Der Oligarchen-Schwindel
Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Mogelpackung.
Das als sozial fortschrittlich geltende Finnland hat sich gerade gegen die Fortsetzung eines Pilotprojekts zum bedingungslosen Grundeinkommen entschieden. Gleichzeitig liebäugeln die reichsten Männer der USA öffentlich mit der Idee eines solchen Einkommens. Verkehrte Welten? Ganz und gar nicht, meint Chris Hedges. Denn die Hintergedanken dieser Oligarchen sind alles andere als uneigennützig und passen ins neoliberale Weltbild.
Eine Reihe von regierenden Oligarchen – darunter Mark Zuckerberg (Reinvermögen 64,1 Milliarden Dollar), Elon Musk (20,8 Milliarden), Richard Branson (5,1 Milliarden) und Stewart Butterfield (1,6 Milliarden) – treten für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein.
Das hört sich fortschrittlich an. Sie verpacken ihre Vorschläge in die moralische Sprache der Sorge um die Notleidenden und Mittellosen. Dahinter steckt aber die klare Erkenntnis, vor allem im Silicon Valley, dass die mit Hilfe dieser Oligarchen erschaffene Welt derart in Schieflage ist, dass die künftigen Konsumenten – geplagt von der Angst um den Arbeitsplatz, den unterdurchschnittlichen Löhnen, der Automatisierung und der lähmenden Verschuldung – nicht mehr für die von den Großkonzernen angebotenen Produkte und Dienstleistungen werden bezahlen können.
Die Oligarchen schlagen keine Strukturveränderungen vor. Sie wollen keine Regulierung für Unternehmen und Finanzmärkte. Sie unterstützen keine Gewerkschaften. Sie wollen keine existenzsichernden Löhne, weder für ihre leibeigenen Arbeiter in der Dritten Welt, noch für die amerikanischen Arbeitnehmer in ihren Lagerhallen, Versandzentren oder am Steuer ihrer Zustellfahrzeuge. Sie beabsichtigen nicht, kostenlose Bildung, gesetzliche Krankenversicherung oder angemessene Renten für alle einzuführen.
Vielmehr suchen sie nach Wegen, weiterhin die Arbeitnehmer mit Minimallöhnen abspeisen und sie nach Gutdünken feuern und wieder einstellen zu können. Die Höllenfabriken und Ausbeutungsbetriebe in China und der Dritten Welt, wo Arbeiter unter einem Dollar pro Stunde verdienen, sollen weiter am laufenden Band die Produkte der Oligarchen produzieren und ihren obszönen Reichtum mehren. Die Verwandlung Amerikas in deindustriealisiertes Brachland soll weitergehen.
Die Architekten des Neoliberalismus fordern von der Regierung ein bedingungsloses Grundeinkommen, damit sie sich weiterhin von uns ernähren können, wie die Schwärme von Alepisauridae-Fischen, die ihre eigenen Artgenossen fressen.
„Die Erhöhung des Mindestlohns oder die Einführung eines Grundeinkommens wird nichts nützen, wenn Hedge-Fonds zwangsversteigerte Häuser oder Arzneimittelpatente aufkaufen und die Preise erhöhen (manchmal ins Astronomische), um durch die effektiv angestiegene Nachfrage in der Bevölkerung ihre eigenen Taschen vollzustopfen“, schreibt David Harvey in „Marx, Capital, and the Madness of Economic Reason”.
„Schulgelderhöhung, Wucherzinsen bei Kreditkarten, allerlei versteckte Kosten bei Telefonrechnungen und Krankenversicherungen könnten die Vorteile wieder auffressen. Der Bevölkerung wäre besser gedient mit strikter Regulierung, um ihre Lebenshaltungskosten einzudämmen und die enorme Menge an Vermögensaneignung zu begrenzen, die mit dem Zeitpunkt der Realisierung (des Grundeinkommens, Anmerkung des Übersetzers) eintritt. Kein Wunder, dass unter den Risikokapitalgebern in Silicon Valley auch die Stimmung zugunsten von Mindesteinkommensregelungen ausgesprochen gut ist. Sie wissen, dass ihre Technologien millionenfach Arbeitsplätze vernichten und dass diese Menschen als Abnehmer ihrer Produkte nicht zur Verfügung stehen, wenn sie kein Einkommen haben.“
Der Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist ein klassisches Beispiel für den Erklärungsansatz von Karl Marx und Antonio Gramsci, wonach die Kapitalisten bei vorhandenem Überschuss an Kapital und Arbeitskraft Massenkultur und -ideologie, in diesem Fall den Neoliberalismus, dazu benutzen, die Gewohnheiten einer Gesellschaft so zu verändern, dass die Überschüsse absorbiert werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Problem der Kapitalisten beispielsweise durch umfangreiche Investitionen in das Militär und die Kriegsindustrie, die ideologisch durch Kommunistenhetze und den Kalten Krieg untermauert wurden, gelöst; des Weiteren durch massive Infrastrukturprojekte, darunter den Bau von Schnellstraßen, Brücken und Häusern, wodurch die Menschen in die Vorstädte umsiedelten, wo der Konsum anstieg. Die sozialen Bauprojekte wurden im Namen der nationalen Sicherheit und des Fortschritts umgesetzt. Und sie machten die Oligarchen von damals reich.
„Das Aufkommen eines neuen vorstädtischen Lebensgefühls (in populären Sitcoms wie Drei Mädchen und drei Jungen und I love Lucy gepriesen, in denen eine bestimme Form des Alltags dargestellt wurde) und vielseitige Propaganda für den „American Dream“ eines Hausbesitzers standen im Mittelpunkt einer riesigen Kampagne zur Schaffung neuer Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte, eines völlig neuen Lebensgefühls in der gesamten Bevölkerung“, schreibt Harvey in seinem Buch.
„Gutbezahlte Jobs mussten her, um die vorhandene Nachfrage zu stützen. Arbeit und Kapital fanden auf Drängen des Staatsapparates einen mühseligen Kompromiss, der der weißen Arbeiterklasse wirtschaftliche Zugewinne ermöglichte, während die Minderheiten außen vor blieben.“
Diese Phase des Kapitalismus war vorbei, als die Industrie ins Ausland abwanderte und die Löhne stagnierten oder sanken. Die gut bezahlten, gewerkschaftsgestützten Jobs verschwanden. Zurückblieb schlecht entlohnte Arbeitsknechtschaft. Armut breitete sich aus. Die Oligarchen begannen, staatliche Sozialleistungen, darunter Bildung und Gesundheitsversorgung, Militär, Geheimdienste, Gefängnisse sowie Strom- und Wasserversorgung für ihren Profit zu schröpfen.
Wie es Berichten zufolge in einer Veröffentlichung des „San Francisco Federal Reserve“ hieß, konnte das Land – und damit auch die Oligarchen – die Krisen nicht mehr dadurch bewältigen, dass „Häuser gebaut und ausgestattet wurden”. In den 1970er Jahren wandelten sich die USA von einem „Imperium der Produktion” – wie Historiker Charles Maier es nannte – zu einem „Imperium des Konsums”. Kurzum, wir liehen uns nun Geld, um einen Lebensstil und ein Imperium aufrechtzuerhalten, die wir uns nicht mehr leisten konnten.
Im „Imperium des Konsums” wird Profit nicht durch Warenproduktion generiert, sondern dadurch, dass Basisdienstleistungen, die wir zum Überleben brauchen, privatisiert und die Kosten dafür hochgeschraubt werden oder Banken und Hedge-Fonds Menschen Knebelzinsen auferlegen und mit Technologie-, Studiumsdarlehen- oder Hausbau-Blasen spekulieren können. Die alte Ideologie, die dem New Deal, jenem riesigen sozialen Infrastrukturprojekt der Regierung unter der Ägide der Public Works Administration oder dem War on Poverty zugrunde lag, wurde durch eine neue Ideologie ersetzt, die eine andere Form des Raubtierkapitalismus rechtfertigt.
In seinem Buch „A Brief History of Neoliberalism“ definiert Harvey den Neoliberalismus als „ein Projekt zur Wiederherstellung der Klassenherrschaft“ im Zuge der Wirtschaftskrise in den 1970er Jahren. Der Politikwissenschaftler Samuel Huntington sprach von Amerikas „Übermaß an Demokratie“ in den 1960er und 1970er Jahren. Das gesetzte Ziel wurde erreicht.
Der Neoliberalismus, so Harvey, sei „eine wirtschaftspolitische Theorie, nach der menschliches Wohlergehen am besten durch die Entfesselung individueller unternehmerischer Freiheiten und Fähigkeiten innerhalb eines institutionellen Rahmens erreicht werden kann, der durch starke private Eigentumsrechte, freie Märkte und freien Handel geprägt ist“.
Amerikanische Oligarchen diskreditierten die Massenbewegungen der 1960er und 1970er Jahre, die eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Regierung zur Umsetzung von Programmen für das Allgemeinwohl und gegen die Plünderung durch Großkonzerne zu zwingen. Sie verteufelten die Regierung, die, so John Ralston Saul, „die einzige organisierte Institution ist, die jene Selbstlosigkeit garantiert, die als Gemeinwohl bekannt ist“. Plötzlich war die Regierung das Problem, wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan, die zwei politischen Hauptvertreter des Neoliberalismus, insistierten. Die neoliberale Propagandakampagne indoktrinierte weite Teile der Bevölkerung derart erfolgreich, dass diese nach ihrer eigenen Versklavung riefen.
Die neoliberale Ideologie ergab nie einen Sinn. Sie war ein Schwindel. Keine Gesellschaft kann auf der Grundlage von Entscheidungen und Regeln effektiv regiert werden, die dem Diktat des Marktes folgen. Der Markt wurde zu Gott. Alles und jeder wurde im Namen des Fortschritts auf dessen Altar geopfert.
Soziale Ungleichheit stieg sprunghaft an. Inmitten der Zerstörung priesen die neoliberalen Vertreter die Entstehung des neuen Eden, das wir erreichen würden, nachdem wir Schmerz und Zusammenbruch durchlitten hätten. Die Ideologie des Neoliberalismus war utopisch, wenn wir das Wort „Utopie” im Sinne von Thomas Morus verstehen wollen – als Griechisch für „Nicht-Ort“. „In einer Ideologie zu leben, mit utopischen Erwartungen, heißt an einem Nicht-Ort, in einem Schwebezustand zu leben“, schreibt Saul in „The Unconscious Civilization”. „Im Nichts zu leben. In einer Leere zu leben, wo die Illusion der Realität meist von ausgeklügelten rationalen Konstrukten geschaffen wird.“
Konzerne nutzen ihren Reichtum und ihre Macht, um diese Ideologie zur vorherrschenden Doktrin zu machen. Sie etablierten gut finanzierte Propaganda-Einrichtungen wie The Heritage Foundation, übernahmen Wirtschafts-Fakultäten an Universitäten und gaben ihren Schmeichlern in den Medien eine laute Stimme. Wer an der Doktrin zweifelte, wurde wie im Mittelalter der Ketzerei bezichtigt, seine Karriere wurde behindert und seine Stimme zum Schweigen gebracht. Die Widersprüche, Lügen und Verwüstungen innerhalb der neoliberalen Ideologie wurden von denen, die die öffentliche Debatte dominierten, ignoriert, was zu wachsender Frustration und Wut in den Bevölkerungsgruppen führte, die zurückgelassen und verraten worden waren.
Die neoliberalen Propagandisten machten die Anderen – Muslime, Schwarzarbeiter, Afroamerikaner, Schwule, Feministinnen, Liberale, Intellektuelle und natürlich die Regierung – für die Abwärtsspirale verantwortlich. Politiker im Dienste der Konzerne und Oligarchen erzählten den enteigneten weißen Arbeitern, dass ihr Leid auf den Aufstieg der erwähnten Randgruppen und den kulturellen Angriff auf ihre nationale Identität und Werte zurückzuführen wäre und nicht auf die Plünderung durch Großkonzerne. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Lüge zu ausländerfeindlichen, rassistischen Hasstiraden, die heute den politischen Diskurs in Amerika dominieren, sowie zum Aufstieg schwachsinniger und gefährlicher Demagogen wie Donald Trump führen würde.
„Es stellte sich heraus, dass jede Stärke der Globalisierung in ihr Gegenteil verkehrt wurde”, schreibt Saul in „The Collapse of Globalization and the Reinvention of the World”. Die Vorstellung eines globalen Wirtschaftssystems bewirkte mysteriöserweise, dass lokale Armut normal erschien. „Die Senkung der Niederlassungsanforderungen für Konzerne verkam zu einem Instrument für massive Steuerhinterziehung. Der Niedergang der Mittelklasse – der Basis der Demokratie schlechthin – erschien als etwas, was eben vorkommt, bedauerlich, aber unvermeidlich. Die Tatsache, dass die Arbeiterklasse und die untere Mittelklasse, ja sogar Teile der Mittelklasse, nur mit mehreren Jobs pro Person überleben konnten, erschien als die erwartbare Strafe für deren Unfähigkeit, Schritt zu halten.
Der Kontrast zwischen den unerhörten Boni für irgendwelche Manager ganz oben und den Familien mit vier Jobs unter ihnen wirkte unvermeidlich in einer globalisierten Welt. Zwei Jahrzehnte lang bestanden die Eliten darauf, dass die untragbaren Schulden der Dritten Welt nicht als eine Art schlechte Schulden umgeschichtet werden konnten, ohne die Grundprinzipien und moralischen Verpflichtungen der Globalisierung zu verraten, wozu auch die feste Einhaltung internationaler Verträge gehörte. Die gleichen Leute brauchten nur zwei Wochen, um im Jahr 2009 diese Vertragstreue abzuschaffen und die Einrichtung von Bad Banks für ihre eigenen, weitaus höheren Schulden vorzuschlagen.”
Die Oligarchen verbergen ihre Grausamkeit und Gier hinter inhaltsleerem Moralismus. Sie spielen sich als Verfechter von Frauenrechten, Vielfalt und Inklusion auf, solange Frauen und Menschen mit anderer Hautfarbe dem neoliberalen Projekt der Konzerne dienen. Ein Beispiel dieses Moralismus konnte man bewundern, als Ari Shapiro den Mitbegründer und Präsidenten von Lyft, John Zimmer, sowie die frühere Beamtin der Obama-Administration und Vorstandsmitglied des Unternehmens, Valerie Jarrett, über Vielfalt und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz interviewte. Shapiro fragte nach den kostenlosen Fahrten, die Lyft den Teilnehmern von Märschen gegen Waffengewalt anbot, und nach Spenden an die American Civil Liberties Union (ACLU).
„Wir dienen unseren Fahrern, wir dienen unseren Passagieren, und wir dienen den Angestellten, die für uns arbeiten“, sagte Zimmer in dem Interview. „Und wenn es gegen Waffengewalt geht, wenn es um Gleichberechtigung geht, werden wir dafür kämpfen.“
Wie ich letzte Woche in meiner Kolumne geschrieben habe, ist die amerikanische „Gig Economy” eine neue Form der Leibeigenschaft. Konzerne wie Lyft setzen auf Lobbyisten und Wahlkampfspenden, um sich der Regulierung zu entledigen. Sie zwingen schlecht bezahlte Leiharbeiter, die keine Sozialleitungen erhalten, in einer Abwärtsspirale 16 Stunden am Tag zu arbeiten. Dieses neoliberale Wirtschaftsmodell zerstört den regulären Taxi- und Lieferservice und treibt Fahrer, die einst einen vernünftigen Verdienst hatten, in die Armut, Insolvenz, Zwangsvollstreckung, Zwangsräumung und manchmal in den Selbstmord.
Diese Konzerne kämpfen gegen Ungleichheit wegen des Geschlechts, der Rasse oder der Sexualität statt gegen wirtschaftliche Ungleichheit. Sie beklagen Amokläufe statt exzessive Polizeigewalt und massenhafte Verhaftungen und vertuschen damit ihre eigene Mitverantwortung am gesellschaftlichen Zerfall. Ihre leeren Moralphrasen und falschen Vergleiche sind eine Neuauflage des PR-Spektakels, das John Rockefeller, dessen Privatvermögen 1913 auf 900 Millionen Dollar geschätzt wurde (heute wären das 189,6 Milliarden), veranstaltete, wenn er neue glänzende Dimes an Fremde verteilte.
Der Neoliberalismus läutet die Rückkehr zu den schlimmsten Tagen des ungezügelten Kapitalismus nach der industriellen Revolution ein, als den Arbeitern existenzsichernde Löhne und ordentliche, sichere Arbeitsbedingungen verweigert wurden. Die Oligarchen haben sich nicht geändert. Es geht ihnen nur um sich selbst. Sie sehen den Staat nicht als eine Institution, die die Rechte und Bedürfnisse der Bürger unterstützen und verteidigen soll. Sie sehen ihn als ein Hindernis auf dem Weg zu uneingeschränkter Ausbeutung und Profit. Menschen sind für die Oligarchen Rohstoffe. Sie werden zur Steigerung des Reichtums benutzt und dann entsorgt.
Die Oligarchen schlagen keine Programme wie das bedingungslose Grundeinkommen vor, ohne davon selbst profitieren zu wollen. So ticken sie. Lassen Sie sich vom Grinsen und den schmierigen Versprechen dieser menschlichen Kopien der Grinse-Katze nicht in die Irre führen. Ihr Ziel ist es, Verwirrung zu stiften, während sie die Ausbeutung vorantreiben.
„Alice fragte die Grinse-Katze, die auf einem Baum saß: ‚Welchen Weg soll ich nehmen?‘“, schrieb Lewis Carroll.
„Die Katze antwortete: ‚Wo willst du denn hin?‘
‚Ich weiß nicht‘, antwortete Alice.
‚Nun‘, sagte die Katze. „Dann ist es doch egal, oder?‘“
Je länger uns die Eliten mit ihren ideologischen Kniffen und inhaltsleeren Moralpredigten unwissend halten, je länger wir uns der Mobilisierung gegen ihren Machtanspruch verweigern, desto schlimmer wird es ausgehen.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Oligarchs Guaranteed Income Scam". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.