Wer wie ein Kleinkind rausplärrt, Russland müsse „ruiniert“ werden, hat die Sphäre, in der sich Erwachsene verständigen können und sollten, definitiv verlassen. Da liegt ein Zurück außerhalb des Vorstellungsvermögens, was nichts mit quasi psychologischen Problemen zu tun hat.
Entscheidend ist eine tief verwurzelte Konfrontationshaltung. Die FAZ warnte nach dem am 2. Mai 2014 durch einen faschistischen Mob durchgeführten Massaker in Odessa ihre Leser vor dem unerklärten Krieg Russlands (4).
Niemand weiß bis heute, weshalb kurze Zeit später die MH17 über dem Donbass abstürzte. Denkbar, wenn nicht wahrscheinlich, ist eine ukrainische Provokation. Doch die SZ sprach sofort vom Ende der Diplomatie und von „Krieg“. Die charakterologischen Deformationen, die dahinterstehen, sind dem Instinkt geschuldet, auf die Investitionsfelder in der Ukraine sowie, viel wichtiger, Russland angewiesen zu sein. Es ist das westliche schuldenbasierte Spekulationsmodell simulierten Wachstums, das sich Kompromisse nicht erlauben kann. Es ist am Ende.
Die USA hatten 2017 eine Staatsverschuldung von 20 Billionen US-Dollar, 2021 waren es 31, ein Plus von 55 Prozent in nur fünf Jahren. Rechnet man die Unternehmen und Privathaushalte dazu, kommt man auf 70 Billionen. Das funktioniert so lange, wie die USA quasi nach Belieben Geld drucken können. Das wiederum ist nur möglich, so lange es Abnehmer für ihre Währung gibt, was der Fall ist, so lange der US-Dollar als globale Leitwährung akzeptiert ist. Dafür Sorge zu tragen, ist Dreh- und Angelpunkt US-amerikanischer Aussenpolitik.
Die EU bringt den transatlantischen Paten nicht um den Schlaf, denn sie steht unter seiner Kontrolle. Damit hier nichts aus dem Ruder läuft, ist jede Annäherung an, gar Kooperation mit Russland, dem fast einen Kontinenten umfassenden Gegner, zu unterbinden. Es gilt, die Schäfchen um sich zu scharen, zu konditionieren und zu terrorisieren. Zahllose Mitläufer und Kollaborateure dieses Vichy-Modells bieten ihre Dienste an.
China als alternatives Konzept
Die größte Gefahr droht von einem Giganten mit etwa einem Fünftel der Weltbevölkerung, enormen Steigerungen der Wirtschaftsleistung in den letzten Jahrzehnten sowie einem alternativen Konzept der globalen Ordnung: China. Der Hegemonieanspruch der USA verdankt sich nicht einer Marotte, sondern ist conditio sine qua non ihrer Machtstellung. Die USA müssen, das stellte der Stratege des Kalten Krieges George Kennan sofort nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs klar, auf eine weltweit „offene Tür“ für Waren, Rohstoffe, Finanzen und politischen Einfluß dringen.
US-Außenminister Anthony Blinken warnte Mitte Oktober 2022 vor globalen Akteuren, die „nicht in einer Weise (eine Führungsrolle übernehmen könnten), die voll und ganz mit unseren Interessen und Werten und übereinstimmt“. Die Welt bedürfe der Führung durch die USA, damit sich die Verhältnisse nicht zum Schlechteren entwickelten (5). Tatsächlich ist es umgekehrt.
Einzig die USA bedürfen ihrer Rolle als globale Führungsmacht. Sie ist unerlässlich für das reibungslose Funktionieren nicht der Welt, sondern der heimischen Ordnung, erfordert aber ein Militärpotential, dessen Finanzierung wiederum auf das angewiesen ist, was die USA anstreben müssen: die globale Führung.
Die nicht endenden Kriege werden letztlich finanziert von den „Tributpflichtigen“, deren Ausplünderung auch darin besteht, dass sie US-Dollar kaufen müssen und so für Schulden des Imperiums aufkommen. Von hier aus ergibt sich gebieterisch, Konkurrenten in ihre Schranken zu verweisen.
Am unauffälligsten sind die wirtschaftlichen Pressionen in Form aufgedrängter „Freihandelsabkommen“, willkürlicher Strafzölle oder erpresserischer Strafverfahren mitsamt irrwitziger „Geldbußen“ sowie Auflagen zu millionenteurer Bezahlung US-Kontrollangestellter bei ausländischen Unternehmen. Drastischer ist die Verhängung völkerrechtlich aberwitziger, unzulässiger „Sanktionen“ bei mangelnder „Kooperation“ oder gar offener Widerspenstigkeit. Von dort ist es nicht weit zu mit gigantischen Geldmitteln finanzierter Anstiftung zu Chaos, „Farbrevolution“ und „Regime Change“. Reicht das nicht, wird ein Stellvertreterkrieg angezettelt oder gleich ein Überfall auf das in der Regel wehrlose, aber finanzielle und geostrategische Vorteile bietende Land losgetreten (6).
Zeichen des Niedergangs
Die Osterweiterung der NATO, die de facto bis zur Ukraine vollzogen wurde, und der dadurch provozierte Krieg geben eine gute Vorstellung eines zwanghaften Vorgehens im Rahmen einer parasitären Ökonomie, die nur Desaster gebieren kann. Die USA haben seit ihrer Gründung 1776 über 500 internationale Militärinterventionen durchgeführt, die inländischen Massaker an der indigenen Bevölkerung nicht mitgerechnet. Fast 60 Prozent der Überfälle auf fremde Territorien fanden zwischen 1950 und 2017 statt, 251 seit 1991 und mehr als ein Drittel nach 1999 (7).
Die starke Zunahme kann als Zeichen des Niedergangs gesehen werden. Denn parallel taumelte ein zunehmend finanzialisierter Kapitalismus vom Platzen einer Spekulationsblase zur nächsten und schritten Geldmenge, Verschuldung, Inflation sowie Verarmung breiter Bevölkerungsschichten unaufhaltsam voran. Das Corona-Regime war die Form, in der die systemische Krise der von den USA dominierten Wirtschaft bewältigt werden sollte.
Die Inszenierung einer „Pandemie“, deren Gefährlichkeit sich im Rahmen einer Grippewelle bewegte, war ein Notausgang nach der Kernschmelze, die September 2019 an den Finanzmärkten drohte.
Mittels flächendeckender Angsteinflößung wurde die Bevölkerung indoktriniert, zu Hörigkeit signalisierenden Unterwerfungsgesten schikaniert und bei Unbotmäßigkeit mit Repressionsmaßnahmen bedroht sowie tatsächlich überzogen. Die Manipulation der Massen erfolgte durch die Gestaltung ihrer Rolle als Opfer zugunsten „fortschrittlicher Ideale“, auf welches Trittbrett genügend „Progressive“, „Aufgeklärte“ und „Linke“ gesprungen sind (8). Das ist nur ein trauriger Kommentar zur Geistesverfassung „oppositioneller“ Kräfte der letzten 50 Jahre.
Im Schatten der „Corona“-Despotie wurde mit den quasi zwangsweisen Geninjektionen nicht nur eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte verübt, sondern auch Volksvermögen in Billionenhöhe verschleudert. Millionen Existenzen brachen weg, der Mittelstand wurde stark angeschlagen und Finanzgiganten ein dringend benötigtes Investitionsfeld offeriert. Diese Strategie ging nahtlos über in den Krieg in der Ukraine, der alle Anzeichen eines verschleierten Krieges gegen Russland trägt. Eine zwischen Regierung, Wirtschaft, Geheimdiensten und Medien abgestimmte Kampagne diskreditierte, diffamierte und bedrohte existentiell jeden, der die Prinzipien der neuen, durch und durch militaristischen Ratio nicht übernahm oder auch nur Zweifel anmeldete. Der Feind steht im Innern, wie schon Karl Liebknecht konstatierte.
Vor allem Länder mit besonders starker Abhängigkeit von spekulativen Finanzgeschäften wie die USA und das Vereinigte Königreich (UK) unternehmen aberwitzige Anstrengungen zur Unterstützung der Kiewer Strohmänner und -frauen. Das ist ein weiterer Beleg dafür, wie sehr das Kartenhaus auf der Kippe steht. Es ist ein Vabanque-Spiel. Der Westen muss wie das Dritte Reich bis zum „Endsieg“ kämpfen und Ukrainer sterben lassen. Aber auch Russland hat die Brücken hinter sich abgebrannt. Der Unterschied ist, dass es die besseren Karten hat.
Die Sanktionen haben sich erwartungsgemäß als Schuss nach hinten erwiesen. Er traf Länder, in denen schon im Januar 2022 die Inflation 8 Prozent betrug, die Verschuldung gigantisch und die prekäre Lage großer Teile der Bevölkerung unübersehbar war. Das volle Ausmaß der Fehleinschätzung wird sich im Laufe des Winters zeigen. Die dramatischste Folge der westlichen Geisterfahrt freilich ist geopolitischer Natur. Die Gefahr dämmert den USA und ihrem britischen Pudel, sonst hätten sie nicht Kiew zurückgepfiffen, als in Istanbul eine Verhandlungslösung zum Greifen nahe lag. Dafür ist Verständnis angebracht.
Der Kalte Krieg wurde 1990 nicht beendet, sondern von den USA als gewonnen betrachtet, weshalb er in einer entmystifizierten Form weiterging als das, was er seit über 100 Jahren war: der Versuch, Russland „einzudämmen“, wegzudrängen und schließlich auszuplündern (9). Die gegenwärtige Krise in der Ukraine ist Ausdruck einer Weigerung, einzusehen, dass mit Wladimir Putin als neuem Mann an der Spitze des Staates damit Schluss war und ist. Als Reaktion wurden Pressionen, Kampagnen und Drohungen forciert. Doch Russland widerstand nicht nur dem Druck. Es schlug auch zurück, wobei die Konzentration auf den militärischen Aspekt den Blick auf die Dimension des westlichen Desasters verstellt.
Tickende Zeitbombe
Wie es um den Westen steht, lässt sich ablesen an der Panik, die indirekt in der Berichterstattung des Treffens der Shanghai Organisation zur Zusammenarbeit in Samarkand Oktober 2022 zum Ausdruck kam: Wenn überhaupt darüber geschrieben wurde, dann in grotesken Zerrbildern, schamlosen Verdrehungen und absurden Verfälschungen. Wer die Realität auf den Kopf stellt, hat die Kontrolle verloren (10). Der Verbund der BRICS-Staaten ist ein weiterer Pfeiler für den Aufbau eines vom US-Dollar unabhängigen Finanz- und Zahlungsverkehrs. Da tickt eine Zeitbombe, die zu entschärfen alles unternommen wird.
Zum einen ist China zum Hauptfeind erklärt, zum anderen soll nicht nur Russland entscheidend geschwächt, sondern muss auch Europa ökonomisch ausgepresst werden. Die Zielrichtung zeigte sich unverhohlen beim Anschlag auf die Nordstream-Pipeline, der in einem Moment des Stimmungsumschwungs in der Bevölkerung das Projekt einer Trennung Europas und insbesondere Deutschlands von Russland, seit über 100 Jahren ein Grundpfeiler der US-Außenpolitik, absichern sollte. Am Ende des Lateins trennt man den Gordischen Knoten mit Gewalt.
Die USA, zusammen mit den möglicherweise unmittelbaren Akteuren aus UK, haben Europa den Krieg erklärt, und ein Heer an Ignoranten, Kollaborateuren oder einfach Landesverrätern nimmt es nicht zur Kenntnis. Das kollektive Schweigen bezüglich des größten Verdächtigen ist beredt. Blinken gab sich verwundert: Es habe doch niemand ein Interesse an einer solchen Zerstörung gehabt. Michael Hudson wunderte sich auch: Wenn niemand ein Interesse habe, wieso kam es dann zu der Zerstörung (11)? Ja, wieso? Blinken gab einige Anregungen: Die USA seien nun der führende Anbieter von Flüssiggas, um die Mangelsituation in Europa zu beheben, und es böten sich großartige Chancen für eine Beendigung der Abhängigkeit von russischem Gas. Er sprach in anderen Worten von Mittel und Zweck: Kooperation mit Russland verhindern, Dominanz der USA sichern.
Scott Ritter schrieb (und redete) sich förmlich in Rage: Schande über US-Journalisten und Schande über Europa, die einen solchen Anschlag auf lebenswichtige Infrastruktur, seinen Wohlstand und seine Energieversorgung hinnimmt. Schande auch über die jenseits begründeten Zweifel als Täter feststehenden Regierungen, die ihre Länder auf das Niveau jener Schurken herabgezerrt haben, die den Vorwand bilden für weltweites Berserkertum: ganz banale internationale Terroristen und deren staatliche Sponsoren (12).
Aber der Erfolg von US/NATO wird sich auch ohne eine selbstbewusste Reaktion Europas als weiterer Pyrrhus-Sieg erweisen, denn der Rest der Welt, abgeschreckt vom Schicksal eines ins Elend gestürzten „Verbündeten“, wird um so stärker entschlossen sein, eine Alternative zu dieser Welt-Unordnung zu entwickeln: Wenn die „regelbasierte Ordnung“ oder die „ordnungbasierten Regeln“ solch eine schöne, neue Welt für ihre Vasallen vorsieht — was können dann ihre Kolonien erwarten?
Bauern auf einem Schachbrett
Wie höhnten unsere Medien vor mehr als 60 Jahren, als die Sowjet Union praktisch unblutig den Prager Frühling verstummen ließ, von der Breschnew-Doktrin der „begrenzten Souveränität“ kleiner Staaten im Gefolge einer imperialen Macht. Dass auch die USA eine Doktrin haben, wird seit Jahrhunderten verdrängt, bezüglich Europa und speziell Deutschland besonders effizient seit 1945. Wir sind eine Bananenrepublik, womit keine Republik, in der Bananen angebaut und die von US-Konzernen beherrscht wird, beleidigt werden soll, im Gegenteil: Die dortigen Bevölkerungen wissen, was gespielt wird. Von diesem Bewusstseinsstand sind wir Welten entfernt. Wir sind glückliche Bauern auf einem Schachbrett, auf dem andere die Züge ausführen.
Man kann darauf warten, wie sie sich für uns auswirken. Im Frühjahr sind wir schlauer — mit weiter gestiegener Inflation, zugenommenen Lieferengpässe, dramatischer gewordener Verschuldung. Die schon seit 2019, wenn nicht 2006 oder noch früher begonnenen Schwierigkeiten der Wirtschaft, die einhergehen mit einer Verarmung der Gesellschaft, werden den Blick auf die Situation in der Ukraine mit prägen.
In Moskau wird sich, je weiter die Zeit fortschreitet, die Gewissheit verstärken, eine Lösung der Ukrainefrage auszuschließen, die den Keim neuer Konflikte in sich birgt. Der Westen hat sämtliche Hinweisschilder auf dem Weg seiner Raserei gegenüber Russland hin zu einer friedlichen Lösung verpasst: Dezember 2021, März/April 2022, auch jetzt nach der Eingliederung von vier Regionen qua Volksabstimmung — nie hat er die Zeichen der Zeit erkannt. Wie wird es weitergehen? Prognosen sind immer mit Unsicherheit behaftet, bekanntlich besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Es sei dennoch versucht — wobei alle „Friedensaktivisten“ daran erinnert seien: Das Leben ist kein Wunschkonzert, schon gar nicht, weil es nicht ein Ponyhof ist, der Russland auf die Pelle gerückt ist.
Spätestens gegen Ende des Winters werden die Möglichkeiten des Westens, insbesondere seines europäischen Teils, erschöpft sein, das Kiewer Regime mit Waffen und Geld zu unterstützen. Allein die Versorgung der mit politisch motivierter Großzügigkeit eingeladenen Flüchtlinge aus der Ukraine, die meist Jahre auf diese Gelegenheit gewartet haben, wird mit Milliarden zu Buche schlagen.
In der neuen Regierung Italiens zeigen sich Brüche in der antirussischen Allianz, im ebenfalls am Abgrund stehenden Vereinigten Königreich haben verheerende Fehler den Abgang der Premierministerin nach 45 Tagen im Amt erzwungen, in Frankreich entwickelt sich eine starke Oppositionsbewegung, in den USA hat Tucker Carlson, leitender Moderator bei Fox News, den Schwenk, den republikanische Politiker für die Zeit nach den Teilwahlen Anfang November angekündigt haben, bereits vorweggenommen. Er sprach von Selenskij wie von einem räudigen Hund, der sich vom Hof machen solle. Doch dessen Ansprüche werden weiter zunehmen.
Neue Etappe des Krieges
Demgegenüber wird Russland die Zeit genutzt haben, die Ukraine zu zermürben, und es ansonsten dabei belassen, die bestehenden Frontlinien zu festigen. General Winter und Väterchen Frost werden makabre Spuren hinterlassen, von den Abnützungsschlachten im Donbass und vor allem bei Cherson zu schweigen. Der von ukrainischen Soldaten zu entrichtende Blutzoll wird traurige Dimensionen erreicht haben. Ende Januar, Anfang Februar, wenn die Böden noch gefroren sind, ist vermutlich die Integration der neuen Kräfte aus der russischen Teilmobilisierung abgeschlossen und die Armeeführung dürfte eine neue Etappe des Krieges einleiten. Das Ziel wird sein, zunächst die Gebiete um Charkow, Dnepropetrowsk, Saporoschje, Nikolajew und Odessa unter Kontrolle zu bringen.
Bis dahin ließe sich über einiges reden, sicher nicht über die zwei Regionen um Cherson und Saporoschje, den Donbass und die Krim. Verstreicht diese Gelegenheit und kommt die russische Armee — ungeachtet ihres derzeitigen, möglicherweise taktisch inszenierten Rückzugs auf das linke Dnjepre-Ufer — voran, dürften angesichts eines militärischen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Ruins der Ukraine die Angebote Russlands darauf hinauslaufen, überall im Land Referenden abzuhalten mit demokratischen, völkerrechtlich einwandfreien Fragen: Welcher Status soll für welchen Oblast gelten? Die weitere Zugehörigkeit unter ukrainischer Oberhoheit oder die Eingliederung in die Russische Föderation? Hier bestünde auch angesichts territorialer Begierden westlicher Anrainerstaaten die letzte Möglichkeit, an ukrainischem Staatsgebilde zu retten, was zu retten ist. Sie sollte mit Klugheit, Diplomatie und Augenmaß genutzt werden.
Es böten sich Aussichten auf einen Frieden, der mehr wäre als eine Beendigung des Krieges, ein auskömmliches Lebens und eine zuträgliche Zusammenarbeit mit allen Nachbarn. Voraussetzung wäre allerdings, die transatlantischen Fanatiker in ihre Schranken zu verwiesen — eine Herkulesarbeit und das größte Hindernis.
Es dürfte freilich leichter zu überwinden sein, wenn die Lebensbedingungen unzumutbar und die Perspektiven für die Zukunft düster geworden sind. Das wird, ohne hellseherische Fähigkeiten im Übermaß zu strapazieren, der Fall sein.
Quellen und Anmerkungen:
(1) siehe Howard Zinn, Eine Geschichte des [US-] amerikanischen Volkes, Berlin 2007, 538
(2) Joseph Hanimann, Vom Bauhaus zum Bunker, SZ 22. Aug. 2014
(3) Jacques Baud, Ukrainekonflikt: „Der Westen will keine Verhandlungen“, Zeitgeschehen im Fokus 29. Sept. 2022 https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-17-vom-29-september-2022.html#article_1415
(4) siehe John Pilger’s 2014 Warning About Ukraine, Consortiumnews 24. September 2022 [Nachdruck eines Artikels im Guardian vom 13. Mai 2014] https://consortiumnews.com/2022/09/24/john-pilgers-2014-warning-about-ukraine/
(5) siehe RT.DE 18. Oktober 2022 https://de.rt.com/international/131481-liveticker-ukraine-krieg-kiew-andert/
(6) siehe hierzu nur Guido Biland, Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Brauchen die USA einen Stellvertreterkrieg, um ihre Schuldenwirtschaft am Leben und am Laufen zu halten? Einiges spricht dafür, OVERTON 11. Oktober 2022 https://overton-magazin.de/hintergrund/wirtschaft/wer-solche-freunde-hat-braucht-keine-feinde-mehr/
(7) siehe Florian Warweg, Forschungsdienst des [US-]Kongresses: USA haben seit 1991 weltweit 251 militärische Interventionen durchgeführt — seit 1798 waren es 469, NachDenkSeiten 13. Oktober 2022 https://www.nachdenkseiten.de/?p=89145#more-89145
(8) siehe auch Fabio Vighi, Die Zeit der immer gravierenderen Notstände, tpk 8. Juli 2022 https://tkp.at/2022/07/08/die-zeit-der-immer-gravierenderen-notstaende-eine-analyse-von-prof-fabio-vighi/
(9) Zu dem Zustand Russlands am Ende der Jelzin-Ära sehr erhellend: Frédéric Clairmont, La Russie au bord de l’abîme. Au cœur de la crise, le pillage, LE MONDE diplomatique mars 1999 https://www.monde-diplomatique.fr/1999/03/CLAIRMONT/2826 (dt.: Die Internationale der Plünderer, Sektion Russland, LE MONDE diplomatique Mars 1999 https://monde-diplomatique.de/artikel/!3202233)
(10) siehe nur für die US-Presse: Joe Lauria, Defensive West Smears Samarkand Summit, Consortium News 21. Oktober 2022 https://consortiumnews.com/2022/09/21/defensive-west-smears-samarkand-summit/
(11) siehe Peter Mayer, Katastrophale wirtschaftliche Folgen des Pipeline Terroranschlags, tpk 1. Oktober 2022 https://tkp.at/2022/10/01/katastrophale-wirtschaftliche-folgen-des-pipeline-terroranschlags/; Michael Hudson, The Euro Without Germany, naked capitalism 30. September 2022 https://www.nakedcapitalism.com/2022/09/michael-hudson-on-the-euro-without-germany.html, dt.: Hudson, Der Euro ohne deutsche Industrie, junge Welt 5. Okt. 2022 https://www.jungewelt.de/artikel/435973.us-imperialismus-der-euro-ohne-deutsche-industrie.html; Markus Gelau, Die mutwillige Zerstörung, RUBIKON 29. September 2022 https://www.rubikon.news/artikel/die-mutwillige-zerstorung
(12) siehe Scott Ritter, Pipelines v. USA. Intent, motive and means: People serving life sentences in US prisons have been convicted on weaker grounds than the circumstantial evidence against Washington for the attack on the Nord Stream pipelines, Consortiumnews 12. Oktober 2022 https://consortiumnews.com/2022/10/12/scott-ritter-pipelines-v-usa/