Der stille Hinterhof
Im Schatten des Stellvertreterkriegs in der Ukraine gerät der Balkanstaat Serbien zwischen die Fronten.
Im Schatten des Ukrainekrieges findet unbemerkt von der Öffentlichkeit ein weiterer Krieg statt, der nicht militärisch geführt wird. Der kleine Balkanstaat Serbien sieht sich seit Beginn der westlichen Sanktionen gegenüber Russland vermehrt Angriffen ausgesetzt, weil er gegenüber Russland neutral bleiben will. Dabei setzt der Westen alles daran, das Land auf die eigene Linie zu zwingen, und schreckt auch vor hinterhältigen und dreckigen Manövern nicht zurück.
„Serbien muss sterbien“ — mit dieser sprachlichen Entgleisung eröffneten die Soldaten von Österreich-Ungarn und dem deutschen Reich die Ostfront im Ersten Weltkrieg. Serbien wurde damals in Verbindung mit dem Attentat auf den Erzherzog Franz-Ferdinand durch Gavrilo Princip gebracht und war daher zum Feindstaat auserkoren worden. An dem Bild vom Balkan hat sich seitdem wenig verändert. Die deutschsprachigen Länder behandeln dieses Gebiet schon lange als ihren eigenen, stillen Hinterhof, auf dem sie Machtverhältnisse gestalten und beliebig Einfluss nehmen können. So scheint auch der Propagandaslogan „Serbien muss sterbien“ heute wieder Teil der Politik zu sein.
Denn Serbien wird seit dem letzten Jahr vermehrt von Krisen gebeutelt. Der Konflikt mit dem Kosovo kocht seit geraumer Weile erneut hoch. Der Kosovo, einst eine Region Serbiens, hatte sich 2008 selbstständig für unabhängig erklärt und steht seitdem unter dem Schutz der UN und der NATO, die dort mit ihrer „Kosovo Force“-Mission (KFOR) vor Ort ist, vorgeblich, um den seit Jahren abgekühlten Konflikt zu befrieden. Der Kosovo ist kaum mehr als ein künstliches Konstrukt, das durch eine pro-westliche Marionettenregierung am Leben gehalten wird. Er dient zugleich als Umschlagplatz für allerlei organisierte Kriminalität, und auch Teile der vielen in die Ukraine gelieferten und dann abhanden gekommenen Waffen dürften hier versickert sein. Doch neben Kosovo-Albanern leben in vier Provinzen im Norden der selbsternannten Republik mehrheitlich Serben. Das bietet einiges an immer wieder aufflackerndem Konfliktpotenzial.
Dies ist seit einigen Monaten der Fall. Zunächst hat die Regierung des Kosovo verkündet, den Serben ihre eigenen Ausweispapiere, PKW-Nummernschilder und Papiere aufzunötigen. Das sorgt gerade bei jenen, die öfter zwischen dem Kosovo und Serbien hin und her reisen, für Empörung. All jene, die Verwandtschaft in beiden Gebieten haben, oder auch Fernfahrer, sind von dieser Maßnahme negativ betroffen. Es erschwert den Grenzübertritt, und die Serben müssen neue Nummernschilder erwerben. Auch für die serbische Regierung, die den Kosovo noch immer als Teil des eigenen Staatsgebietes betrachtet, ist dieser Schritt ein Affront. Denn auf diese Weise macht sich die selbsternannte Republik unabhängiger von Serbien und geht weitere Schritte auf dem Weg in Richtung Eigenständigkeit.
Die Reaktion der Serben im Kosovo war daher auch recht nachdrücklich. Lange gab es Proteste gegen diese Maßnahme, und die Serben haben wichtige Grenzübergänge blockiert. Auch die serbische Regierung hat sich eingeschaltet und protestiert, einigte sich später aber mit der De-facto Regierung des Kosovo, sodass diese ihren Plan, die Nummernschilder auszutauschen, doch umsetzte. Die Situation schien befriedet, doch die Proteste im Kosovo gingen weiter. So sind hunderte von Serben aus Protest von öffentlichen Ämtern zurückgetreten. Unter ihnen auch der Polizeibeamte Dejan Pantić. Dieser wurde später aufgrund des „Verdachts auf Terrorismus“ verhaftet. Als er nach Priština, der Hauptstadt des Kosovo, ausgeliefert werden sollte, gingen die Serben abermals auf die Straße. Zu Tausenden blockierten sie die Straßen und Autobahnen, um die Auslieferung zu verhindern.
Bald schon entsandte Priština Militärpolizei in die nördlichen Regionen des Kosovo, um die Proteste niederschlagen zu lassen. Das veranlasste die serbische Regierung ihrerseits einen Militäreinsatz in den Regionen zu verlangen, um die ethnischen Serben vor der kosovo-albanischen Polizei zu schützen. Laut UN-Resolution hat Serbien das Recht, eigene Soldaten in die Regionen zu entsenden, muss dies aber bei der KFOR-Mission beantragen.
Präsident Aleksandar Vučić sprach dabei von den „schwersten Stunden meiner Amtszeit“ und führte in einer Ansprache an das Volk aus: „Wir sind Zeugen eines Versuchs, die serbische Frage im Kosovo zu lösen, ich fordere die Serben auf, Ruhe zu bewahren“, und fügte hinzu, die Amerikaner hätten in den letzten 23 Jahren aus dem Kosovo ein „Monster“ gemacht.
„Die Bürger protestieren gegen die Verhaftungen, die Misshandlungen von Menschen und die Nichtumsetzung der Brüsseler Vereinbarung. Unsere amerikanischen Partner sollen uns sagen, welchen Rechtsakt sie und Priština respektieren.“
Währenddessen ergriff die EU einseitig Partei für den Kosovo. Josep Borrell beschimpfte die Demonstranten und forderte sie auf, die Blockaden zu beenden. Die Regierungschefin Serbiens, Ana Brnabić erklärte daraufhin, die EU verspiele all ihre Glaubwürdigkeit und nehme die Bedürfnisse der Serben nicht ernst. Schließlich lehnte die KFOR-Mission das Ersuchen Serbiens, eigene Soldaten und Polizisten in den Kosovo zu entsenden, ab. Der serbische Präsident nannte dies einen erwartbaren Schritt, erklärte aber auch, dass das Ersuchen laut Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates nicht abgelehnt werden dürfe.
Er verwies zudem auf den Tod zweier serbischer Jugendlicher am orthodoxen Weihnachtsabend. Im Dorf Gotovuša in der Nähe der Stadt Štrpce eröffnete ein 33-jähriger, albanischer Soldat das Feuer auf einen 21-jährigen und einen 11-jährigen Serben. Viele Kosovo-Serben haben anschließend einen Protestmarsch abgehalten. Sie forderten das Ende des „albanischen Terrors“. Denn die serbische Bevölkerung sieht sich schon lange willkürlicher Durchsuchungen, Verhaftungen und Gewalt der albanischen Polizeikräfte ausgesetzt.
Auf die Ablehnung des serbischen Ersuchens erklärte Vučić, dass die KFOR unprofessionell agiere.
„Ihre Führung kümmert sich um politische Lösungen, um NATO-Mitglieder, die die Organisatoren von all dem sind, und nicht um reale Sicherheit. Sie sind nur politische Instrumente in den Händen der stärksten westlichen Mächte.“
Nachdem Vučić die Serben im Kosovo aufgerufen hatte, die Barrikaden zu entfernen, wurden diese schließlich abgebaut.
Geopolitischer Hintergrund
Der Konflikt mag wie eine rein ethnische Auseinandersetzung scheinen. Es könnte sich um eine regionale Angelegenheit handeln, in der ein Staat die Abspaltung eines Teiles nicht anerkennen will, und immer wieder Konflikte aufflammen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Hinter all dem steckt ein geopolitischer Aspekt. Denn Serbien weigert sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine, das westliche Sanktionsregime gegenüber Russland mitzutragen und das Land für sein Vorgehen zu verurteilen. Das ist wenig verwunderlich, handelt es sich sowohl bei Serben als auch bei Russen um slawische Völker, die eng miteinander verwandt sind. Genau so sehen es die Serben mehrheitlich.
Die serbische Regierung erklärt sich in dem Konflikt für neutral und hält an den bilateralen Beziehungen fest. Auch das überrascht nicht. Denn das kleine Land bezieht bis zu 85 Prozent seines Erdgases aus Russland. Während die EU händeringend nach Alternativen für russisches Gas sucht, kauft Serbien weiterhin günstig beim großen Bruder ein. Zudem haben beide Länder erst im Mai vergangenen Jahres einen neuen Vertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren geschlossen.
Ein weiterer Grund für die Weigerung Serbiens, den westlichen Krieg gegen Russland in der Ukraine zu unterstützen, könnte der Umstand sein, dass die Menschen des Landes sich noch sehr gut an die „Großzügigkeit“ der NATO erinnern können.
Diese hatte 1999 mit deutscher Beteiligung für mehr als 70 Tage Krieg gegen das damalige Jugoslawien geführt und dabei auch die wichtige zivile Infrastruktur wie die Strom- und Wasserversorgung zerstört, um den damaligen Präsidenten Slobodan Milošević zu erpressen, die westlich diktierten Bedingungen anzuerkennen. Dabei wurde auch der Kosovo übernommen und instrumentalisiert, wo sich seitdem die größte US-amerikanische Militärbasis Osteuropas befindet.
Für ihre Weigerung, sich am westlichen Krieg gegen Russland zu beteiligen, wurde und wird die serbische Regierung immer wieder kritisiert und bedroht. So bemerkte Aleksandar Vučić im August ironisch, wenn man alle Beispiele für den Druck von außen, welchem Belgrad in diesen sechs Monaten seit Februar ausgesetzt war, zusammentragen würde, käme „ein Buch von der Größe von Karl Marx‘ Kapital heraus“. Schon zuvor hatte Vučić öffentlich erklärt, dass der Westen seine Geheimdienste nutze, um Drohungen gegen ihn auszusprechen und ihn auf diese Weise zu zwingen, die Sanktionen doch noch umzusetzen. Auch ein Treffen mit Sergei Lawrow in Belgrad verhinderte der Westen, indem die an Serbien grenzenden Länder ihren Luftraum für die Maschine des russischen Außenministers sperrten und so den Überflug verweigerten.
Nun also kocht der Kosovo-Konflikt erneut hoch und kann daher als Fortsetzung der versuchten Erpressung gegenüber Serbien betrachtet werden. Auch das russische Außenministerium erklärte, dass es die Regierung des Kosovo sei, welche die Situation eskaliere, und dass sie dabei sowohl von der EU als auch den USA unterstützt werde. Der Serbien-Kosovo-Konflikt kann daher als Teil des Ukrainekonfliktes gesehen werden, als eine Nebenfront, an welcher der Westen gegen die Verbündeten Russlands vorgeht, um den russischen Einfluss aus Europa zurückzudrängen. Es ist eine Strategie direkt aus dem Handbuch „Die Kunst des Krieges“ von Sun Tzu, in dem er unter Anderem erklärt, dass, wenn ein Feind nicht direkt angegriffen werden kann, man ihm die Verbündeten nehmen müsse.
Erpressung
Am 18. Januar 2023 veröffentlichte das EU-Parlament eine Resolution in der es Serbien dazu aufforderte, sich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP) anzuschließen, womit vor allem die antirussischen Sanktionen gemeint waren. Serbien ist ein EU-Beitrittskandidat und sei daher verpflichtet, sich an die Werte und Rechte der Staatengemeinschaft zu halten.
Es sei wichtig, so die Resolution weiter, dass die Länder des Balkans vollständig mit der Politik der EU in Einklang stünden. Zudem solle Belgrad „sein Engagement für Reformen in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ verstärken, bevor die Beitrittsverhandlungen fortgeführt werden könnten. Teil dieser Maßnahmen sei es auch, die russischen Sender RT und Sputnik in Serbien zu verbieten.
Serbien hatte sich bislang geweigert, die russischen Sender zu schließen, und vor wenigen Monaten wurde mit RT Serbia gar noch ein serbischsprachiger Ableger eröffnet. Die EU hatte die Sender schon am 27. Februar 2022, und damit drei Tage nach Beginn des Krieges verboten, damit „die staatlichen Unternehmen Russia Today und Sputnik sowie ihre Tochterunternehmen nicht länger in der Lage sein werden, ihre Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen“. Viele Nicht-EU-Länder wie beispielsweise Montenegro waren diesem Verbot ebenfalls nachgekommen. Nun soll auch Serbien als letztes europäisches Land dieses Verbot umsetzen.
Außerdem solle Serbien seine Beziehungen zum Kosovo auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung normalisieren. Das jedoch würde bedeuten, dass Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt und damit de facto auf einen Teil des eigenen Staatsgebietes verzichtet, etwas, was dieselben Akteure für die Ukraine auf keinen Fall auch nur zu äußern wagen würden. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić nannte die Resolution daher zu Recht „heuchlerisch“. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte er:
„Sie organisierten eine gewaltsame Sezession eines Teils unseres Territoriums. Wie weit kann dieses schamlose Verhalten gehen? Mir fehlen die Worte.“
Und fuhr fort:
„Nach allem, was ich gehört habe, will keiner von ihnen hören oder sehen, dass es da auch einen anderen Standpunkt gibt. Das Einzige, was sie interessiert, ist ein unabhängiges Kosovo, Sanktionen gegen Russland, es gibt keine Opposition.“
Doch die Unabhängigkeit des Kosovo sei, so die EU-Resolution weiter, „unwiderruflich“. Zudem wurden Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und die Slowakei, welche die Unabhängigkeit des Kosovo noch nicht anerkannt haben, aufgefordert, dies unverzüglich zu tun. Schon zuvor hatten Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron erklärt, dass Serbien sich für eine Seite entscheiden müsse. In dasselbe Horn stieß auch Ursula von der Leyen auf einer Konferenz in Albanien, in der es um die Entwicklung des Balkans ging. Sie sagte mit Blick auf Serbien, dass sich der Balkan zwischen „Demokratie“ und „Autokratie“ entscheiden müsse.
Dieser Druck auf Serbien könnte allerdings dazu führen, dass das kleine Land seinen Beitrittskandidatenstatus aufgibt. Denn kaum noch 30 Prozent der Bevölkerung unterstützen mittlerweile noch einen Beitritt zur EU.
Zugleich ist aber auch die serbische Seite an einer Lösung des Kosovo-Konfliktes interessiert, wie auch ein Treffen des Präsidenten Vučić mit dem Premierminister des Kosovo, Albin Kurti, in Brüssel Ende Februar zeigt, in dem über Lösunge verhandelt wurde. Schon zuvor, am 20. Januar 2023 hatte Vučić auf einem Treffen mit Vertretern der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Deutschlands und Italiens erklärt, einen von der Europäischen Union bereits im September vorgelegten Plan zur Lösung des Konfliktes prüfen zu wollen. Er erklärte weiterhin:
„Wir sind uns einig, dass ein eingefrorener Konflikt keine Lösung ist und dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann er von jemandem wieder aufgetaut wird und unverantwortliche Individuen den Frieden und die Stabilität des gesamten westlichen Balkans zum Einsturz bringen.“
Weiter hieß es:
„Wir sind bereit, das Konzept zu akzeptieren und an der Umsetzung des vorgeschlagenen Plans zu arbeiten, wobei ich mich in einer wichtigen Frage sehr vorsichtig und zurückhaltend geäußert habe.“
Dabei nannte er jedoch keine weiteren Details. Diese wurden einige Tage später, am Montag, den 23. Januar bekannt, als sich Präsident Aleksandar Vučić in einer Rede an sein Volk wandte. In dieser kündigte er an, dass Serbien sich den Forderungen der EU und der NATO beugen müsse.
„Wenn wir uns weigern, werden die Forderungen nur stärker und schärfer werden, bis wir an den Punkt kommen, an dem wir tun müssen, was sie wollen. Das bedeutet, dass eine schwierige Zeit und politische Differenzen vor uns liegen, aber wir müssen an Serbien denken“, sagte er und warnte, dass es nicht mehr nur um Russland und die Ukraine gehe, sondern sich der Brand ausweiten werde. Man müsse verhindern, dass Serbien irgendwann Feuer fange.
Er erklärte, die EU sei Serbien „offen mit dem Knüppel auf die Füße getreten“. Sie erpresse Serbien, und es gebe keinen anderen Ausweg mehr, als sich den Forderungen der EU und der NATO zu beugen. Diese beinhalte die vollständige Unterstützung des Kurses der EU gegenüber Russland. Zudem solle Serbien die Mitgliedschaft des Kosovo in der UNO anerkennen, was gleichzeitig jedoch nicht bedeute, dass die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt werden müsse.
Die EU drohte dem serbischen Präsidenten zufolge damit, anderenfalls die Visafreiheit aufzuheben und anschließend Investitionen aus Serbien abzuziehen. Das würde den Behörden die Möglichkeit nehmen, Renten und Gehälter auszuzahlen, sowie 200.000 Arbeitsplätze gefährden, was großes Leid für die Bevölkerung bedeute. Er stellte zudem klar, dass die anstehenden Entscheidungen nicht von ihm alleine, sondern von den Behörden und der Bevölkerung getroffen werden. Zwar habe er die Vorschläge der Unterhändler bei der Konferenz am 20. Januar ablehnen können, betonte aber, dass auch „Milošević bis zum letzten Moment dachte, dass keine Bomben auf uns fliegen würden“.
Vučić stellte fest, dass Europa und die NATO den Balkan als ihren stillen Hinterhof betrachten, auf dem der Einfluss Russlands zurückgedrängt werden soll. Wörtlich sagte er:
„Sie haben ihre eigene Agenda — die Niederlage Russlands — und bei dieser Agenda wird alles, was sich ihnen in den Weg stellt, rücksichtslos beseitigt. Keine rationalen Argumente funktionieren. Die Nervosität in Europa ist groß. In Europa herrscht de facto Krieg, es gibt keine Toleranz, sie wollen, dass wir ihr stiller Hinterhof sind.“
Der Balkan-Experte Lew Werschinin schrieb in seinem Blog, dass Serbien das letzte russophile Land auf dem Balkan sei, und damit das letzte, in dem Russland einen Einfluss in der Region und letztlich auf die Politik Europas ausüben könne. Die Kapitulation Serbiens sei auf die Schwäche Russlands zurückzuführen.
Der frühere Außenminister Jugoslawiens, Živadin Jovanović, fühlt sich an den sogenannten Münchener Verrat erinnert. Von RT-Serbien wird er zitiert:
„Das sogenannte Münchener Abkommen von 1938 über die Aneignung des Sudetenlandes durch Deutschland, ein hinter dem Rücken Russlands gestelltes Ultimatum, wurde von den damaligen Führern Frankreichs, Italiens und Großbritanniens öffentlich als Rettung des Friedens in Europa dargestellt. Es ist sehr gefährlich, dass die derzeitigen Führer der erwähnten westlichen Länder sich der Lehren aus der Geschichte nicht bewusst sind.“
Die Unterstützung der antirussischen Sanktionen lehnt Serbien trotz allem jedoch weiterhin ab. Das erklärte der serbische Außenminister Ivica Dačić am 26. Januar bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu. Er erklärte, dass das Land sich aufgrund der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland sowie der Probleme mit dem Kosovo den Sanktionen nicht angeschlossen habe, und betonte, dass es schädlich für die Interessen des Landes wäre, Sanktionen zu verhängen. Dabei erinnerte er daran, dass auch die Türkei sich den Sanktionen nicht angeschlossen habe. Zuvor hatte er sich in der Türkei um Unterstützung bemüht, um mit dem Druck von EU und NATO fertig zu werden.
Anfang Februar warnte Präsident Vučić jedoch in einem Interview mit dem Sender Prva, dass im Falle einer Eskalation des Ukrainekrieges Serbien keine andere Wahl mehr bliebe, als den langjährigen Freund Russland zu sanktionieren. Der Druck seitens der EU und der NATO nehme immer weiter zu, sodass sich das Land im Balkan diesem womöglich bald nicht länger wird widersetzen können. Er rief jedoch dazu auf:
„Lasst uns das so weit hinauszögern, wie wir das können. Ich werde wissen, wann der rechte Moment ist, und vor dem Volk nichts verbergen. Dieser Moment rückt schon eine lange Zeit näher, ich fürchte, er ist nicht einmal mehr Monate entfernt.“
Er räumte zudem ein, dass er am Anfang des Konfliktes geglaubt habe, der Westen könne durch die Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung in der Ukraine die Oberhand gewinnen. Nun jedoch herrsche ihm zufolge Einheit in der russischen Bevölkerung, was den Militäreinsatz anging, auch ausgelöst durch die angekündigten Panzerlieferungen seitens Deutschlands und anderen westlichen Ländern.
Er musste jedoch hinzufügen, dass es für Serbien schwierig wird, egal wer gewinnt. Denn der Westen wolle kein Land, das mit Russland verbündet ist, mitten in Europa, während Russland nicht alles verlieren wolle, was es auf dem Balkan habe. Serbien sei daher eine der wenigen Parteien, die auf diplomatische Lösungen bestehen. Doch den Frieden, so resümiert der serbische Präsident, dürfe niemand mehr erwähnen.
Seit Februar hat der Westen seine Strategie der Spaltung Russlands und Serbiens um eine neue Komponente ergänzt. Seitdem tauchen in den Medien Berichte von Waffenlieferungen Serbiens an die ukrainische Konfliktpartei auf. Serbische Vertreter haben diese Berichte umgehend dementiert. Der Verdacht liegt nahe, dass die Berichte vom Westen systematisch lanciert werden, um einen Keil zwischen Serbien und Russland zu treiben, da das kleine Land sich jedem Versuch, es auf die antirussische Linie zu zwingen, bislang widersetzt hat. Die Frage ist, welche schmutzigen Tricks dem Westen noch einfallen, sollte auch dieser Versuch scheitern.
Die EU und die NATO führen also einen stummen Krieg gegen ein unabhängiges Serbien, um es mit Gewalt in ihr Einflussgebiet zu drängen und seine engen Beziehungen zu Russland zu zerstören.
Eine unabhängige, eigenständige und an den eigenen Interessen ausgerichtete Politik soll dem Land verwehrt werden zugunsten der Interessen westlicher Mächte. Das dürfte für das kleine Land verheerende Folgen haben, das fast seine gesamten Energieimporte aus Russland bezieht und auch sonst eng mit dem Land kooperiert. Die EU und die NATO kümmern diese Folgen nicht, wie man schon an der Politik der EU-Staaten gegenüber ihren eigenen Bürgern erkennen kann. Stattdessen wird eine geopolitische Schlacht ausgetragen, in der die einfachen Menschen und die kleinen, neutralen Staaten unter die Räder kommen.
Serbien ist in einer sehr schwierigen Lage. Es ist ein Binnenstaat, der eingeschlossen von EU- und NATO-Mitgliedern und damit auf deren Wohlwollen angewiesen ist. Schon im vergangenen Jahr hatten die umliegenden Länder ihren Luftraum für eine russische Staatsmaschine gesperrt, mit der Außenminister Sergei Lawrow das Land besuchen wollte. Das zeigt, wie schwierig die Situation für Serbien ist, und beweist, dass die serbische Regierung fest entschlossen ist, trotz des Gegenwindes an seiner neutralen Position festzuhalten. Es scheint zudem das einzige Land zu sein, dessen Regierung im Interesse seiner Bevölkerung handelt.