Der überflüssige Mensch

Dank Corona finden wir uns in der Hölle unbegrenzter Vernetzung wieder.

Unsere Welt ist krank. Ganz sicher nicht erst, seit sich das Corona-Virus zu einer Weltkrise ausweitete. Dass sich das Virus so ausbreiten konnte, ist Ausdruck eines gestörten sozialen Immunsystems des globalen Organismus. Verursacht wurde dies durch die Eskalation eines ökonomisch diktierten wissenschaftlich-technischen Wachstumswahns. Dieser hat die Welt in eine höchst prekäre Situation gebracht. Als erster Schritt wurde der Mensch zu einem machtlosen Rädchen in einer gigantischen Maschinerie degradiert. In einem zweiten Schritt dürften sich „organische“ Lebewesen wohl selbst abschaffen. Für sie besteht in einer digitalisierten, von künstlicher Intelligenz beherrschten Welt kein Bedarf mehr. Wie wird es weitergehen? Folgt jetzt eine erneute Eskalationsstufe unter dem Label einer „4. Industriellen Revolution“ — oder bringt ein Wechsel des Systems eine echten Wandel?

Ein Blick auf die Symptome

Spätestens seit der Katastrophe des Ersten Weltkrieges konnte verstanden werden, dass die ungezügelte Verwandlung des Globus in einen Kampfplatz um Profite mit Notwendigkeit in den Krieg führen musste. Absehbar war auch, dass die anhaltende Konkurrenz in die nächste Katastrophe noch größeren Ausmaßes führen würde, ja, führen müsse, wenn keine grundlegende Weichenstellung für eine andere Lebensweise geschaffen würde.

Die Lehre, die hätte gezogen werden müssen, war klar formuliert. Notwendig wäre gewesen, die Monopolisierung des Lebens unter dem Diktat der Ökonomie durch eine Differenzierung des sozialen Organismus abzulösen und die sozialen Organe in eine neue, lebendige Verbindung zu führen. Viele Stimmen wurden nach 1918 dafür laut. Am klarsten formulierte Rudolf Steiner diese Perspektive in seinen Ideen zur Dreigliederung des sozialen Organismus nach den darin enthaltenen Elementen des geistigen, des wirtschaftlichen und des rechtlichen Lebens.

Tragische Irrtümer

Stattdessen wurde der einheitliche Nationalstaat, der das gesamte Leben unter ökonomische Dominanz bringt, zum Credo des Jahrhunderts erhoben.

Ja, die Welt ging in die nächste Eskalationsstufe monopolistischer Konkurrenz — in der Gestalt autoritärer und faschistischer Nationalstaaten. Diese steigerten die Fixierung auf den nationalen Einheitsstaat bis zum Totalstaat, der jede Lebensregung an sich zog und den Einzelnen zum Schräubchen an der Staatsmaschine erniedrigte.

Auch die sozialistische Alternative ging, man muss wohl sagen in tragischem Irrtum, diesen Weg, nachdem und wo sie die Staatsmacht erobern konnte.

Die Ergebnisse sind bekannt. Als Vollstrecker — um es paradox zu formulieren — nationalisierter Monopolinteressen gingen diese Staaten im Kampf um weltweite Märkte und Ressourcen gegeneinander vor. Ein zweites Mal wurde dieser Konflikt in einem globalen Krieg ausgetragen. Gelöst wurde er nicht. Zurück blieb eine auf Konkurrenz und Profitmaximierung aufgebaute globale Ordnung, auch wenn sie sich als „Vereinte Nationen“ organisierte.

Jetzt „smart society“

Die Nachkriegsphasen von der bipolaren, über die unipolare zur multipolaren Ordnung der Welt sollen hier nicht im Detail ausgeführt werden. Entscheidend ist zu erkennen, dass wir uns jetzt, allen historischen Lehren zum Trotz, in einer neuen Runde der Monopolisierung befinden, der von ihren Fürsprechern und Betreibern so genannten „4. Industriellen Revolution“, mit der sie die Welt in das digitale Paradies einer „smart society“ verwandeln wollen.

Dies vollzieht sich aber in einer äußerst widersprüchlichen Art: nämlich im Zuge einer technischen Monopolisierung unter der Aufsicht einer alle Lebensbereiche durchdringenden „intelligenten“ Technik bei gleichzeitig stattfindender Re-Nationalisierung des Völkerlebens, in der die immer noch bestehenden nationalen Zusammenhänge, genauer, ihre „Eliten“, um ihre Existenz kämpfen. Zudem hat sich ein weltweites Geflecht von Lobbyorganisationen, also Stiftungen und NGOs aller möglichen Art herausgebildet, das zusammen mit den globalen, auf dem Feld der Digitalisierung führenden Monopolen eine über den einheitlichen Nationalstaaten stehende Macht bildet.

Vor dem Hintergrund der Existenz atomarer Waffen, die weltweit scharf gehalten werden, hat sich so ein prekäres globales Patt herausgebildet, in dem es weder vor noch zurück geht. In dieser prekären Übergangssituation, in der sich alte, neue und wieder um ihre Bedeutung kämpfende Nationalstaaten, das globalisierte Lobbynetz und die weltumspannenden Monopole gegenseitig in Schach halten, geht es jetzt um die Führerschaft auf dem Feld der allseitigen Digitalisierung als erhofftem Ausweg aus der Krise der bisherigen Entwicklung des Kapitalismus. „Wer in der Digitalisierung führt, wird die Welt beherrschen“, lautet das Credo. Der Wettlauf um die Führungsmacht ist eröffnet, die Konkurrenz spitzt sich erneut zu.

Überflüssige „Organwesen“

Eine Bereinigung dieser Situation durch einen neuen großen Krieg im Stile der beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts ist aber bei dem erreichten Stand der technischen Vernetzung heute nicht möglich, ohne dass die daran Beteiligten sich gegenseitig vernichten und den Rest der Welt gleich mit dazu. Andere Formen zur Austragung der Konkurrenz mussten gefunden werden und werden zunehmend schon praktiziert. Der nicht führbare große Krieg wird zunehmend ins Digitale, letztlich ins Zivile verschoben, nicht gerechnet die lokalen und regionalen Stellvertreterkriege.

Die neuen Formen sind: Handelskrieg, Cyberkrieg, Informationskrieg, Störung von Infrastrukturen, Sanktionen, auch biologische Interventionen deuten sich an. Dieser neue Krieg hat tendenziell totalen Charakter. Er wird zwischen den globalen „playern“ geführt, selbstverständlich von ihnen gemeinsam aber, wo sie sich verständigen können, gegen die Teile der Weltbevölkerung, die im Zuge der „4. Industriellen Revolution“ in großem Maßstab in die Überflüssigkeit gedrückt werden.

Ideologen der „4. Industriellen Revolution“, die sich schon seit längerem unter dem Stichwort transhumanistischer Visionen sammeln, lassen diese Perspektive unverhohlen erkennen: Sie sprechen davon, dass hinter dem technisch optimierten Menschen und der ihn tragenden „intelligenten“ Gesellschaft der Zukunft die Masse der Menschen als überflüssige „Organwesen“ zurückbleiben werde (1).

Nicht nur mit ihrer Konkurrenz untereinander, auch mit diesen „überflüssig“ werdenden Massen muss die Herrschaft, die da neu geplant wird, mit Blick auf die Zukunft irgendwie fertig werden, diese Massen entweder reduzieren oder bis zur Bewusstlosigkeit betäuben. Wie diese Betäubung aussehen kann, und ob sie gelingt, das ist eine Frage, auf deren Klärung in den letzten Jahren reichlich Expertengelder in diversen „Foundations“ verwandt worden sind. Man erinnere sich an Zbigniew Brzezinskis Vorschlag des „tittytainment“ (2), der schon als „klassisch“ gelten kann. Man darf hier aber durchaus auch über die humanitären Ziele diverser heute existierender „Foundations“ nachdenken.

Die Frage soll an dieser Stelle offen bleiben. Sie genau zu klären, dürfte aber für alle Seiten von fundamentaler Wichtigkeit sein, für die herrschenden Kreise ebenso wie für die, die betäubt werden sollen.

Kunden im komplexen System

Damit niemand glaubt, hier sei nur von Science-Fiction die Rede, sei hier beispielhaft auf einen Web-Auftritt verwiesen, wie man ähnliche inzwischen seitenweise im WEB oder auch in entsprechender Fachpresse finden kann.

Unter dem Label Reflex-Portal, schon 2017 veröffentlicht, heißt es da:

„Die vierte industrielle Revolution ist da: In Riesenschritten schreitet Industrie 4.0 in Deutschland voran. Bereits 2011 war der Begriff Industrie 4.0 als Schlagwort aus einem gleichnamigen Zukunftsprojekt der Bundesregierung hervorgegangen, heute kommt kaum noch ein Unternehmen an ihm vorbei. Fest steht: Die Digitalisierung ist längst zum Erfolgsfaktor für die Wirtschaft geworden. Wer das ignoriert und an alten Mustern festhält, dem droht das unternehmerische Aus.

Mit Industrie 4.0 steht nicht weniger als die vierte industrielle Revolution in den Startlöchern. Nach den ersten Stadien der Industrialisierung, welche im Wesentlichen auf Maschinen, Anlagen und Energie fokussiert waren, folgt nun die intelligente Vernetzung. Dabei werden nicht nur einzelne Abläufe oder Prozesse einer Fertigung betrachtet, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Neben dem industriellen Kern werden somit auch Büros, Zulieferer, die Logistik bis hin zum Kunden als komplexes System betrachtet, das es unter ein integrales Kommunikationssystem zu fassen gilt. Bisher gibt es schon hohe Automatisierungsansätze, die selbst schon die Kommunikation von Maschinen untereinander (M2M) vorsehen, doch der entscheidende Schritt zur übergreifenden Vernetzung der gesamten Prozesse steht uns noch bevor“ (3).

Man beachte den Satz:

„Neben dem industriellen Kern werden somit auch Büros, Zulieferer, die Logistik bis hin zum Kunden als komplexes System betrachtet, das es unter ein integrales Kommunikationssystem zu fassen gilt.“

Es bleibt die Frage: Wer „fasst zusammen“? Und in welches „System“ sollen die „Kunden“ wie integriert werden? Wo bleibt der Mensch?

Davos — was ist der Mensch?

Vergleichbare Programme wurden in den letzten Jahren auf allen Ebenen bis hin zum Weltwirtschaftsforum in Davos durchdekliniert. Auf dessen letzten Tagungen in den Jahren 2018, 2019 und 2020 wurde die „4. Industrielle Revolution“, anders auch „Globalisierung 4.0“ mit wachsender Dringlichkeit als Ausweg aus dem als drohend beschworenen Crash der Weltwirtschaft, sprich, dem befürchteten ultimativen Zusammenbruch der erkennbar an die Grenzen des Wachstums gekommenen kapitalistischen Verhältnisse propagiert:

So wird die Website des Forums 2020 mit dem Satz eröffnet:

„Die vierte industrielle Revolution stellt einen grundsätzlichen Wandel in der Art und Weise dar, wie wir leben, arbeiten und miteinander umgehen. Sie ist ein neues Kapitel in der menschlichen Entwicklung, ermöglicht durch außerordentliche technische Fortschritte. Diese Fortschritte verschmelzen die physische, digitale und biologische Welt in einer Weise, die sowohl große Verheißungen als auch große Gefahren mit sich bringt. Die Geschwindigkeit, Breite und Tiefe dieser Revolution zwingen uns, neu zu überdenken, wie sich Länder entwickeln, wie Organisationen Werte schaffen und sogar, was es bedeutet, Mensch zu sein“ (4).

Wer solche Auftritte wie die des Reflex-Portals oder diese Rufe des Weltwirtschaftsforums nicht versteht, dem droht in der Tat, nicht nur das unternehmerische, sondern auch das politische Aus.

Damit sind wir mitten in der gegenwärtigen Krise. Ohne uns an Spekulationen zu beteiligen, ob das Coronavirus spontan von Wildtieren auf Menschen übergesprungen, aus einem Betriebsunfall des Hochsicherheitslabors in Wuhan hervorgegangen oder von nicht definierbaren Mächten absichtlich in die Welt gesetzt worden ist, ist doch glasklar erkennbar, was aus dem statistischen Chaos des weltweiten „shut down“, der dem Auftreten des Virus folgte, jetzt vor allem anderen hervortritt: ein gigantischer flächendeckender Tsunami der Digitalisierung, der sämtliche Bereiche des Lebens überflutet.

Was Macher wie die des Reflex-Portals, was die Propagandisten des Weltwirtschaftsforums noch ankündigen, die notwendige Vernetzung der „gesamten Wertschöpfungskette“ als „integrales Kommunikationssystem“, das ‚Verschmelzen der physischen, digitalen und biologischen Welt‘ bis zu der Frage, „was es bedeutet, Mensch zu sein“, steht damit unvermutet von einem Tag auf den anderen auf der Tagesordnung. Das geht bis hin zur umstandslosen Aussetzung persönlicher Freiheitsrechte — wo sie noch oder schon bestanden haben. Ein Schelm oder Verschwörungstheoretiker, wer Schlechtes dabei denkt?

Es bleiben Fragen

Zwei grundsätzliche Fragen stellen sich hier: die eine von „oben“, die andere von „unten“.

Die von oben lautet: Können sich die herrschenden Eliten zu einer digitalisierten Weltregierung durchringen, solange die profitorientierte und konkurrenzbasierte Selbstvermehrung des Kapitals die Digitalisierung antreibt? Oder sind sie nur auf dem Weg in die Eskalation zur nächsten Stufe des prekären globalen Platts?

Die von unten lautet:

Ist die Mehrheit der Menschheit bereit, sich einer Digitalisierung des Lebens zu unterwerfen, die sie auf „Organwesen“ in einem digitalen Herrschaftsnetz reduziert wie Fliegen im Netz einer Spinne?

Oder wird eine ausreichende Mehrheit der globalen Bevölkerung in der Lage sein, die Digitalisierung für die seit langem überfällige Neugliederung des sozialen Organismus zu nutzen?

Mit diesen beiden Fragen soll dieser Text enden. Die Fragen können nur eine Anregung sein, sich über Mehr Gedanken zu machen als nur über das gegenwärtige statistische Chaos. Es geht ja tatsächlich um das, was in dem WEF-Text formuliert wird, nämlich um die Frage, was es bedeutet Mensch zu sein.



Quellen und Anmerkungen:

(1) Ray Kurzweil, Menschheit 2.0, Lola Books, 2014
(2) Kai Ehlers, „Die Kraft der Überflüssigen und die Macht der Über-Flüssigen“, erschienen bei „Verein zur Förderung der deutsch-russischen Medienarbeit e.V.“, Hannover, Dezember 2016, S. 67 ff, Bezug über den Autor: www.kai-ehlers.de
(3) https://www.reflex-portal.de/portals/technologie
(4) Weltwirtschaftsforum 2020: https://www.weforum.org/focus/fourth-industrial-revolution