Der unbezwingbare Seuchling

Zwei Berliner Künstler zeigen, was Kunst zu Coronazeiten kann.

In einer exklusiv für Rubikon erstellten Kurzfassung — eine Publikation in voller Länge ist anvisiert — erzählen Felix Gephart (Text und Zeichnungen auf Papier) und KameOner (Graffiti) die Corona-Geschichte in Text und Bild zurückblickend aus einer näheren Zukunft. Die märchenhafte Sprache und die detailreichen Bilder verbinden apokalyptische wie witzig-groteske Schichten des Geschehens mit vielen Anspielungen zu einem eigenständigen, umwerfenden und selbst in dieser Kurzfassung spürbaren Ganzen. Allein schon deshalb, weil es als geschlossene Welt daherkommt, strahlt das Werk eine gewisse Zuversicht aus. Ja, es lässt sich eine heilsame Distanz und Gelassenheit erlangen, es lässt sich diesem Irrsinn beikommen — das ist eine der Botschaften der beiden Berliner Künstler, die zeigen, was die westliche Kunstszene seit 2020 weitgehend vergessen zu haben scheint: wozu sie nämlich da ist und was sie könnte, wenn sie wollte, die Kunst. Die laute Lektüre ist unbedingt zu empfehlen — vielleicht gar behutsam in Coronistenkreise hineingetragen. Allerdings führen auch die Bilder allein und ohne Text zu wundersamen Erkenntnissen und Eindrücken. Am Ende finden sich für Interessierte unter den Anmerkungen einige Hinweise zur Arbeitsweise und zur Deutung der Anspielungen im Werk. Viel Vergnügen! 

von Felix Gephart und KameOner

Die Geschichte, die ich nun zu erzählen gedenke, mag vielen gar zu abenteuerlich und weit hergeholt klingen; und auch ich selbst würde wohl davor zurückschrecken, sie mitzuteilen und anderen glauben machen zu wollen, es habe sich alles wahrhaftig so zugetragen, hätte ich die Chose nicht einst selbst am eigenen Leib erfahren. So kann ich Brief und Siegel geben, daß damals alles genau so geschah, wie ich es jetzt meinen geneigten Lesern darstellen werde. Mancher wird später wohl meinen, diese phantastische Episode der Menschheitsgeschichte müsse sich doch wohl zumindest in längst vergangenen Zeiten zugetragen haben, als das Licht der Aufklärung noch unbekannt und grenzenloses Unwissen den Horizont der Menschen gänzlich verdunkelte.

Desto größer jedoch wird die Verblüffung und das Kopfschütteln meiner Leser sein, wenn ich steif und fest behaupte, daß sich die Geschehnisse im ersten Viertel des einundzwanzigsten Jahrhunderts zugetragen haben. Ich habe die Geschichte niedergeschrieben, als das Merkwürdige, was da geschah, noch im vollen Gange war und der Ausgang noch gänzlich ungewiß erschien. Ein Maler, der KameOner genannt ward, hat damals seinem Amüsement, Staunen und auch seinem Unmut über diese merkwürdigen Zeiten in Bildern auf Wänden Ausdruck verliehen. Sie mögen hier als Begleiter meiner Geschichte dienen.

Bild

Photo: Emily the Strange.

Aufgemerkt: Flughund!

Damals warnten mächtige Herrscher und Nachrichtenmacher aus allerlei Landen in seltener Einigkeit ein globales Dorf vor unsichtbarer Gefahr. Eine todbringende Seuchenwelle schwappe aus dem fernen Reich der Mitte über den gesamten Erdball.

Das, was einst ein schlimmer und grausamer deutscher Herrscher als gelbe Gefahr bezeichnet hatte, schien plötzlich Gestalt in Form unsichtbaren Ungemachs erlangt zu haben: Denn durch die Luft flöge aus dem Mund des einen ein widerwärtiger Bazillus in die Atemwege des anderen, und ehe sich‘s jener versehe, trage Letzterer das Verderben nun auch in sich. Eigentümlich sei es um die Krankheit bestellt, die der arglistige Winzling mit sich brachte: denn mal breche sie einem Vulkan gleich aus, ein anderes Mal mache sie sich erst gar nicht bemerkbar. Doch könne der Bazillus demungeachtet seine Wanderschaft fortsetzen.

Man ward belehrt: Werde er erst einmal in einem tätig, bewirke er erst unscheinbares Niesen, alsdann schlimmen Husten. Nun schwitze man, werde zunehmend fiebriger und schwächer, oft würden Leber und Nieren in Mitleidenschaft gezogen und, wenn es dann ganz böse kam, könne man sogar elendiglich daran ersticken.

Nun hörte man aus den Mündern von Obrigkeiten und aus den Flimmerkästen, im fernen Reich der Mitte würden Fledermäuse in Suppen serviert. Auf einem ganz bestimmten Fischmarkt des riesigen Reichs, so habe man mit großer Schlauheit ermitteln können, sei jener winzige Bazillus von großer Niedertracht und Angriffslust von einer gekochten Fledermaus auf einen arglos Speisenden aufgesprungen und verbreite sich nun in Windeseile. Diese Theorie einer Fledermaussuppe fand viele Abnehmer und Fürsprecher.

Demungeachtet meinten andere, solcherlei Spekulationen seien doch weiter hergeholt als das ferne Reich selbst. Im Reich der Mitte seien Speisen dergleichen unbekannt … und in besagter Fischmarktsuppe schwämmen nun einmal keine Flughunde. Daher sei fraglicher Markt wohl kaum Ursache der Misere, sondern vielmehr sei ein Labor, daß sich ganz in der Nähe besagten Fischmarkts befände, in hohem Maße verdächtig. Dort würden allerlei ungeheure Bazillenarten beherbergt und damit munter rumexperimentiert. Nicht alles dort sei zum Wohle der Menschheit eingerichtet, nein, einige der vielen Versuche dienten, so hieß es, sogar kriegerischen Zwecken.

Dem nicht genug, man schicke sich dort sogar an, derartige Bazillen künstlich zu kreuzen, um sie in puncto Ansteckung und Gefährlichkeit um ein Vielfaches stärker als zuvor auszurüsten. Könne der teuflische Zwerg nicht auch von eben dort sich auf seine weite Wanderschaft um den Globus begeben haben? Solches auszusprechen war natürlich recht pikant, denn auch Steuergelder aus den Ländern prominenter Herrscher wurden, so munkelte man, für derartig gefährliches Experimentieren verwandt, wie es in besagtem Labor praktiziert ward. Bei genauerem Nachforschen mochte da noch so einiges zutage gebracht werden, was den Obersten gar nicht schmecken mochte. Man schien sich dort ein ganz nettes Süppchen eingebrockt zu haben.

Wen wird es wundern, daß die herrischen Gebieter deutscher Lande sich solcherlei ungebührliche Mutmaßungen aufs Schärfste verbaten? Letztere gehörten, so wurden die Obersten nimmer müde zu betonen, ins Reich der Verschwörungstheorien und wahnwitziger Phantastereien, und jene ziemten einem braven Bürger nun einmal nicht.

Die Zeitungen, Rundfunkapparate und Flimmerkästen, nach dem Wunsch oder Glauben mancher Bürger dazu berufen, das Handeln der Obersten mit Argusaugen zu beobachten, dachten gar nicht daran, den edlen Herrschern auf den Zahn zu fühlen. Vielmehr sprangen sie jenen eilfertig bei und entluden zuverlässig all ihren Ingrimm auf solche Subjekte, die die Dreistigkeit besaßen, Zweifel an der Fledermaussaga zu hegen. Glasklar schien: Nicht die Herrscher und jene, die mit allerlei modernen wissenschaftlichen Wunderwerken oder auch geheimem biologischen Kriegsgerät hantierten, trugen Verantwortung. Nein, der Feind war längst gefunden, es war der tückische Flughund. Dieser sei der alternativlose Schurke; und so sollte es auch vorerst bleiben.

Bild

KameOner: „Rumor 19“ nach A. Paul Weber, Photo: Frederik Schulz.

Die Cancellorin

Lange gebot eine mächtige Herrscherin über die Deutschländer. Das zärtliche und doch bestimmte Abkanzeln ihrer Schützlinge war ihr Anliegen und Pflicht. Vorbei sollte es nun endlich sein mit störenden absonderlichen Meinungen und lästigem Diskurs! Und eh man sich‘s versah, schickten sich die ehemaligen Bürger deutscher Lande an, duldsame Untertanen zu werden.

Bild

Felix Gephart: „Wohl temperiert/well tempered?“, Photo: Marco Wittkowski.

Fast fühlte man sich an den Kalifen aus Wilhelm Hauffs „Kalif Storch“ erinnert, der sich aus Jux und Tollerei mithilfe eines hinterlistigen Zauberers in einen Storch verwandelt, dann aber das Zauberwort „Mutabor“ vergessen hatte, und so außerstande war, in seine alte Form zurückzukehren. So schienen auch Herrscher und Untertanen wie verhext und zudem jedoch bereits außerstande, sich ihr früheres Wesen zu erinnern.

Die Mutation allerdings schrieben sie zielsicher nicht sich selbst, sondern dem gefürchteten Bazillus zu. Letzterer sei es, der sich ständig verändere. Er sei stets brandgefährlich, was auch immer man Kluges zur Bazillenabwehr ersonnen habe und wie lange man auch ausharre! Und schon schall es: Mutation hier, Mutation dort, daß einem die Sinne schwanden. Jenes, was zuvor als folgerichtig und gesetzlich verbrieft war, schien nun eine lästige Fessel geworden und frühere Bürgerrechte hoffnungslos veraltet und störend. Und so begrub man sie in Siebenmeilenschritten.

Bild

KameOner: „Dr. MuTante‘s Curse“, Photo: Frederik Schulz.

Das Canceln, wie beleidigte Krittler und Ungläubige das Beenden ihrer eigenen Wirkungskreise hießen, verstanden die damalige Herrscherin über deutschen Landen und ihre vielen Verbündeten aufs Trefflichste und hatten reichlich Übung darin erlangt.
Jene, die auf derart unschönen Wegen mundtot gemacht worden waren, hätten es ihr nur allzu gerne vergolten, doch schien sie immer mit einem blauen Auge davonzukommen.

Bild

KameOner: „The Cancellor“, Photo: Felix Gephart.

Und umso freundlicher sie in die Runde lächelte, umso unbeteiligter sie wirkte, wenn im Parlament über sie gestritten ward, desto enger war der Griff, mit dem sie ihre Lande fest umschloss. Erhaben über allem war ihre mütterliche Umarmung, die manchen jedoch geradezu atemlos zurückließ. Doch wenn auch ihr Volk nach Luft schnappen mochte, so wähnte es sich ja gerade ob des von ihm bezahlten Preises beschützter und sicherer als je zuvor. Mit jedem neuen Verbot war es mehr von ihrer grenzenlosen Liebe gerührt.

Um nichts mußte sich ein Untertan mehr selbst kümmern, nur sich bereits im Voraus auf ein ewiges Ja einigen, mochte die weise Herrscherin beschließen, was auch immer sie mochte.

Und wenn ein unbelehrbarer Tollhäusler die Dienste eines käuflichen Frauenzimmers in Anspruch nehmen wollte, konnte es sein, daß ein Freudenhaus durchaus wie in früheren Zeiten geöffnet war. Anläßlich solcher Übereinkunft war es natürlich umso mehr von äußerster Wichtigkeit, dem Bazillus auch hier nicht die mindeste Chance einzuräumen und sich beim Liebesakt strikt an die behördlich zulässigen Stellungen zu halten. Man sollte schließlich, wenn es denn unbedingt sein mußte, an früher gebräuchlichen Ansteckungen erkranken. Wenn es denn unbedingt not tat, sollte man ruhig das Risiko eingehen dürfen, einer der möglichen üblichen Nebenwirkungen unvorsichtiger Fleischeslust anheimzufallen, in keinem Fall jedoch an der Bazillenpest aus dem fernen Reich der Mitte erkranken. Es würde zum Besten aller Abständlinge sein, wußte die Abstandsdame.

Bild

KameOner: „Dominatrix“, Photo: Felix Gephart.

Die Zeiten selbst waren so modern und fortschrittlich wie nie zuvor und die Hofwissenschaften schienen in überwältigendem Glanz zu strahlen. Alles und jeder schien sich nun messen, untersuchen und zertifizieren zu lassen. Der Lösung aller Rätsel, die der Bazillus aufgab, schien man so nah wie nie zuvor. Unsichtbare Gefahren, die man weder fühlen, riechen noch sehen konnte, wurden nun durch findige technische Prozeduren, einen hochmodernen Test offenbart; unleugbare Wahrheiten erschienen rasch in Form eines schlichten positiv oder negativ, hopp oder top ausgespuckt. Wer zuvor geglaubt hatte, es bedürfe für derartig schwere Fragen zumindest eines modernen und erfahrenen Medizinmanns, der einen sorgsam untersuche, befrage und berate, hatte weit gefehlt.

Schon gab‘s den magischen Test überall, sogar in einem Lebensmittelladen zum Schleuderpreis; und alsbald galt er den Deutschländern fürwahr als Goldstandard wertvollen Wissens. Und wehe, der Test schlug an, dann gab‘s Stubenarrest. Da half weder flehen noch weinen, kein beharren darauf, daß man weder schniefe noch keuche und röchele. Ward einer der möglichen Bazillenlast solchermaßen überführt, ging es sofort ab in die heimische Isolationshaft.

Lange genug eingekerkert und isoliert, galt der zuvor lediglich Gesunde nun als Genesener. In gewissen engen Grenzen hielt man ihn nun für unbedenklicher als vor dem Rendezvous mit dem Bazillus, und der solchermaßen Genesene ward jetzt für beinahe so gesund wie ein Gespritzter befunden.

So erhitzten sich die Gemüter, drehte man sich um sich selbst, vermaß die Abstände zwischen den Untertanen, eilte von Test zu Test, ließ sich mit Stäbchen in Nase und Rachen herumstochern und hatte nebenbei ein neues Kastenwesen der Gesundheit begründet. Das hatte man jetzt nun einmal zu schlucken. Die Ketzer hingegen, die es wagten, dem Bazillus und den vielen schönen neuen Riten zu lästern, nannten das vermessen.

Bild

KameOner: „Dominatrix“ (Detail), Photo: Felix Gephart.

Flächendeckende Pimpfung

Einer der überaus besorgten Obersten der Deutschländer war vieles zugleich: ein moderner Medizinmann, der nicht heilte; ein Professor, der nicht lehrte; ein Herrscher, der den grellen Auftritten im Flimmerkasten langweiligen Sitzungen, biederer Verwaltungsarbeit und systematischem Lernen bei Weitem vorzog. Sein Innehaben verschiedenster Funktionen machte ihn so unanfechtbar wie auch beliebt. Er reiste, ohne sich eine Pause zu gönnen, von Sendung zu Sendung; bis in den letzten Winkel der Lande erscholl seine immerwährende Leier von zukünftigem Ungemach, Pein und Schrecken und wie er Abhilfe zu schaffen gedenke.

Von Mal zu Mal präsentierte er größere Geschosse aus seinem unendlichen Waffenarsenal gegen die tödliche Gefahr aus dem Reich der Mitte. Er beschwor das Anrollen riesiger Bazillenwellen, die die Lande unter sich begraben würden, breche man sie nicht gemeinsam. Wann hatte man zuvor den Menschen je eine Naturgewalt brechen sehen, fragten die Skeptiker? Doch die Zeiten waren zu modern und fortschrittlich, um sich an frühere erinnern wollen zu können. Und der frühere Herrscher über die deutschen Medizinmänner hatte ja ganz genauso wie er geklungen und auch immer recht gehabt!

Bild

KameOner: „Spahnitas“, Photo: Rolf G. Wackenberg.

Neue Opfer seien der unsichtbaren Gefahr allzeit darzubringen, ward erstgenannter Kann-und-weiß-alles nicht müde zu beteuern. Das erste war die Wahrheit. Er selbst hatte sogar die unendliche Güte, seine Schäfchen wissen zu lassen, daß diese allzu oft den politischen Tod bedeute. Mehr als verständlich, daß es daher auch keinen Sinn gemacht hätte, weitere solcherlei gefährlicher Wahrheiten auszusprechen.

An seinen Stärken war nicht zu rütteln. Glänzend kannte er sich aus mit dem Sparen am Patienten, dem Verstümmeln ärztlicher Leistung und dem Zusammenschrumpfen der Menge derer, die in der Pflege noch tätig sein wollten. Und mochte er sich auch in Tausenden von Widersprüchen verheddern, sollte auch keine seiner Millionen Bazillenwellen je über den Untertanen zusammenbrechen … mit jeder neuen Kapriole, die er selbst schlug, schien seine Glaubwürdigkeit auf das Wundersamste zu steigen.

Bild

KameOner: „Unlauterbachs flächendeckende Testung“, (Detail), Photo: Frederik Schulz.

Dieser Liebling der Flimmerkisten war ein großer Kämpfer für eine Arznei aus der Spritze, die man erhalten sollte, bevor man überhaupt am Bazillus zu leiden begänne. Daß diese der einzige Weg aus dem Bazillenfluch sei, wußte jener Hellseher bereits, als das Grauen aus dem Reich der Mitte noch eine große Neuigkeit und Sensation war; und es die Arznei noch gar nicht gab. Wenn es sie erst gäbe, dann könne man ganz sicher endlich aufatmen, dann würde sie den Bazillus jäh in die Flucht schlagen, dann könne keiner mehr an ihm erkranken … und auch niemand anderen mehr anstecken.

Und nun wurden keine Mühen und Kosten gescheut und schon rangen Fabrikateure und Forscher darum, die Ersten zu sein, welche eine Zulassung zur ordnungsgemäßen Verabreichung der Arznei erhalten würden. Rascher als je zuvor bei dergleichen Elixier bewarb man sich bald mit einem brandneuen Serum darum.

Doch das Wissen, was es denn bewirke, schien merkwürdig klein, so schnell war‘s damit zugegangen. Erst ward feierlich verheißen, die mächtige Arznei der Zukunft werde lange wirken und die ganze Menschenherde beschützen.

Bald schon räumte man ein, sie täte das immerhin für ein ganzes Jahr, bevor ihre Wirkung stetig abnähme. Doch immer wieder mußte man sich zähneknirschend korrigieren, denn die Nachricht, daß mancher nach nur kurzer Zeit nach dem Spritz wieder erkranke, kam aus allerlei Landen. So daß die bescheidenen Deutschländer sich schnell mit dem Gedanken anfreundeten, diese wohl in immer kleineren Abständen auf unbestimmte Zeit erhalten zu müßen.

Es übersteigt sicherlich ihren Glauben und ich gestehe, es überstieg selbst den meinigen, daß die großen Medizinmänner sich sogar genötigt fühlten zuzugeben, man könne auch nach Einnahme der Medizin krank werden. Ihre Wirkung bestände eben darin, daß man halt nur ein bißchen weniger gesund, aber sicherlich weniger krank als ohne würde. Auch das Anstecken der anderen verhindere die zuvor lautstark gepriesene Rettung aus dem weltweiten Bazillengeschehen nicht … aber warum um Himmels willen hätte sie das auch gesollt? Immerhin war sie jetzt da!

Die Vergänglichkeit selbst, wie sie einst ein Gustave Doré illustriert, oder medizinische Eseleien, wie sie der kluge A. Paul Weber aufs Papier gebracht hatte … diese waren unerhörte Ketzereien längst vergangener, zum Glück überwundener Tage.

Bild

KameOner nach A. Paul Weber und Gustave Doré: „Above the clouds“, (Detail) Photo: Frederik Schulz.

Außerdem sei stets zu bedenken, so mahnte man, daß die fremde, unsichtbare Gefahr sich ständig verändere und das der Zukunftsmedizin zu schnell gehen könnte. Dadurch ward jedoch nicht etwa der Sinn dieser infrage gestellt! Im Gegenteil, es sei halt nicht ausreichend, nur ein- oder zweimal dieselbe Medizin zu spritzen, sondern es sei nun tunlichst eine heldenhafte Anstrengung zu betreiben!

Die Arznei müsse in Windeseile dank modernster Technik in kürzesten Abständen an die veränderte Gefahr angepaßt, umgeformt und modernisiert werden, dann in nie da gewesenen Mengen schleunigst produziert und bestenfalls dem gesamten Erdball in Siebenmeilenschritten verabreicht werden. Wie oft sie verändert und wie häufig dergleichen gespritzt werden müsse, könne natürlich niemand sagen. Doch die Dauer ihrer Wirkung ward von Woche zu Woche kürzer geschätzt. Dies sei jedoch keinesfalls ein Versagen derer, die sie als den Weg aus der Bazillenwelt beworben, ja, alles auf diese Karte gesetzt hatten!

Nein, da helfe nun kein Murren, es müsse eben blitzartig nachgebessert und in Windeseile aufgefrischt werden. In Betracht vergangenen Scheiterns diverser Herrscher anläßlich viel geringerer Aufgaben schien dem einen oder anderen die Durchführung dieses Plans ein wenig tollkühn und überaus optimistisch, ja, wenn nicht schier unmöglich.

Die neue Spritzenwelle ward Antreiber genannt, dies allerdings nur im Modeenglisch, welches sich in deutschen Landen größter Beliebtheit erfreute und alles erst so richtig schmackhaft machte. Jener Antreiber also sei eine Auffrischung der Wunderarznei, ein Hui-Buhster, der wie von Geisterhand in nie da gewesenem Tempo aus dem Nichts auf der Bildfläche erschienen war.

Schon wollte man am liebsten alle Untertanen per Gesetz dazu antreiben, sich dieser gespenstischen Prozedur zu unterziehen. Hatte man je von einer solch gewagten Prozedur gehört, zu der man gedrängt ward, obwohl man kerngesund war, fragten die Ungläubigen? Schließlich war vielen mit der Nadel Gestochenen hundeelend danach; sie erkrankten daran gar ernstlich oder verschieden sogar. So ward der moderne Buhster von vielen ausgebuht.

Weit vor Verkündung derart gewagter Zukunftszwänge hatte der Maler KameOner den neuesten Schmu wohl bereits erahnt und auf einem Wandbild die vielen kommenden Spritzen allesamt ins Antlitz des dem Volk so teuren Prognostikers und Herrschers abgefeuert. Jener aber verstand weder Spaß noch Spitze und schrie zornig auf, als ward er wahrlich überall gleichzeitig schmerzlich gestochen. Das Werk des Malers sei auf der Stelle zu vernichten, gehöre ersatzlos gestrichen.

Bild

KameOner: „Hui Buhster“, Photo: Kevin Krautgartner.

Der gelobte Schuß

Auch manch moderner Medizinmann schickte sich an, nach Kräften für den Buhster zu werben. War es doch auch eine gar hübsch mühelose Verdienstquelle, den gepriesenen Schuß an der Bazillenfront zu verabreichen, ein Gewinn für sich selbst und Volk gleichermaßen. Verstärkung für den Spritz kam in deutschen Landen von ganz oben, und ewiglich hatte ja die mütterliche Herrscherin von seiner famosen Wirkung orakelt. Der Ersehnte würde dann den ganzen Planeten bald heilen, sichern und schließlich versöhnen, auch wenn man die Untertänlinge zuerst zu ihrem Glück nötigen müsse.

Jene aber, welche dies Wunderserum fabriziert hatten, wanden sich. Jaja, mit der Gesundheit und dem Mittelchen überall zu werben, das war schon recht. Ein großes Experiment an den Untertanen mit der neuen Arznei durchzuführen auch. Natürlich, das war das Gebot der Stunde und der äußersten Dringlichkeit. Aber dessen Unbedenklichkeit garantieren? Oder sogar für zukünftige Schäden aufkommen zu müssen? Das schien dann doch zu gewagt und übereilt! Denn der Spritz konnte einen braven Bürger ja auch mir nichts dir nichts niederstrecken. Wer wußte das schon?

Diese Sorge schienen Gegner des Schußes und deren Fabrikateure auf wundersame Weise zu teilen, doch hielten sie es sehr unterschiedlich damit. Strichen die einen trotzdem die große Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Spritz heraus, die so manch schlauer Studie bereits unzweifelhaft zu entnehmen wäre, widersprachen die Ketzer. Denn die Arzneifabrikateure hätten betreffende Studien ja allzu oft selbst in Auftrag gegeben, um eben diesen ihnen genehmen Eindruck zu erwecken. Wes Brot ich eß, des Lied ich sing, mochte auch hier wieder für die Durchführung solcherlei heiß begehrter Studien gegolten haben.

Den mächtigen Herstellern selbst schien ihr Gebräu zuweilen ein Geheimnis zu sein; gar hastig hatten sie‘s erfunden, im Nu zusammengepanscht, auf die Genehmigung gedrängt und dann rasch auf den Markt geworfen. Viele der gähnend langsamen Schritte, die bei ähnlichen Arzneien der Sicherheit wegen immer nötig gewesen zu sein schienen, hatte man diesmal mutig übersprungen oder Schritte der Überprüfung von Schaden und Wirksamkeit, die eigentlich aufeinanderfolgen sollten, gleichzeitig gemacht.

Wer einmal laufen gelernt hat, weiß wohl, daß derlei Voranschreiten nicht möglich ist, ohne sich kurios zu verrenken und schließlich schlimm zu stürzen. Hatte gegenüber dem schädlichen Bazillus größte Vorsicht stets als oberste Maxime gegolten, schien nun äußerster Wagemut in bezug auf die Arznei erste Bürgerpflicht.

Die Herrscher vertrugen sich mit den findigen Arzneifabrikateuren famos und stellten sich fest an ihre Seite, um sie gegenüber jederlei zukünftiger Klage schadlos zu halten. Flugs setzten sie in deutschen Landen und vielerorts auf dem Erdball herrliche Kontrakte auf. Jene, welche den rettenden Spritz herstellten, waren nun von jedwedem Einwurf eines unglücklichen Untertans auf alle Zukunft befreit, falls der gelobte Schuß mal nach hinten losgehen würde. Ja, waren die Herrscher und schlauen Nachrichtenmacher denn blind? Mitnichten! Den unsichtbaren Bazillus ließen sie ja schließlich nicht für ein Sekündchen aus den Augen. Konnten sie ihr Antlitz im Spiegel noch erkennen? Konnten es die Untertanen? Daran gab es Zweifel.

Bild

Felix Gephart, Moner: „Sch(l)af der Vernunft“, Photo: Kevin Krautgartner.

Nun schien es, daß man solidarisch mit den anderen braven Untertanen erst sei, wenn man sich spritzen ließe. Ein elender Schuft ward jener geheißen, der sich´s zweimal überlegte. Im Stillen wurd zumindest bereits ein Fond eingerichtet für all jene, denen die Zukunftsmedizin mehr schaden als helfen würde.

Für die einen waren findige Hersteller diverser Mittelchen seit jeher große Wohltäter der Menschheit; Edelmütige, die den Untertanen zukünftiges Leid unwägbaren Ausmaßes ersparten. War es daher nicht recht, daß sie im Gegenzug dafür auch einige wenige Milliarden Taler einstrichen?

Manch Untertan meinte, jene Arznei für die Welt sei trotzdem ein großzügiges Geschenk zu heißen. Schließlich ward die Fahrt ihm zum Medizinfachmann spendiert, wo man ihn mit dem Moses aller Arzneien spritzte, ja, ihm ward sogar als großzügige Belohnung zuweilen eine leckere Bratwurst oder sogar ein köstlicher Hamburger zuteil. Mit dem, von dem der staatliche Bricklebrit stets genug hatte, ward für alles aufgekommen.

Ja, daß die Länder das ungeheure Brimborium um den vorwitzigen Schädling, die Kosten von Schließung und Einschließung, munterer Testerei und rettendem Wundermittel selbst nur mit den Steuern, die sie zuvor eingetrieben hatten, bezahlten, schien gänzlich in Vergessenheit geraten. Das Geld aus dem Staatssäckel schien zuvor auf den Bäumen gewachsen zu sein. Die Obersten hatten halt die Größe, da zu ernten, wo immer reichlich war und der Untertan obzwar seiner Winzigkeit niemals hinreichte. Daß diese Untertanen, trefflich zurechtgestutzt, ob ihrer geringen Größe fehlbarer als ihre Herrscher waren, leuchtete natürlich sofort ein.

Ausgemacht war daher, daß sie der strikten Überwachung bedurften. Schließlich wollte man nicht riskieren, daß sie sich in ihrem Übermut selbst schadeten. An der Tür zu lauschen wäre jedoch gar zu altmodisch gewesen. Auf modernen Wegen folgte man dem regen Austausch, welchen die Untertanen auf ihren tragbaren Fernsprechgeräten und Schlepprechnern betrieben.

Nicht müde sammelte man eifrig so viel als möglich und hatte auch die Straßen schon seit langem mit allerlei Spitzelgerät trefflich ausgestattet. So konnte man vor sich selbst endlich sicher sein, so schien Vater Staat unangreifbar wie nie zuvor. Was im diesbezüglich vorbildlich organisierten Reich der Mitte so reibungslos funktionierte, sollte am besten auf dem ganzen Erdenrund gelten. Und so schien manchem die Welt wieder an einem ähnlichen Ort angelangt, wo der mutige Tomi Ungerer, wenngleich unter anderen Vorzeichen, sie schon in vorbazillendlichen Zeiten gezeichnet hatte.

Bild

KameOner nach Tomi Ungerer: „Krake“, Photo: Felix Gephart.

Pharma der Tiere

Krittler, Ungläubige und Haarekräusler waren sich uneins, was hinter so manch merkwürdiger Liaison der Mächtigen stecken mochte und je weniger einer wußte, umso greller leuchteten in den Köpfen Bilder von gräßlichen Fadenziehern. Ketzer spekulierten über Betrug, Schindluder und sogar die Verschwörung mächtiger Monopolisten. In ihrem Übermut, bösem Mißtrauen und Mangel an Respekt, erlaubten sich tatsächlich einige, ungehörige, ja, zutiefst boshaft bohrende Fragen die Arzneifabrikateure betreffend aufzuwerfen. Der Erzähler wagt nicht, diese dreisten Ungeheuerlichkeiten zu wiederholen, vielmehr möchte er zu den folgenden Gegenfragen ausholen.

Waren die mächtigen Hersteller hastig ersonnener Arzneien nicht mit Fug und Recht unendlich wohlhabend? Freunde der zahlenden Menschheit, Wohltäter, die nichts unversucht ließen, des Menschen zukünftigen Leids auf immer zu lindern, sollten doch nicht leer ausgehen! War es daher nicht recht, daß sie ihre schützende Hand stets über Patente gelegt hatten, damit ihre Wundermittel nicht allen gleichermaßen zugänglich würden? Konnten schließlich nicht alle gleich gut bezahlen. War es nicht geschickt und klug zu nennen, schon einmal ein Mittel, wenn es dann tatsächlich gefragt und benötigt ward, des Profits wegen um das Fünfzigfache zu verteuern? Schießlich war Gleichheit ja auch zuvor nie wirklich dagewesen.

Waren jemals zuvor derart treffliche Kaufleute gesehen, die so klug wirtschafteten, daß ihre Geldspeicher vor Reichtum bersten mußten, obwohl ihr Herz allein für das Wohl der Allgemeinheit schlug? Wer hätte ihnen da nicht etwa aus tiefstem Herzen gönnen mögen, hier und da das Recht ein wenig zu verbiegen, seine Taler so weise herumzuschieben, daß ein lästiger Prozess erst gar nicht angestrengt werden konnte!

Warum sollte diesen edlen Gönnern der Menschheit, die der Heilslehre von ihren modernen Pillen und Spritzen an den Universitäten gewaltige Vorsprünge verschafften, indem sie ihre langen Arme bis zu den Lehrplänen ausstreckten, im Weg gestanden werden? Was sprach denn nun wirklich dagegen, jene, die alte und auf Jahrtausende bewährte Wege des Heilens praktizierten, zum Teufel zu jagen? Sie hätten ja schließlich zu einer ernsthaften Konkurrenz heranwachsen können.

Waren es nicht von der Nächstenliebe Getriebene, in deren Macht es lag, höchstselbst jene Untersuchungen in Auftrag zu geben, welche anschließend zuverlässig bewiesen, daß ihre neuesten Mittel bedauernswert Erkrankten mehr Erleichterung als Ungemach verursachten? Durfte man denn wirklich im Schlamm herumstochern und Unappetitliches zutage zu bringen; um derart reaktionsschnelle Helden zu schmähen? Jene Wohltäter, die, wenn eine Studie trotz emsigen Nachhelfens nicht das erwünschte Ergebnis lieferte, ganz gerne mal hier und da ein wenig nachhalfen, hatten schließlich schon genug Sorgen!

Bild

KameOner: „Pharma der Tiere“, Photo: Frederik Schulz.

Der neue Spritz

Der neue Spritz jedoch hatte nicht nur seine Tücken. Nein, ob und wieviel er überhaupt helfe, schien auch nicht so einfach zu beweisen sein.

Auch sei der weiteren Verbreitung des umtriebigen Bazillus kein Abbruch getan und man könne ihn, gestochen oder nicht, erkrankt oder lediglich gesund erscheinend, weiterhin zum Nächsten tragen. Trotzdem müsse man wohl oder übel im Gegenzug umso tüchtiger und häufiger sich spritzen lassen. Da sank manchem der Mut, da schwand auch vielen der Wille.

Bild

KameOner: „Medical Sharks“, Photo: Frederik Schulz

Doch wer den gelobten Schuß gar verweigerte, den sollte das nun teuer zu stehen kommen, der durfte zuweilen nun weder Schuhwerk in einem Laden erwerben noch sich beim Friseur die aus vielfachem Anlaß zerrauften Haare schneiden lassen. Ob er sich nun dem magischen Test unterziehen würde oder auch nicht und für einen Tag als gesund und damit unbedenklich gelten konnte, schien alsbald unerheblich.

Auch als gesund Befundener und vorschriftsmäßig Verhüllter blieb ihm die Tür zu allerlei Veranstaltung und Zusammenkunft versperrt. Da half weder Bitten noch Flehen, ohne Spritz ward kein Einlaß gewährt. Und schon orakelte am Jahresende der Kaufmann, welcher damals noch höchster Medizinmann deutscher Lande war, ohne Schuß oder bereits überstandene Bazillenkrankheit werde kein Deutschländer den nächsten Winter überleben.

Bild

KameOner: „Ganz Deutschland ...“, Photo: Felix Gephart

Mancher wagte ob dergleichen neuerlichen Zukunftssehereien kühle Logik zu bemühen und leise einzuwenden, den wunderlichen Spritz samt Geheimpräparat darin bräuchten doch nur die Alten, wenn er denn überhaupt etwas Gutes bewirke. Denn den jungen Deutschländern blieb ja das Ungemach der Bazillenerkrankung meist erspart.

Doch die Herrscher wollten auch die kleinsten Untertanen nicht vom Präparat der Zukunft ausnehmen. Wer hätte schon zu garantieren vermocht, daß der hinterlistigste aller Bazillen es sich nicht auch einmal einfallen ließe, über einen Bub oder sogar sein kleines Schwesterlein herzufallen … war es da nicht äußerstes Gebot, kluge Vorsorge zu treffen?

Und gleich alle, vom Säugling bis zum Greis, dem möglichen Nutzen oder auch Schaden der modernsten aller Geheimgebräue zu überantworten? Wenn sich ja auch nur einer dadurch retten ließe, der mal in Bazillennot geraten könne, war‘s das wert! Ja, auch die Kleinsten, die von der Krankheit nicht viel wußten, deren Leiden noch viel seltener verspürten, sie jedoch aus finsteren Geschichten bereits fürchten gelernt hatten, sollten schon an die Kandare genommen werden, bevor sie den ersten Schritt im aufrechten Gang getan haben würden.

Bild

KameOner: „100 Miles and Running“, (Detail) Photo: Felix Gephart

Eintrichtern und einspritzen war das Gebot der Stunde, als sei der Untertan eine bedauernswert wackelige Klapperkiste in einer Werkstatt. Manche erlaubten sich sogar, trotz zuvor tätiger Nadel an dieser selbst, oder am oder mit fiesem Bazillus zu verenden! Das änderte rein gar nichts, ward einem bald klar. Und flohen die einen die Rettungsnadel, wie es einst der französische Karikaturist Claude Serre so künstlich gezeichnet hatte, konnten die anderen gar nicht genug davon bekommen! Würden uneinsichtige, ewiggestrige Barbaren nicht freiwillig dranwollen, nun, dann werde man sie doch noch besiegen und zu ihrem Wohl oder Übel stechen dürfen und müssen.

Bild

KameOner: „100 Miles and Running“, Photo: Moner.

Dies alles ward hier mit Bleistift und Sprühbüchse festgehalten, damit es nicht später heißen wird, alles sei nur eine obskure Ausgeburt eines fiebrigen Wahns gewesen und sei auch manches vielleicht ein wenig ähnlich gewesen, habe man von all dem ohnehin nie genug gewußt; und niemanden, weder Gebieter, noch Schreiberling, Medizinmann, Richter, Bürokrat oder Untertan träfe irgendeine Schuld.

Und wenn sie keine neuen klugen Gesetze, weisen Verordnungen, eisernen Bestimmungen, vorsorglichen Maßregelungen, freundlichen Einschränkungen und einschneidenden Maßnahmen verabschiedet haben, so fahren sie unverdrossen damit fort. Bis der ein oder andere verdrostene Untertan beginnen mag, aus seinem bazillengeplagten Kokon zu schlüpfen und in einen Bürger sich zurückzuverwandeln.


Quellen und Anmerkungen:

Felix Gephart ist der Zeichner der Arbeiten auf Papier und Autor des Textes, KameOner hat die Graffiti auf Wandflächen erstellt. Diese Wandbilder sind dem Gesamtwerk in Form von Fotografien beigefügt.
 
Grundsätzlich sind alle in diesem Beitrag gezeigten Arbeiten als Vorzugsdrucke erhältlich (Kunstdrucke bis zu 3 Metern Länge) — Kontakt über die Website.

Die Zeichnung „Ganz Deutschland muss bald einen Schuss haben“ ist aktuell bereits in der Berliner Galerie Westphal zu sehen. Das Karl Lauterbach-Porträt stand ziemlich am Anfang der gesamten Bildserie. Lauterbach war so „dankbar“ dafür, dass er es selbst gepostet hat. Dazu gab es auch ein Interview.

Mit der Bilderserie begannen Felix Gephart und KameOner im Jahre 2020. Es waren zunächst Wandbilder und Zeichnungen ohne Textbezug. Der Bezug war das Zeitgeschehen, Recherche und biographische Notizen. Den Text hat Gephart erst im Nachhinein geschrieben, um dem Ganzen einen Rahmen zu geben. Es war das erste Mal, dass er in dieser Reihenfolge gearbeitet hat.

Die großen Wandbilder von KameOner sind alle frei Hand entstanden, ohne Projektionen, ohne Raster. Normalerweise arbeitet er kaum mit Bildzitaten und zieht neue Motive vor. Für dieses Werk aber fand er es wichtig, alte Bilder in einen neuen Bezug zu stellen und zwar quer durch die Jahrhunderte, Kunst- und auch Musikgenres. Das wird vor allem in der vollständigen Buchfassung deutlich. Gerade in Zeiten, wo scheinbar mehr rückhaltlos geglaubt als erinnert wird, fand KameOner es treffend, mit historischen Bezügen in seinen Bildern zu arbeiten, die Erinnerungen wecken. 

Die Bilder enthalten auch zahlreiche Textzitate aus Songs. Da wären GangStarr, AboveTheLaw, IceCube, NWA  zu nennen. Leider ist in diesen Zeiten auch von amerikanischen Rappern nicht allzu viel zu hören, vielleicht mit Ausnahme von Lord Jamar, Brand Nubian oder Busta Rhymes. Enthalten sind auch literarische Zitate beispielsweise von Aldous Huxley.

Von Felix Gephart erschienen sind unter anderem:

  • „Wicked New York“, Jacoby & Stuart Verlag, 2018 (als Autor und Illustrator); ein Buch über die größten zivilen Aufstände der Geschichte der Vereinigten Staaten im New York während des Bürgerkriegs; vieles ähnelt der Situation heute: die Oil Trusts, die Robber Barons, die hemmungslose Ausbeutung der Arbeiter, nicht zuletzt die Rolle der Mainstream-Medien und ihrer einseitigen Berichterstattung.
  • „Felix Gephart  — Auf Linie gebracht“, mit Zeichnungen zu „1984“ von George Orwell, Monographie, 2013. 
  • „Und Johnny zog in den Krieg“, Dalton Trumbo, Onkel &Onkel Verlag, 2012. 
  • „Der kleine Wagnerianer“, C.H. Beck, 2012.
  • „Geschichten aus 1001 Promotion“, Klinkhardt Verlag, 2007.

Für weitere Informationen siehe Website von Felix Gephart und Instagram-Account von kameoner.