Der verkommene Journalismus

Der journalistische Mainstream folgt einseitig der NATO-Propaganda und macht sich so selbst zu einer überflüssigen, ja schädlichen Institution. Roberto De Lapuente sprach mit Patrik Baab.

„Faeser machte sich um die Demokratie verdient, wenn sie in die Seniorenresidenz umsiedeln würde.“ Der erfahrene Kriegsreporter und Journalismuslehrer Patrik Baab nimmt in diesem Interview kein Blatt vor den Mund. Dem heutigen Mainstream-Journalismus stellt er ein verheerendes Zeugnis aus. Früher bemühte sich die schreibende Zunft, über die Schrecken des Krieges zu berichten und vielleicht dazu beizutragen, Schlimmeres zu verhindern; heute beteiligt sie sich selbst daran, Kriege weiter anzuheizen. An den Fingern, die auf Computertastaturen einhacken, klebt vielfach Blut. Das eigenständige Denken und Recherchieren ist weitgehend dem dienstbeflissenen Abliefern jener Ideologiebruchstücke gewichen, die mächtige Kreise jeweils vorgeben. Patrik Baab nennt diesen Journalismus „verkommen“. Schlecht ist Medienarbeit, wenn sie die Grundsätze der Berufsethik aus Opportunismus über Bord wirft; verkommen ist sie, wenn sie nicht einmal mehr selbst merkt, wie tief sie gesunken ist.

Roberto De Lapuente: Wenn man Ihr neuestes Büchlein liest, Herr Baab, dann muss man fast annehmen, dass der Journalismus in Deutschland tot ist. Fällt die Bestandsaufnahme wirklich so schlecht aus?

Patrik Baab: Der Journalismus der selbsternannten Qualitätsmedien ist verkommen. Wissen Sie, was Verkommenheit heißt? Kurt Tucholsky schreibt 1921 mit Blick auf die Weimarer Justiz:

„Denn dies heißt eben Verkommenheit: Nicht mehr fühlen, wie tief man gesunken ist.“

Genauso geht es den heutigen Redaktionsbewohnern. Es fällt ihnen schwer zu erkennen, wie sehr sie sich von ihren eigenen Handwerksregeln und von solider Recherche entfernt haben, weil ihr Gehalt davon abhängt, dass sie es nicht verstehen.

In der Coronakrise und im Ukrainekrieg betätigt sich die Mainstream-Presse als Propaganda-Kompanie der Machteliten und Kriegstreiber. Vom tatsächlichen Geschehen und seiner Vorgeschichte verstehen sie wenig, wollen auch nichts davon verstehen.

Es ist schäbig, andere in den Krieg hineinzutreiben, aber selbst in der diskursiven Behaglichkeitszone ihrer Schreibtische zu sitzen.

Wenn diese woken Fönfrisuren oder ihre Kinder an die Front müssten, wäre der Krieg morgen vorbei.

„Die öffentlich-rechtlichen Anstalten begehen journalistischen Selbstmord.“

Sie haben auch mal für den öffentlichen Rundfunk gearbeitet. Waren Sie auch mal Teil der Propagandapresse?

Ich habe 1984 mein erstes Praktikum beim Saarländischen Rundfunk in der Hörfunk-Kultur absolviert, war also fast 40 Jahre Anstaltsinsasse; zuerst als freier Mitarbeiter, dann als Volontär, dann wieder als Freier und schließlich als Redakteur und Korrespondent beim NDR. 1987 habe ich ein Hörfunk-Feature über die Rolle der Unternehmer im Dritten Reich und die Kontinuitäten in die Bundesrepublik gemacht, Politikredakteur Dr. Martin Geiling hat die Produktion mit breitem Grinsen begleitet. Der damalige SR-Chefredakteur Otto Klinkhammer, ein recht konservativer, aber genauso verlässlicher Mann, ließ sich das Manuskript kommen.

Wir haben uns gestritten. Am Ende schimpfte er:

„Dann machen Sie’s halt! Ich werde meinen Kopf schon dafür hinhalten!“

Genau das wäre heute in meinen Augen nicht mehr möglich.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich gewandelt, von einem Forum breiter öffentlicher Debatte zu einer Institution zur Veröffentlichung von Herrschaft.

Die Formierung hat zugenommen, aber auch die Untertanen-Mentalität. Ich meine: Diese Anstalten sind dabei, journalistischen Selbstmord zu begehen.

Sie erklären Journalisten für verantwortlich, wenn es um die Eskalation des Krieges geht. Die Landesmedienanstalten können aber gegen Journalisten aus dem öffentlich-rechtlichen Sektor und solchen, die bei Medien arbeiten, die beim Presserat gemeldet sind, nicht vorgehen — gilt die Sorgfaltspflicht, die verantwortliches Berichten notwendig macht, in Deutschland nur für Privatmedien, wie es im Rundfunkstaatsvertrag heißt?

Die Landesmedienanstalten haben den Auftrag, kommerziellen Rundfunk und Fernsehen und Online-Angebote zu beaufsichtigen. Jahrelang haben sie sich als Geburtshelfer des Kommerzfernsehens betätigt und gegen Titten, Gepöbel und Hetze gar nichts einzuwenden gehabt. Der Monetarisierung von Emotionen und Ressentiments haben sie weitgehend freien Lauf gelassen. Digitalkonzerne machen de facto, was sie wollen, wenn sie sich nur mit den Geheimdiensten ins Benehmen setzen und denen diskret Zugang zu Nutzerdaten verschaffen. Jetzt betätigen sich die Landesmedienanstalten als Zensurorgane bei der politischen Verfolgung von Dissidenten.

Für die Beaufsichtigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind die Rundfunk- und Fernsehräte der jeweiligen Anstalten zuständig. Die machen genau dasselbe: Dissidenten anschwärzen. In der Sendung von Markus Lanz erklärte eine NATO-Propagandistin namens Florence Gaub, die uns als Expertin vorgestellt wird, dass „die Russen keine Europäer sind, einen anderen Bezug zu Gewalt haben, einen anderen Bezug zum Tod haben … Da geht man einfach anders damit um, dass da Menschen sterben.“

Dies zeigt nicht nur die komplette Ahnungslosigkeit dieser Forschungsdirektorin der NATO-Militärakademie in Rom, sondern ist auch übelste rassistische und russophobe Hetze.

„Ideologische und repressive Staatsorgane marschieren im Gleichschritt.“

Das monierte keiner …

Richtig, ihre Einlassungen blieben unwidersprochen. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz, den Medienstaatsvertrag und die Programmrichtlinien des ZDF. Eigentlich hätte Lanz gerügt werden müssen. Aber nichts geschieht, Florence Gaub geistert weiter durch die Quasselrunden. Wenn die Sendung 3sat Kulturzeit wieder mal Jagd auf Andersdenkende macht, in Sachen Krieg in der Ukraine baren Unfug erzählt und sich Zuschauer beschweren, dann verkündet der frühere Verkehrsminister Reinhard Klimmt, SPD, als Mitglied des ZDF-Fernsehrats sinngemäß, die Beschwerde sei unbegründet, außerdem seien die letzten Ausläufer der Friedensbewegung vernachlässigenswert.

Also: Die ideologischen und repressiven Staatsorgane marschieren im Gleichschritt. Es geht darum, die parlamentarische Demokratie so weit durch Zensur und Gesinnungsjustiz einzuschränken, dass die Angehörigen des herrschenden Parteienkartells — die ja auch in den genannten Gremien sitzen — weiter an den Fleischtöpfen der Macht bleiben können, während ein Großteil der Bevölkerung auf Kriegspolitik, Sozialkürzungen und Einschränkung der Freiheitsrechte mit Ablehnung, Wut und Hass reagiert.

1961 wollte Bundeskanzler Konrad Adenauer einen Fernsehsender gründen, der anders als die ARD, nicht von den Ländern, sondern vom Bund kontrolliert wird — das Bundesverfassungsgericht verbot ihm das. Danach entstand das ZDF — auch von den Ländern kontrolliert. Hat die Politik heute — anders als Adenauer damals — eine gewisse juristische Narrenfreiheit in ihrer Mediengestaltung?

Nein. Die Hebel sind heute ganz andere. Sie sind viel gefährlicher.

Es geht für das herrschende Parteienkartell und die EU-Kommission darum, das Zensurverbot des Grundgesetzes auszuhebeln.

Dort steht in Art. 5: „Eine Zensur findet nicht statt.” Dies gilt für alle Medien, nicht nur für deutsche. Aber russische Medien wie Russia Today und Sputnik sind verboten. Dies ist auch ein Verstoß gegen Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die nach Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechtes sind. Dazu ist dies ein Verstoß gegen Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dem zufolge Meinungsfreiheit auch die Freiheit einschließt, Informationen ohne behördliche Eingriffe zu empfangen. Dies wird auch mit dem sogenannten Europäischen Medienfreiheitsgesetz ausgehebelt, das gleich mehrfach mit den Grundsätzen der Pressefreiheit bricht.

„Nun müssen Amtsgerichte entscheiden, was Völkermord oder Kriegsverbrechen sind.“

An welchen Stellen bricht dieses Gesetz denn die Grundsätze der Pressefreiheit?

Es soll eine Medienaufsichtsbehörde geschaffen werden, die die Presse kontrolliert, wobei auch noch die EU-Kommission mitmischen will. Auf Druck der EU-Kommission hatten sich im Oktober 2018 Online-Plattformen, Technologieunternehmen und die Werbewirtschaft auf Normen zur Selbstregulierung geeinigt, um angeblich der Verbreitung von Desinformation im Internet entgegenzuwirken. Heraus kam ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation. Aber wer bestimmt, was Desinformation ist? Ursula von der Leyen? Sie ist ja selbst ein Beispiel für die Verbreitung von grobem Unfug und die Durchführung dunkler Geschäfte, beispielsweise mit Impfstoff-Bestellungen. Dies alles bedeutet eine Privatisierung der Zensur. Kritische Informationen, die von den staatlichen Narrativen abweichen und die zur Meinungsbildung zwingend erforderlich sind, werden gelöscht oder gesperrt.

Aber das ist noch nicht alles. Der § 130 Strafgesetzbuch wurde 2022 durch die Einfügung eines fünften Absatzes verschärft. Bestraft wird danach das Leugnen oder gröbliche Verharmlosen jeden Völkermordes, Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechens, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Diese Verschärfung richtet sich ja nicht gegen George Bush Jr. oder Tony Blair, die verantwortlich sind für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak, sondern gegen jene, die sachgemäß und fachlich korrekt über die Verantwortung der NATO für den russischen Einmarsch in die Ukraine diskutieren wollen. Dies ist der schwerste Eingriff in die Meinungsfreiheit, den die Bundesrepublik je erlebt hat — ein klarer Fall von Gesinnungsjustiz. Nun müssen Amtsgerichte darüber entscheiden, was Völkermord oder Kriegsverbrechen sind. Das überschreitet aber ihre Zuständigkeit. Zuständig dafür sind der Internationale Gerichtshof oder der Internationale Strafgerichtshof.

Das herrschende Parteienkartell verliert Legitimation in der Bevölkerung, krallt sich aber weiter an die Fleischtöpfe und will sich vor sachlicher Kritik an seinen Fehlleistungen schützen. In jeder Demokratie muss die Regierung auf den öffentlichen Prüfstand, muss delegitimiert werden. Jetzt sind wir schon so weit, dass die Berliner Zeitung ins Visier des Bayerischen Verfassungsschutzes gerät. Nancy Faeser und Thomas Haldenwang machten sich verdient um die diese Demokratie, wenn sie in die Seniorenresidenz umsiedeln würden.

„Die Medien sind zum schlimmsten Kriegstreiber geworden.“

In Filmen sieht man häufig Journalisten als Alltagshelden. Sie bringen irgendwie Licht ins Dunkle, stehen für Gerechtigkeit — stellen sich gegen die Macht. Und in dieser Schau des Journalismus fühlen sich die Protagonisten des Berufsstandes auch wohl. Ist diese Präsentation des Journalismus auf der Leinwand ein Blick in eine gute alte Zeit? Oder war es immer ein Märchen, von so einem heroischen Journalismus auszugehen?

Ach, das ist doch alles Quatsch. Diese Schreibtisch-Helden stilisieren sich in der Kaffeetasse rührend als Vierte Gewalt, scheuen aber die Realität jenseits ihrer redaktionellen Behaglichkeitszone wie der Teufel das Weihwasser. Sie halten sich womöglich noch selbst für neutrale Beobachter. Doch ein näherer Blick zeigt: Das sind reine Schutzbehauptungen. Sie sind eingebunden in redaktionelle Produktionsabläufe, die auf die Maximierung von Klicks und Profiten abzielen, und sind schon deshalb der kapitalistischen Produktionsweise unterworfen. Das gilt im Übrigen auch für die Öffentlich-Rechtlichen. Studien zur Ukraine-Berichterstattung aus England und Deutschland zeigen:

Die Medien sind zum schlimmsten Kriegstreiber geworden. Sie sind damit mitverantwortlich für hunderttausende Tote in der Ukraine und für die wachsende Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung in Mitteleuropa.

Positionen, die am Friedensgebot des Grundgesetzes orientiert sind, kommen ja kaum noch zu Wort. Damit werden die Medien innenpolitisch zum schärfsten Zensurorgan und außenpolitisch zum gefährlichsten Scharfmacher. Dies ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen Art. 5, aber auch gegen das Strafgesetzbuch Art. 130, 5. Der wird aber nicht angewendet, weil sich Richter und Staatsanwälte nicht mit der herrschenden Meinung anlegen wollen, das könnte ihrer Karriere schaden.

Wir haben es zu tun mit einem medial-juristischen Komplex. Beide, Journalisten und Juristen, bewegen sich in derselben Filterblase, und wenn die Realität dazu nicht passt, dann umso schlimmer für die Wirklichkeit. Demgegenüber bin ich der Überzeugung, dass diese redaktionellen Kriegstreiber strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden müssen, denn sie haben Blut an ihren Händen. Wenn die Kinder dieser Großmäuler an die Front müssten, wäre der Krieg morgen vorbei.

Das Öffentlich-Rechtliche begeht Selbstmord, sagten sie. Auch weil sie an der Lebensrealität der Menschen vorbeiberichten. Wie gestaltete sich die Erdung zum Rezipienten in der Zeit, als sie dort tätig waren?

Wenn man viele Filme macht, dann sind die manchmal gut und leider auch öfter mal weniger gut. Das ist das tagesaktuelle Geschäft, man muss sehen, was man bis zum Redaktionsschluss noch hinbekommt. Schon das ist eine produktionstechnische und redaktionelle Blickverengung. Ich habe häufig versucht, die Perspektive der Betroffenen in meine Berichte mit aufzunehmen, mich an der Lebenslage der Menschen zu orientieren, den Auswirkungen von Gesetzen und Vorschriften auf die Menschen. Das ist aber aufwändig und führt zu Mehrarbeit, für die man Zeit braucht, die oft nicht da ist. Dazu muss man das Berichterstattungsfeld auch gut kennen, viele Quellen haben.

Während der Finanzkrise habe ich mal ein Hamburger Unternehmen gefunden, das in die Kreditklemme geraten ist, trotz voller Auftragsbücher keine Kredite von der Hausbank bekommen hat. Nordmetall kommentierte damals: „Sie schickt der Himmel!” Es fällt solchen Unternehmern nicht leicht, in die Öffentlichkeit zu gehen. Andererseits hat ein junger, damals noch hoffnungsvoller Reporter namens Patrik Baab auch mal einen Film gemacht über die Krokusblüte im Schlossgarten von Husum Mitte Februar bei geschlossener Schneedecke. Mein Kameramann und ich — wir hatten halt nicht nur eine gute Akkulampe, sondern auch Sonne im Herzen.



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Patrik Baab ist Politikwissenschaftler und Publizist. Seine Reportagen und Recherchen über Geheimdienste und Kriege passen nicht zur Propaganda von Staaten und Konzernmedien. Er berichtete unter anderem aus Russland, Großbritannien, dem Balkan, Polen, dem Baltikum und Afghanistan. In Russland machte er mehrfach Bekanntschaft mit dem Inlandsgeheimdienst FSB. Auch die Staatsschutzabteilung des Bundesinnenministeriums führt eine Akte über ihn. Im Westend Verlag publizierte er „Im Spinnennetz der Geheimdienste. Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet?“ (2017) und „Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“ (2022). Seine Homepage findet sich unter patrikbaab.de.