Der stellvertretende Tod
Die Ukraine wird zwischen den Mühlen der Großmächte zerrieben.
Staaten haben viele Möglichkeiten, Stärke zu demonstrieren und Feinde zu schwächen, aber Stellvertreterkriege gehören zu den zynischsten. Sie vernichten die Länder, die sie vorgeben, zu verteidigen. Sie verlocken Nationen oder Aufständische, für geopolitische Ziele zu kämpfen, die letztendlich nicht ihren Interessen entsprechen. Der Krieg in der Ukraine hat wenig mit der Freiheit dieses Landes, jedoch viel mit der Schwächung des russischen Militärs sowie der Macht Wladimir Putins zu tun. Sobald die Ukraine auf eine Niederlage oder der Krieg auf eine Pattsituation zusteuert, wird das Land wie viele andere auch geopfert werden. Eines der Gründungsmitglieder der CIA, Miles Copeland Jr., nannte dies das „Spiel der Nationen“ oder „die Amoralität der Machtpolitik“.
In meinen zwei Jahrzehnten als Auslandskorrespondent berichtete ich über Stellvertreterkriege unter anderem in Mittelamerika, wo die USA die Militärregimes in El Salvador und Guatemala bewaffneten sowie Contra-Aufständische, die die sandinistische Regierung in Nicaragua zu stürzen versuchten.
Ich berichtete über den Aufstand im Punjab, einen von Pakistan geschürten Stellvertreterkrieg. Ich schrieb über die Kurden im Nordirak, die mehr als einmal von Iran und Washington unterstützt und dann verraten wurden. Während meiner Zeit im Nahen Osten lieferte der Irak den Volksmudschaheddin (MEK) Waffen und sonstige Unterstützung, um den Iran zu destabilisieren.
Als ich mich im ehemaligen Jugoslawien aufhielt, dachte Belgrad, es könne durch die Bewaffnung bosnischer und kroatischer Serben Bosnien und Teile Kroatiens in ein Großserbien aufnehmen.
Stellvertreterkrieg sind bekanntermaßen schwer zu kontrollieren - besonders dann, wenn die Ziele derer, die kämpfen und derer, die die Waffen senden, voneinander abweichen. Zudem haben sie die schlechte Angewohnheit, Sponsoren von Stellvertreterkriegen mitten in den Konflikt hineinzuziehen — wie es die USA in Vietnam und Israel im Libanon erlebten. Die an Stellvertreterarmeen gelieferten Waffen sind an kaum eine Rechenschaftspflicht gebunden und landen in großen Mengen auf dem Schwarzmarkt oder in den Händen von Warlords oder Terroristen.
CBS News berichtete vergangenes Jahr (2022, Anmerkung der Übersetzerin), dass es etwa 30 Prozent der an die Ukraine entsandten Waffen bis an die Front schafften. Nach heftigem Druck vonseiten Kiews und Washingtons wurde dieser Bericht teilweise zurückgezogen.
Das weitverbreitete Abzweigen gespendeter militärischer und medizinischer Ausrüstung in den Schwarzmarkt der Ukraine wurde auch von der US-Reporterin Lindsey Snell dokumentiert.
Waffen in Kriegsgebieten sind lukrative Waren. In den Kriegen, über die ich Bericht erstattete, standen stets große Mengen zum Verkauf.
Warlords, Gangster und Schurken — die Ukraine gilt seit Langem als eines der korruptesten Länder Europas — werden von den Förderstaaten in heldenhafte Freiheitskämpfer umbenannt. Mit der Unterstützung jener, die in diesen Stellvertreterkriegen kämpfen, feiern wir unsere angebliche nationale Tugend — was nach zwei Jahrzehnten militärischer Fiaskos im Nahen Osten besonders verführerisch ist.
Joe Biden, dessen Umfragewerte düster aussehen, beabsichtigt, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren - als „Kriegspräsident“ an der Seite der Ukraine, der die USA bereits 113 Milliarden US-Dollar an militärischer, wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe versprochen haben.
Als Russland in die Ukraine einmarschierte, sagte Biden nach einem Blitzbesuch in Kiew: „Die ganze Welt stand vor einer Zerreißprobe. Europa wurde auf die Probe gestellt. Die USA wurden auf die Probe gestellt, die NATO. Alle Demokratien wurden auf die Probe gestellt.“ Zur Rechtfertigung anderer Stellvertreterkriege hörte ich ähnliche Äußerungen.
„Sie sind unsere Brüder, diese Freiheitskämpfer, und wir schulden ihnen unsere Hilfe“, sagte Ronald Reagan über die Contras, die auf ihrem Weg durch Nicaragua plünderten, vergewaltigten und abschlachteten. „Sie sind das moralische Äquivalent zu unseren Gründungsvätern und den heldenhaften Männern und Frauen des französischen Widerstands“, fügte er hinzu. „Wir können uns nicht von ihnen abwenden, weil dieser Kampf nicht zwischen rechts gegen links ausgefochten wird, sondern zwischen richtig gegen falsch.“
John McCain sagte über Präsident Donald Trump: „Ich möchte von ihm hören, dass wir die Freie Syrische Armee bewaffnen werden. Wir werden uns der Beseitigung Bashar Al-Assads widmen. Wir werden die Russen einen Preis für ihren Einsatz bezahlen lassen. Alle Beteiligten hier werden eine Strafe zahlen müssen und die Vereinigten Staaten von Amerika werden an der Seite derer stehen, die für die Freiheit kämpfen.
Gefeierte Helden des Widerstands — wie Präsident Wolodymyr Selenskyj oder Präsident Hamid Karzai aus Afghanistan — sind oft problematisch, insbesondere sobald sich ihre Egos und Bankkonten aufblähen. Die Flut überschwänglicher Lobeshymnen, die die Förderer öffentlich an ihre Stellvertreter richten, entspricht selten dem, was sie im Privaten über sie äußern.
Auf den Friedensgesprächen in Dalton, als der serbische Präsident Slobodan Milosevic die Führer der bosnischen Serben und bosnischen Kroaten auslieferte, sagte dieser über seine Stellvertreter: „(Sie) sind nicht meine Freunde. Sie sind nicht meine Kollegen. Sie sind scheiße.“
„Schwarzgeld stand überall zur Verfügung“, schrieb die Washington Post, nachdem sie einen internen Bericht des Büros des Sondergeneralinspektors für den Wiederaufbau Afghanistans erhalten hatte.
„Die größte Bank Afghanistans löste sich in einer Jauchegrube aus Betrug auf. Auf Flügen, die Kabul verließen, schleppten Reisende Koffer mit einer Million US-Dollar oder mehr mit. 'Mohnpaläste' genannte Villen erwuchsen den Trümmern und beherbergten Opiumkönige. Präsident Hamid Karzai gewann die Wiederwahl, nachdem seine Spießgesellen Tausende von Wahlurnen gefüllt hatten. Später gab er zu, dass die CIA jahrelang Säcke voller Bargeld in sein Büro geliefert hatte und nannte dies ‚nichts Außergewöhnliches’“.
„Als Präsident Obama den Krieg eskalierte und der Kongress Milliarden zusätzlicher Dollar an Unterstützung absegnete, versprachen der Oberbefehlshaber und die Gesetzgeber öffentlich, die Korruption zu bekämpfen und korrupte Afghanen zur Rechenschaft zu ziehen“, berichtete die Zeitung. „In Wirklichkeit jedoch hielten sich die US-Beamten zurück, schauten weg und ließen zu, dass sich der Diebstahl weiter verfestigte, wie aus einer wahren Fundgrube vertraulicher Regierungsinterviews hervorgeht, die der Washington Post vorlagen.“
Diejenigen, die als Bollwerk gegen die Barbarei gefeiert werden, solange die Waffen zu ihnen strömen, werden — wie in Afghanistan und im Irak — nach Ende der Konflikte vergessen. Die ehemaligen Stellvertreterkämpfer müssen aus dem Land fliehen oder die Rachefeldzüge derjenigen erleiden, die sie bekämpften— wie es die im Stich gelassenen Hmong-Stammesangehörigen in Laos und die Südvietnamesen erlebten.
Die ehemaligen Förderer, die früher mit Militärhilfe um sich geworfen haben, ignorieren nun die verzweifelten Bitten um wirtschaftliche und humanitäre Beihilfe, während Kriegsflüchtlinge hungern und mangels medizinischer Versorgung sterben. Afghanistan wurde zum zweiten Mal zum Schauplatz dieser imperialen Gefühllosigkeit.
Der Zusammenbruch der Zivilgesellschaft fördert sektiererische Gewalt und Extremismus, was den Interessen derer, die die Stellvertreterkriege angestiftet haben, oft abträglich ist. Israels Stellvertretermilizen im Libanon und die militärischen Interventionen von 1978 und 1982 dienten dazu, die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO aus dem Land zu vertreiben.
Dieses Ziel wurde erreicht. Die Beseitigung der PLO aus dem Libanon führte jedoch zur Entstehung der Hisbollah, einem weitaus militanteren und effektiveren Feind, sowie der syrischen Vorherrschaft im Libanon. Im September 1982 massakrierte die Libanesische Kataeb-Partei, besser bekannt als die Phalangen, mithilfe des israelischen Militärs drei Tage lang 2.000 bis 3.500 palästinensische Flüchtlinge und libanesische Bürger in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila.
Dies führte zu internationaler Ächtung und politischen Unruhen in Israel. Kritiker nannten den langwierigen Konflikt „Lebenam“ (eingedeutscht „Libanam“), eine Verschmelzung der Worte Vietnam und Libanon. Der israelische Film „Walzer mit Bashir“ dokumentiert die Verdorbenheit und die mutwillige Ermordung tausender Zivilisten durch Israel und ihre Stellvertreter während des Libanonkrieges.
Stellvertreterkriege führen zu unbeabsichtigten Rückschlägen, zeigte Chalmers Johnson auf. Die Unterstützung der Mudschaheddin in Afghanistan im Kampf gegen die Sowjets, einschließlich der Bewaffnung von Gruppen wie der von Osama bin Laden angeführten, hatten die Entstehung der Taliban und der al-Qaida zur Folge.
So verbreitete sich zudem auch der reaktionäre Dschihadismus in der gesamten muslimischen Welt, terroristische Anschläge auf westliche Ziele nahmen zu, die schließlich in den Anschlägen vom 11. September 2001 gipfelten. Zudem folgten zwei Jahrzehnte lang von den USA angeführte militärische Fiaskos in Afghanistan, Irak, Syrien, Somalia, Libyen und Jemen.
Sollte Russland in der Ukraine siegen und Putin nicht gestürzt werden, werden die USA nicht nur eine mächtige Allianz zwischen Russland und China zementiert haben, sondern auch die Feindschaft mit Russland gefestigt, die uns teuer zu stehen kommen wird.
Das Fluten der Ukraine mit Waffen im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar, der Einsatz von US-Geheimdiensten zur Ermordung russischer Generäle und zur Versenkung des Kriegsschiffes Moskva, die Sprengung der Nordstream-Leitungen und die mehr als 2.500 US-Sanktionen gegen Russland wird Moskau nicht vergessen.
„In gewissem Sinne sind ‚Rückschläge‘ einfach ein anderer Ausdruck dafür, dass eine Nation erntet, was sie sät“, schreibt Johnson . „Wenngleich die Menschen üblicherweise wissen, was sie gesät haben, ordnen wir unsere nationale Erfahrung von Rückschlägen selten so ein, weil so viel von dem, was die Manager des US-Imperiums gesät haben, geheim gehalten wurde.“
Diejenigen, die in Stellvertreterkrieg unterstützt werden — auch die Ukrainer —, haben oft kaum eine Chance auf einen Sieg. Hochentwickelte Waffen wie die M1 Abrams Panzer erweisen sich größtenteils als nutzlos, wenn die, die sie bedienen, nicht über Monate oder Jahre geschult wurden.
Vor der israelischen Invasion des Libanon im Juni 1982 versorgte der Sowjetblock die palästinensischen Kämpfer mit schweren Waffen, darunter Panzer, Flugabwehrraketen und Artillerie. Aufgrund mangelnder Schulung waren diese Waffen gegen die israelische Luftwaffe, Artillerie und mechanisierte Einheiten unwirksam.
Die USA wissen, dass den Ukrainern die Zeit davonläuft. Sie wissen, dass High-Tech-Waffen nicht rechtzeitig beherrscht werden, um eine dauerhafte russische Offensive abzuwehren. Verteidigungsminister Lloyd Austin warnte im Januar, dass die Ukraine „hier ein Zeitfenster von jetzt bis zum Frühling“ habe. „Das ist nicht lange“, fügte er hinzu.
Es geht jedoch nicht um Sieg. Es geht um maximale Zerstörung. Selbst wenn die Ukraine bei einer Niederlage gezwungen werden sollte, mit Russland zu verhandeln und für den Frieden Gebiete abzutreten und den Status einer neutralen Nation zu akzeptieren, wird Washington sein Hauptziel erreicht haben, Russlands militärische Kapazität zu schwächen und Putin von Europa zu isolieren.
Jene, die Stellvertreterkriege lostreten, lassen sich von Wunschvorstellungen blenden. Für die Contras in Nicaragua oder die MEK im Iran gab es kaum Unterstützung. Die Bewaffnung der sogenannten „moderaten“ Rebellen in Syrien führte dazu, dass Waffen in die Hände reaktionärer Dschihadisten gelangten.
Stellvertreterkriege enden meist damit, dass die im Namen des Fördererstaates kämpfende Nation oder Gruppe verraten wird. Im Jahr 1972 lieferte die Nixon-Administration Waffen und Munition im Wert von Millionen Dollar an kurdische Rebellen im Nordirak, um die Regierung Iraks zu schwächen, von der man damals annahm, sie stünde der Sowjetunion zu nahe.
Keiner von denen, die den kurdischen Kämpfern die Waffen lieferten —
am wenigsten die USA und Iran —, wollten, dass die Kurden einen eigenen Staat gründeten. Irak und Iran unterzeichneten 1975 das Abkommen von Algier, in dem die beiden Länder Streitigkeiten entlang der gemeinsamen Grenze beilegten. Das Abkommen beendete auch die militärische Unterstützung der Kurden.
Das irakische Militär begann bald darauf eine unbarmherzige Kampagne ethnischer Säuberung im Nordirak. Tausende von Kurden, darunter Frauen und Kinder, „verschwanden“ oder wurden getötet. Kurdische Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die verzweifelte Not der Kurden wurde ignoriert, weil, so Henry Kissinger damals, „verdeckte Aktionen nicht mit Missionsarbeit verwechselt werden sollten“.
Die islamische Regierung in Teheran nahm während des iranisch-irakischen Krieges von 1980 bis 1988 die Militärhilfe für die Kurden erneut auf. Am 16. März 1988 warf Iraks Präsident Saddam Hussein Senfgas und die Nervenkampfstoffe Sarin, Tabun und VX auf die kurdische Stadt Halabdscha. Etwa 5.000 Menschen starben innerhalb von Minuten und bis zu 10.000 wurden verwundet. Die Reagan-Regierung, die den Irak unterstützte, verharmloste die Kriegsverbrechen, die gegen ihre früheren kurdischen Verbündeten verübt wurden.
Ein weiteres Beispiel ist die Annäherung Präsident Richard Nixons an China, die mit der Einstellung verdeckter Hilfen für tibetische Rebellen einherging. Verrat ist der Schlussakt in fast allen Stellvertreterkriegen.
Die Bewaffnung der Ukraine ist keine missionarische Arbeit. Sie hat nichts mit Freiheit oder Frieden zu tun. Es geht um die Schwächung Russlands. Nähme man Russland aus der Gleichung, gäbe es kaum eine greifbare Unterstützung für die Ukraine. Es gibt andere besetzte Völker, darunter auch die Palästinenser, die ebenso brutal und viel länger gelitten haben als die Ukrainer.
Aber die NATO bewaffnet keine Palästinenser, damit sie gegen ihre israelischen Besatzer kämpfen können; sie stilisiert sie auch nicht als heldenhafte Freiheitskämpfer. Unsere Freiheitsliebe erstreckt sich nicht auf Palästinenser oder die Menschen im Jemen, die derzeit mit britischen und US-Waffen bombardiert werden, oder für die Kurden, Jesiden und Araber, die sich gegen die Türkei wehren, ein langjähriges NATO-Mitglied, das den Norden und Osten Syriens besetzt und dort einen Drohnenkrieg führt. Unsere Freiheitsliebe reicht nur für Völker, die unserem „nationalen Interesse“ dienen.
Es wird eine Zeit kommen, in der die Ukrainer ebenso wie die Kurden entbehrlich werden. Sie werden aus unserem nationalen Diskurs und unserem Bewusstsein verschwinden wie viele andere vor ihnen. Über Generationen werden sie den an ihnen begangenen Verrat und ihr Leid hegen. Das US-Imperium wird weiterziehen und andere benutzen — vielleicht das „heldenhafte“ Volk Taiwans —, um sein vergebliches Streben nach globaler Hegemonie zu verfolgen.
China ist der große Preis für unsere Dr. Strangeloves (Dr. Seltsam aus Stanley Kubricks Film „Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“. Anm. d. Übersetzerin). Sie werden immer weiter Leichen auftürmen und mit einem Atomkrieg liebäugeln, um Chinas wachsende Wirtschafts- und Militärmacht zu beschneiden.
Dies ist ein altes und vorhersehbares Spiel. Es hinterlässt Nationen in Trümmern und Millionen von Toten und Flüchtlingen. Es befeuert die Hybris und Selbsttäuschung der Bürokraten in Washington, die sich weigern, das Entstehen einer multipolaren Welt zu akzeptieren. Unkontrolliert wird uns dieses „Spiel der Nationen“ alle umbringen.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Ukraine’s Death by Proxy“. Er wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratsteam lektoriert.