Der Panik-Dirigent
Der mit Preisen überschüttete Drosten-Podcast hielt zwei Jahre lang eine große Zuhörerschaft im Bann der Virenbedrohung gefangen — nun ist er ausgelaufen.
Während sich die sogenannte Freie Welt betäubt vom Getrommel ihres großartigen Russlandfeldzugs im bewährten Modus der Vorwärtsverteidigung siegesgewiss bereits kurz vor Moskau wähnt, gilt es eines Rückzugs zu gedenken, der sich in lauter Stille vollzieht. Professor Christian Drosten verlässt seinen Sendemast und zieht sich aus dem Coronaupdate des NDR zurück. Über zwei Jahre lang hatte der Virenflüsterer sein Publikum mit grausamen und bunten Geschichten aus dem dunklen Reich ruchloser Parasiten unterhalten. Am 1. März 2022 hatte er seinen letzten Soloauftritt, Ende des Monats soll es noch mal zum Duett mit der Kollegin Sandra Ciesek kommen. Das war‘s dann — zumindest auf diesem Kanal. Alles in allem sind diese sogar sorgfältig transkribierten professoralen Redseligkeiten ein unschätzbares Dokument ratlos mäandernder Expertise, eine wissenschaftliche Katastrophe, die in eine reale Katastrophe führte. Ein Kommentar von Walter van Rossum, Autor des Spiegel-Bestsellers „Meine Pandemie mit Professor Drosten“ sowie des kürzlich erschienenen Spiegel-Bestsellers „Die Intensiv-Mafia“.
Der Podcast ging am 26. Februar 2020 erstmals auf Sendung. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Deutschland — nach damaligem Kenntnisstand — 18 positiv Getestete, in ganz Europa waren es etwas über 400. Eine dramatische Entwicklung war ausweislich fast aller Experten auch nicht unbedingt zu erwarten. Insofern wäre es richtiger zu sagen: Der NDR hat der möglichen Ausbreitung des Virus eine größtmögliche Bühne eingerichtet. Nicht nur der NDR: Gleichzeitig installierten fast alle öffentlich-rechtlichen Sender neue Formate zur Corona-Berichterstattung: vom Corona-Ticker bis zur zeitweise fast täglichen Sondersendung nach der Tagesschau-Hauptausgabe um 20 Uhr.
Der WDR sendete einen Podcast mit seinem volkstümlichen Doc Esser und der MDR schickte Professor Alexander Kekulé mit einem eigenen Hochsitz ins mediale Rennen. Hendrik Streeck durfte anfangs noch im Bayrischen Rundfunk Unklarheiten über das neuartige und unglaublich gefährliche Virus verbreiten. Doch unbestreitbar war Christian Drosten das Ass im Ärmel der Pandemie, die ihren Siegeszug weitgehend ihren Kommentatoren verdankte.
Erfunden hat das Coronaupdate laut eigener Aussage Norbert Grundei, Chefdenker und Leiter des NDR Audio-Labs Think Radio. Grundei hatte bereits Wochen zuvor Interviews mit Drosten gesehen, den Mann für medientauglich befunden und dabei entdeckt, dass der Berliner Virologe stets präsent war, wenn im 21. Jahrhundert Pandemien aus der Taufe gehoben wurden.
Und als sich diese Pandemien trotz aberwitzigen medialen Getöses fast umgehend in Luft auflösten, schien auch dabei Professor Drosten seine heilenden Hände im Spiel gehabt zu haben. Jedenfalls wurde er dafür im Schnellgang gewissermaßen spurlos promoviert und bald mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Klar, dass da ein Audio Chiefthinker die ganz große Nummer witterte.
Der NDR ersann Dutzende von Ausspielwegen für den bald supererfolgreiche Viren-Tatort.
„Schicken Sie uns einfach das Wort ‚Start‘ über den ausgewählten Messenger. Oder Sie laden die App von Notify herunter und aktivieren den Kanal von NDR Info. Auch im NDR Ratgeber-Channel auf YouTube finden Sie den Podcast mit Christian Drosten.“
In Auszügen wird der Podcast auch noch auf N-JOY, NDR 2, NDR 1 Niedersachsen, NDR 90,3 und NDR 1 Radio MV verbreitet. Die Ehrungen der Medienbranche ließen nicht lange auf sich warten: Im Juni wurde dem Podcast der Grimme Online Award zugesprochen. Und außerdem noch der Publikumspreis (1).
„Bei NDR Info geht es nicht um Panikmache — ganz im Gegenteil: Der Podcast ‚Coronavirus-Update‘ will informieren, einordnen und Hintergründe liefern“ (2), beteuert der Sender. Als ob nicht die Einrichtung einer solchen Sendung — lange bevor Experten Großalarm gegeben hätten — bereits Schrecken verbreiten müsste. In sämtlichen bis heute 111 Folgen (3) halten die Moderatorinnen den Alarmismusknopf fest gedrückt. Kritische Fragen: Null.
In den ersten Folgen des Podcasts vernimmt man ein Dauerstörgeräusch — nur die Moderatorin und Christian Drosten scheinen davon nichts mitzubekommen. Ein systemisches Knirschen: einerseits der hysterisch gepolte mediale Apparat, der auf Katastrophen lauert, und auf der anderen Seite der Katastrophenexperte, der zumindest anfangs partout mit der Katastrophe hinterm Berg hält. Ein Fachmann, der laufend zu Protokoll gibt, nicht allzu viel zu wissen. „Das kommt auch daher, dass wir im Prinzip gerade das Schiff zusammenzimmern, während wir lossegeln“ (Folge 3, Seite 5) (4), erklärt Drosten immer mal wieder heiter.
Von Anfang an situieren sich die Moderatorinnen als Stichwortgeberinnen in einem Prozess, den sie selbst dramatisch produzieren. Die Branche der sogenannten Qualitätsjournalisten hat pausenlos ihre eigenen Aerosole reinhalliert, deshalb sind sie nie zu jenen kleinen Distanzen fähig gewesen, die erlaubt hätten, ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen. Zum Beispiel, warum denn SARS-CoV-2 überhaupt so sensationell gefährlich sein soll.
Allerdings erleidet Korinna Hennig in dieser Hinsicht eingangs der 3. Folge am 28. Februar einen leichten Schwächeanfall. Sie fragt allen Ernstes danach, wie tödlich das Coronavirus denn sei. „Kommunizieren wir noch angemessen?“ Die Koryphäe antwortet:
„Ich würde am liebsten manchmal bei solchen Fragen einfach auch mal ein bisschen ironisch antworten — wenn mich jemand fragt, wie tödlich das Virus ist, würde ich am liebsten einfach nur mal eine Zahl nennen, und dann mal den Fragesteller selber über diese Zahl nachdenken lassen“ (3. Folge,1. Seite).
Dann nennt er auch gleich eine Zahl und zeigt, was man mit so einer Zahl alles machen kann:
„Also wir können zum Beispiel im Moment sagen: Die Fallsterblichkeit liegt um 0,5 Prozent. Dann ist die Frage natürlich: Was bedeutet das denn überhaupt? Ist das viel oder wenig? Und das ist etwas, das manchmal dann schon die Aufmerksamkeitsspanne vor allem im Fernsehen übersteigt. Also, da kann man dann schon gar nichts Großes mehr dazu sagen. Dann führt das dazu, dass einige Leute denken, ach, das ist ja nichts, das ist ja noch nicht mal ein Prozent, und andere fangen dann an zu rechnen. Sie multiplizieren die deutsche Bevölkerungszahl mit so einem Prozentsatz und kommen dann auf eine erschreckende Zahl von Toten in Deutschland.“
Nicht nur Hintergrund, auch eine gewisse Unabhängigkeit, die Unabhängigkeit eines Universitätsprofessors, der „mal ganz nassforsch sagen“ kann: „Ach, die Zahlen hier, die lassen wir mal weg.“ Das könne das Robert Koch-Institut nicht, das wäre ein „nationales Public-Health Institut“ — deshalb müsse das RKI von einer Fallsterblichkeit von 1 bis 2 Prozent ausgehen.
Leider erklärt er nicht, warum er darf und das RKI nicht. Ist aber auch egal, denn in jedem Fall ist die eine wie die andere Zahl zur Fallsterblichkeit völlig aus der Luft gegriffen. Dazu müsste man die Anzahl der Fälle kennen, was einigermaßen schwerfällt, wenn man die Fälle erst durch Tests finden muss.
Mit improvisierter Expertise mäandert sich Christian Drosten durch die ersten 11 Folgen — vom 26. Februar bis zum 11. März.
„Wir versuchen, auf irgendwelche Experten zu hören. Aber die Experten sagen natürlich auch nur: Ich bin kein Wahrsager. Es kann so kommen oder es kann so kommen, es kann schnell oder langsam kommen“ (10. Folge, 2. Seite).
Der Mann befindet sich in einer misslichen Lage: Er tritt als Kronzeuge in einer Katastrophenshow auf, in der die Katastrophe, zu der er eigentlich nichts zu sagen hat, auf sich warten lässt. Das allein wäre schon Grimme-Preis-verdächtig.
Insofern ist es ein kluger Schachzug, auf Zeit zu spielen:
„Ja, also, ich kann Ihnen vielleicht sagen, was ich mache — oder auch meine Familie und mein Freundeskreis: nämlich gar nichts. Es gibt im Moment überhaupt keinen Grund, irgendetwas zu machen oder sich irgendwelche Sorgen zu machen. Ich mache mir schon Sorgen über die Pandemie“ (3. Folge, 2. Seite).
In dieser Phase muss man dem Mann zugutehalten, dass er jedem Alarmismus entgegentritt, der „eine falsche Wahrnehmung generiert über die Gefährlichkeit für den Einzelnen. Es ist hier einfach immer zu unterscheiden: Gefährlichkeit für die Gesellschaft, für das Medizinsystem, auch für die Wirtschaft übrigens versus Gefährlichkeit für den Einzelnen. Und weil das immer verwechselt oder durcheinandergeworfen wird, kommt es dann zu solchen Überreaktionen, die sich in Hysterie und vielleicht auch in Hamsterkäufen zeigen“ (1. Folge, 6. Seite).
Eine messerscharfe Differenzierung der Gefährlichkeitssektoren, vorgenommen vom Star einer Sendung, deren bloße Existenz längst Teil der geschürten Hysterie ist. Leider vertieft er seine soziovirologischen Hypothesen nicht weiter.
Man könnte sogar sagen, er redet gegen die Panik an, die ausgerechnet die Medien, in deren Dienst er gerade steht, gerne und ausgiebig verbreiten.
Und da nimmt er sich glatt die Freiheit, „über die Dinge auch mit ein bisschen mehr Hintergrundwissen nachzudenken“ (7. Folge, 3. Seite).
Und dann sieht die Sache schon ganz anders aus. Ihm ist nicht entgangen, dass insbesondere ältere Menschen von der Pandemie betroffen sind. Um die müsse man sich schon Sorgen machen, doch auch wenn es vielleicht hart und kühl klingen mag:
„Viele Leute fangen an, in der Öffentlichkeit Zahlen zu rechnen, wenn ein halbes Prozent stirbt. Manche rechnen sogar mit noch höheren Zahlen, aber bleiben wir mal bei einem halben Prozent und multiplizieren das mit irgendeinem Wert, der von mir und anderen gesagt wurde: 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung werden sich infizieren. Von den Infizierten sterben soundso viel, da kommen wir auf ein paar Hunderttausend Tote.
Stimmt das? Dazu muss man zwei Sachen sagen: Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sind in Wirklichkeit 83 Millionen, aber die werden nicht alle gleichzeitig infiziert werden. Die Frage ist doch, wie lange streckt sich das hin, über welche Zeit verteilt sich das? Und dagegen spielt die normale Sterblichkeit der Bevölkerung. 850.000 Deutsche sterben jedes Jahr. An diesem neuen Virus sterben Patienten in einer Größenordnung von fünf oder zehn Prozent der normalen Sterblichkeit der Bevölkerung. Das hat aber exakt das gleiche Altersprofil wie das Sterblichkeitsprofil der Bevölkerung. Dann wird uns das fast gar nicht auffallen“ (7. Folge, 3. Seite).
In fast genau denselben Worten äußert sich Drosten am 2. März 2020 bei einer Pressekonferenz (5) von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, auf der er erstmals als Berater der Regierung öffentlich auftritt. Neben ihm auch Lothar H. Wieler, Chef des RKI, der vor wenigen Tagen noch auf einer Pressekonferenz seines Hauses von einer Mortalitätsrate von 1 bis 2 Prozent der „Infizierten“ gesprochen hatte (6).
In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) (7) erklärt Drosten am 6. März, das Virus sei erst dann erledigt, wenn zwei von drei Menschen immun dagegen seien, weil sie eine Infektion durchgemacht hätten, und dann rechnet er vor:
„Bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen wären zwei Drittel fast 56 Millionen Menschen, die sich infizieren müssten, um die Ausbreitung zu stoppen. Bei einer Mortalität von 0,5 Prozent wäre in dem Fall mit 278.000 Corona-Todesopfern zu rechnen.“
In seinem Fantasiefahrplan spekuliert Drosten, die Seuche könnte sich sogar zwei Jahre hinziehen. Und in diesem Zeitraum sollten 53 Millionen Menschen in Deutschland immun werden durch eine durchlebte Infektion. Das bedeutete ungefähr 500.000 Neuinfektionen pro Woche. Einmal mehr beschleicht einen das Gefühl, dass Professor Drosten eigentlich gar nicht versteht, was er da sagt.
Drostens Expertise orientiert sich ziemlich exakt am Stand der Dinge: Es kann so laufen — oder so. Diese Möglichkeit hat er sich immer offen gelassen:
„Es kann sein, dass wir in sechs Wochen oder so so weit sind, dass wir eine richtig schlimme Situation haben. Dann muss man auch weitergreifen. Es ist im Moment einfach ein Prozess“ (9. Folge, 5. Seite).
Und er ist ehrlich genug, fast jede seiner Aussagen als Hypothese zu kennzeichnen. Zumindest anfangs. Bald wird die Lage brenzliger. Aktionismus liegt in der Luft. Man erwartet, dass die Politik Maßnahmen ergreift, um die Seuche zu stoppen. Jetzt wird aus dem plaudernden Beobachter ein Mann auf den Barrikaden wider das Virus. In dem Maße, wie der politische Druck wächst, verändert sich auch Drostens Haltung zu den sogenannten „nicht-pharmazeutischen“ Interventionen.
Bislang hatte er dem chinesischen Modell wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Ein derartiges Vorgehen sei mit unserer Kultur nicht vereinbar — und: Er glaubte dem großen Märchen von der schnellen Pandemiebekämpfung schlicht nicht. Das Problem sei zu groß, um es mit einem Lockdown erledigen zu können, befindet er nicht ganz zu Unrecht.
Dummerweise wird er binnen weniger Tage seine „persönliche Einschätzung“ dazu wieder diametral ändern. Vorerst hält er solche Maßnahmen für epidemiologisch-virologisch falsch und in politischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht für unverantwortlich. Allerdings irrt er sich fundamental über die Folgen des medialen Terrors:
„Man kann nicht denken, dass man sich irgendwelche dramatischen Zahlen zusammenrechnet und dann folgen einem alle Leute. Das ist vollkommener Unsinn. Damit macht man sich nur selber unglaubwürdig“ (8. Folge, 2. Seite).
Doch dann musste er einlenken und tut so, als habe er gerade erst von gewissen Quarantänemaßnahmen während der Spanischen Grippe gehört, die sich als höchst effektiv erwiesen haben sollen. Doch wie stets: Die wissenschaftlichen Gründe für seinen Gesinnungswandel bleiben im Dunkel seiner Seele. Binnen weniger Tage ändert sich Drostens Behandlungsplan radikal: Vom Deeskalierer wird er zum feurigen Pandemiker.
Er weiß natürlich genau, dass man das Virus nicht ausrotten kann. Im Schulterschluss mit der Politik und den Medien verfolgt er nun die chinesische Strategie des Lockdowns. An den Infektionen führt zwar kein Weg vorbei — was er allerdings so nicht mehr sagt —, aber durch radikale Quarantänemaßnahmen kann man die Ausbreitung kontrollieren und damit das Gesundheitswesen vor Überlastung schützen. Diese Politik wird fortan zum globalen Credo. Das heißt jedoch nicht, dass sie auf auch nur entfernt wissenschaftlichen Argumenten basiert.
Vermutlich hat die Virologie überhaupt wenig zur Seuchenbekämpfung beizutragen. Das hindert Christian Drosten nicht, sich als eine Art Vordenker aufzuspielen. Leider lässt sich ein Gedanke dabei nicht erkennen. Drosten und die Seinen reagieren bloß und flankieren das Geschehen mit Expertisesound.
Es geht immer nur um das Maß für den Einsatz eines einzigen Tools. Mehr oder weniger Lockdown. Es gab nur eine relativ kurze Phase, in der die Pandemiker an der Spitze des Fortschritts zu stehen schienen — nämlich als ein neuer und verblüffend schnell entwickelter Impfstoff die Lösung von allem zu werden schien. Natürlich gehörte Drosten zu denen, die den Glauben daran am schrillsten verbreiteten.
Selbstverständlich hatte auch dieser Glaube nichts mit Wissenschaft zu tun und mit ärztlichem Ethos schon gar nicht. Als sich bald das Impfwesen als nicht endlösungsfähig erwies, sondern im Gegenteil die Infektionen in die Höhe schossen, forderten Drosten und seine Truppen zur Jagd auf die Ungeimpften auf und beteiligten sich nach Kräften.
Die wissenschaftliche Präzision von Professor Drosten lässt sich an nur einem Beispiel darstellen: der Maske. Am 27. Februar 2020 erklärt er in seinem Podcast:
„Für dieses Tragen von Atemschutzmasken in der normalen Umgebung durch den Normalbürger — da gibt es keine wissenschaftliche Evidenz, dass das irgendeinen Nutzen hat oder irgendeinen Schutz bietet“ (2. Folge, 4. Seite).
In kleinen Schritten ändert sich die „wissenschaftliche Evidenz:
„Man denkt immer, man schützt sich selbst mit der Maske. In Wirklichkeit schützt man aber andere. Das ist ein guter psychologischer Effekt eigentlich, wenn wirklich diese Masken in der Breite vorhanden sind. Und wenn dann, wie in asiatischen Ländern dieser Effekt einsetzt, dass jeder eine Maske tragen muss, weil er sonst einen Fehler macht.
Egal, ob man noch mal drüber nachdenkt, egal, in welche Richtung dieser Fehler jetzt ist. Aber es ist falsch, ohne Maske rumzulaufen und es wird geradezu geächtet, ohne Maske rumzulaufen. Es ist unsozial, das zu tun. Dann fängt es an, sehr viel Sinn zu machen.“
Die Maske als Instrument sozialer Kontrolle hat er trefflich beschrieben. Aber noch im März 2020 bezweifelt er, ob so etwas bei uns durchsetzbar wäre:
„Und da bin ich im Moment davon überzeugt, dass wir das im Moment nicht hinkriegen, aus kulturellen Gründen“ (15. Folge, Seite 7f.).
Bis es so weit ist, lautet sein Rat: „Aus all dieser Hintergrundüberlegung heraus würde ich dann sagen, wenn jemand Lust hat, sich eine Maske zu nähen und damit ein gutes Gefühl in der Öffentlichkeit hat: Ja, klar, natürlich. Kann man ruhig machen. Warum denn nicht? Und gerade, wenn man das aus einem bunten Stoff macht, der vielleicht ganz schick aussieht und man nicht so aussieht wie ein Krankenhausmitarbeiter in der Öffentlichkeit, drehen sich vielleicht auch nicht so viele Leute danach um.“ (15. Folge, 8. Seite) (8) Wenig später mutiert die wissenschaftliche Evidenz weiter: Die Maske macht jetzt doch ein bisschen Sinn.
Am 1. September 2020, im ersten Corona-Update nach den großen Pandemieferien, liefert er eine kuriose Begründung. Also, es sei so: Tröpfchen, die bei feuchter Aussprache „in anderthalb Meter Abstand um einen herum relativ schnell zu Boden fliegen, die werden ganz offensichtlich von einer Maske abgefangen“ (54. Folge, 2. Seite). Aber mit den Aerosolen ist das eine andere Sache. Die sind so fein, dass man sie auch mit Maske ein- oder ausatmet. Und wenn der Raum schon voller Aerosole ist, dann kann man nichts machen.
Aber wie wäre es in einem Supermarkt „oder irgendwo sonst, wo man sich nicht so permanent in einem Raum zusammen aufhält, sondern man trifft einen Infizierten und man hat Sorge ums Aerosol. Da ist ein Aerosol mit einer lokal hohen Konzentration um diesen Menschen herum und die Frage ist: Kriege ich die ab oder nicht? Wenn der eine Maske anhat und ich auch, dann geht das Aerosol an der Maske vorbei. Aber es trifft mich nicht direkt.“
Ein Aerosolpartikel hat einen Durchmesser von höchstens 5 Mikrometern, die Textur der gängigen Textilmasken hat eine Durchlässigkeit von 15 Mikrometern. Daraus schließt Drosten, dass das Aerosol zwar durch die Maske geht, aber es träfe einen dann nicht mehr direkt. Die Aerosole, die nicht durch die groben Filter rauschen, bleiben — so muss man Drosten interpretieren, was wie gesagt nicht immer leicht fällt — im Gewebe der Maske hängen. Was machen sie da wohl? Sie können dann auch außerhalb des Supermarkts nach und nach resorbiert werden. Was übrig bleibt, wird bei Gelegenheit in die Luft gepustet. Man staunt.
Später wird Drosten dann allerdings zum viel zitierten Apologeten der Maske ohne irgendein wenn und aber. Ja, man möchte sogar sagen, das Gebot zur Maske wird zu seinem virologischen Vermächtnis.
Drostens letzter Soloauftritt beim Coronaupdate liest sich wie eine Satire virologischer Erkenntnisse.
„Das andere ist, wir können im Moment gar nicht voraussagen, in welche Richtung eigentlich dieses SARS-2-Virus die nächste Immunescape-Variante hervorrufen wird auf dieser antigenetischen Landkarte. Sagen wir mal, wenn jetzt in der Mitte eine große Wolke ist für den alten Serotyp auf der Landkarte und jetzt ist Omikron nach rechts ausgewichen. Wissen wir eigentlich, ob der nächste nach Omikron folgende Drifttyp auch noch weiter nach rechts ausweicht? Oder springt der auf einmal nach links?“ (111. Folge, 8. Seite)
So geht das seitenlang. Der Virologe wird immer poetischer, das Virus immer unsichtbarer. Und da bleibt nur noch eins — „die einfachste Lösung erst mal eine FFP-2 Maske. Die wird natürlich die Übertragungen sehr stark unterbinden. Und dann natürlich über die mittel- und langfristige Sicht ist das nach heutigem Ermessen der Erwerb von Infektionen in der jüngeren, nicht mit einer risikobehafteten und natürlich grundimmunisierten Bevölkerung.“ (111. Folge, Seite 11) Mit anderen Worten: Mit FFP-2 Masken verhindern wir den Erwerb von Infektionen, die wir brauchen, um uns stärker zu immunisieren. Ich fürchte, unter diesem Druck wird das Virus endlich zusammenbrechen.
Die Mainstream-Medien haben bekanntlich anlässlich von SARS-CoV-2 sämtliche handwerklichen Grundlagen ihres Gewerbes hinter sich gelassen. Doch man muss den Veranstaltern des Coronaupdates danken: Sie haben ein Dokument des Grauens öffentlich erschaffen: die Abdankung des Abendlandes. Zugegeben: Die Erbsubstanz war bereits zuvor ziemlich dünn geworden.
Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch, Hörbuch oder E-Book.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Die Begründung der Jury begründet leider nichts Nennenswertes: „Das Redaktionsteam hat zu einem sehr frühen Zeitpunkt entschieden, das Thema Corona wissenschaftlich und zugänglich zugleich aufzubereiten. Es wurde ein Experte ausgewählt, der genau dies zu bewerkstelligen weiß und der zu diesem Zeitpunkt einer breiten Öffentlichkeit noch nicht bekannt war. Das Format des Interviews verlangt es, sich intensiv mit der Faktenlage und den aktuellsten Veröffentlichungen zu beschäftigen und die richtigen Themenkomplexe in Fragen zu übersetzen. Getrieben von der Erkenntnis, dass täglich neues Wissen generiert wird und der Informationsbedarf kontinuierlich wächst. Im Podcast entsteht ein geschützter Gesprächsraum, der es Christian Drosten ermöglicht, sich ausführlich zu äußern, ohne dass seine Aussagen zugespitzt oder verkürzt werden. Im Gegenteil, die Gesprächspartner und -partnerinnen suchen die Faktenausarbeitung und haben auch keine Angst, das Publikum punktuell zu überfordern. Wer noch tiefer einsteigen will, kann eigene Fragen einreichen, das Glossar und die Linklisten auf der Website nutzen und in den transkribierten Episoden per Volltextsuche recherchieren. ‚Das Coronavirus-Update‘ demonstriert, dass auch ausführlicher Wissenschaftsjournalismus das Publikum fesseln kann — und erschließt ganz nebenbei neue Hörergruppen für das Medium Podcast.“ https://www.grimme-online-award.de/2020/preistraeger/p/d/das-coronavirus-update-1/
(2) https://www.ndr.de/nachrichten/info/Coronavirus-Virologe-Drosten-im-NDR-Info-Podcast,podcastcoronavirus100.html
(3) Anfangs fand Drostens Virensprechstunde jeden Werktag statt, die Frequenz wurde später gesenkt, dafür die Länge einer jeden Folge deutlich erweitert. Zuletzt wechselte sich Drosten mit der Frankfurter Virologin Sandra Ciesek im Wochenrhythmus ab.
(4) Die folgenden Quellenangaben in Klammern beziehen sich auf die PDF-Manuskripte zum Downloaden unter https://www.ndr.de/nachrichten/info/Coronavirus-Update-Die-Podcast-Folgen-als-Skript,podcastcoronavirus102.html
(5) https://www.youtube.com/watch?v=H-OKJdtC8ro
(6) Pressebriefing RKI: „Aktuelle Informationen zu COVID-19 in Deutschland mit RKI-Präsident Lothar H. Wieler und RKI-Vizepräsident Lars Schaade“, Phoenix, 27. Februar 2020, Video (Min. 13), youtube.com/watch?v=RNp8iwaSItc
(7) Neue Osnabrücker Zeitung, 6. März 2020 „Charité-Virologe Drosten: Es wäre mit 278.000 Corona-Todesopfern zu rechnen“.
(8) Die Schutzfunktion sowie die gesundheitlichen Folgen dieser Sorte Maskenfolklore beschreibt eindringlich der Pharmakologe Professor Markus Veit, „Hauptsache Maske!?“. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2020/daz-33-2020/hauptsache-maske