Der Scheinsieg

Die Pro-Europäer feiern den für sich glimpflichen Ausgang der Europawahl — und täuschen sich über die Konsequenzen.

Die Proeuropäer (1) sind zufrieden. Vom Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament fühlen sie sich voll und ganz bestätigt. Zwar habe es Verschiebungen zwischen den politischen Lagern gegeben, Konservative und Sozialdemokraten hatten verloren, Liberale und Grüne hingegen gewonnen, was aber lediglich einen Austausch zwischen proeuropäischen Lagern darstelle. Viel wichtiger sei der Anstieg der Wahlbeteiligung. Dies sei ein ermutigendes Zeichen für die „Zukunft der europäischen Demokratie“, denn damit sei bewiesen, dass immer mehr Menschen „für Europa“ einträten. Vor allem aber sei der befürchtete Aufstieg nationalistischer und rechtspopulistischer Kräfte ausgeblieben. Diesen „destruktiven Kräften“ sei es nicht gelungen, das Europäische Parlament (EP) zu „erobern“. Doch diese zur Schau gestellte Zufriedenheit der Proeuropäer ist nichts anderes als Schönfärberei und Selbstbetrug. Tatsächlich lief es für sie alles andere als gut.

Die „Eroberung Europas“ blieb aus

Beginnen wir mit dem bejubelten Scheitern der Kräfte von rechtsaußen. Was war nicht alles vor den Wahlen prophezeit worden! Es drohe eine existentielle Krise der EU, so hieß es, sollten rechtspopulistische bzw. nationalistische Kräfte die Sieger sein. Der Journalist der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hatte deshalb bereits im Februar des Jahres gefordert:

„Der Wahlkampf zum neunten direkt gewählten EU-Parlament muss zu einer Bewegung werden — nicht nur der politischen Parteien, die sich zu Europa bekennen; zu dieser Bewegung müssen auch Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen, Wohlfahrtsverbände und Bürgerinitiativen gehören“ (2).

Das Bekenntnis der Arbeitgebervereinigungen „zu Europa“ ließ nicht lange auf sich warten. In großformatigen Anzeigen forderten sie auf, zur Wahl zu gehen und „für Europa“ zu stimmen. Der Verband der chemischen Industrie (VCI) schaltete Großanzeigen in einflussreichen Tageszeitungen: „Europa braucht ihre Stimme: Ihre“. Und: „Eine Renationalisierung der Politik, wie von EU-Kritikern gefordert, wäre angesichts der zunehmenden Komplexität vieler Politikbereiche rückwärtsgewandt (…)“. Die Automobilindustrie stand dem nicht nach: Der Volkswagenkonzern ließ am Wolfsburger Werk ein riesiges Plakat aufhängen: „Volkswagen wählt Europa“.

Auch die Gewerkschaften mussten nicht lange gebeten werden. Der Vorsitzende von ver.di, Frank Bsirske, schrieb in der Gewerkschaftszeitung publik: „Am 26. Mai ist Europawahl. Der Ausgang dieser Wahl wird richtungsentscheidend sein für die politische Landschaft in Deutschland und Europa. Es stehen ganz unterschiedliche Konzepte zur Wahl. Auf der einen Seite Parteien, die glauben, die Welt werde besser, wenn jeder nur an sich denkt, und die zurück wollen zu mehr nationaler Beschränktheit. Auf der anderen Seite stehen Parteien zur Wahl, die wissen, dass den globalen Herausforderungen unserer Zeit — Klimawandel, Finanzkrisen, Flüchtlingsbewegungen, Terrorismus, Handelskonflikte — am wirksamsten gemeinsam begegnet werden kann“ (3).

Folgt man Bsirske, fand also ein Lagerwahlkampf statt: hier die engstirnige, nationale AfD, dort all die anderen proeuropäischen Parteien von der CSU bis zur Partei DIE LINKE. Es zählten keine Klassen mehr — es standen sich vielmehr nur noch Gegner und Befürworter der EU gegenüber.

So sieht es auch der Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch:

„Die Rechten versuchen, Europa zu erobern, um das große Friedensprojekt Europa zu zerstören. Diese Gefahr ist real. Ob das Salvini in Italien ist, Le Pen in Frankreich, Orbán, Kaczyński, wie sie alle heißen“ (4).

Doch zu dem befürchteten rechten Durchmarsch kam es nicht, denn er war gar nicht möglich. Nüchterne Beobachter hatten bereits vorher Entwarnung gegeben.

Sie sagten voraus, dass selbst bei einem für sie günstigen Ausgang die Rechtsaußen kaum mehr als 100 Sitze erringen könnten. Im Februar 2019 schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass „nicht zu erwarten (sei), dass diese Gruppierungen (…) im Parlament mit deutlich mehr als hundert Sitzen rechnen können“ (5).

Und so ist es denn auch gekommen. Es dürften nicht viel mehr als 100 Abgeordnete sein, die man eindeutig dem Rechtaußenlager zurechnen kann. 73 Abgeordnete umfasst die neu gegründete, eindeutig rechts zu verortende Fraktion Demokratie und Identität (ID). Die größten Delegationen darin stellen die italienische Lega des Matteo Salvini, die französische Rassemblement National unter Marine Le Pen und die Alternative für Deutschland.

Als rechtsaußen stehend werden oft auch die 62 Abgeordneten der Fraktion Europäische Konservative und Reformer bezeichnet. Die größte Delegation dort stellt aber die polnische PiS-Partei des Jarosław Kaczynski. Die ist jedoch in Polen Regierungspartei und bekennt sich, bei allem Beharren auf nationaler Eigenständigkeit, ausdrücklich zur Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union. Die ähnlich ausgerichtete ungarische Regierungspartei Fidesz unter Victor Orbán gehört sogar der Europäischen Volkspartei (EVP) an, also jener europäischen Partei, zu der auch CDU und CSU zählen.

Die von Bartsch ausgemachten „Zerstörer des Friedensprojekts Europa“ Kaczyński und Orbán gehören demnach zur rechten Mitte des Parlaments.

Wie immer man aber auch rechnet, die Abgeordneten von Rechtsaußen sind im neugewählten EP eine überschaubare Minderheit. Weder für die Funktionsfähigkeit des gegenwärtig noch aus 751 Abgeordneten bestehenden Parlaments noch für die EU als Ganzes stellen sie eine Gefahr dar. Das von den proeuropäischen Kräften beschworene Szenario einer drohenden Machtübernahme zielte allein auf die Mobilisierung der auf diese Weise hinters Licht geführten Wähler. Die bei Wahlen zum Europäischen Parlament traditionell schwache Beteiligung sollte mit Hilfe einer geschickt inszenierten Drohkulisse angehoben werden.

Zumindest dieses Ziel wurde erreicht. Die Wahlbeteiligung stieg EU-weit auf 50,63 Prozent und lag damit um einiges höher als beim Urnengang 2014, bei der sie nur 42,6 Prozent betrug. In Deutschland erhöhte sie sich von 48,1 im Jahr 2014 auf 61,4 Prozent. Damit liegt sie aber immer noch weit unter der bei Bundestagswahlen üblichen Marge. An den letzten Wahlen zum Bundestag im September 2017 hatten sich etwa 76,2 Prozent beteiligt.

Doch die höhere Wahlbeteiligung ist nicht mit einem gewachsenen „Bekenntnis zu Europa“ gleichzusetzen. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass diesmal auch deshalb mehr Menschen zu den Urnen gingen, weil in mehreren Mitgliedsländern das politische Spektrum aufgrund aussichtsreicher Kandidaturen rechtspopulistischer Parteien breiter war. Für viele frühere Nichtwähler gab es so seit langem mal wieder etwas zu wählen.

Unberücksichtigt bleibt zudem, dass in mehreren Ländern die Wahlen zum EP mit regionalen Abstimmungen zusammengelegt wurden. So fanden etwa in Deutschland zugleich die Bürgerschaftswahlen in Bremen sowie Kommunalwahlen in verschiedenen Bundesländern statt.

Die Wahlen sind eine Bestätigung für die Regierung Italiens

Die als Populisten beziehungsweise Nationalisten gescholtenen Parteien, von denen man in Brüssel, Paris und Berlin gehofft hatte, dass sie aus den Abstimmungen geschwächt hervorgehen würden, „eroberten“ zwar nicht das Europäische Parlament, doch gingen sie in gleich mehreren wichtigen EU-Ländern als Sieger vom Platz. Allein schon diese Tatsache stellt für die Proeuropäer eine Niederlage dar.

Hier ist vor allem die italienische Lega von Innenminister Matteo Salvini zu nennen. Hatte sie bei den Wahlen 2014 gerade einmal knapp sechs Prozent erhalten, erzielte sie jetzt mehr als 34 Prozent der Stimmen. Da die zweite italienische Regierungspartei, die Fünf-Sterne-Bewegung, nur moderate Verluste von knapp vier Prozent hinnehmen musste, kann sich die Regierung in Rom bestätigt sehen.

Ganz offensichtlich honorierten die Wähler den Kurs ihrer Regierung im Streit mit der EU-Kommission über die angeordnete Verringerung des Staatsdefizits. Unterstrichen wird diese Bewertung durch die gleichzeitigen Verluste des sozialdemokratischen Partito Democratico von mehr als 18 Prozent sowie der zur EVP gehörenden Berlusconi-Partei Forza Italia. Sie verzeichnete einen Rückgang von zwölf Prozent. Beide Parteien hatten sich im Streit mit Brüssel auf die Seite der Kommission gestellt.

Das heutige Verhalten der EU-Institutionen gegenüber Italien gleicht dabei dem Vorgehen Brüssels gegen die Anfang 2015 in Athen ins Amt gekommene linke Partei Syriza unter Alexis Tsipras. Auch damals bestand die Kommission darauf, dass an den mit den Vorgängerregierungen getroffenen Vereinbarungen über die strikte Kürzungspolitik nichts geändert werden dürfe. Und so sollte auch die mit dem früheren italienischen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni vereinbarte Reduzierung des Staatsdefizits in Stein gemeißelt bleiben.

Doch im Unterschied zur griechischen Regierung lässt sich die heutige italienische das nicht gefallen. Der Widerstand aus Rom hat daher schon jetzt eine größere Bedeutung als der versuchte Ausbruch Athens, der bereits Mitte 2015 scheiterte, als nach dem Oxi, dem Nein der griechischen Bevölkerung zur EU-Kürzungspolitik, nichts folgte.

Dass es nun in Italien eine rechte und nicht eine linke Regierung ist, die diesen Streit mit Brüssel ausficht, ändert nichts daran, dass sich die EU-kritischen Kräfte in dieser Frage auf die Seite Roms zu stellen haben:

„Man kann Italiens Regierung aus vielerlei Gründen kritisieren, doch der umstrittene Haushaltsentwurf hatte nicht zuletzt das Ziel, im Wahlkampf versprochene sozialpolitische Maßnahmen zu finanzieren. Die entsprechenden Vorhaben der italienischen Regierung waren also demokratisch legitimiert, die Interventionen der Europäischen Kommission jedoch nicht“ (6).

Das eindeutige Ergebnis der EP-Wahlen in Italien dürfte es jetzt der Brüsseler Kommission und der in dieser Frage hinter ihr stehenden deutschen Bundesregierung erheblich schwerer machen, Rom auf den verlangten Austeritätskurs zu zwingen.

Den proeuropäischen Kräften lag aber noch aus einem anderen Grund daran, die italienische Regierung bei den Wahlen abzustrafen. Am 23. März 2019 hatte Italien während des Besuchs des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jingping in der italienischen Hauptstadt ein Memorandum of Understanding (MoU) zur Beteiligung am Seidenstraßenprojekt unterzeichnet. Zudem wurde ein Abkommen über chinesische Finanzierungen zur Entwicklung der Häfen von Triest und Genua geschlossen. „Große Bedenken“ hatte man in Berlin und Brüssel darüber, „auch wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit offener Kritik an Italien zurückhielt. Sie bemerkte beim Gipfel in Brüssel allerdings, dass ‚es noch besser ist, wenn man einheitlich agiert’“ (7).

Niederlagen für die Proeuropäer in Polen und Ungarn

Auch die Ergebnisse der Wahlen in Ungarn und Polen stellen empfindliche Niederlagen für die Proeuropäer dar. Beide Länder wurden in den letzten Jahren von Brüssel massiv unter Druck gesetzt, innenpolitische Entscheidungen zu revidieren. In Polen betraf das Änderungen im Justizwesen, der ungarischen Regierung wurde zur Last gelegt, eine Kampagne gegen den US-Börsenmilliardär George Soros angezettelt zu haben, die schließlich zum Abzug der von ihm finanzierten Central European University aus Budapest führte. Im Streit mit beiden Ländern liegt die EU zudem über die verlangte anteilmäßige Aufnahme von Flüchtlingen. Sowohl Warschau als auch Budapest weigern sich, hierzu Beschlüsse des Rats zu akzeptieren. Selbst Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof bewirkten nichts.

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament gingen nun sowohl in Polen als auch in Ungarn jene Regierungsparteien als Sieger vom Platz, die sich diesen Forderungen der EU verweigern.

In Polen wurde die PiS-Partei des Jarosław Kaczyński mit 45,4 Prozent Wahlsieger. Das von Brüssel und Berlin unterstützte oppositionelle Bündnis Koalicja Europejska, zu dem sich die Bürgerplattform, Sozialdemokraten und Liberale zusammengeschlossen hatten, kam mit 38,5 Prozent nur auf den zweiten Platz.

Nicht anders war es in Ungarn. Hier verteidigte die Regierungspartei Fidesz unter Victor Orbán nicht nur ihre bereits bei den EP-Wahlen 2014 errungene absolute Mehrheit, sie konnte ihren Vorsprung sogar ausbauen. Verlierer waren die rechtsradikale Jobbik-Partei mit einem Minus von mehr als acht Prozent und die Sozialdemokraten der MSZP, die vier Prozent verloren, und im EU-Parlament mit nur noch einem Abgeordneten vertreten sind.

Man muss wahrlich kein Freund der ungarischen Regierung unter Victor Orbán sein, dessen Fidesz eine rechtsautoritäre, konfessionelle und strikt antikommunistische Partei ist. Nicht anders verhält es sich bei der polnischen PiS.

Und doch können Linke in diesem Streit nicht abseits stehen oder gar die EU dabei unterstützen, beide Länder unter massiven Druck zu setzen und sich damit Regelungskompetenzen in Bereichen anzumaßen, über die sie nach den europäischen Verträgen nicht verfügt. Sie ist weder für die innere Ordnung des nationalstaatlichen Justizwesens zuständig — was sie aber gegenüber Warschau behauptet —, noch steht ihr das Recht zu, Budapest vorzuschreiben, wie das Land sein Hochschulwesen zu organisieren hat (8).

Es drängt sich der Verdacht auf, dass es der EU aber gar nicht um den Zustand der polnischen Justiz oder um die Ordnung des ungarischen Hochschulwesens geht. Vielmehr sind diese Kontroversen Mittel zum Zweck, um auf diese Weise zwei Länder zur Räson zu bringen, deren Regierungen nicht bereit sind, die Vorgaben aus Brüssel, vor allem zur verlangten Aufnahme von Flüchtlingen, zu befolgen.

In der Kritik stehen beide Länder aber auch, weil sie nicht von davon lassen wollen, den Banken zusätzliche Steuern aufzuerlegen. Betroffen davon wären vor allem die Filialen deutscher, österreichischer oder französischer Bankhäuser.

Nach Wolfgang Streeck erfordert „die Aufrechterhaltung imperialer Asymmetrien unter nominell souveränen Nationen“, dass „nicht-hegemoniale Peripheriestaaten (hier Polen und Ungarn, A.W.) (…) von Eliten regiert werden, die das Zentrum (gemeint ist Deutschland, A.W.) mit seinen besonderen Strukturen und Werten als Modell für ihr eigenes Land betrachten, oder zumindest bereit sein müssen, ihre interne soziale, politische und wirtschaftliche Ordnung so zu organisieren, dass sie mit dem Interesse des Zentrums kompatibel ist, das Imperium zusammenzuhalten. Solche Eliten an der Macht zu halten, ist für den Bestand des Imperiums von entscheidender Bedeutung“ (9).

Mit den Erfolgen der unbotmäßigen Regierungsparteien in Polen und Ungarn ist aber die angestrebte Entmachtung der Unbotmäßigen in der Peripherie jetzt schwieriger geworden, musste doch das europäische Imperium unter Führung Berlins bei den Wahlen in diesen Ländern empfindliche Niederlagen hinnehmen.

Keine Mehrheit in Großbritannien gegen den Brexit

Die Aufzählung der Niederlagen der proeuropäischen Kräfte wäre nicht vollständig ohne die Nennung des Ergebnisses der Wahlen in Großbritannien, die dort unter ungewöhnlichen Umständen stattfanden.

An sich hätte das Land gar nicht mehr daran teilnehmen sollen, war doch schon 2016 die Entscheidung für den Brexit, für das Verlassen der EU, gefallen. Da sich aber die regierenden Konservativen als unfähig erwiesen, den Austritt zu vollziehen, fanden hier nun doch noch einmal Wahlen zum EP statt. Sie endeten mit einer beispiellosen Abstrafung der Regierungspartei. Die Konservativen kamen nur noch auf 8,84 Prozent. Niemals zuvor hatten sie eine derartige Schlappe hinnehmen müssen.

Eindeutiger Sieger wurde die erst wenige Monate zuvor gegründete Brexit Party unter Nigel Farage. Sie erhielt mehr als 30 Prozent der Stimmen. Da die übergroße Mehrheit der früheren Tory-Wähler zu dieser neuen Bewegung überlief, werden sich die Konservativen nur dann erholen können, wenn sie sich dem Kurs der Brexit Party anpassen. Eine Wahl des entschiedenen Austrittsbefürworters Boris Johnson zum neuen Premierminister läge daher in der Logik des Ergebnisses. Damit aber würden in Brüssel, Paris und Berlin die letzten Hoffnungen auf einen „proeuropäischen“ Kurswechsel der Konservativen schwinden.

Zwar erzielten bei den Wahlen in Großbritannien auch jene Kräfte gute Ergebnisse, die für den Verbleib in der EU eintreten. Doch es gewannen durchweg Parteien, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie auch bei nationalen Parlamentswahlen Erfolg haben werden. Dies gilt für die Liberaldemokraten, die knapp 20 Prozent erhielten, und für die Grünen, die auf gut zwölf Prozent kamen, sowie für die Scottish National Party und die neue Partei Change UK, in der sich frühere Abgeordnete von Konservativen und Labour zusammengefunden haben, die für einen Verbleib in der EU eintreten.

Da Parlamentswahlen aufgrund des Mehrheitswahlrechts allein zwischen Konservativen und Labourpartei entschieden werden, haben Liberale und Grüne und erst Recht die anderen kleinen Parteien kaum Chancen, Wahlkreise zu gewinnen. Die von Labour bei den Wahlen zum EP erzielten 13,72 Prozent sind jedoch für die Partei nicht nur ein enttäuschendes Ergebnis, sie dämpfen zugleich die Hoffnungen der Brexit-Gegner auf einen möglichen Wahlsieg der im Kern proeuropäischen Labourpartei bei Unterhauswahlen. Doch nur von einer britischen Regierung unter Führung von Labour kann erwartet werden, dass der Austrittsbeschluss vom Juni 2016 rückgängig gemacht wird (10).

Enttäuscht vom britischen Ergebnis dürfte auch die Partei DIE LINKE sein, konnte doch ihr außenpolitischer Sprecher im Bundestag, Stefan Liebich, in der Brexit-Entscheidung vom Juni 2016 nur „grotesken Unsinn“ sehen (11). Und für den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Dietmar Bartsch, war es seinerzeit „erschreckend, dass die schrillen Parolen rechtspopulistischer Brexit-Befürworter mehrheitsfähig wurden“ (12). Die britischen Ergebnisse bei den Wahlen zum EP haben all diesen Hoffnungen auf eine Revision der Brexitentscheidung einen Dämpfer verpasst.

Dem französischen Journalisten Pierre Lévy ist daher zuzustimmen, wenn er der sofort nach den Wahlen aufgestellten Behauptung widerspricht, wonach „die ‚populistischen’ oder ‚rechtsextremen’ Parteien ‚eingedämmt’ worden seien. „Dabei“, schreibt er,- „scheint eher der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein, und zwar nach dem Motto: ‚Was ich nicht sehe, ist auch nicht da’“ (13).

Machtverschiebungen unter den Proeuropäern

Die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament vom Mai 2019 stellen unter einem weiteren Aspekt eine Zäsur dar. Erstmals seit Einführung der Direktwahlen 1979 stellen Konservative und Sozialdemokraten nicht mehr die Mehrheit im Parlament: Die ewige große Koalition auf europäischer Ebene ist an ihr Ende gekommen. Die konservative Europäische Volkspartei verlor 34 Sitze und hat nur noch 182 Abgeordnete, die Mandate der Sozialdemokraten gingen um 30 auf 154 zurück.

Nicht nur in Italien und Großbritannien, auch in den beiden anderen großen Mitgliedsländern Frankreich und Deutschland war der Wahlausgang für die beiden großen Parteien verheerend. Für die französischen Sozialisten stimmten nur noch 6,19 Prozent, weniger als für die linke Bewegung La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon. Dies bedeutet einen Verlust von 7,79 Prozent gegenüber 2014. Ein wahres Desaster erlebten die französischen Republikaner. Sie verloren nicht weniger als 12,32 Prozent und erreichten nur noch 8,48 Prozent.

Nicht viel besser erging es in Deutschland CDU/CSU und SPD. Der Rückgang bei den Sozialdemokraten betrug 11,5 Prozent, der bei den Christdemokraten 6,4 Prozent.

Zu den Gewinnern zählten in Deutschland neben der AfD mit einem Zuwachs von 3,9 Prozent vor allem die Grünen, die mit einem Plus von 9,8 Prozent ihr Ergebnis von 2014 nahezu verdoppeln konnten. Auch in Frankreich gewannen die Grünen, wenn auch mit 4,8 Prozent bei weitem nicht so stark wie in Deutschland. Wahlgewinner war hier die rechtsaußen angesiedelte Rassemblement National, der frühere Front National. Nur auf den zweiten Platz kam die Partei La République en Marche von Präsident Emmanuel Macron.

Der Erfolg der Grünen auf EU-Ebene, die 23 Sitze hinzugewannen und zusammen mit verschiedenen Regionalisten nun 75 Mandate innehaben, beschränkt sich allerdings auf einige kerneuropäische Länder. Sowohl in Ost- als auch in Südeuropa sind sie kaum vertreten. Von einer „grünen Welle“, die nach Meinung so mancher Kommentatoren die EU erfasst habe, kann daher keine Rede sein.

Deutlich stärker ist da schon die Machtstellung der Liberalen, zu denen jetzt auch die Abgeordneten der Präsidentenpartei La République en Marche gehören. Unter dem neuen Namen Renew Europe wuchs diese Fraktion um nicht weniger als 39 Sitze — was mehr ist, als der Zuwachs der Rechtsaußenfraktion ID von 37 Abgeordneten. Insgesamt gehören nun 108 Mandatsträger zu Renew Europe. Anders als die Grünen führen Liberale auch nationale Regierungen an — etwa in Frankreich und den Niederlanden — und haben damit gute Chancen, in der Europäischen Kommission vertreten zu sein.

Das Spitzenkandidatenprinzip ist gescheitert

Vor allem von deutschen Konservativen und Sozialdemokraten war vor den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 gefordert worden, dass nur jemand EU-Kommissionspräsident werden dürfe, der zuvor Spitzenkandidat der dann siegreichen Partei war. Nur ihn dürfe der Europäische Rat vorschlagen. Damit sollte der Eindruck erzeugt werden, dass es bei den Wahlen zum Europäischen Parlament um wirklich etwas gehe, die Wähler mit ihrer Stimme den Kommissionspräsidenten bestimmen könnten (14). Ein Parlament, das gar kein echtes ist, sollte aufgewertet werden.

Doch dieser künstlich inszenierte Personenwahlkampf, 2014 erstmals zwischen dem EVP-Kandidaten Jean-Claude Juncker und dem Sozialdemokraten Martin Schulz ausgetragen, interessierte kaum jemanden. Die Wahlbeteiligung sank dennoch weiter. Auch der diesjährige Wahlkampf zwischen Manfred Weber von der EVP und dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans blieb nahezu unbemerkt. Der deutsche Historiker Heinrich August Winkler kritisierte die deutsche EU-Politik denn auch, damit nur „Verwirrung gestiftet“ zu haben (15).

Angesichts des Anspruchs des weitgehend unbekannten und politisch bisher nur im Europäischen Parlament aktiven „Wahlsiegers“ Manfred Weber ließen es sich die Regierungschefs aber diesmal nicht nehmen, die Auswahl des Kommissionspräsidenten selbst in die Hand zu nehmen. Auf Betreiben von Emmanuel Macron, der im Namen seiner neuen liberalen Fraktion Renew Europe das Machtmonopol von Konservativen und Sozialdemokraten im Parlament endgültig brechen will, wurde Weber abgelehnt.

Anschließend versuchte man kurzerhand, unter Führung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Spitzenkandidatenprinzip zumindest formal zu retten, indem man an Stelle von Weber den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten, den Niederländer Frans Timmermans, vorschlug. Der war aber nur als „zweiter Sieger“ durchs Ziel gegangen. Damit ignorierte man das gerade erst im Wahlkampf gegebene Versprechen, dass die Bürger mit ihrer Stimme automatisch auch den Kommissionspräsidenten wählen.

Die Botschaft lautete nunmehr: Es ist egal, wer Kommissionspräsident wird, Hauptsache ist, dass er vorher „Spitzenkandidat“ war. Von solchen „Spitzenkandidaten“ gab es aber viele, auch Grüne und Linke hatten die ihrigen aufgestellt. Und die Liberalen hatten gleich sieben nominiert, womit sie ihre Ablehnung des ganzen Spektakels demonstrieren wollten.

Doch auch Timmermans wurde es nicht. Gegen ihn sprachen sich vor allem die Regierungschefs der in der Visegrádgruppe zusammengeschlossenen Länder Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn aus. Dort kritisierte man sein Verhalten als stellvertretender Kommissionspräsident gegenüber Polen und Ungarn. Er gilt als Scharfmacher bei der Verfolgung dieser Länder wegen behaupteter Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip der EU.

Auch die italienische Regierung hatte keine guten Erfahrungen mit ihm gemacht. Im Streit mit der Kommission über die Staatsschuld des Landes hatte er sich besonders unnachgiebig gezeigt. Und so wurde Timmermans Opfer der Spaltungslinien, die in der EU zwischen dem Kern sowie Ost- und Südeuropa bestehen. Seine Ablehnung zeigt, dass im Europäischen Rat gegen die Länder in diesen Regionen keine qualifizierte Mehrheit mehr erreichbar ist.

Auf Vorschlag des französischen Präsidenten Macron einigte sich der Europäische Rat am 2. Juli 2019 schließlich darauf, mit der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Frau zu nominieren, die bei den Wahlen zum Europäischen Parlament keine Spitzenkandidatin war. Die Entscheidung fiel einstimmig aus. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel musste sich aber enthalten, da der Koalitionspartner SPD seine Zustimmung verweigerte. Die Wochen bis zur Entscheidung des Europäischen Parlaments über den Kommissionspräsidenten am 16. Juli 2019 entwickelten sich zu einem erbitterten Kräfteringen zwischen den Verteidigern des Spitzenkandidatenprinzips und jenen, die darauf bestanden, dass es das Recht des Europäischen Rats ist, völlig frei einen Vorschlag zu machen.

Mit der — wenn auch knappen — Wahl von der Leyens endete die Auseinandersetzung mit einer Niederlage der Anhänger des Prinzips. Während Konservative und Liberale nahezu geschlossen für den Ratsvorschlag stimmten, verweigerten sich ihm große Teile der sozialdemokratischen Fraktion, die Grünen und die Linken.

Sie nahmen dabei in Kauf, zusammen mit der im Parlament rechtsaußenstehenden Fraktion Identität und Demokratie (ID) zu stimmen.

Das Ergebnis zeigt die Spaltung der Proeuropäer in der Frage des Spitzenkandidatenprinzips, und es stellt zugleich eine herbe Niederlage für dessen Anhänger dar. Künftig wird man deshalb wohl ganz auf dieses Verfahren verzichten. Damit wäre aber ein Lieblingsprojekt der proeuropäischen Kräfte zu den Akten gelegt.

Eine marginalisierte Linke

Zu den Wahlverlierern gehören schließlich die proeuropäischen Parteien der Europäischen Linken (EL) unter ihrem Präsidenten Gregor Gysi. In der bisher von ihnen dominierten linken Fraktion im EP, der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordisch Grüne Linke (GUE/NGL), sind sie jetzt in der Minderheit.

Einige ihrer Gründungsparteien, wie die Kommunistische Partei Frankreichs und die italienische Partei der Kommunistischen Wiedergründung (Rifondazione Comunista), sind gar nicht mehr im Parlament vertreten. Die spanische Vereinigte Linke (Izquierda Unida) trat nicht mehr eigenständig, sondern nur noch im Bündnis mit der Bewegung Podemos an. Verloren hat auch die griechische Regierungspartei Syriza, die zehn Prozent hinter ihrer konservativen Konkurrenz von der Nea Dimokratia zurückblieb, was den Premierminister Alexis Tsipras — der einstige Spitzenkandidat der Europäischen Linken bei den EP-Wahlen 2014 — veranlasste, noch in der Wahlnacht die für September vorgesehenen Parlamentswahlen vorzuziehen.

So schlecht wie noch nie nach ihrem erstmaligen Einzug in das Europäische Parlament 1999 schnitt die deutsche Partei DIE LINKE ab. Sie verlor 1,9 Prozent und ist mit nur noch fünf statt bisher sieben Abgeordneten dort vertreten.

Aufgrund des schwachen Abschneidens proeuropäischer EL-Parteien stellen jetzt deutlich EU-kritischere Abgeordnete linkssozialistischer und kommunistischer Parteien die Mehrheit in der GUE/NGL. Zu ihnen gehört vor allem die französische Bewegung La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon. Dem von ihm geführten EU-weiten Bündnis Maintenant le Peuple (Jetzt das Volk) haben sich der Linksblock Portugals und verschiedene skandinavische Parteien angeschlossen. Keinem Lager lassen sich einige kommunistische Parteien zurechnen, das gilt etwa für die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP).

Die deutsche Linkspartei hat so die Führung der Fraktion, die sie seit 2009 — erst unter Lothar Bisky und dann unter Gabriele Zimmer — innehatte, verloren. Die GUE/NGL wird gegenwärtig von einem vierköpfigen Kollegialgremium geführt, das aus Vertretern der verschiedenen Lager besteht. Es sind Marisa Matias vom Linksblock Portugals, João Ferreira von der PCP, Nikolaj Villumsen von der Rot-Grünen Einheitsliste Dänemarks und Martin Schirdewan von der Partei DIE LINKE (16).

Die GUE/NGL ist nur noch die schwächste Fraktion im Europaparlament. Sie verlor 11 Abgeordnete und hat jetzt 41 Mandate. 2014 lag sie noch gleichauf mit den Grünen. Für die bisherige Vorsitzende der Fraktion, Gabriele Zimmer, ist sie dennoch „stark geblieben” (17). Was heißt: Die bei den Wahlen offensichtlich gewordene Marginalisierung der europäischen Linken wird ignoriert.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Die „Proeuropäer“ sind in Wirklichkeit Pro-EU-Kräfte, die das Ziel haben, die EU auf Kosten der Nationalstaaten zu stärken. Sie maßen sich dabei an, für den ganzen Kontinent zu sprechen, denn in der Europäischen Union haben sich längst nicht alle europäischen Staaten zusammengeschlossen. Wenn in dem Artikel dennoch von „Proeuropäern“ die Rede ist, so soll damit nur dem allgemeinen Sprachgebrauch gefolgt werden.
(2) Heribert Prantl, Der EU-Wahlkampf muss zur Bewegung werden, in: Süddeutsche Zeitung vom 03. Februar 2019, https://www.sueddeutsche.de/politik/europawahl-nationalismus-europaeische-union-1.4309697
(3) Frank Bsirske, Deine Stimme, Deine Wahl, in: Publik 3/2019, S. 1. Dass die von Bsirske beschriebenen „globalen Herausforderungen unserer Zeit — Klimawandel, Finanzkrisen, Flüchtlingsbewegungen, Terrorismus, Handelskonflikte“ ausgerechnet von der EU beantwortet werden können, muss bezweifelt werden.
(4) Wir brauchen Druck auch in Deutschland, in: Neues Deutschland vom 26./27. Januar 2019, S. 5. Die Aussage von Bartsch zeigt, dass das herrschende Narrativ vom „Friedensprojekt Europa“ auch von der Partei DIE LINKE geteilt wird.
(5) Volksparteien verlieren Mehrheit, in: FAZ vom 19. Februar 2019.
(6) Dirk Jörke, Der idealistische Fehlschluss. Warum die Größe der Europäischen Union ihrer Demokratisierung im Wege steht, in: Makroskop, Frühjahr/Sommer 2019, S. 27.
(7) Italiens Pakt mit China, „Neue Seidenstraße" alarmiert Europa, in: Der Tagesspiegel vom 23. März 2019.
(8) Die EU kritisiert am polnischen Richterwahlgesetz vor allem die Absenkung des Pensionsalters der Richter von 70 auf 65 Jahre. Dies führe zu Zwangspensionierungen von obersten Richtern und damit zu einem mit dem Gewaltenteilungsprinzip nicht vereinbaren Eingriff der Exekutive in die Rechte der Legislative. Doch hier ist zu fragen, wie unabhängig eigentlich die deutschen obersten Bundesverfassungsrichter sind, werden sie doch, von seltenen Ausnahmen abgesehen, stets von den Parteien CDU/CSU und SPD vorgeschlagen. Dabei wechseln immer wieder selbst aktive Politiker in dieses Richteramt. So wurde etwa der CDU-Politiker Peter Müller nur vier Monate nach seinem Rücktritt als saarländischer Ministerpräsident Bundesverfassungsrichter. Der ebenfalls von der CDU vorgeschlagene Vizepräsident des Bundesverfassungsgericht, Stephan Hackbarth, wechselte im November 2018 sogar direkt aus dem Bundestag nach Karlsruhe. Die Richter, die aus der Politik kommen, entscheiden dann auch schon mal über Angelegenheiten, mit denen sie kurz zuvor als Politiker befasst waren. An dieser bedenklichen bundesdeutschen Praxis stößt sich aber weder die Europäische Kommission noch der Europäische Gerichtshof. Ganz anders wird hingegen das polnische Verhalten bewertet.
(9) Wolfgang Streeck, Ein europäisches Imperium im Zerfall. Der Artikel erschien zuerst in Englisch im Blog der London School auf Economics, dann auch auf der Website von Briefing for Brexit unter der Überschrift „The EU is a doomed empire“, https://briefingsforbrexit.com/the-eu-is-a-doomed-empire/ Auf Französisch erschien der Artikel in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift Le Monde diplomatique. In der deutschen Version der Le Monde diplomatique, die von der deutschen Tageszeitung (taz) redigiert wird, war der Beitrag bezeichnenderweise nicht enthalten.

(10) Die proeuropäischen Kräfte in Großbritannien und auf dem Kontinent hatten stets ihre Hoffnungen auf die Labourpartei gesetzt, vgl. Andreas Wehr, Overturning the Referendum — wie der Brexit gekippt werden soll, https://www.andreas-wehr.eu/overturning-the-referendum-wie-der-brexit-gekippt-werden-soll.html

(11) Wie hältst Du es mit dem Brexit? in: Neues Deutschland vom 28. Juni 2016.
(12) ebenda
(13) Pierre Lévy, L‘amour se fait attendre, Ruptures N° 86, 31. Mai 2019, auf Deutsch: Die EU-Wahl und die drei Legenden, in: Russia Today, 01. Juni 2019. https://deutsch.rt.com/meinung/88773-die-eu-wahl-und-die-drei-legenden/
(14) Tatsächlich kann aber das Europäische Parlament den Präsidenten der Kommission nicht wirklich wählen. Es ist vielmehr der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer, das ihn ernennt. Zwar heißt es seit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags, dass das Parlament den Kommissionspräsidenten „wählt“ und nicht — wie bis dahin — „bestätigt“. Doch die neue Wortwahl hat am Verfahren selbst nichts geändert. Es blieb dabei, dass der Europäische Rat den Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten auswählt und anschließend dem EP vorschlägt. Und da immer nur ein Kandidat präsentiert wird, kann von einer echten Wahl nicht gesprochen werden. Das Parlament hat daher auch nach der Vertragsänderung lediglich das Recht, den Auserwählten zu bestätigen oder abzulehnen. Und sollte es ihn wirklich einmal zurückweisen, so ist es nach dem EU-Vertrag wiederum der Europäische Rat, der einen neuen Kandidaten präsentiert. Vgl. zum Anspruch des Parlaments den Kommissionspräsidenten bestimmen zu wollen auch: Andreas Wehr, Kein echtes Parlament — zur Stellung des Europäischen Parlaments im Institutionengefüge der EU, https://www.andreas-wehr.eu/kein-echtes-parlament.html

(15) Heinrich August Winkler, Ein Anspruch auf tönernen Füßen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 29. Juni 2019.
(16) Vgl. Left MEPs choose interim joint leadership, https://www.guengl.eu/left-meps-choose-interim-joint-leadership/
(17) Vgl. Current GUE/NGL President, Gabi Zimmer, comments: “The left in the European Parliament remains strong and will continue to fight for a better Europe.” https://www.guengl.eu/eu-election-left-remains-strong-as-voters-continue-to-demand-a-better-europe/