Der Präsident der Reichen
Emmanuel Macron nimmt den Armen, um den Reichen zu geben.
„Das ist keine Regierung mehr, das ist ein riesiger Aufsichtsrat!“, echauffierte sich Jean Gabin im Film „Der Präsident“ im Jahr 1961 (1). Dank Macron ist diese Fiktion nun Wirklichkeit geworden. Die Verbindungen zwischen der Finanzwelt und den Machthabern sind unter Sarkozy und anschließend Hollande immer enger geworden. Heute vermischen sich beide Welten.
Emmanuel Macron: Robin Hood, nur umgekehrt
von François Ruffin
Für die Geringverdiener:
- Senkung der Renten über die Sozialabgaben,
- Senkung des Wohngeldes für Mieter,
- Aufhebung von geförderten Verträgen,
- weniger Abfindung für entlassene Arbeitnehmer.
Umgekehrt, Abschaffung der Vermögenssteuer für Aktionäre!
Das ist die „Modernität“ des französischen Präsidenten …
„Steuersenkungen für die Reichen.“ So fasst Edouard Philippe, der französische Premierminister, seine Steuerpolitik zusammen. Aber nicht vor den Franzosen: Sondern in England, indem er sich der Financial Times anvertraut. Und die Zeitung der City fährt fort:
„Wenn wir ihm andeuten, dass das Projekt der Regierung für einen flexibleren Arbeitsmarkt, seine Steuersenkungen für Unternehmen, sein Beharren auf dem Defizitabbau jeweils rechts sind, lacht Herr Philippe: ‚Ja, was hatten Sie erwartet?‘“
Die Besessenheit von Macron
Alles für die „Erfolgreichen“ und nichts für die „Niemande“. Das ist die Macron-Linie. Sein ehemaliger Kollege im Elysée-Palast, Aquilino Morelle, erinnert sich an ihn zu Zeiten von Hollande:
„Er sprach dauernd von der ‚notwendigen Reform der Arbeitnehmerrechte im Fall von Entlassungen‘. Er machte sich zum treuen Sprecher der Unternehmenschefs, zu jeder Gelegenheit schlug er diese Maßnahme vor. Ich machte mich über ihn lustig und sagte ‚Du wirst uns dein Zeug noch andrehen …‘“
Dies ist die langjährige Besessenheit von Macron: „die Starrheit der Arbeit“, flexibler machen, modernisieren, beständig anpassen. Aber es gibt noch eine weitere „Starrheit“, die er nie erwähnt: Die der Finanzwelt.
Seit den 1980ern hat sich der Anteil der Ertragsausschüttung in Frankreich verdreifacht. Von dieser Anhäufung von Reichtum sagt er nichts. Diese Situation ist ihm sehr genehm (siehe weiter unten im Artikel).
Klassenkampf
Der einst reichste Mann der Welt, Warren Buffet, sagte:
„Der Klassenkampf existiert, das ist eine Tatsache, aber es ist meine Klasse, die der Reichen, die diesen Krieg führt und wir sind dabei, ihn zu gewinnen.“
Emmanuel Macron geht nicht mit solcher Offenheit vor. Im Gegenteil, er hat den Mund voller „Wohlwollen“, voller „Flexibilität“, voller „Dialog“. Aber mit der „Freigabe“ der Sonntags- und Nachtarbeit, Projektverträgen, dem Ende der Gesundheitsräte für die Angestellten und Senkungen von Unternehmenssteuern, Steigerung der Steuerfreibeträge für die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen für die Aktionäre führt der französische Präsident sehr wohl einen Klassenkampf.
Der Freund der CEOs
Seit seinem Abschluss an der Elitehochschule ENA (2) ist die Laufbahn von Emmanuel Macron mit den CEOs des CAC 40 verknüpft (3) — der vierzig größten Aktienunternehmen Frankreichs.
2007. Als Referent der „Attali-Kommission“ — Kommission für die Freisetzung des französischen Wachstums, benannt nach ihrem Vorsitzenden Jacques Attali (Anmerkung der Übersetzerin) — verkehrt der junge Finanzdirektor unter anderem mit den Chefs von Nestlé, Crédit Agricole, Essilor. Darunter Serge Weinberg, heute CEO von Sanofi.
2008. Dank Serge Weinberg wechselt er das Metier zum Investmentbanker bei Rothschild & Co. Als Beauftragter für Fusionen und Übernahmen leitet er Deals, unter anderem für Sofiprotéol, Nestlé und für Lagardère.
2012. Als stellvertretender Generalsekretär des Elysée wird Emmanuel Macron zur „Stimme der Firmenbosse“, zu ihrem „Eintrittstor“ zu François Hollande. Und er managt zum Beispiel den Wiederverkauf der EADS-Aktien: Sein ehemaliger Kunde Arnaud Lagardère streicht dadurch zwei Milliarden Veräußerungsgewinn ein …
2016. Beim Wettlauf ins Elysée erhält Emmanuel Macron die — offenkundige oder stillschweigende — Unterstützung zahlreicher Firmenchefs, darunter auch Pressechefs, von Serge Weinberg, Vincent Bolloré, Bernard Arnault, Arnaud Lagardère …
2017. Abschaffung der Vermögenssteuer, Flat-Tax auf Kapital, Steuersenkungen für Unternehmen, Projektvertrag, Sonntagsarbeit und so weiter: für die großen Firmenbosse und ihre Aktionäre zahlt sich das sofort aus.
Der Lobbyist
Von der Attali-Kommission bis hin zu seinem Eintritt bei Rothschild verdankt Emmanuel Macron — wir haben es bereits erwähnt — sehr viel Serge Weinberg. Am 13. Mai 2018 war der CEO übrigens im Elysée-Palast bei der Machtübergabe von François Hollande an seinen jungen Nachfolger zugegen.
Am Donnerstag, dem 20. Juli, besuchte der französische Premierminister Edouard Philippe Serge Weinberg in Vitry an einem der Standorte von Sanofi. Eine originelle Tatsache: Der Regierungschef benachrichtigte weder die Gewerkschaften noch die Medien und auch nicht die Arbeitnehmer oder die Franzosen. Dieses Treffen fand ganz diskret statt, um nicht zu sagen heimlich: Eine Unternehmerlobby, an der Areva (wo Edouard Philippe Lobbyist war), Alstom, L’Oréal, Peugeot und natürlich Sanofi teilnahmen.
Worüber sprachen der Premierminister und der CEO? Erwähnten sie die Steuergutschrift für Forschungszwecke, von der Sanofi sehr profitiert? Den Abbau von dreitausend Forschungsstellen? Oder die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze (CICE)? Oder sprachen sie über Impfungen? Worüber haben sie sich unterhalten?
Auf unsere Fragen hin verweigerte die Regierung eine Antwort. Seit seinem Amtsantritt hatte Edouard Philippe erklärt: Die Pflichtimpfungen würden nicht mehr drei sondern elf Krankheiten abdecken. OK. Vielleicht ist das notwendig. Vielleicht.
Doch wie sollte bei diesen Geldverbindungen über dieser Maßnahme nicht mehr als nur der Schatten eines Verdachts schweben: Denkt man zuerst an unsere Gesundheit oder an die der Pharmalabore und ihrer Aktionäre?
Die andere Rothschild
Es ist ein Amt, das nicht auf ihrer Wikipedia-Seite auftaucht und das von ihrer offiziellen Biografie entfernt wurde: Seit Januar 2016 gehörte Florence Parly, die französische Verteidigungsministerin, zum Aufsichtsrat des Unternehmens Zodiac Aerospace. Sie saß dort als Vertreterin des „Fonds Stratégique de Participation“, FSP, (dt. „Strategischer Beteiligungsfonds“).
Was ist dieser FSP? Er ist eine Ausdünstung der Edmond de Rothschild Gruppe. Auf deren Website liest man:
„Der FSP wird von der Edmond de Rothschild Gruppe verwaltet. Der FSP umfasst sechs der größten Versicherer Frankreichs (BNP-Paribas, Cardif, CNP Assurances, Crédit Agricole Assurances, SOGECAP (Société Générale Gruppe), Groupama und Natixis Assurances) und ist ein langjähriger Aktionär des Kapitals französischer Unternehmen.“
Also eine (weitere) Ministerin mit engen Verbindungen zur Bank und Industrie. Hier mit der Edmond de Rothschild Gruppe mit Sitz in der Schweiz, die — wie Cash Investigation enthüllte — 142 Briefkastenfirmen in Offshore-Paradiesen besitzt …
Aber das ist zweifellos der neue Pluralismus: Ihr Präsident Macron war für die Handelsbank Rothschild und Co. tätig. Sie für Edmond. So wird das Gleichgewicht wiederhergestellt.
Die Meisterin der Stock-Options
Die französische Arbeitsministerin Muriel Pénicaud, einst Personalchefin bei Danone (das 252 Filialen in Steuerparadiesen besitzen soll), kassierte 1,13 Millionen an Stock-Options. Die Aktie stieg an der Börse in Folge des „Abbaus von ungefähr 900 Führungsstellen“.
Hat sie ein gutes Geschäft gemacht? Handelt es sich um Insiderhandel? Hierin besteht nicht der Skandal. Sondern eher in der Tatsache, dass:
- eine gewinnmachende Gruppe Entlassungen vornehmen darf;
- Aktionäre, ob Führungspersonal oder nicht, aus diesem Unheil einen Wertzuwachs erzielen; vor allem, dass:
- der Präsident ein solches Profil als Arbeitsministerin auswählt;
- sie ein „Arbeitsgesetz“ hervorbringt, dass keine Höchstgrenze für Stock-Options festsetzt, sondern für die Abfindung im Fall einer Entlassung.
Eine Gegen-Reform, die die Rechte der Arbeitnehmer beschneidet und das Diktat der Aktionäre unbehelligt lässt.
Seitdem fragen sich Journalisten und Abgeordnete: Muss Muriel Pénicaud zurücktreten? Im Gegenteil! Sie ist in dieser Regierung von Reichen für Reiche genau am richtigen Platz.
Der Personalleiter der Familie Mulliez
In der Nationalversammlung ist er der Referent des Arbeitsgesetzes. Doch zuvor war er Personalleiter bei Auchan. Daher meine Frage, die ich in der Nationalversammlung fünf Mal wiederholte:
„Ich möchte Ihnen ein Rätsel aufgeben: Auchan baut zur Zeit in Frankreich 800 Arbeitsplätze ab, 70 in meiner Stadt Amiens. Und das in einer Gruppe, der es sehr gut geht: Ihr Gewinn steigt dieses Jahr um 16 Prozent, die Dividenden an die Aktionäre sind um 75 Prozent gestiegen.
Diese Aktionäre sind die Familie Mulliez, das drittgrößte Vermögen Frankreichs. Naja, Frankreich in Anführungszeichen, denn sie schaffen ihre Reichtümer gerne nach Belgien … Übrigens wurden ihre Wohnungen wegen Verdacht auf Geldwäsche durchsucht …
Doch das wissen Sie alles sehr gut, Herr Referent, denn noch vor einem Monat, waren Sie der Personalleiter von Auchan. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wissen Sie außerdem, dass Auchan dieses Jahr 84 Millionen Euro ‚Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze‘ kassierte, ich betone: Arbeitsplätze.
Ich bin sicher, dass diese Ungerechtigkeit Sie auf diesen Bänken alle aufspringen lässt. Es ist ein wahrer wirtschaftlicher Angriff. Worin besteht nun die Rolle der Gesetze, des Staates? Sie besteht darin, sich zwischen den Angreifer und den Angegriffenen zu stellen.
Hier kommt das Rätsel: Was enthält Ihr Arbeitsgesetz, um das zu verhindern? Um die Gier Ihres ehemaligen Chefs zu begrenzen?“
Ich habe die Abgeordneten also auf der Bühne angesprochen. Doch ohne Erfolg: Weder die Ministerin, noch der Referent, noch irgendein anderer Parlamentarier von En Marche! (4) hat mein Rätsel gelöst. Die einzige Antwort: Stille. Eine Stille, die zum Komplizen wird.
Nicht ein Wort über Gérard Mulliez und seine 26 Milliarden, nicht die geringste Verurteilung dieser Schamlosigkeit, nicht ein Wort der Solidarität gegenüber den Arbeitnehmern.
Im Gegenteil, dank dieses Arbeitsgesetzes wird eine Höchstgrenze für Abfindungen für Entlassene festgelegt, genau wie erleichterte Sonntags- und Nachtarbeit, Gesundheitsräte werden abgeschafft, kurzum, die Ausbeuter werden begünstigt.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Emmanuel Macron: Robin des Bois à L‘envers" als Spezialdokument der französischen Zeitung Fakir. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Im französischen Original steht 1963, doch laut verschiedener Internet-Quellen, erschien der Film 1961.
(2) Die École Nationale d’Administration (ENA, deutsch Nationale Hochschule für Verwaltung) ist eine in Straßburg ansässige Grande École, die traditionell die Elite der französischen Verwaltungsbeamten ausbildet (Wikipedia).
(3) CAC 40 ist ein französischer Leitindex der 40 führenden französischen Aktiengesellschaften, die an der Pariser Börse gehandelt werden. CAC steht für Cotation Assistée en Continu (fortlaufende Notierung). Die Indexbasis liegt bei 1.000,00 Punkten per 31. Dezember 1987. Es handelt sich im Gegensatz zum DAX um einen Kursindex, Dividenden fließen nicht in den Index ein (Wikipedia).
(4) En Marche: La République en Marche ! (Akronym: REM, LRM oder LREM, offiziell LaREM; deutsch „Die Republik in Bewegung!“) ist eine liberale politische Partei in Frankreich, die auch unter dem früheren und teils weiterhin als Kurzbezeichnung verwendeten Namen En Marche ! bekannt ist. Sie wurde 2016 von Emmanuel Macron im Vorfeld seiner erfolgreichen Kandidatur für die französischen Präsidentschaftswahlen gegründet und wird von ihm als Bewegung bezeichnet; ihre Mitglieder können gleichzeitig in anderen republikanischen Parteien Mitglied sein (Wikipedia).