Der Rebell auf dem Balkan
Serbien macht bei den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mit.
Seit Beginn der militärischen Operation Russlands in der Ukraine versucht der Westen, angeführt von den USA, Russland durch wirtschaftliche Sanktionen in die Knie zu zwingen. Dabei macht sich der Westen selbst zum alleinigen Opfer. Er zerstört seine eigene Wirtschaft, setzt sich dem Risiko von Blackouts, Revolten und Umstürzen aus, um ein ideologisches Ziel zu erreichen. Trotz des Drucks, es den anderen Nationen gleichzutun, verweigerte sich das kleine Serbien unter Präsident Aleksandar Vučić von Anfang an diesem Irrsinn.
Der Westen steht geeint hinter den Sanktionen gegen Russland. Der ganze Westen? Nein, ein kleines Land auf dem Balkan widersetzt sich der ideologisch getriebenen Selbstzerfleischung und hält an guten Beziehungen zu Russland fest. Serbien, ein Land mit 6,9 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von 53 Milliarden US-Dollar, hat den Sanktionsirrsinn von Anfang an nicht mitgemacht.
Damit ist es das einzige Land in Europa, das sich nicht auf den antirussischen Kurs eingelassen hat. Und das, obwohl der Westen alles daran setzt, Serbien seinen Kurs aufzudrängen. Mit Druck und allen möglichen Mitteln der Manipulation und Sabotage hat der Westen versucht, Gehorsam zu erzwingen. Präsident Aleksandar Vučić bemerkte im August ironisch, wenn man alle Beispiele für den Druck von außen, welchem Belgrad in diesen sechs Monaten ausgesetzt war, zusammentragen würde, käme „ein Buch von der Größe von Karl Marx' Kapital heraus".
Schon zuvor hatte Vučić öffentlich erklärt, dass der Westen seine Geheimdienste nutze, um Drohungen gegen ihn auszusprechen und ihn auf diese Weise zu zwingen, die Sanktionen doch noch umzusetzen. Auch ein Treffen mit Sergej Lawrow in Belgrad verhinderte der Westen, indem die an Serbien grenzenden Länder ihren Luftraum für die Maschine des russischen Außenministers sperrten und so den Überflug verweigerten.
Twitter sperrte* zudem mehrere Konten von serbischen Botschaftern. Vučić hat sich von all dem nicht beeindrucken lassen und an seinem neutralen Kurs festgehalten.
Konfliktherd Kosovo
Daraufhin entflammte der lange schlummernde Konflikt mit dem Kosovo erneut. Die Regierung des kleinen Landes, das sich im Jahr 2008 von Serbien unabhängig erklärt hatte, aber von diesem als seine Provinz betrachtet wird, wollte im Grenzverkehr das Prinzip der Reziprozität, der Gegenseitigkeit, einführen.
Einerseits sollte die serbische Minderheit im Land dazu gezwungen werden, kosovarische Autokennzeichen und Papiere zu beantragen. Anderseits hätte für viele Serben das Ausstellen provisorischer kosovarischer Dokumente an der Grenze eine erhebliche Hürde bedeutet, wenn sie ihre Verwandten im Kosovo besuchen, und auch für Lkw-Fahrer, welche die Grenze überqueren.
Ethnische Serben im Kosovo hatten daraufhin protestiert und unter anderem zwei Grenzübergänge besetzt. Die Situation eskalierte zeitweise so sehr, dass die NATO ihre Soldaten an der Grenze zu Serbien zusammenzog. Der Streit wurde letztlich beigelegt, indem Serbien kosovarische Papiere akzeptierte, jedoch zugleich betonte, dass dies keine Anerkennung der „selbst ernannten“ Republik Kosovo bedeute.
Kurze Zeit darauf startete Serbien in der Nähe der Grenze ein großes Militärmanöver, versicherte aber, dass es sich dabei nur um eine Routineübung handelte. Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron mahnten Serbien zudem zu mehr Kompromissbereitschaft in Bezug auf den Kosovo. In einem gemeinsamen Schreiben betonten sie die Bedeutung guter Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo für den Frieden in Europa. Zudem verlangten sie die Bereitschaft, „schwierige Entscheidungen“ zu treffen.
Der Konfliktherd Kosovo existiert schon seit seiner blutigen Trennung von Serbien infolge des Jugoslawienkrieges 2008. Es ist einer der Konfliktherde, den der Westen unter Führung der USA in der Welt geschaffen hat, um sie jederzeit im geopolitischen Machtspiel einsetzen zu können, ähnlich wie die Ukraine.
Genau dies, so muss man mutmaßen, ist hier geschehen, um zusätzlichen Druck auf Serbien auszuüben. Auch der Schachzug des Kosovo, die EU-Mitgliedschaft beantragen zu wollen, kann als Fortsetzung des Konfliktes verstanden werden. Auf diese Weise wird der Kosovo weiter von Serbien entfernt und die Eigenständigkeit dieses Gebildes zementiert.
Serbien hingegen sieht den Kosovo weiterhin als Teil seines Staatsgebietes an. Doch auch Albanien hat ein Interesse daran, den Kosovo aufzunehmen, dies verkündete zumindest dessen Ministerpräsident Edi Rama. Ebenso wie der Kosovo dient Albanien den westlichen Vorherrschaftsinteressen als Verfügungsmasse. So wurde es historisch gerne als Keil auf dem Balkan genutzt und wird auch nun wieder gegen Serbien ins Feld geführt. Denn eine Vereinigung des Kosovo mit Albanien würde unweigerlich zu Krieg führen. Verurteilt wurde Rama für seine Aussage jedoch von keinem westlichen Staatsführer.
Dennoch bleibt Serbien standhaft und es scheint kein Interesse daran zu bestehen, dies zu ändern. Wie Aleksandar Vučić Ende August erklärte:
„Was die Sanktionen betrifft, so haben wir uns bereits vor 190 Tagen geäußert — durch die Beschlüsse des Nationalen Sicherheitsrates. Einige sagten, sie würden eineinhalb Tage dauern, andere sagten drei Tage, einen Monat, drei Monate. Aber sie haben sich über sechs Monate hingezogen. Auf diese Weise zeigt der serbische Staat seine Ernsthaftigkeit."
Der Grund für Serbiens Weigerung, sich gegen Russland zu positionieren, könnte die leidvolle Erinnerung der jüngeren Geschichte an die „Wohltätigkeiten“ des kollektiven Westens und der NATO sein. Diese unterstützten Anfang August 1995 Kroatien bei der „Operation Sturm“ im Kampf gegen die international nicht anerkannte Republik Serbische Krajina, bei der mehr als 200.000 der ansässigen Serben vertrieben und viele Zivilisten getötet wurden. Anlässlich der Gedenkfeier des 27. Jahrestages erklärte Milorad Dodik, serbisches Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums: „Es war ein Genozid, eine ethnische Säuberung.“ 1999 bombardierte die NATO dann Belgrad 78 Tage lang in einem illegalen Angriffskrieg, um die Zerschlagung des ehemaligen Jugoslawien final durchzusetzen, und eine Reihe von zersplitterten, ethnisch verschiedenen Einzelstaaten zu schaffen. Die Serben selbst sind zudem ein slawisches Volk und fühlen sich Russland eng verbunden.
Während die westlichen Länder auf Sanktionen gegen Russland setzen, und dabei ihren heimischen Energiemarkt in den Abgrund schicken, kauft Serbien weiterhin billiges Gas aus Russland. Erst im Mai schlossen die beiden Länder einen neuen Vertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren. Durch Serbien verläuft zudem die Pipeline BalkanStream, die einzige, durch die derzeit noch Erdgas aus Russland Richtung Europa fließt. Bei der geplanten Zerstörung der Wirtschaft der Europäischen Union (EU), insbesondere Deutschlands, ist diese Pipeline daher eines der Ziele, neben NordStream.
Serbien ist fast vollständig abhängig von russischer Energie. Deshalb ist wenig verwunderlich, dass Vučić die Sanktionen gegen Russland nicht mittragen will. Zudem erreicht der Handel zwischen beiden Ländern derzeit einen historischen Höchststand. Anders als die EU baut Serbien seine Beziehungen zu Russland sogar noch aus. Im Bereich Energie und Ernährung arbeitet Serbien auch eng mit Ungarn zusammen, dessen Präsident Victor Orbán als rechtsnationalistisch beschrieben wird und sich in vielerlei Hinsicht gegen die Bevormundung aus Brüssel zur Wehr setzt. So beschlossen die beiden Länder den Bau einer gemeinsamen Pipeline, die russisches Öl von der Druschba Pipeline aus nach Serbien bringen soll. Das Land ist nämlich von den Sanktionen, welche die Einfuhr russischen Öls über den Seeweg verbieten, betroffen.
Der serbische Innenminister Aleksandar Vulin kam im August doch noch mit Sergej Lawrow in Moskau zusammen und erklärte, dass Serbien sich niemals der „Welle der antirussischen Hysterie“ anschließen werde. Im Gegenzug unterstützt Russland Serbien in seiner Position gegenüber dem Kosovo. Auch Russland hat dessen Unabhängigkeit nie anerkannt, ebenso wenig wie China, die fünf EU-Staaten Spanien, Griechenland, Rumänien, Slowakei und Zypern oder auch die Ukraine. Mittlerweile hätten auch sieben weitere Länder ihre Anerkennung der Unabhängigkeit widerrufen, wie Aleksandar Vučić mitteilte, ohne jedoch zu verraten, um welche es sich handelt. Insgesamt erkennen weniger als die Hälfte der Mitglieder der Vereinten Nationen die Unabhängigkeit des Kosovo überhaupt an.
Der Kosovo ist jedoch auch der Grund, aus dem Serbien die Referenden in der Ostukraine nicht anerkennt. Denn durch eine solche Anerkennung würde Serbien einen Präzedenzfall schaffen, auf den sich die Regierung des Kosovo in seiner Stellung als von Serbien unabhängig berufen könnte, auch, wenn die Situationen nicht vollständig vergleichbar sind.
So hat es im Kosovo niemals Referenden gegeben, die den Volkswillen ausdrücken. Stattdessen wurde die Unabhängigkeit vom kosovarischen Parlament erklärt.
Serbische Politik
Der Kurs von Aleksandar Vučić scheint in Serbien auf Akzeptanz zu stoßen. Erst im April wurde er mit circa 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Seine Partei, die „Serbische Fortschrittspartei“ SNS, erlebte zwar einen Stimmverlust von 20 Prozentpunkten, kam dabei noch auf circa 46 Prozent der Stimmen, verlor aber die absolute Mehrheit. Die innenpolitische Lage ist zumindest schwierig. So wird Vučić als Nationalist bezeichnet und gehört dem rechten Spektrum an. Zuletzt sorgte ein Enteignungsgesetz für massive Proteste, nach dessen Bestimmungen die Regierung theoretisch jeden Bürger innerhalb von sieben Tagen hätte enteignen können. Aufgrund der Proteste wurde es allerdings (vorerst) zurückgezogen.
Zudem formierte sich eine Ökologiebewegung gegen eine Lithium-Mine. Infolge der Proteste wiederrief Serbien im Januar dieses Jahres die Abbau-Lizenzen des britisch-australischen Bergbau-Giganten Rio Tinto. Auch in Sachen Menschenrechte werden Serbien immer wieder Verstöße vorgeworfen, und auf der Liste der Pressefreiheit, welche Reporter ohne Grenzen im Jahr 2021 herausgab, belegte Serbien Platz 93 von 180. Der Staat übe eine zu starke Kontrolle aus, und Journalisten würden zu wenig vor Anschlägen geschützt. Ein Fazit, das man in Hinblick auf die westliche Medienlandschaft zumindest als doppelzüngig bezeichnen kann. Dass es in Serbien diesbezüglich Probleme gibt, soll damit jedoch nicht bestritten werden.
Serbien ist zwar schon seit 2012 Beitrittskandidat der EU, scheint aber den Beitritt nicht mit sonderlich viel Eifer voranzutreiben. Zudem arbeitet das Balkanland in mancher Hinsicht mit der NATO zusammen, hat aber offiziell einen neutralen Status inne.
Dieser wird auch im Zuge der Auseinandersetzung um die Sanktionen bisher nicht aufgegeben.Serbien ist zwar schon seit 2012 Beitrittskandidat der EU, scheint aber den Beitritt nicht mit sonderlich viel Eifer voranzutreiben. Zudem arbeitet das Balkanland in mancher Hinsicht mit der NATO zusammen, hat aber offiziell einen neutralen Status inne. Dieser wird auch im Zuge der Auseinandersetzung um die Sanktionen bisher nicht aufgegeben.
Zudem könnte Serbien auch seinen Beitrittskandidatenstatus für die EU aufgeben, sollte es vor die Wahl gestellt werden. Denn das Land scheint Russland mehr zugeneigt zu sein als der EU, was sich mit deren wirtschaftlichem Untergang, der sich bereits ankündigt, nur noch verstärken wird. Zu hoffen steht, dass das Land standhaft bleibt und sich dem westlichen Sanktionsirrsinn weiterhin entgegenstellt. Für die serbische Bevölkerung wäre es eine Katastrophe, wenn die Sanktionen umgesetzt würden. Wie hierzulande auch, würden die Energiepreise steigen, die Lebensmittelpreise ebenso.
Nicht zuletzt ist Serbien ein Symbol dafür, dass man sich der Macht des Westens und seiner Ideologien widersetzen kann. Es mag nicht alles Gold in dem kleinen Land auf dem Balkan sein, doch außenpolitisch ist es ein Hoffnungsschimmer im Meer des selbstzerstörerischen Wahnsinns, das uns umgibt.