Der schönste Beruf der Welt

Durch Kooperation und kleine Machtkämpfe schaffen es Lehrer und Schüler immer wieder, zusammen zu wachsen, und erfüllen so eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.

Die Anforderungen an die schulische Erziehung und Bildung sowie an die Lehrer sind seit jeher immens. Trotzdem ist der Beruf des Lehrers einer der schönsten, den sich Menschen aussuchen können. Am Lehrer können sich die Schüler reiben und ihr Mütchen kühlen — an ihm können sie aber auch wachsen. Gemeinsam versuchen Lehrer wie Schüler den Weg zu einem friedlichen Miteinander zu finden in einer Welt endloser Kriege, in der man auch vor einem „präventiven Atomkrieg“ (Professor Chossudovsky) nicht zurückschreckt.

Als ehemaliger Lehrer und Doktor der Pädagogik werde ich das näher erläutern und damit für den nicht mehr sehr attraktiven Beruf des Lehrers angesichts eines sich abzeichnenden großen Bildungsdesasters eine Lanze brechen.

Für eine bewusste ethisch-moralische Werteerziehung

Bereits vor 21 Jahren, am 20. Mai 2002, verfasste ich als Leiter der Staatlichen Schulberatungsstelle für die bayerische Landeshauptstadt München einen Diskussionsbeitrag zum 17-fachen Mord oder Amoklauf in der Stadt Erfurt und meinte abschließend, dass „nur ein gesellschaftlicher Konsens über Werte, Ziele und Vorbilder in der Erziehung der heranwachsenden Generation Orientierung und Halt geben kann“ (1).

Weiter habe ich geschrieben:

„Destruktive gesellschaftliche Einflüsse wie eine Unterhaltungsindustrie, die über Film, Fernsehen, Video, Computerspiel und Musik im Wesentlichen eine Mischung aus Gewalt, Perversion und Nihilismus vermittelt, sowie die Unsicherheit der Erzieher führten bei der Jugend zu Desorientierung und Haltlosigkeit. (…)

Die Uneinigkeit in der Gesellschaft über diese Fragen hat der heranwachsenden Generation in den letzten Jahrzehnten nicht zum Vorteil gereicht. Eine Zunahme der Gewaltbereitschaft, des Drogenmissbrauchs, des Nihilismus waren die Folge. Eine breite gesellschaftliche Diskussion tut not, an deren Ende ein Konsens stehen muss (…). Diese Diskussion muss geführt werden ohne Tabuisierung und Abstempelung anderer Meinungen und muss sich unter anderem an den vielen wertvollen Forschungsergebnissen der Entwicklungspsychologie, besonders der Bindungs- und Erziehungsstilforschung sowie den Forschungen zu den Bedingungen prosozialen Verhaltens und an der Medienwirkungsforschung orientieren“ (2).

Dieser Diskussionsbeitrag ist auch nahezu ein Vierteljahrhundert später noch zeitgemäß.

Situation der schulischen Erziehung und Bildung heute

„Bildung! Bildung! Bildung! Über kaum ein Thema wird häufiger und härter gestritten. Bildung soll die Persönlichkeit entwickeln und ein erfülltes Leben ermöglichen. Bildung soll gut ausgebildete Fachkräfte für den Arbeitsmarkt bereitstellen und unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig halten. Bildung soll Frieden und Demokratie sichern und unser kulturelles Wissen über die Generationen weitergeben“ (3).

Dieser Definition von Bildung können sich westlichen Gesellschaften sicher anschließen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sie diesem Anspruch auch gerecht werden und die Bildungschancen ihrer Kinder fördern. Und das vor allem nach dem verhängnisvollen „Krisenjahr“ 2022 mit Corona-bedingten Schulschließungen, einem erschreckenden Lehrermangel und hohem Migrationshintergrund der Schüler. Ganz zu schweigen von der Bildungssituation in den sogenannten Entwicklungsländern.

Dabei gibt es kein menschliches Problem, das nicht von Lehrern thematisiert werden könnte und sollte, angefangen vom schulischen Lernen, der Unterhaltungsgewalt auf den Handys von Kindern bis hin zum Drogenkonsum, zur Desinformation der „kriegstreibenden Presse“ (Karl Kraus), zur Geschichte des Faschismus (Vera Sharav) und bewährten Wegen zu einem friedlichen Zusammenleben.

Bildung im psychologischen Sinne hieße auch noch, den Menschen zu vermitteln, wie sie ihre Probleme lösen sollen und können. Hierzu zählen ihr Lebensgefühl sowie ihre Meinung über sich selbst, die Mitmenschen und die Gemeinde.

„In unseren Schulen herrscht Krieg!“

Im Jahr 1975 schätzte der Individualpsychologe Professor Dr. Rudolf Dreikurs die Situation an Schulen nicht ganz unrealistisch ein, als er schrieb:

„Ob der Lehrer es möchte oder nicht, ob er sich dessen bewusst wird oder nicht, gewöhnlich wird er in einen Machtkampf hineingezogen, aus dem er sich nicht befreien kann“ (4).

Doch gleichzeitig hat er angemerkt:

„Jedes Kind wird gelegentlich aus Gründen, die ihm selbst verborgen bleiben, Widerstand leisten. Zu wiederholen, was es tun sollte, verbessert nicht die Situation, ruft im Gegenteil einen Konflikt im Kind hervor und verstärkt seinen offenen Widerstand gegenüber dem Lehrer. Nur jemand, der die psychologischen Mechanismen, die das richtige Funktionieren des Kindes blockieren, versteht, kann ihm helfen, sich einzufügen und Fortschritte zu machen“ (5).

Es kommt also darauf an, dass sich der Lehrer mit oder ohne Hilfe eines pädagogisch-psychologischen Fachmanns dieses Machtkampfs bewusst wird und Frieden schließt mit seinen Schülern.

Im Artikel „Wir Bürger sollten den Humanismus erproben“ habe ich den positiven Fall eines Lehrer-Kollegen geschildert, dem es gelang, sich mit einem ehemals störenden Schüler zu versöhnen und den Kriegszustand in der Klasse zu beenden (6).

Die heiligste Pflicht eines Erziehers

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, jedem Lehrer und Erzieher ins Stammbuch geschrieben:

„Die wichtigste Aufgabe eines Erziehers — man kann fast sagen: seine heiligste Pflicht — besteht darin, Sorge zu tragen, dass kein Kind in der Schule entmutigt wird und dass ein Kind, das bereits entmutigt in die Schule eintritt, durch seine Schule und durch seinen Lehrer Vertrauen in sich selbst gewinnt“ (7).

„Lehrer, das ist der schönste Beruf, den der Mensch haben kann.“

Mein Psychologie-Lehrer Friedrich Liebling drückte es einmal so aus:

„Lehrer, das ist der schönste Beruf, den der Mensch haben kann. Es gibt keinen schöneren. Das gemeinsame Wachsen aneinander durch die tägliche Beziehung, die intensive Auseinandersetzung, die den ganzen Menschen fordert mit all seinen Schwächen und Stärken, das Gespräch, das tägliche Ringen um die Lufthoheit im Klassenzimmer. Damit der Störer, der sich im Grunde nur das Lernen nicht zutraut, nicht die Oberhand gewinnt und dadurch andere ansteckt und ablenkt, die Stimmung in der Klasse verdirbt. Der Lehrer muss die Oberhand behalten, Vorbild sein, Anführer beziehungsweise Rudelführer der ganzen Bande bleiben, an dem sich die Schüler reiben können, an dem sie ihr Mütchen kühlen können, an dem sie aber auch wachsen können. Lehrer, das ist der schönste Beruf!“ (8).


Quellen und Anmerkungen:

(1) Rudolf Hänsel: „Für eine bewusste ethisch-moralische Wertevermittlung. Ein Diskussionsbeitrag zu Erfurt“ (2002). Staatliche Schulberatungsstelle für München. Zentrale pädagogisch-psychologische Beratungsstelle für die Schulen in der Landeshauptstadt und im Landkreis München.
(2) Am angegebenen Ort, Seite 1 folgende
(3) https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/282582/was-ist-bildung-eine-einfuehrung/
(4) Rudolf Dreikurs: „Psychologie im Klassenzimmer“ (1975). Stuttgart, Seite 19
(5) Am angegebenen Ort, Seite 40
(6) https://www.globalresearch.ca/we-citizens-should-prove-humanism-...ood-capable-living-together-without-weapons-wars/5817065?/
(7) Rudolf Hänsel: „Wie geht es Ingo? Oder: Wie wird man Mitmensch? Ein Dank an meinen Lehrer“ (2020). Gornji Milanovac, Seite 15
(8) Am angegebenen Ort, Seite 34