Der verrutschte Schleier

Der Iran ist eine große Kulturnation, die nun von einem „kleineren Übel“ regiert wird. Weder dem dortigen Establishment noch dem Westen ist zu trauen — wohl aber dem Mut und der Erneuerungskraft vieler Iraner.

Ein Wächterrat — das wär’s! Im Iran können überhaupt nur solche Kandidaten zur Wahl antreten, die bewiesen haben, dass sie bestimmte weltanschauliche Grundüberzeugungen teilen. Demokratie — das ist der Wettkampf zwischen Politikern, die vom „Obersten Führer“ Ayatollah Ali Chamenei für gut befunden wurden. Deshalb auch nahm wohl nicht nur die westliche Öffentlichkeit die Entscheidung vom 28. Juni nicht so ernst — auch die Iraner selbst blieben der Wahl zu 60 Prozent fern. Dass ein Volk immer nur die Wahl zwischen verschiedenen Varianten des Gleichen hat und am Ende resigniert das kleinere Übel wählt — diese Dynamik vermag die deutsche Presse immer nur in exotischer Ferne zu durchschauen, nie im eigenen Land. Das System politischer und zugleich geistlicher Herrschaft im Iran scheint festgefügt. Für Chamenei ist es zweitrangig, wer unter ihm das Land regiert. Der Westen möchte zwar nur allzu gern in die Zeiten des seligen Schahs Mohammed Reza Pahlavi zurück, als das Land kurzfristig ein Brückenkopf von US-Interessen war — doch ein solches Szenario scheint fern. Wenn überhaupt, wäre es nur durch massive Gewalt herbeizuführen, wenn etwa eine Einmischung des Iran in den Israel-Palästina-Konflikt die USA auf den Plan riefe — mit der Folge unvorstellbarer Kriegsgräuel. Die Hoffnung auf eine Erneuerung des Landes von innen heraus lebt jedoch weiter. Hoffnungsträger ist die Bevölkerung selbst — allen voran Frauen.

Was wir als „böse“ empfinden, tragen wir oft selbst im Schatten. Mit dem Finger auf den Iran zu zeigen, ist müßig und nicht immer gerecht. So mancher deutsche Politiker könnte neidvoll gen Südosten schauen — gibt es doch auch bei uns Bestrebungen, nur Parteien zur Wahl zuzulassen, die einen bestimmten gedanklichen Rahmen nicht sprengen. Nicht umsonst ist das böse Wort „Blockparteien“ mit Blick auf Union, SPD, Grüne, FDP und manchmal sogar die Linke wieder im Umlauf. Und noch etwas haben deutsche Regierungspolitiker offenbar vom Iran abgeschaut: Sie wollen nicht nur die politische Macht, sondern beanspruchen auch geistige Führerschaft. Der Staat will nicht nur das Verhalten seiner Bürger beeinflussen, sondern auch deren Weltanschauung kontrollieren.

Diese muss im Iran traditionell muslimisch sein; in Deutschland muss man zum Beispiel glauben, dass das eigene, das „demokratische“, Lager gut, Russland dagegen zutiefst böse sei, was schon an den berühmten „persischen Dualismus“ erinnert — die Lehre des Zoroaster, wonach auf der Erde die Macht des Lichts beständig mit der Macht der Finsternis um die Vorherrschaft ringt.

Weiter steht die iranische Führungselite auf dem Standpunkt, wer den Staat verhöhne, müsse es mit einem starken Staat zu tun bekommen.

Nicht zuletzt hat man in Deutschland in den Jahren 2020 bis 2022 damit begonnen, Menschen wegen eines fehlendes Stücks Stoff im Kopfbereich zu drangsalieren. Im Iran ist das der Hijab, das das Gesicht umrahmende, alle Haare verdeckende Tuch; in Deutschland war es die berühmte Virenschutzmaske, deren Tragen von Corona-Religionswächtern streng kontrolliert wurde.

Was Frauen im Iran passieren kann

Freilich sind die Strafen im Iran wesentlich brutaler, womit die Liste der Gemeinsamkeiten mit Deutschland schon wieder endet. In ihrem Buch „Im Namen Gottes. Die Unterdrückung der Frauen im Iran“ berichtet die im Berliner Exil lebende iranische Autorin Jasmin Taylor über einen schockierenden Vorfall. Die Schülerinnen Yasamin und Soraya lockerten auf dem Nachhauseweg von der Schule ihren Hijab. Da hielt plötzlich ein Auto direkt neben ihnen an.

„Die Türen sprangen auf, und mehrere schwarz verschleierte Frauen stiegen aus. Schnellen Schrittes eilten sie auf uns zu, packten Soraya und mich und zerrten uns in das Auto.“

Sie „fragten, warum wir wie Nutten aussahen und den Hijab nicht anständig trugen“. Weiter fanden die Religionswächterinnen in Sorayas Tasche kleine Zettel mit der Aufschrift „Freiheit und Demokratie“. Die Mädchen wurden geschlagen, beschimpft und ins Gefängnis verfrachtet. Sie wurden langen, quälenden Verhören unterworfen, während derer sie sich absurde Vorwürfe anhören mussten. Eine Woche lang mussten sie in einer extrem überbelegten Zelle ausharren, die brütend heiß war und nach Schweiß und Exkrementen roch. Es gab zu wenige Betten; manche Frauen schrien vor Verzweiflung. Immer wieder wurde Yasamin zu Verhören gerufen, wurde mit Kakerlaken und Peitschenhieben gefoltert. Schließlich kam sie frei — nicht ohne weitere Belehrungen zu erhalten, sich künftig „anständig“ zu benehmen und alle religiösen Vorschriften einzuhalten.

Diese Geschichte war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches (2023) schon 40 Jahre alt. Jedoch haben sich die Zustände Taylor zufolge seither nicht verbessert. Bekannt ist das Schicksal der jungen Iranerin Jina Mahsa Amini, die nach ihrer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei im Gefängnis misshandelt wurde, ins Koma fiel und im September 2022 starb. Dieser Vorfall war der Auslöser für die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“, die zahlreiche Straßenproteste — überwiegend von Frauen — nach sich zog. Die Forderungen der Protestierenden schlossen zunehmend allgemeine Verbesserungen der Frauenrechte mit ein.

Natürlich ließen die Behörden die neue, machtvolle Bewegung nicht einfach gewähren. Laut Amnesty International „wurden mindestens sieben Protestierende willkürlich hingerichtet, Hunderte Menschen rechtswidrig getötet und Zehntausende Menschen willkürlich festgenommen. Folter ist an der Tagesordnung, darunter Vergewaltigungen im Gefängnis. Die Familien der Opfer werden schikaniert. Frauen und Mädchen müssen mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen, wenn sie dem diskriminierenden gesetzlichen Kopftuchzwang nicht nachkommen“.

Segensreiche Sanktionen

Könnten derartige Berichte falsch und nur „westliche Propaganda“ sein? Theoretisch ja — es erscheint mir aber unwahrscheinlich, weil unzählige Berichte von Exilanten und ehemaligen Opfern aus vielen Ländern eine deutliche Sprache sprechen. Die Widerstandsbewegung der Exiliraner ist global aktiv, Hunderte Zeugen haben in internationalen Dokumentationen ausgesagt. Etwa im arte-Film „Frau, Leben, Freiheit — eine iranische Revolution“ mit der iranischen Schauspielerin Golshifteh Farahani, die 2012 in den Westen emigrierte.

Vor diesem Hintergrund muss man verstehen, dass der bei den Wahlen 2024 siegreiche Präsidentschaftskandidat Massut Peseschkian von westlichen Medien positiv geframt wird — gern als „gemäßigt regimetreu“ und als „Reformer“. Peseschkian, so sagen es übereinstimmend Berichte in den „Leitmedien“, traue sich zwar nicht, die Kopftuchpflicht abzuschaffen, wolle aber die brutalen Kontrollen der Revolutionswächter nicht mehr so streng durchführen. Mal sehen. Auch wolle sich Peseschkian „dem Westen gegenüber öffnen“, was gern mit dem Hinweis garniert wird, die Sanktionen gegen den Iran seit 2011 hätten dieses partielle Einlenken erzwungen.

Dies kann als eine Art Werbeargument für Sanktionen als solche gewertet werden. Wenn es bei Putin schon nicht so gut geklappt hat, dann wenigstens beim mutmaßlich schwächeren Iran. Tatsächlich scheinen die Iraner von den Maßnahmen westlicher Länder schwer getroffen zu sein — so sagt es jedenfalls die Frankfurter Rundschau: „Ein Teil der iranischen Bevölkerung leidet Hunger. Das Forschungszentrum des iranischen Parlaments habe festgestellt, dass 50 Prozent aller Iraner im Jahr 2023 weniger als die empfohlenen 2.100 Kalorien pro Tag verbraucht hatten. 9,5 Millionen Iraner gerieten im Laufe der 2010er-Jahre in Armut.“ Die Frankfurter Rundschau versucht die Sanktionen als westliches Erfolgsmodell zu verkaufen: „Für Putin sollte das eine Warnung sein.“ Natürlich trifft es im Iran „nur das Volk, nicht seine Führung“. Und ebenso natürlich ist Mitleid mit iranischen Frauen nicht das Hauptmotiv der Sanktionierenden. Entscheidend ist das unterstellte Atomprogramm des Iran.

Menschenrechte — nur eine westliche Marotte?

Ein negatives Bild vom Iran zu vermitteln könnte unlauteren globalstrategischen Absichten des Westens entspringen. Dies sollte im Umkehrschluss aber nicht zu der Annahme verführen, das iranische Mullah-Regime bestehe aus lauter lupenreinen Demokraten, die von tiefer Liebe zu den Menschenrechten durchdrungen seien.

Man kann einwenden, dass selbst das Konzept „Menschenrechte“ nur ein westlich geprägtes Narrativ sei, welches man anderen Kulturen nicht überstülpen dürfe. Alle Vorwürfe gegen den iranischen „Gottesstaat“ laufen entsprechend darauf hinaus, dieser sei nicht westlich genug und müsse es so bald wie möglich werden.

Richtig ist, dass zum Beispiel die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen (UN) von 1948 eher die Handschrift westlicher, säkularer, pluralistisch aufgestellter Demokratien trägt — auch wenn man infrage stellen kann, wie demokratisch heutige NATO-Mitgliedsländer wirklich sind. Was jedoch nicht als westliches Vorurteil abgetan werden kann, ist der Schmerz, den Iranerinnen spüren, wenn sie misshandelt und strukturell diskriminiert werden, somit vielfach per Gesetz als Menschen zweiter Klasse gelten. Ein paar Beispiel zur rechtlichen Situation von Frauen im Iran, zusammengetragen von Jasmin Taylor:

  • Menschen im Iran gelten schon sehr früh als „strafmündig“: Jungen mit 15 Jahren, Mädchen sogar schon mit 9. Im Zusammenhang mit „Frau, Leben, Freiheit“-Demonstrationen sollen in großer Zahl Kinder unter 12 Jahren verhaftet und im Gefängnis gefoltert worden sein.
  • Jährlich werden im Iran etwa 42.000 Kinder im Alter zwischen 10 und 14 Jahren zur Heirat gezwungen.
  • Gewalt gegen Kinder — etwa durch ihre Väter — gilt als legitime Erziehungsmaßnahme und wird kaum geahndet.
  • Männer dürfen bis zu vier Frauen gleichzeitig ehelichen, während sich Frauen mit nur einem Mann begnügen müssen. Frauen müssen ihren Männern sexuellen Gehorsam leisten. Der Straftatbestand „Vergewaltigung in der Ehe“ existiert nicht.
  • Im Scheidungsfall geht das Sorgerecht für Kinder ab dem siebten Lebensjahr grundsätzlich an den Vater. Ist der Ehemann verstorben, landet sein Kind häufig bei seiner Verwandtschaft, nicht bei der Mutter.
  • Männer haben Anspruch auf das gesamte Erbe ihrer verstorbenen Frau; Frauen können umgekehrt nur ein Achtel des vererbten Vermögens beanspruchen.
  • Frauen benötigen immer die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds — also eines männlichen Verwandten aus der Stammfamilie oder ihres Ehemanns —, um eine Berufsausbildung absolvieren zu dürfen. Männer entscheiden auch, ob Frauen innerhalb des Landes reisen und ob sie das Land verlassen dürfen. Selbst der Besitz eines Reisepasses bedarf der Genehmigung es Ehemanns.
  • Im Iran gibt es ein „Vergeltungsrecht“, wonach sich Geschädigte — etwa bei körperlichen Verletzungen — am Täter rächen dürfen. Wer durch die Schuld eines anderen ein Auge verliert, darf dem Verantwortlichen mit Billigung des Staats selbst ein Auge nehmen. Frauen sind jedoch im Vergeltungsrecht nur die Hälfte wert. Für zwei Augen einer Frau darf diese einem Mann nur eines nehmen.
  • Heiratet eine iranische Frau einen Ausländer — etwa aus dem im Iran vielfach diskriminierten afghanischen Volk —, so erhält das Paar keine gültige Heiratsurkunde. Kinder aus einer solchen Ehe erhalten keine Geburtsurkunde, haben also kein Recht auf Ausbildung und gesundheitliche Versorgung. Umgekehrt wird die Heirat eines Iraners mit einer ausländischen Frau problemlos anerkannt.

Die Kaiserin der Herzen

Ich habe hier nur die Menschenrechtsverletzungen aufgezählt, die speziell die Rechte der Frauen betreffen, weil dieses Thema in den Medien in letzter Zeit sehr „hochgekocht“ ist. Es gibt noch viele weitere. Und es ist eben nicht wahr, dass dergleichen nur einige von den Medien aufgehetzte „Gutmenschen“ aus dem Westen stört. Iranische Frauen erscheinen in vielen Quellen als selbstbewusst, kämpferisch und enorm mutig. Sie begehren unter hohem persönlichem Risiko gegen ihre Entrechtung auf — und diese Revolution ist noch nicht zu Ende. Richtig ist natürlich auch, dass nur sehr drastische Fallbeispiel Aufnahme in Jasmin Taylors Buch „Im Namen Gottes“ und in vergleichbare Werke fanden. Eine Frau, die mit einem lieben, friedlichen Mann zusammenlebt und auch keine Probleme mit der religiösen Obrigkeit hat, hätte wohl kaum Chancen auf literarische Beachtung gefunden.

Jasmin Taylor outete sich zu Beginn ihres Buches als Anhängerin der Schahbanu (Schah-Gattin) Farah Pahlavi, die — 85-jährig — noch heute in Frankreich lebt:

„Sie sind eine Inspiration für uns alle, die wir danach streben, unsere eigenen königlichen Qualitäten zu entdecken und der Welt mit Liebe und Güte zu begegnen.“

Die Schahbanu, die tatsächlich ein beachtliches karitatives Lebenswerk vorzuweisen hat, hat die Menschenrechtsverletzungen ihres Gatten, von denen sie gewusst haben muss, jedoch über viele Jahre emotional mitgetragen und idealisiert Mohammed Reza Pahlevi bis heute in Interviews.

Jubelperser und eine künftige Terroristin

Der Schah-Besuch 1967 gehört bis heute zu den bekanntesten Episoden der iranisch-deutschen Geschichte — zusammen mit dem Kult um Farahs Vorgängerin Soraya Esfandiary Bakhtiary, die zur Hälfte deutscher Abstammung und deshalb der besondere Liebling der deutschen Klatschpresse war. Am 2. Juli 1967 demonstrierten Studenten in Berlin gegen den Besuch des Schahs, dem die Verantwortung für zahlreiche Gräueltaten vorgeworfen wurde.

Das linke Magazin Konkret warf dem persischen Regime im Vorfeld des Besuches vor, „dass keine unzensierte Zeile in Persien veröffentlicht werden darf, dass nicht mehr als drei Studenten auf dem Universitätsgelände von Teheran zusammenstehen dürfen, dass Mossadeghs Justizminister die Augen ausgerissen wurden, dass Gerichtsprozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, dass die Folter zum Alltag der persischen Justiz gehört“. Der Name der Autorin des Beitrags war Ulrike Meinhof.

Jubelperser, die mit dem Schah aus dem Iran eingereist waren, begannen mit langen Stöcken auf die Demonstranten einzuprügeln. Die deutsche Polizei griff erst spät ein — aufseiten der Prügelnden. Aus der Pistole des Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras löste sich später ein Schuss, der den Kopf des Studenten Benno Ohnesorg aus einem halben Meter Entfernung traf. Er starb zu einem Zeitpunkt, als er nach Augenzeugenberichten von der Polizei längst überwältigt worden war und keine Gefahr mehr dargestellt hätte. Der Schah reagierte auf die Nachricht vom Tod Benno Ohnesorgs mit der lakonischen Bemerkung, das geschehe „im Iran jeden Tag“. So berichtete es jedenfalls der Chronist der 68er-Bewegung, Stefan Aust.

Im Interview mit Markus Lanz sagte Farah Pahlavi 2021: „Ich bedaure sehr, dass dieser Mann da gestorben ist.“ Sie schrieb den Mord der Stasi zu und versuchte den Zusammenhang zwischen den Menschenrechtsverletzungen ihres Mannes und den Protesten eher zu verschleiern.

Nicht ohne übliche Iran-Klischees

Leider wurde das Iran-Bild in Deutschland lange Zeit von einer Reihe von Klischees und weitaus weniger Fakten bestimmt. Da war auf der einen Seite der boulevardeske Zugang, der sich überwiegend um schöne Frauen in plüschig-exotischer Umgebung drehte wie im Fernseh-Zweiteiler „Soraya“; da waren auf der anderen Seite Werke, die man schon eher dem Horror-Genre zurechnen muss wie Betty Mahmoodys autobiografische Erzählung „Nicht ohne meine Tochter“. Diese handelt von einer westlichen Frau, die von ihrem iranischen Mann in die islamische Republik gelockt und dort festgehalten wird. In der Verfilmung von 1991 schlägt Ehemann Mahmoody, dargestellt von dem spanischstämmigen Briten Alfred Molina, seiner Frau Betty wegen eines Widerworts ins Gesicht, droht ihr glutäugig mit der Faust und sagt mit grimmiger Stimme: „Hör mir gut zu! Du bist in meinem Land. Du bist meine Frau. Du tust, was ich dir sage. Verstehst du?“ Damit war das Bild des muslimischen Mannes fest in vielen Köpfen verankert.

Prägend für das Iran-Bild in Deutschland waren vor allem Skandale, die das südasiatische Land in einem kleinlichen und fanatischen Licht erscheinen ließen.

1987 kam es im Iran zu Massenprotesten und diplomatischen Verwicklungen, weil der Showmaster Rudi Carell in seiner „Tagesshow“ Ayatollah Chomeini in einer filmischen Montage mit Damenunterwäsche zeigte. Der Vorfall machte den Unterschied von „Abendland“ und „Morgenland“ drastisch deutlich. Im Westen hält man alles für einen guten Witz, der islamische Osten dagegen versteht keinen Spaß, wenn es um religiöse Symbole und Persönlichkeiten geht.

Bekannt wurde natürlich auch die Fatwa, das Todesurteil, gegen den Schriftsteller Salman Rushdie wegen seines Buchs „Die satanischen Verse“, welches von der iranischen Geistlichkeit als Gotteslästerung eingestuft wurde. Vielfach agierte die iranische Führung also nicht nach dem Motto „Jeder Kulturkreis möge nach seiner Fasson selig werden“. Vielmehr tendiert sie dazu, von der ganzen Welt die Unterwerfung unter eigene Wertvorstellungen zu fordern und mittels eines internationalen Netzwerks von Anhängern ein System globaler Paralleljustiz zu errichten. Das erinnert natürlich auch an das Global-Leadership-Gebaren der USA.

Die Allgegenwart der Unterdrückung

Es ist richtig, der Mehrheit der westlichen Medien zu misstrauen, wenn es um Kampagnen gegen „Schurkenstaaten“ geht. Dies sollte jedoch Anlass für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem betreffenden Land sein.

Die in „Alternativmedien“ durchaus gängige pauschale Annahme, ein nichtwestlicher Machthaber, dem Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden, habe als verfolgte Unschuld zu gelten, welche es gegen „Dämonisierung“ zu beschützen gelte, dürfte im Fall des Iran nicht funktionieren. Wir werden dem Phänomen am besten durch „Schwarz-schwarz-Malerei“ gerecht. Im Westen unterdrücken Menschen Menschen — im Osten ist dies umgekehrt.

Dem Westen ist nicht so sehr vorzuwerfen, dass Nachrichten über die Verbrechen der geistlichen Führung im Iran nur Erfindungen manipulativer Medien seien — seine Mitschuld an den heutigen Verhältnissen liegt eher in längerfristigen historischen Entwicklungen begründet, speziell in der Einmischung der Briten und US-Amerikaner seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs forderten die alliierten Mächte von Reza Khan, dem Vater des letzten Schah Mohammed Reza Pahlavi, die Ausweisung deutscher Staatsangehöriger aus dem Iran. Reza Khan, der Sympathien für Nazideutschland hegte, weigerte sich, was zu einer Invasion britischer und sowjetischer Truppen im September 1941 führte. Stalin, Roosevelt und Churchill trafen sich 1943 denn auch zu einer Konferenz in Teheran, von der es ein berühmtes Gruppenfoto gibt. Diese Demütigung traf viele Iraner schwer.

Mossadeq, der Schah und ein Regime Change

Noch weiter zurück reichte jedoch die Empörung über die ungleiche Verteilung der Profite aus Ölförderungen im Land. Mithilfe der anglo-iranischen Ölgesellschaft (AIOC, bestehend seit 1909) sahnten die Briten 85 Prozent der Gewinne ab, während dem Land, dessen Boden das Öl hervorgebracht hatte, nur 15 Prozent blieben. Dieser Konflikt kam zum Ausbruch, als der populäre Politiker Mohammed Mossadeq 1951 vom Schah zum Premierminister ernannt wurde. Mossadeq hatte schon seit Langem eine Verstaatlichung der Ölindustrie gefordert. Gleichzeitig verfolgte der Premierminister ein Projekt zur Machtbegrenzung des Schahs. Dieser schwankte in der Frage der Verteilung der Profite aus der Ölforderung, Mossadeq wurde jedoch durch Massenproteste unterstützt.

Ende 1952 brach er die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien gänzlich ab. Briten und US-Amerikaner bereiteten daraufhin einen Staatsstreich vor, um den unliebsamen Politiker loszuwerden. Vorübergehend war es nicht Mossadeq, sondern Mohammed Reza Pahlavi, der aus dem Land fliehen musste. Mit Unterstützung der CIA und unter Beteiligung der Armee sowie religiöser Kräfte kam es jedoch zu einem erneuten Putsch. Der Schah kehrte zurück, Mossadeq wurde verhaftete und lebte bis zu seinem Tod 1967 unter Hausarrest. Wie wichtig die Rolle der USA bei diesen Vorgängen wirklich war, ist bis heute umstritten. Aber offensichtlich verfestigten sich seither im iranischen Volk eine bis heute andauernde Abneigung und ein Misstrauen gegen die USA. Der Vorfall kann jedenfalls als Prototyp eines westlich inszenierten „Regime Change“ gelten, dem viele weitere folgen sollten.

Die Weltmacht hatte sich mit ihrer Unterstützung aber offenbar eine gewisse Treue des iranischen Monarchen erkauft. Mohammed Reza Pahlavi regierte seither weitgehend unumschränkt und brutaler als zuvor. Und er ließ zu, dass sein Land zum Einflussbereich des Westens gehörte. Der Iran „durfte“ seit der Rückkehr des Schahs 50 Prozent der Gewinne aus der Förderung seines eigenen Öls behalten. Ein Gutteil des Gelds floss jedoch in Rüstung.

Gleichzeitig versuchte Mohammed Reza Pahlavi das Land in der Manier des türkischen Präsidenten Mustafa Kemal Atatürk zu einer modernen Industrienation zu machen. Die Situation der Frauen im Land muss im Vergleich zu heutigen Verhältnissen erträglich gewesen sein. Der berüchtigte Geheimdienst SAVAK — aufgebaut mithilfe der CIA und originellerweise auch des israelischen Mossad — ging mit äußerster Härte gegen politische Gegner vor. Das betraf sowohl religiöse Kräfte als auch die von der Sowjetunion beeinflusste Partei Tudeh.

Ein Lenin des Islamismus

Ab 1963 begann Ayatollah Ruhollah Chomeini, ein Abkömmling der Familie des Propheten Mohammed, politische Predigten zu halten. Sie richteten sich gegen das korrupte Regime des Schahs, gegen die noch immer grassierende Armut im Land und die Einmischung der USA. „Sie haben das iranische Volk auf eine niedrigere Ebene als einen amerikanischen Hund gestellt“, wetterte der Geistliche. Während einer scharfen Rede am schiitischen Feiertag Aschura wurde Chomeini am 3. Juni 1963 verhaftet. Dies führte zu Massendemonstrationen überall im Land. Der Schah verhängte das Kriegsrecht, Hunderte Demonstranten wurden getötet. Chomeini ging ins Exil, zuerst in die Türkei, zum Schluss nach Paris.

Michael Axworthy, Autor des lesenswerten Buchs „Iran — Weltreich des Geistes“ führt die Revolutionsstimmung in der Spätphase des Schah-Regimes neben wirtschaftlichen Gründen auch auf eine Überforderung viele Iraner durch die sich lockernde „Moral“ in dieser Epoche zurück.

*„Junge Männer in Südteheran, erst kürzlich aus ihren traditionell geprägten Gemeinschaften auf dem Land eingetroffen, ohne oder nur mit schlecht bezahlter Arbeit, mit wenig Aussicht, bald zu heiraten oder eine Familie unterhalten zu können, sahen im Stadtzentrum hübsche junge Frauen der Mittelklasse mit viel Geld, allein oder in Begleitung von Freundinnen in freizügiger westlicher Kleidung auf den Straßen herumstolzieren und ihre Freiheit zur Schau tragen. Dieses Geld und diese Anmut bedeuteten für sie in gewisser Weise Unmoral.“ *

Das Scheitern einer westlichen Strategie der Einmischung und des Kulturimperialismus, gefördert durch eine willfährige iranische Führung, wurde offenkundig. Es vermischte sich mit einer hausgemachten sozialen Schieflage, die trotz der Abschaffung des Feudalsystems durch den Schah in der iranischen Gesellschaft traditionell verwurzelt war, zu einem explosiven Gemisch.

Herrschaft der Rechtsgelehrten

Chomeini entwarf im Exil sein Konzept der „Welayat-e faqih“, ungefähre Übersetzung: „Herrschaft der Rechtsgelehrten“.

„Die Logik des Konzepts liegt darin, dass die Scharia, die aus dem Wort Gottes und dem Vorbild des Propheten hergeleitet wird, das menschliche Verhalten regelt und das einzige legitime Gesetz ist“ (Michael Axworthy).

Wer die Scharia und den Koran fachkundig auszulegen verstand, war somit der Richtige nicht nur für geistliche Anleitung, sondern zugleich auch für weltliche Führung. Das Netzwerk der Mullahs war tief in der iranischen Gesellschaft verankert und die einzige oppositionelle Kraft, die nicht einmal vom SAVAK des Schahs zerschlagen werden konnte. Vordenker der iranischen Revolution wie Ali Schariati deuteten die schiitische Religion als eine Ideologie der sozialen Gerechtigkeit und des Widerstands gegen Unterdrückung. Dieses Narrativ — verbunden mit dem Abscheu vor einer dekadenten und brutalen Herrscherkaste — verfing beim Volk.

Am 16. Januar 1979 flüchtete der Schah aus dem Land. Am 1. Februar kehrte Chomeini aus seinem Pariser Exil in den Iran zurück. Die Parallelen zur Lebensgeschichte Lenins und der russischen Revolution sind frappant. Leider gilt dies auch für die Menschenrechtsverletzungen, die bald einsetzten. Die Aufständischen stürmten das berüchtigte Ewin-Gefängnis des SAVAK, Mitglieder der ehemaligen Geheimpolizei wurden in Revolutionstribunalen verurteilt. Die neuen Machthaber gingen dann aber — unter Verwendung der etablierten Strukturen des SAVAK — ebenso erbarmungslos gegen alle Abweichler vor.

Der Terror hatte die Farbe gewechselt, das Grundprinzip des Machtmissbrauchs auf der Basis eines elitären Anspruchs blieb jedoch das Gleiche. Es ist das ewig gleiche abstoßende Schauspiel der Macht von Menschen über Menschen.

Nicht „der Iran“ oder „der Islam“ sind zu tadeln — es ist der dunkle Trieb von Herrschenden, andere zu unterwerfen, wobei lediglich die zur Rechtfertigung ins Feld geführten Narrative wechseln.

Eine besetzte Botschaft und eine Million Märtyrer

1979 wurden die Revolutionsgarden als harte Hand des Mullah-Regimes gegründet. Ungefähr gleichzeitig formierte sich eine Gruppe von Straßenkämpfern, die sich „Partei Gottes“ nannte: „Hisbollah“. Diese Gruppierungen halfen dem Regime unter anderem, den Schleierzwang für Frauen auf den Straßen durchzusetzen. Die Hisbollah sollte später aber auch in Israel, Palästina und im Libanon Bedeutung erlangen. Seit diesen Ereignissen jedenfalls gibt es im Iran eine Trennung zwischen offizieller Macht in den Händen einer weltlichen Regierung und tatsächlicher Macht, die allein den Klerikern zukam.

Die Nachricht, dem Schah sei die Einreise in die USA erlaubt worden, provozierte iranische Studenten, im November 1979 in die US-amerikanische Botschaft einzudringen und das Botschaftspersonal in Geiselhaft zu nehmen. Ayatollah Chomeini billigte die Tat nachträglich. Dieser Übergriff und die daraufhin von Präsident Jimmy Carter angeordnete versuchte Befreiung der Botschaft belasteten das Verhältnis zwischen beiden Ländern nochmals schwer. Parallel dazu stattete der Westen den Erzfeind des Iran, Saddam Hussein, mit modernen Waffen aus und unterstützten damit den Angriffskrieg des Irak, der zwischen 1980 und 1988 etwa eine Million Tote und Verletzte im Iran zur Folge hatte.

Warum starb Ebrahim Raisi?

Ayatollah Chomeini starb 1989, sein Nachfolger wurde ein enger Vertrauter: Ali Chamenei, der somit schon seit 35 Jahren Oberster Führer im Iran ist. Wegen des Alters und des labilen Gesundheitszustands von Chamenei stellt sich die Frage nach einem Nachfolger. Zu den Favoriten gehörte lange Zeit Ebrahim Raisi, der bis zu seinem Tod bei einem Hubschrauberabsturz am 19. Mai 2024 Präsident des Iran war. Da der derzeit aussichtsreichste Kandidat damit wohl Chameneis 55-jähriger Sohn Mojtaba ist, sind auch Verschwörungstheorien im Umlauf, wonach die Chameneis selbst für den Tod Raisis verantwortlich seien. Schließlich sei eine Manipulation am Hubschrauber am ehesten Regime-Insidern möglich gewesen. Aber auch Israel und die USA wurden in alternativen Verschwörungstheorien verdächtigt. Sicher ist derzeit nichts.

Jedenfalls stehen weder der neue Präsident Massud Peseschkian noch der mögliche nächste Oberste Führer Mojtaba Chamenei für einen radikalen Umbruch im Iran. Allenfalls könnte Ersterer „Lockerungen“ in die Wege leiten — wie ich es in Anlehnung an die deutsche Coronapolitik nennen will.

Diese könnten das System jedoch auch längerfristig stabilisieren, indem sie falsche Hoffnungen in der Bevölkerung wecken.

Außenpolitisch ist vor allem das Massaker der israelischen Armee an Zehntausenden Palästinensern in Gaza derzeit brandgefährlich. Der Iran ist „Mutterland“ der Hisbollah, die im benachbarten Libanon operiert. Der Zorn der islamischen Welt auf Israel schaukelt sich seit Beginn des Bombardements, aber auch wegen der seit Jahrzehnten bestehenden ungelösten Situation im Westjordanland immer weiter auf. Der Hass von Muslimen wächst, und Iraner sowie Schiiten gehören nicht zu dem Personenkreis, dem es an Temperament, Entschlossenheit und Opferbereitschaft fehlen würde. Die Gefahr eines Flächenbrands ist real.

Gefährliche Politik der Einmischung

Wie wir gesehen haben, waren massive Einmischungen Großbritanniens und in jüngerer Zeit vor allem der USA in die iranische Politik eher die Regel als die Ausnahme. Geostrategische Überlegungen — speziell auch in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, später Russland — spielten dabei ebenso eine Rolle wie nackte Profitinteressen, die sich vor allem auf iranisches Öl richteten.

Eine tiefe Fremdheit und Abneigung bestand und besteht beiderseitig bezüglich der Religion und des Lebensstils. Eine Kette von einander gegenseitig zugefügten Demütigungen hat den Hass auf beiden Seiten nie zur Ruhe kommen lassen. Zumal es ja keine abseitige Verschwörungstheorie ist, dass der „große Satan“ USA den „kleinen Satan“ Israel — so die Ausdrucksweise mancher iranischer Politiker — stets unterstützt. Aus diesem Grund könnte das iranisch-israelische Verhältnis Brandbeschleuniger Nr. 1 im Nahen Osten sein. Schon gab es Anfänge kriegerischer Auseinandersetzung — einen Angriff Israels auf die iranische Botschaft in Syrien und Raketenangriffe des Iran auf Israel in der Nacht zum 14. April, die wohl vorerst nur als Warnung gelten konnten und niemanden das Leben kosteten.

Mehr Hoffnung verheißt die innenpolitische Situation im Iran, der über eine außergewöhnlich große Zahl tapferer Menschen verfügt, die sich unter weitaus größeren Gefahren, als sie Dissidenten in Deutschland zu fürchten haben, immer wieder mit ihrer Regierung anlegen.

Bei aller Vorsicht, die angebracht ist, wenn westliche Medien westliche Maßstäbe an ein Land mit ganz anderen Traditionen anlegen: Ein „Gottesstaat“, der mit großer Grausamkeit und Unduldsamkeit gegen Menschen vorgeht, die anders leben wollen, ist für mich auch als „alternativer“ Medienschaffender kein vorbildhafter Exponent einer multipolaren Weltordnung. Die Iraner müssen sich selbst befreien — wie wir es auf andere Weise auch müssen. Und dies könnte ihnen eines nahen oder fernen Tages auch gelingen. Die Aufforderung des persischen Sufi-Mystikers und berühmten Dichters Rumi richtet sich an Menschen aller Länder, die nach Freiheit dürsten:

„Weshalb bleibst du im Gefängnis, wenn die Tür so weit offen steht?“