Der Schein trügt
Die Mechanismen der Massenpsychologie, Propaganda und Fassadendemokratie sind zeitlos und wirken auch heute noch. Teil 2/2.
Wir haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren Unfassbares durchlebt. Im Sinne einer konstruktiven Verarbeitung der Geschehnisse sowie der geistigen Selbstverteidigung gegen künftige Propaganda und Manipulationsversuche bietet Angela Mahr hier einen kurzen Rückblick in Schlaglichtern auf die Literatur der Pioniere und Experten, die die psychologischen Mechanismen dahinter entdeckt und erklärt haben, sowie auf die neuere Debatte über Medien, Public Relations und Demokratiekritik seit den 2000er-Jahren.
Die Außenpolitik der USA und die Rolle der Medien: Noam Chomsky
Der US-amerikanische Publizist Noam Chomsky, Professor emeritus am Massachusetts Institute of Technology (MIT) für Sprachwissenschaft und Philosophie, veröffentlichte 1997 das Buch „Media Control. The Spectacular Achievements of Propaganda“, in der deutschen Ausgabe „Media Control — Wie die Medien uns manipulieren“.
Chomsky war viel im politischen und wissenschaftlichen Diskurs in den Massenmedien präsent und übte Kritik am Vietnamkrieg sowie an der US-amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik. Zitat aus dem Buch:
„‚Es ist sehr interessant‘, bemerkte Senator William Fulbright anlässlich einer Anhörung des Senats zum Thema Medien und Regierung 1966, ‚dass so viele unserer herausragenden Zeitungen beinahe zu Agenten oder Assistenten der Regierung geworden sind und ihre Politik weder anfechten noch hinterfragen.‘“ (1).
In „Media Control“ wird sehr klar dargelegt, auf welche Weise die Manipulation durch die Medien wirkt. Seither hat sich aus meiner Sicht zu vielen Themen die interessengesteuerte Berichterstattung zugespitzt und wurde kaum oder nie aufgearbeitet. Seit der Jahrtausendwende kulminiert diese Schieflage in einer von der Realität zunehmend abgekoppelten, konzernabhängigen Medienlandschaft.
Propaganda und Demokratie
„Die Wirkungen staatlicher Propaganda sind umso größer, je mehr sie von den gebildeten Schichten unterstützt und keine Kritik daran zugelassen wird“ (2), stellt Chomsky fest. Obwohl explizit zugegeben würde, dass die Öffentlichkeit getäuscht werden müsse, solle man nicht glauben, diese Kunst werde bewusst betrieben.
„Vielmehr übernehmen die Intellektuellen (…) bereitwillig Überzeugungen, die den institutionellen Bedürfnissen entsprechen, und wer das nicht tut, muss sich andernorts nach einer Beschäftigung umsehen. Der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns mag sich durchaus einbilden, dass er in jeder wachen Minute der Menschheit dient; dennoch muss er realiter Gewinne und Marktanteile erwirtschaften, weil er anderenfalls seinen Job bald los wäre“(3).
Die Beschränkungen der freien Meinungsäußerung betreffend reflektiert Chomsky in „Media Control“ die Rolle der Opposition sowie das Vorgehen bei deren Unterdrückung.
In der Demokratie könnten notwendige Illusionen den Menschen nicht durch Gewalt aufgezwungen werden. Sie müssten dem Bewusstsein der Öffentlichkeit durch subtilere Methoden nahegebracht werden. Ein totalitärer Staat dagegen müsse auf die Gedanken der Leute weniger Rücksicht nehmen; ihm genüge es, wenn sie gehorchen.
„Aber in einer demokratischen Ordnung lauert immer die Gefahr, dass unabhängiges Denken in politisches Handeln umgesetzt wird, und diese Bedrohung muss schon an der Wurzel bekämpft werden.“
Debatten und Diskussionen ließen sich nicht unterdrücken; vielmehr erfüllten sie in einem funktionierenden Propagandasystem ihre Aufgabe, solange sie in angemessenen Grenzen blieben. Dabei sei es wichtig, diese Grenzen möglichst eng zu ziehen.
„Solange Kontroversen im Rahmen jener Voraussetzungen bleiben, die den Konsens der Eliten definieren, können sie sogar künstlich angeheizt werden, weil sie die Grenzen des Denkbaren, die nicht überschritten werden dürfen, befestigen und zugleich den Glauben an die Herrschaft der Freiheit befördern. Es geht also, kurz gesagt, um die Macht, bestimmte Themen auf die Tagesordnung zu setzen“ (4).
Chomsky kritisiert die imperiale Außenpolitik der USA beispielsweise in Nicaragua und deren Darstellung den Medien der USA. Nicaragua und andere Länder seien nur so lange frei, zu tun, was sie wollen, solange ihr Kurs „mit unseren Interessen kongruiert“. Andernfalls würde die Reaktion der USA als Selbstverteidigung dargestellt.
„Zu den grundlegenden Voraussetzungen dieses Diskurses gehört auch die Annahme, dass die amerikanische Außenpolitik von einem ‚Verlangen nach Demokratie‘ und generell wohlmeinenden Absichten geleitet sei. Zwar erzählen die historischen Tatsachen und geheime Planungsdokumente eine andere Geschichte, aber das wird von den Medien geflissentlich ignoriert“ (5).
Journalismus ohne Berufsethos
Wie war es Chomsky zufolge um die Pressefreiheit des Westens bestellt? Der Autor äußert sich klar und ernüchternd:
„Das westliche Bekenntnis zur Pressefreiheit ist angesichts des leichtfertigen Umgangs mit Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung in den US-Vasallenstaaten und des Eifers, mit dem die Medien sich durch Manipulation, Indoktrination und Kontrolle in den Dienst der Mächtigen und Privilegierten stellen, äußerst fragwürdig“ (6).
Sind nun Journalisten generell schlechte Menschen? Natürlich nicht. Es ist kaum vorstellbar, wie so viel schieflaufen kann, wenn doch die allermeisten Leute mit grundlegend guten Absichten ins Berufsleben starten. Hier gilt es zwei Dinge zu unterscheiden, meine ich.
Zum einen muss man bedenken, dass eine unklare Absicht, also der Versuch, sich im Zweifelsfall herauszuhalten und irgendwie durchzukommen, sehr leicht von dunklen Absichten, dem Streben nach Macht und Geld, gekapert werden kann. Denn einen vollkommen neutralen, im Sinne von auswirkungslosen, Journalismus gibt es nicht, und er wäre auch nicht erstrebenswert. Zum anderen kann, in jungen Jahren und zeitlich begrenzt, tatsächlich die Unwissenheit und die Orientierung an Nachrichtenagenturen und Pressemeldungen zum Mitläufertum innerhalb einer Propaganda führen. Verantwortlich dafür bleibt der Journalist dennoch selbst. Noam Chomsky beschreibt es wie folgt:
„Journalisten zeigen in ihrem Beruf oft ein hohes Maß an Professionalität; sie sind couragiert, integer und unternehmungsfreudig, auch wenn sie für Medien arbeiten, die den Vorhersagen des Propagandamodells entsprechen. Das ist kein Widerspruch. Es geht hier nicht um die Ehrlichkeit von Überzeugungen oder um die Integrität, mit der Tatsachen aufgespürt und verbreitet werden, sondern um die Auswahl und Aufbereitung der Themen, die Bandbreite der veröffentlichten Meinungen, die unhinterfragten Voraussetzungen, von denen Berichte und Kommentare sich leiten lassen, sowie den Gesamtrahmen, innerhalb dessen ein bestimmtes Bild der Welt präsentiert wird“ (7).
PR und Journalismus im 21. Jahrhundert: Schwierige Verhältnisse
Wohin entwickelte sich das Verhältnis von Journalismus und Public Relations im 21. Jahrhundert? Wie beschreiben Fachleute diese Entwicklung in den 2000er-Jahren?
Der Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten beschreibt 2004 das Verhältnis von Public Relations und Journalismus als „rollenspezifische Interaktion“ und als Tauschgeschäft. Journalisten „plagiieren Informationsangebote“ und statten diese mit „genereller gesellschaftlicher Relevanz“ aus. Da Journalisten laufend neue Informationsangebote benötigten, würden „partikuläre Informationsangebote“ laufend nachgefragt, was „die Stabilisierung einer weiteren, eher intim-vertrauensvollen Interaktion“ zwischen Journalismus und PR-Fachleuten fördere.
„Letztere fungieren für Journalisten als Gesprächspartner, als Kommunikatoren, die es verstehen, laufend mit Informationsangeboten aufzuwarten — und im Gegenzug dafür ein Potenzial für Wohlwollen ansparen, das sie bei Gelegenheit situationsspezifisch abrufen können“ (8).
Wer bezahlt die Journalisten?
Sind die Journalisten der traditionellen Medien also noch vor Ort? Berichten sie, was sie sehen? Und wer bezahlt sie?
Im Zeitalter der Mediengesellschaft differenziere sich die Rolle des Journalisten weiter aus in die der Informationsbeschaffung und in das redaktionelle Handeln, erklärt Merten hierzu. Die Informationsbeschaffung werde nun den PR-Fachleuten überlassen.
„Der Journalist selbst nimmt immer weniger die Rolle der Recherche vor Ort wahr und statt dessen immer mehr die Rolle dessen, der vor dem Bildschirm nur mehr aus Fremdangeboten — die von PR immer mehr und immer professioneller bereitgestellt werden — auswählt.“
Das laufend zu beschaffende tägliche Volumen redaktioneller Berichterstattung über Ereignisse könne durch den Zugriff von PR nun erheblich gesteigert werden. Merten ergänzt den Abschnitt mit folgenden Fußnoten: „Während in der Bundesrepublik auf einen PR-Schaffenden noch 2,5 Journalisten kommen, liegt das Verhältnis in den USA bereits bei 1:1, Tendenz: zugunsten von PR weiter steigend.“ Sowie:
„Diese Arbeitsteilung besitzt zudem eine wichtigen weiteren Vorteil: Die Kosten der Informationsbeschaffung trägt nun nicht mehr das Kommunikationssystem, sondern das System, über welches berichtet wird, das heißt vor allem das System der Wirtschaft und das System der Politik“(9).
Basierend auf seinen eigenen Erfahrungen als Print- und Radiojournalist in Österreich beschreibt Stefan Weber 2004 einige Punkte, in welchen sich Journalismus und PR aus seiner Sicht mehr und mehr vermischen:
„Im Radiojournalismus nehmen in den PR-Stuben der Politiker vorgefertigte O-Töne zu, die auch als Rohmaterial für Journalismus verwendet werden, aber dennoch PR-Kommunikation sind. Oder doch nicht (mehr)?“
Im Agenturjournalismus nähmen ungefilterte PR-Meldungen ebenfalls zu, in Österreich etwa unter dem Label OTS-Original Text Service.
„Wird von diesen Meldungen Information 1:1 übernommen, ist das dann noch PR oder schon Journalismus?“
Generell sei zu beobachten, dass PR-Texte immer journalistisch verfasst werden, also von PR-Stellen zunehmend Fertigware produziert werde, „die theoretisch im Sinne des Copy-Paste-Verfahrens direkt in den Nachrichtenjournalismus hinein transkribiert werden kann.“
Im Sektor der Tageszeitungen und Gratiszeitungen beobachtet Weber eine Zunahme von „PR-Redakteuren“, deren Tätigkeit dem „journalistischen Aufpäppeln“, formal wie inhaltlich, von Produkt- und Unternehmens-Informationen gewidmet ist. Auch im Radiobereich käme es vermehrt zur Beschäftigung von Journalisten mit Formaten, „die in der Grauzone von News und Werbespot angesiedelt sind“.
Der Verfasser war beispielsweise bei einem österreichischen Privatradio beschäftigt, wo man dieses Hybridformat „Themenplacement“ nannte. Darunter wurden journalistisch gestaltete Kurzbeiträge verstanden, die von Unternehmen bezahlt wurden.
Journalismus und PR sind Weber zufolge „in steigendem Maße im Prozess massenmedialer Wirklichkeitskonstruktion derart miteinander verquickt, dass eine trennscharfe Unterscheidung von unterschiedlichen Systemreferenzen mitunter bereits obsolet geworden ist“ (10).
Die Konstruktion von Wirklichkeit
Was geschieht, wenn sich der Hörer oder Leser nun im Zuge dieser Entwicklung mit völlig unvereinbaren Informationen konfrontiert sieht? Erinnern wir uns an die Psychologie der Massen bei Gustave Le Bon. Wie kann es sein, dass eine Suggestion sich in der Masse hält und verbreitet, welche ein einzelner Mensch womöglich in kürzester Zeit verwerfen würde?
Klaus Merten bezieht sich auf die ethnomethodologischen Krisenexperimente von Garfinkel (1967) und erklärt: „Menschen konstruieren ihre Wirklichkeit subjektiv und eigenverantwortlich.“ Damit werde zugleich auch begreiflich, dass Menschen diese Freiheit auch als Risiko begreifen können, gegebenenfalls unangemessen zu konstruieren. Die Menschen seien sich dieses Risikos bewusst.
„Wenn man jemand signalisiert, dass man dessen Wirklichkeitskonstruktion nicht akzeptiert — Garfinkel ist ja durch seine drastischen Beispiele hierzu berühmt geworden —, dann reagieren Menschen aggressiv — aggressiv jeder, der fundamental verunsichert ist. Allgemeiner: Menschen werden sich gegen solche Wirklichkeitsverluste zu schützen versuchen, indem sie sich an anderen orientieren, denn — so Tocqueville — ‚sie (fürchten) die Absonderung mehr als den Irrtum‘.“
Diese Lösung des Unsicherheitsproblems sei in mehrfacher Hinsicht interessant:
„Öffentliche Meinung (zu einem bestimmten Thema) wäre demnach die Meinung, was man meint, was andere zu diesem Thema meinen, beziehungsweise was man meint, dass ‚man‘ meint“ (11).
Das Konstrukt „öffentliche Meinung“ stellt Weber zufolge eine „durchgängige Fiktion“ dar und sei weder wahrnehmbar noch der Wahrheit verpflichtet.
Um „ Strukturen zur Ordnung ihres Handelns und Erlebens“ aufrechtzuerhalten, griffen Menschen „buchstäblich nach jedem Strohhalm. Nicht weil ein Strohhalm de facto Struktur gibt, sondern weil Menschen supponieren, dass er Struktur geben könnte.“ Wirklichkeitskonstruktionen seien daher nicht der Wahrheit, sondern nur der Viabilität, der Brauchbarkeit verpflichtet.
Meiner Meinung nach kann uns langfristig nur die Heilung der zugrunde liegenden Ängste vor derartigen, weitreichenden Manipulationen bewahren und unser Urteilsvermögen stärken.
Propaganda heute und was die Lämmer zum Schweigen bringt: Rainer Mausfeld
Gute zwanzig Jahre später müssen wir feststellen, dass sich die bei Chomsky aufgezeichnete Entwicklung insgesamt deutlich verschärft hat. Dass gelogen wird, wird teilweise offen zugegeben. „Die Lüge gehört ganz selbstverständlich zum alltäglichen politischen Geschäft, bei Politikern wie in den Medien“, stellt Rainer Mausfeld fest.
„Der damalige luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, der von 2014 bis 2019 Präsident der Europäischen Kommission war, stellte im April 2011 unumwunden klar: ‚Wenn es ernst wird, muss man lügen.‘ Und natürlich ist es in der Politik immer ernst“ (12).
Zur großen Selbstlüge des Journalismus gehöre indessen die Behauptung, die Medien würden uns ein angemessenes Bild der gesellschaftlichen und politischen Situation verschaffen.
Diese Behauptung sei „seit mehr als hundert Jahren so umfassend — auch in methodisch sorgfältig empirischen Fallstudien — widerlegt worden, dass es einer enormen Realitätsverzerrung bedarf, sie überhaupt noch als diskussionswürdig anzusehen“ (13).
„Warum schweigen die Lämmer?“, fragte sich der Kognitionswissenschaftler Rainer Mausfeld und veröffentlichte 2015 seinen gleichnamigen Bestseller. Thema ist, „wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören“. Mausfeld ist emeritierter deutscher Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Kiel.
Die ideologische Konstruktion eines „unmündigen Volkes“
In „Die Angst der Machteliten vor dem Volk: Demokratie-Management durch Soft-Power-Techniken“, dem zweiten Kapitel seines Buchs, legt der Autor die verschiedenen Methoden der Steuerung unserer Medien durch einflussreiche Eliten und Profiteure dar. Er sieht darin dem Grunde nach eine zeitlos aktuelle Problematik in der Menschheitsgeschichte:
„In allen historischen Gesellschaften — mit Ausnahme der frühesten archaischen — lässt sich eine kleine Zahl von Herrschenden einer großen Zahl von Beherrschten gegenüberstellen. Das natürliche Ziel der Herrschenden ist naturgemäß immer, ihre Herrschaft zu stabilisieren. Dazu stehen ihnen — der menschlichen Natur entsprechend — zwei Wege offen: eine rohe, auf den Körper zielende Machtausübung und eine ausgefeiltere, auf die Psyche zielende“.
Um die Machtausübung zu gewährleisten, solle das Volk sich unmündig fühlen, verbunden mit dem Bedürfnis, sich einer selbst ernannten Führungselite anzuvertrauen.
„Die Ideengeschichte der politischen Philosophie zeigt, dass die Hirtenmetapher vor allem der Rechtfertigung des Status der Machteliten dient. Mit dieser Metapher wird das Volk gedanklich zur Herde gemacht. Sie schafft die ideologische Konstruktion eines ‚unmündigen Volkes‘ und verschleiert zugleich den Eigennutz derjenigen, die sich als Führer anbieten; sie erst schafft die Grundlage einer kategorialen Unterscheidung von ‚Volk‘ und ‚Führungselite‘, die das Fundament der herrschenden Vorstellungen von Demokratie bildet. Genau dieser ideologische Gegensatz von ‚Volk‘ und ‚Elite‘ ist das Fundament unserer gegenwärtigen Vorstellungen von ‚Demokratie‘.“
Um die Bevölkerung zu täuschen und das „Freiheitsbedürfnis der Bürger mit einem Surrogat zu „stillen“, versuche man, diese „mit einer Ersatzdroge zu befriedigen, nämlich der Illusion von Demokratie“.
Hier käme wieder die Herdenmetapher ins Spiel: Um eine solche Illusion von Demokratie zu schaffen, benötige man vor allem „eine Rechtfertigungsideologie, die begründet, warum das Volk unmündig sei und einer Führung bedürfe“ (14).
Psychologische Kriegsführung gegen die Bevölkerung
Letztlich handle es sich, die „Soft power“ betreffend, um eine psychologische Kriegsführung gegen die Bevölkerung. Diese solle für die Bürger möglichst unsichtbar bleiben, indem sie natürliche „Schwachstellen“ des menschlichen Geistes ausnutze.
„Aus der Perspektive der Volkes ist das Problem nun, dass die herrschenden Eliten auf das in Universitäten und Thinktanks angesammelte Wissen über diese Schwachstellen zugreifen können und daher über sehr viel mehr Wissen über uns, über unsere natürlichen Bedürfnisse, unsere natürlichen Neigungen und unsere ‚Schwachstellen‘ für eine Manipulierbarkeit verfügen als wir selbst“ (15).
Da uns diese Schwachstellen selbst nicht bewusst seien, hätten wir kaum eine Möglichkeit, uns gegen diese Manipulationen zu wehren. Als Gesellschaft hätten wir das anscheinend weitgehend verinnerlicht, sodass wir, kollektiv und mehrheitlich gesehen, unbewusst überzeugt davon seien, dass Volksherrschaft nur Elitenherrschaft bedeuten kann.
Ein wirksamer Weg, das Volk davon abzuhalten, überhaupt politische Überzeugungen auszubilden, bestehe in der Erzeugung von politischer Lethargie. Daher überrasche es nicht, „dass die Leitintellektuellen der Machteliten politische Lethargie als geradezu unverzichtbar für eine Demokratie preisen und über Techniken nachdenken, wie sie sich am besten erreichen lässt“ (16).
Zudem kämen „Techniken der Mentalvergiftung“ zum Zwecke des Demokratiemanagements zum Einsatz: Durch die Erzeugung von geeigneten intensiven Affekten ließe sich das Denken lähmen sowie „die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zentren der Macht ablenken und auf jeweils gewünschte Ablenkziele und Ablenkthemen richten“ (17).
Als ich 2019 an der „Stopp Airbase Ramstein“-Demo teilnahm und eine Doku darüber drehte, hörte ich den spannenden Vortrag „Staatsräson kontra Völkerrecht — sind wir auf dem Weg in den ewigen Krieg?“ von Rainer Mausfeld in der Apostelkirche in Kaiserslautern. Im Anschluss daran ergab sich die Möglichkeit für ein Kurzinterview. „Was ist Ihrer Meinung nach die Aufgabe der Wissenschaft angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in Demokratie und Frieden?“, fragte ich den Wissenschaftler.
„Wissenschaft zu betreiben ist im Grunde wie Kunst, ist eine Befähigung des menschlichen Geistes. Wir stellen Fragen“, antwortete er zunächst und fuhr später fort:
„Wissenschaft sollte der Wahrheit verpflichtet sein. (…) Die große Gefahr der Wissenschaft haben wir genauso in der Physik, in der Entwicklung der Atomspaltung. Wissenschaft darf sich nicht mit der Macht verbünden, weil man sonst eine Kombination erhält, die die Macht nochmal massiv verstärkt.“
Wissenschaft solle eigentlich kritisch sein, denn Wissenschaft habe die Instrumente, Ideologiekritik zu betreiben, Konzepte zu hinterfragen, Weltbilder zu hinterfragen und so weiter. Diese Mittel sollte Wissenschaft einsetzen. „Die angewandte Wissenschaft, das lässt sich leichter beantworten, sollte im Dienste sein einer menschenwürdigen Gesellschaft und nicht im Dienste derjenigen sein, die die Macht haben.“
Schlussgedanke
Zunächst einmal bin ich sicher, dass wir sehr viel allein dadurch gewinnen, dass wir bewusst mit allen Einflüssen auf uns umgehen — mit dem Medienkonsum und auch mit allen Gesprächen, die wir führen. Was wir hören und sagen, hinterlässt Spuren in unserem Denken und Fühlen, und nicht immer ist uns das Ausmaß bewusst.
Zum anderen stellt sich natürlich die Frage, wie es zu einem so gewaltigen Machtzuwachs einiger weniger Profiteure überhaupt kommen konnte. Das können wir meines Erachtens für die Zukunft ändern, indem wir die Verknüpfung von Geld und Ansehen lösen. Da immer mehr Berufe nicht vom Endkunden, sondern durch Fonds und Fördertöpfe finanziert werden, beispielsweise in Kultur, Medien und Wissenschaft, bedeutet ein hohes Einkommen nicht mehr unbedingt zugleich auch eine große Leistung für die Gesellschaft. Ein geringes oder kein Einkommen weist umgekehrt nicht auf eine unwichtige oder wertlose Tätigkeit hin.
Diese Verknüpfung sollten wir, müssen wir gesellschaftlich gesehen vielleicht sogar auflösen, um die Dinge wirklich zu ändern. Kreative Menschen, die eigentlich diese Welt zu einem friedlicheren und gesünderen Ort machen wollen, könnten sonst indirekt in jene Tätigkeiten gedrängt werden, welche mit der hier beschriebenen Manipulation verbunden sind. In diesem Sinne ist meine Untersuchung auch ein Aufruf, unsere Werte neu zu überdenken.
Ich schließe mit einem Zitat von Gustave Le Bon:
„Die einzigen Veränderungen von Bedeutung — jene, aus welchen die Erneuerung der Kulturen entspringt — vollziehen sich auf dem Gebiete der Ideen, der Gedanken und Überzeugungen. Die bemerkenswerten Ereignisse der Geschichte sind die sichtbaren Wirkungen der unsichtbaren Veränderungen des menschlichen Denkens.“ (18)
Quellen und Anmerkungen:
(1) Chomsky, Noam: Media Control — Wie uns die Medien manipulieren. Nomen Verlag 2018, Seite 123
(2) Ebenda, Seite 30
(3) Ebenda, Seite 74
(4) Ebenda, Seite 103
(5) Ebenda, Seite 112
(6) Ebenda, Seite 169
(7) Ebenda, Seite 67
(8) Merten, Klaus: Zum Verhältnis von Journalismus und PR aus systemischer Perspektive, Altmeppen, Klaus-Dieter; Röttger, Ulrike; Bentele, Günter (Herausgeber): Schwierige Verhältnisse, Interdependenzen zwischen Journalismus und PR, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004, Seite 19 folgende
(9) Ebenda, Seite 32
(10) Weber, Stefan: Gemeinsamkeiten statt Unterschiede zwischen Journalismus und PR, in: Altmeppen, Klaus-Dieter; Röttger, Ulrike; Bentele, Günter: Schwierige Verhältnisse, VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden, 2004, Seiten 59 folgende
(11) Merten, Klaus: Konstruktivistischer Ansatz, in: Bentele, Günter, Fröhlich, Romy, Shzyszka, Peter (Herausgeber): Handbuch der Public Relations, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, überarbeitete und erweiterte Auflage 2015, Seite 139 folgende
(12) Mausfeld, Rainer: Warum schweigen die Lämmer? Westend Verlag 2019, Seite 69 folgende
(13) Ebenda, Seite 79
(14) Mausfeld, Rainer: Warum schweigen die Lämmer? Westend Verlag 2019, Seite 60
(15) Ebenda, Seite 6
(16) Ebenda, Seite 10
(17) Ebenda, Seite 11
(18) Gustave Le Bon: Psychologie der Massen, Alfred Kröner Verlag in Leipzig, 1919, Seite 1