Der Tod der Aufklärung
Der Umgang mit der Dokuserie „Ancient Apocalypse“ wirft ein schlechtes Licht auf die institutionalisierte Wissenschaft.
Die im November 2022 auf Netflix veröffentlichte Dokuserie „Ancient Apocalypse“ hat hohe Wellen geschlagen. Die Kritik folgte der Veröffentlichung auf dem Fuße. Graham Hancock, dem Macher der Serie, wird „Pseudowissenschaftlichkeit“ vorgeworfen, die sich nur an „Verschwörungstheoretiker“ richte. Die Serie sei „gefährlich“, „rassistisch“, „white-supremacist“. Dabei entblößt sich in der Kritik lediglich der Zustand der etablierten Wissenschaft und der Massenmedien, die sich längst von jedem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verabschiedet haben.
Die Archäologie ist normalerweise kein Gebiet, in dem erhitzte Debatten vor den Augen der Öffentlichkeit geführt werden. Funde, Erkenntnisse und Theorien bleiben normalerweise auf ein kleines Fachpublikum beschränkt und finden nur gelegentlich ihren Weg in die Massenmedien. Gerade die Geschichte menschlicher Zivilisationen ist ein Themenfeld, auf dem noch vieles im Dunkeln liegt, da die Archäologen ihre Theorien nur auf bruchstückhafte Funde und Interpretation stützen können. Von daher ist ein Absolutheitsanspruch auf diesem Feld von vornherein ausgeschlossen. So könnte man meinen. Doch die Reaktionen aus der institutionalisierten Wissenschaft und den Medien auf die im November 2022 veröffentlichte Netflix-Serie „Ancient Apocalypse“ des Journalisten Graham Hancock zeichnet ein ganz anderes Bild.
Von der „gefährlichsten TV-Serie auf Netflix“ schreibt beispielsweise der Guardian und fragt in seinem Untertitel: „Warum wurde das erlaubt?“
Schon hier offenbart sich, wie groß die so viel gepriesene Toleranz gegenüber jenen ist, die unkonventionelle Theorien in den Raum stellen und versuchen, diese zu beweisen. Denn die Gegenfrage müsste natürlich lauten: „Wer zum Teufel sollte so etwas denn verbieten?“ Betreutes Denken wird im Guardian offenbar als erstrebenswert betrachtet, und damit steht der Autor nicht alleine da.
Was hat Graham Hancock in seiner Dokuserie also Schlimmes getan? Nun, der Journalist besucht verschiedene Ausgrabungsstätten überall auf der Welt. Er reist nach Indonesien, Mexiko, Malta, auf die Bahamas, in die Türkei und die USA, um dort mit Archäologen zu sprechen, welche die Stätten betreuen, und Historiker zu treffen, die dazu forschen. Er macht darauf aufmerksam, dass all diese Stätten und die ihnen zugrunde liegenden Kulturen immer wieder seltsame Parallelen aufweisen. So finden sich im Mythenschatz vieler Kulturen Darstellungen oder Erzählungen von einer großen Flut, die große Teile des menschlichen Lebens ausgelöscht hat, und von merkwürdigen Fremden, die oft als Götter erscheinen und meist per Schiff über die Meere kamen. Laut den Mythen waren es diese Fremden, welche die damaligen Jäger- und Sammlerkulturen Landwirtschaft, Architektur und Schrift sowie andere Kulturtechniken lehrten.
Zudem macht Hancock darauf aufmerksam, dass die meisten der antiken Stätten um einiges älter sein müssen, als offiziell behauptet wird, und dass es Spuren für menschliche Besiedlung gibt, die weit früher zurückreichen als die von etablierten Historikern angenommenen Daten. Auch sind die Stätten oft nach ähnlichem Muster auf bestimmte Sterne am Himmel ausgerichtet und nehmen Bezug auf ähnliche Sternenkonstellationen. Vor allem der Stern Sirius war für verschiedene antike Kulturen ein Fixpunkt; doch es handelte sich schließlich auch um den hellsten Stern am Nachthimmel.
Aus all diesen verschiedenen Bruchstücken stellt Hancock eine Theorie auf, die ihn schon seit Jahrzehnten umtreibt und für die er seitdem Hinweise sucht: Er geht davon aus, dass es entgegen der Annahme der meisten Historiker in der letzten Eiszeit nicht nur menschliche Jäger- und Sammlergesellschaften gab, sondern dass auch damals schon eine Hochkultur existiert haben könnte, die durch ein Ereignis kataklystischen Ausmaßes ausgelöscht wurde und deren wenige Überlebende die Welt bereist, bei Jäger- und Sammlerkulturen Zuflucht gefunden und diese die Kulturtechniken gelehrt haben. Erst durch die Hilfe dieser Fremden seien dann auf der Grundlage der neu vermittelten Fähigkeiten die antiken Hochkulturen entstanden, so Hancock. Er meint, die Menschheit leide an Amnesie: Ein wichtiger Teil ihrer Geschichte sei ihr abhandengekommen.
Dabei muss man sich diese steinzeitliche Hochkultur nicht als Gesellschaft vorstellen, die, wie wir heute, endlose technische Entwicklungen hervorgebracht hat. Nein, Hancock geht von einer geistig hoch entwickelten Gesellschaft aus, die profundes Wissen über die Astronomie, die Landwirtschaft und die Baukunst erarbeitet hatte, handwerklich aber mit Holz und Stein arbeitete. Diese Kultur, so vermutet er, ist jene Zivilisation, die schon von Platon als „Atlantis“ bezeichnet wurde.
Und das ist dann im Großen und Ganzen schon alles. Hancock stellt eine Theorie auf, die er an keiner Stelle als mehr denn eine solche bezeichnet. Weder behauptet er, die absolute Wahrheit gefunden zu haben, noch verlangt er Huldigung, Gefolgschaft oder ruft zur Revolution auf. Warum also der mediale Aufschrei?
Wenn man dem Guardian glaubt, dann ist das Problematische, dass sich die Serie einzig an sogenannte „Verschwörungstheoretiker“ richte. Das folgert der Autor daraus, dass Hancock im Podcast des Amerikaners Joe Rogan aufgetreten ist, und stellt damit ein klassisches Kontaktschuld-Pseudoargument her. Nun hat sich der Begriff „Verschwörungstheoretiker“ in den letzten Jahren außerdem schon so abgenutzt, dass er mit „unabhängig Denkenden“ gleichgesetzt werden muss. Daher legen andere Medien nach. Die Serie nutze „rassistische“ Ideologien, die an „white supremacists“ appellierten und deren Vorurteile und Ideologien bedienten, schreibt der große amerikanische Medienkonzern ABC News.
Unwissenschaftliche Wissenschaft
Der unbedarfte Zuschauer muss sich über diese Zuschreibungen schon sehr wundern. Denn der mit der schwarzen Fotografin Santha Faiia verheiratete Hancock spricht an keiner Stelle der Serie von „Rassen“, und auch nicht über „Weiße“ oder etwa deren „Überlegenheit“. Tatsächlich geht er nicht einmal näher darauf ein, wo die Hochkultur der Eiszeit eigentlich räumlich lokalisiert gewesen sein soll. Also ist auch über „Herkunft“ und „Hautfarbe“ wenig abzuleiten. Das ist wohl auch den Schreiberlingen aus den Medien klar, und so spinnen sie ihre Argumentation weiter: Die Theorie, dass eine eiszeitliche Hochkultur den verschiedenen Völkern das Wissen gebracht haben soll, entwerte das indigene Erbe.
Bitte, was? Hancock bezweifelt nicht einmal, dass die indigenen Kulturen die Anlagen, die er besucht, selbst gebaut haben. Er sagt vielmehr, dass sie diese zu einem bestimmten Zweck errichtet haben, nämlich, um erstens an ihre Geschichte zu erinnern und diese für die Ewigkeit festzuhalten, und zweitens, um die Menschen vor einem weiteren kataklystischen Ereignis zu warnen.
Die erste Katastrophe bestand nämlich, so Hancock, aus einem Meteorschauer, der — so musste es den antiken Kulturen scheinen — aus einem bestimmten Sternbild stammte und hauptsächlich auf dem mächtigen Eispanzer der Nordhalbkugel niedergegangen war, welcher dann geschmolzen ist. Dies habe die in so vielen Kulturen erwähnte Flutkatastrophe ausgelöst und sei auch der Grund, warum es keine Krater gebe, die von diesen Einschlägen zeugen. Dass es am Ende der letzten Eiszeit solche katastrophalen Umwälzungen gegeben hat, ist belegt. Diese Zeit wird die „jüngere Dryas“ genannt und war geprägt von heftigen Wetterereignissen wie Fluten, Bränden oder extremer Kälte, weshalb viele menschliche Gesellschaften sie nicht überlebt haben. Nur der Auslöser für diese Extreme ist bislang unbekannt. Hancocks Theorie liefert also ein passendes Puzzleteil.
Zudem haben die Kulturen auch den genauen Zeitpunkt dieses Ereignisses mittels Reliefs von Sternenkonstellationen festgehalten, die sich im Laufe der Zeit aufgrund der natürlichen Schwankung der Erdachse verändern. Diese Konstellationen kann man heute am Himmel wieder beobachten, was bedeutet, dass, wenn die Theorie stimmt, wir uns einem weiteren, mächtigen Meteorschauer nähern könnten. Dass kein Volk dieser Erde eines Morgens aufsteht und sich entscheidet, Monumentalbauten zu konstruieren, darauf beharrt Hancock immer wieder. Stattdessen müsste einerseits das Wissen darüber erst einmal erworben werden, und andererseits bräuchten die Menschen einen gewichtigen Grund, diese Bauten zu errichten. Damit könnte durchaus erklärt werden, weshalb indigene Zivilisationen dieses Wissen erwarben und umsetzten.
Auch aus der etablierten Archäologie weht Hancock indes ein eisiger Wind entgegen. Seine Theorie wird als „Pseudowissenschaft“ abgewertet, und die Archäologen, die sich auf diese Weise zu Wort melden, kritisieren, dass er für seine Theorien keine Beweise liefere. Das ist in der Archäologie allerdings nichts Neues.
Bei Geschehnissen, die Jahrtausende zurückliegen, gibt es naturgemäß keine oder wenige, in jedem Fall aber unzureichende Beweise, um aus ihnen eine umfassende Theorie abzuleiten.
Jeder Wissenschaftler kann sich nur auf Funde stützen, diese datieren und dann seine eigenen Theorien entwickeln. Es sind nur Indizien, welche die historische Archäologie bestimmen, besonders dann, wenn es um steinzeitliche Kulturen geht. Damit wird aber etwas offenbar, das Wissenschaftler sich allgemein nicht einzugestehen wagen: Dass sie nämlich verdammt wenig wissen.
Denn die Wissenschaft im Allgemeinen hat sich von ihrem Projekt der Aufklärung, Wissen zu erlangen und zu entwickeln, in vielerlei Hinsicht entfernt. Sie hat sich stattdessen allzu oft in Erzählungen und Theorien versteigert, die längst zu Dogmen geworden sind. Werden diese angetastet, gerät das ganze Gebäude der etablierten Wissenschaft ins Wanken, und so muss alles angegriffen werden, was den Erzählungen dieser neuen Religion widerspricht. Bei der Archäologie und der frühen Menschheitsgeschichte ist es kaum anders. Unbeabsichtigt offenbaren die Kritiker dies sogar selbst, indem einige von ihnen sagen, Hancocks Serie sei ein „Angriff auf die ganze Archäologie“.
Wenn die Archäologie sich von einer Netflix-Serie angegriffen fühlt, dann muss sie wirklich auf einem sehr wackeligen Fundament ruhen. Und in der Tat greift Hancock die sogenannten „Experten“ in der Weise an, dass er ihre „Expertise“ in Frage stellt. Man solle sich, so sagt er, nicht auf sie verlassen, nur weil sie Autorität für sich beanspruchen — ein weiser Rat, wie uns der Corona-Fake gelehrt hat.
Und das ist dann womöglich das eigentliche Problem. Es geht nicht darum, dass Graham Hancock eine Theorie aufstellt, welche die Geschichte der Menschheit vollkommen über den Haufen wirft. Das könnte eine Marginalie sein, über die sich Wissenschaftler in wissenschaftlicher Weise streiten könnten. Ginge es um Wissenschaft, würde nicht Graham persönlich mit ad-hominem-Argumenten angegriffen, sondern es wäre in erster Linie seine Theorie, die mit klaren Gegenbeweisen oder -hinweisen widerlegt würde. Indizien, die dafür und die dagegen sprechen, würden abgewogen, Logiklöcher würden aufgedeckt und Unklarheiten würden angesprochen. Denn die gibt es. Unter anderem drängt sich die Frage auf, wie sich die reisenden Überlebenden während ihrer Reisen ernährt haben sollen, ob sie irgendwo einen festen Sitz aufgeschlagen haben oder wie sie sich eigentlich mit den vollkommen fremden Stämmen verständigten.
Doch es geht nicht um einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Das eigentliche „Problem“, das Hancock für die institutionalisierte Wissenschaft darstellt, ist, dass er diese institutionalisierte Wissenschaft an sich in Frage stellt, ihre Welterklärungsmuster, die keinen Widerspruch mehr zulassen, weil an ihnen Posten, Lehrstühle und ganze Karrieren hängen. Zudem offenbart er durch die Darstellung von Erkenntnissen, die den „etablierten“ Erzählungen widersprechen, dass diese Wissenschaft, die so viel auf sich hält, im Grunde keine Ahnung von der Welt hat. Auch entblößen sich jene Wissenschaftler, welche lieber den Macher der Serie diffamieren als seine Theorie zu widerlegen, schon durch ihre Reaktion als intolerante, ideologisch geprägte Menschen, denen an Erkenntnisgewinn überhaupt nicht gelegen ist. Dass sich das in den Massenmedien so widerspiegelt, zeigt, dass in der Gesellschaft insgesamt, insbesondere der staatstreuen „Mehrheitsgesellschaft“, ein ähnliches Klima des Dogmatismus und der Intoleranz vorherrscht.
Denn Hancock ist viel mehr als nur ein verschrobener Journalist, der abseitige Themen zu seinem Lebensinhalt gemacht hat. Hört man ihm längere Zeit zu, wie beispielsweise in diesem Podcast mit Aubrey Marcus, dann lernt man ihn als intellektuellen, vielseitig gebildeten Menschen kennen. Ohne Mühe redet er über Spiritualität, psychoaktive Substanzen als Heilmittel für psychische Traumata, die Ignoranz und Intoleranz der Massenmedien und der Mainstream-Wissenschaft, die Macht der Pharmaindustrie — und bezeichnet sich selbst als Anarchisten, der so wenig Staat wie möglich auf dieser Welt sehen will, da dieser mit einem überbordenden Bürokratismus die Menschen von ihrer Bestimmung und von ganz natürlichen, transzendenten Erfahrungen abschneide. Damit stellt er das materialistische Weltbild, auf dem sich die derzeitige Gesellschaft, aber auch die Machthierarchien gründen, infrage, und liefert mögliche Erklärungen, wie die antiken Hochkulturen organisiert waren, als Gegenentwurf zur heutigen Gesellschaft.
Die Überzeugung, dass unsere Gesellschaft die höchst entwickelte sei, zweifelt er ebenso an, wie er darauf hinweist, dass sie sehr fragil ist. Denn sie sieht zwar stark aus, bringt beeindruckende technische Gerätschaften hervor, und doch sind die Menschen in ihr hochgradig abhängig, psychisch schwach und vollkommen unfähig, in der Welt zu überleben, wenn die grundlegende Versorgung durch die Gesellschaft einmal wegfällt. Und dass dies passieren kann, davon ist er überzeugt.
Damit stellt er alles infrage, was gegenwärtig als Normalität angenommen wird, und rüttelt an der Überzeugung der Beständigkeit unserer Zivilisation. Von diesem Standpunkt aus verlieren die Institutionen und Systeme, mit denen die modernen Menschen sich umgeben und in denen sie gefangen sind, ganz schnell an Legitimation. Hancock ist damit nur einer von vielen, die mit den gegenwärtigen Systemen abrechnen und deren Macht hinterfragen.
Das ist es, was ihn so „gefährlich“ macht. Gefährlich allerdings nicht für normale Bürger, Indigene oder andersfarbige Menschen, sondern gefährlich für Machthierarchien, ihre Ideologien und Profite.
Deswegen wird er bekämpft, und nicht, weil er eine Theorie aufgestellt hat, die möglicherweise falsch ist. Das haben bereits viele Wissenschaftler getan, ohne zur Persona non grata erklärt zu werden.
Doch die Herrschenden und ihre Propagandamedien schreien nach Zensur und betreutem Denken, nicht weil Hancock vielleicht auch absurde Behauptungen aufstellt, wie man durchaus befinden kann, sondern weil er die Macht als solche herausfordert und damit all jene, die von ihr profitieren.