Der Narzissmus der Linken

Schlammschlachten und Überheblichkeit prägen das Bild der selbsternannten Weltverbesserer. Exklusivabdruck aus „Rechts gewinnt, weil Links versagt“.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man ein positives Gefühl zu sich selbst hat. Wenn man Selbstvertrauen an den Tag legt und sich selbst gut leiden kann. Ganz im Gegenteil, so ein Selbstbezug erleichtert einem das Dasein ungemein. Für Masochisten scheint die Sonne hingegen deutlich weniger. Problematisch wird es, wenn man sich selbst anhimmelt. Wenn die Selbstbewunderung dazu führt, Dinge aus reiner Eitelkeit zu betreiben.

Zwar stellt der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm vielleicht ganz richtig fest, dass »die Liebe zu anderen und die Liebe zu uns selbst […] keine Alternativen [darstellten]« (1), sondern gegenteilig: So »wird man bei allen, die fähig sind, andere zu lieben, beobachten können, dass sie auch sich selbst lieben«. Doch das Problem beim Narzissten ist, dass er ja eben nicht zuerst die anderen respektiert, um sich seinen Selbstrespekt zu zollen. Letzteren sichert er sich über den Umweg mangelnden Respekts anderen gegenüber. Während Fromm, romantisch wie eh und je, davon ausging, dass der Bezug zu anderen und der zu sich selbst über dem Strich einer Addition steht, hat der Narzisst gemeinhin den Strich zwischen sich und den anderen gezogen und damit deutlich gemacht:

Unterm Strich zähl’ ich.

Narzissmus kann natürlich viele Gesichter haben. Ein jedes von ihnen gefällt sich natürlich selbstverliebt im Spiegelbild. Es gibt den klassischen Narzissmus, den man heute noch in jeder Straßenbahn erblicken kann. Gefallsüchtige junge Leute, eitel bis zum Anschlag, dauerhaft mit sich beschäftigt. Sie danken innerlich jeden Tag dem höheren Wesen, das uns das Mobiltelefon und dessen Funktion der Selfie-Fotographie geschenkt hat. Denn so ein mobiles Telefon kann man ganz pragmatisch als portablen Spiegel benutzen. Natürlich vergisst man bei diesem Dankgebet niemals, dass dieses höhere Wesen nicht ansatzweise so hübsch ist, wie man sich selbst wähnt. Selbstvergessen darf man bei gut organisierter Selbstliebe nicht sein: Das könnte den so mühsam aufgebitchten Selbstwert in eine Talsohle abgleiten lassen.

Dann gibt es etwas, was man als Wissensnarzissmus titulieren könnte, ausgelebt von Personen, die sich selbstverliebt im Antlitz ihres Wissens sonnen. Manchmal ist es nur Partikularwissen, irgendeiner, der zum Beispiel alle Bundesligaergebnisse seit 1963 kennt und sich ob dieses Wissens selbst so sehr bewundert, dass er sich dabei vergisst und gar nicht mehr bemerkt, dass er eigentlich ein Freak ist. Und dann gibt es da noch diejenigen, die tatsächlich etwas wissen – oder die nur meinen, Allwissen getankt zu haben. Letztere sind eine schwierige Klientel.

Auf eine gute Allgemeinbildung und alles, was darüber hinausgeht, kann man sicherlich stolz sein. Wenn man diese Grundlage aber dazu verwendet, um auf alle anderen herabzublicken, wird es unangenehm. Es ist eigentlich tragisch, dass man als inkarnierte Enzyklopädie, vollgepackt mit gesammeltem Wissen, immer noch die vermeintlich bildungsfernen Schichten benötigt, auf die man verächtlich blicken kann, um sich selbst erst geadelt zu wissen.

Eine besondere Spielart des Narzissmus findet man erstaunlich häufig unter den linken Linken. Sie sind ja an sich nicht eitel, wenn es um Klamotten oder Schminke geht. Solchen Firlefanz klassifizieren sie ja als Ausdruck des kapitalistischen Verwertungsprozesses. Wer sich aufhübscht, der betreibt Wettbewerb und will sich innerhalb des Systems durchsetzen. Anders gesagt, wer Markenjeans trägt und Lidschatten aufträgt, der stellt nicht die Systemfrage. Diese Einschätzung besticht in Facetten tatsächlich. Ganz von der Hand zu weisen sind nämlich viele Theorien aus diesem politischen Spektrum nicht. Die Frage ist nur, ob Leute wie Jürgen mit einem solchen theoretischen Ansatz etwas anfangen können oder nicht.

Aber zurück zum Thema. Die sinnliche Wahrnehmung ist es jedenfalls nicht, die in diesem Lager von narzisstischer Bedeutung ist. Womit man sich in die Selbstbewunderung stürzt, ist ein idealistischer Ansatz: Man will ein guter, weil gescheiter Mensch sein. Die Moral ist hier nicht nur Steckenpferd, es ist exklusive Gesellschaft. Über die Moral grenzt man sich zu anderen ab und schönt das eigene Dasein. Moralische Hässlichkeit den anderen, dem System, den unbedarften Bürgerinnen und Bürgern zu unterstellen – ob berechtigt oder nicht, ob aus Anlass oder unvermittelt –, damit erhebt man sich tagtäglich in den Rang eines moralisch einwandfreien Menschen.

Wo Moral am besten funktioniert, das ist die Geschichte. Denn das Vergangene kennt man. Wenn man geistig an irgendeinen Punkt in der Vergangenheit zurückkehrt, kennt man von dort aus schon das, was bald geschehen wird. Wer die Zukunft aber kennt, der kann sich mit Kalkül richtig verhalten. Das ist ja gerade die Grundlage dessen, was wir heute Informationsgesellschaft nennen. Wer Informationen hat, der hat Machtpotenzial. Ist man informiert, kann man sich auf etwaige Entwicklungen einstellen. Die »Gnade der späten Geburt« nannte das mal ein beleibter Bundeskanzler. Weniger dick aufgetragen könnte man festhalten: In die Zukunft blicken – das geht nicht und wird uns wohl, glaubt man zeitgenössischen Physikern, auch nie gelingen.

Spätestens hier sind wir beim Antifaschismus angelangt, besser gesagt, bei den Antifaschisten, die wir im letzten Kapitel schon in aller gebotenen Kürze kennengelernt haben. Gedacht war der Antifaschismus ja stets als ein Memento mori, als Gedenken an den millionenfachen Mord an Juden, Sinti und Roma, Schwulen und Kommunisten. Als etwas, das sich nicht wiederholen dürfe. Auschwitz sollte nie wieder geschehen. Das war die Grundlage.

Der Antifaschismus der linken Linken aber beinhaltet oft ganz andere Schwerpunkte. Er will nicht warnen und mahnen – er will diskreditieren. Ein falsches Wort und man wird ohne viel Federlesens in die Riege vergangener Mörder eingereiht. Hier wird Moral nicht als ethischer Imperativ verstanden, sondern als Waffe missbraucht. Man missbraucht Auschwitz viel zu häufig als »jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung« (2) und instrumentalisiert so die Shoa und befleckt damit das Andenken der Opfer jener braunen Jahre. Man tut eigentlich tragischerweise genau das, was der Antifaschismus seinem Wesen nach ausschließen will.

Nehmen wir zum Beispiel mal die immer wieder aus dem linken Lager kommende Kritik an Oskar Lafontaine. Die hat da schon eine kleine Tradition. Als er vor Jahren, es war der Juni 2005, mal von Fremdarbeitern sprach, die aufgrund der Osterweiterung der Europäischen Union nach Deutschland kämen, erntete er natürlich breit gefächerte Empörung. Damals war der Shitstorm noch nicht erfunden, Facebook war ein noch unentdecktes Land und von Twitter zwitscherte noch gar keiner – und so blieb ihm ein Spießrutenlauf mit Hashtag-Psychose erspart.

Rechts der Mitte, im Zentrum selbst und selbstverständlich links der Linken musste er sich für dieses Wort ohrfeigen lassen. Fremdarbeiter habe es nämlich bei den Nationalsozialisten gegeben.

Als Begriff, aber natürlich auch ganz konkret als traurige und ausgebeutete Wirklichkeit. Daran ist natürlich nicht zu rütteln – so weit, so treffend die terminologische Analyse. Aus dem ehemaligen Sozialdemokraten einen Rechtspopulisten zu destillieren, ihm geistige Nähe zur NPD und ihn letztlich der mentalen Brandstifterei zu bezichtigen: Das ist so dumm wie geschichtsvergessen.

Die Fremdarbeiter, die die Nazis ins Land holten, waren Sklaven. Sie hatten keine Rechte. Ihren gesundheitlichen Verfall durch Arbeit nahm man als nicht mal sehr bedauerlichen Nebeneffekt in Kauf. Da ging es ihnen tatsächlich noch etwas besser als den Menschen in den Konzentrationslagern, die ganz gezielt durch Arbeit vernichtet wurden.

Lafontaine benutzte dieses Wort dummerweise auch. Aber nichts von dem, was man sich in Hitler-Deutschland unter diesem Label vorstellte, war Bestandteil dessen, was er im Rahmen seines Gedankenanstoßes ansprechen wollte. Ihm ging es um das Lohndumping der Arbeitgeber, um billige Arbeitskraft, die man ins Land hole und um den Fürsorgeauftrag des Staates. Und zwar sowohl gegenüber der eigenen Bevölkerung als auch gegenüber den Menschen, die ins Land geholt werden. Im Nachgang betonte er nochmals explizit, dass er mit dem Begriff etwas ganz Bestimmtes betonen wollte. Er »habe Hemmungen gehabt, Menschen, die in Container gepfercht werden und zu Hungerlöhnen arbeiten, als Gastarbeiter zu bezeichnen«, erklärte er auf dem Bundesparteitag der WASG einige Wochen nach seiner erstmaligen Erwähnung der Fremdarbeiter.

Das hinderte die Trotzkisten von der Sozialistischen Alternative (SAV) allerdings nicht, noch fünf Tage nach dieser Konkretisierung zu behaupten, dass seine Aussage »dieselbe Wirkung wie die ausländerfeindlichen Parolen der Neofaschisten« (3) erzeuge. Sie lenke nämlich davon ab, »den wahren Verantwortlichen für Massenarbeitslosigkeit und Niedriglöhne« zu benennen. Zwar bemühte sich die SAV weiter im Text redlich, Lafontaine nicht völlig in die rechte Ecke zu stellen. Richtig gelingen konnte das aber nicht mehr, nachdem man ihn und die Parolen der Rechten sozusagen inhaltlich einer Gleichschaltung zugeführt hatte. Uh, Gleichschaltung – ich befürchte, das ist keine sonderlich gute Wortwahl an dieser Stelle.

Im Nachhinein konnte man übrigens feststellen: Der Mann hatte den richtigen Riecher. Polnische Baufirmen, meist nicht mehr als Ich-AGs mit befreundeten Gehilfen als Angestellten, wurden auf dem Bau ausgebeutet und nebenher senkte sich sowohl das Lohnniveau als auch die Auftragslage bei der deutschen beziehungsweise bei der ansässigen (was hier lebende Ausländer meint) Konkurrenz. Gute Arbeit leisteten diese fleißigen Handwerker aus Osteuropa in der Mehrzahl aber trotzdem.

Den linken Linken war die exegetische Haarspalterei aber viel wichtiger. Da ging es nämlich um geradezu faustische Grundsätzlichkeiten. Und nicht um ökonomische Grundprinzipien, nicht um das tägliche Ringen der Arbeiter und Angestellten da draußen. Nicht um den Jürgen und seine Sorgen etwa. Sie betrieben das Geschäft, das auch die konservativen Medien gepflegt hatten, noch ein ganzes Weilchen weiter.

Von FAZ bis Bildzeitung hatte sich nämlich eine große Sorge manifestiert:

Es könnte sich eine Linkspartei anbahnen, die ins neoliberale Eiapopeia vordringt, um die schöne Party zu sprengen.

Laut Umfragen bekannter Meinungsinstitute konnten sich in jenen Tagen bis zu 20 Prozent der Wahlberechtigten vorstellen, einer Linkspartei ihr Vertrauen auszusprechen.

Jeder Strohhalm, der sich bot, um eine solche Alternative zu diskreditieren, musste daher ergriffen werden. Und als der Fremdarbeiter begrifflich über Lafontaines Lippen kroch, strampelten sich die Leitmedien noch immer wie wild im neoliberalen Reformwahn ab. Im Modus leichter Untermalungsmusik zur neoliberalen Neuausrichtung der Gesellschaft unterließen sie kritische Töne und wiederholten beharrlich, wie wichtig und richtig die Agenda 2010 und der Sparhaushalt für uns alle sei.

Wenn da einer wie Lafontaine redet, drohend mit einer Linksalternative, dann könnte das alles bald versanden. Die Wortwahl Lafontaines bot Angriffsfläche, so konnte man ihn unglaubwürdig machen. Nach einigen Tagen ließ man aber trotzdem ab, vor dem Dorf lauerte schon die nächste Sau und Lafontaine war schon ausreichend in die Ecke eines rassistischen Hetzers gestellt worden. Neben ihm ließ man den Reformkanzler Schröder oder aber seine damalige Alternative, die Alternativlose aus der Uckermark, als Ausbund antifaschistischer Lebensausrichtung aussehen.

Ganz links aber hatte man noch lange damit zu tun. Vier Jahre später kam Lafontaine nach Frankfurt. Mittlerweile war er der Parteivorsitzende dieser Linkspartei, vor der sich die Neokonservativen so arg fürchteten, die sie aber mit Kampagnenjournalismus halbwegs kontrollierbar hielten. Die Antifa Frankfurt ist wie ein Elefant. Sie vergisst nicht. Sie kann sich auch wie ein Rüsseltier nicht vorstellen, dass Menschen sich ändern, sich kritisch zu dem einst mal Gesagten positionieren oder das Geäußerte nochmal konkretisiert haben.

Und so bewarfen sie den Mann in einem Anflug von erwachsenem Benehmen bei einer Großveranstaltung mit den Gewerkschaften mit Eiern und behaupteten danach selbstsicher, dass dies »die richtige Antwort« auf seine »Hetze gegen Fremdarbeiter« gewesen sei (4).

Die Sprecherin der Linksradikalen, eine gewisse Sahra Brechtel, bezichtigte ihn außerdem eines »menschenverachtenden Standortnationalismus«, der auf Lafontaines politischem Verständnis gründe, das als »schlichtweg nationalistisch und rassistisch« zu bewerten sei. Schlichtweg – das ist so ein Wort, das häufig dann ausgewählt wird, wenn man wenig Argumentatives zur Untermauerung hat. Schlichtweg einfach macht man es sich da. Zwischen Lafontaine und Roland Koch, der gerne mit falschen Zahlen zur Ausländerkriminalität in Wahlkämpfe zog, läge der Unterschied »vor allem in der Verpackung«, verkündigte Frau Brechtel weiter.

Die Frankfurter Antifa war natürlich für eine linke Bewegung. Das wiederholen diverse Antifas übrigens immer wieder gerne. Verwunderlich ist es daher, dass die Antifas ständig die Nase rümpfen, wenn linksliberale Bündnisse entstehen. Warum das so ist, beantwortete Frau Brechtel im Rahmen der Anti-Lafontaine-Aktion gleich mal mit: »Denn natürlich muss eine linke Bewegung möglichst breit und meinetwegen auch bunt sein, die erste Voraussetzung ist aber, dass sie wenigstens links ist.«

Ah ja! Was links ist, das entscheiden die linken Linken. Das ist ihr Metier. Man postuliert den Pluralismus und die bunte Republik, aber wenn jemand, der vermeintlich in den eigenen Reihen steht, etwas sagt, was einem von den Begrifflichkeiten nicht so doll gefällt, dann haut man aber auf den Putz. Was bunt ist, das bestimmen die Schwarzkapuzen ganz alleine.

Das muss sich damals, als man dem Lafontaine das Linkssein aberkannt hat, richtig kuschelig angefühlt haben. Denn das war einer dieser Augenblicke, wo sich der Narzissmus als Gruppendynamik Bahn brach. Da war wieder mal definiert, wer die Guten sind und wer nur so tut als ob.

Der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz arbeitete vor einigen Jahren heraus (5), dass wir uns in einem recht fruchtbaren Zeitalter für Narzissten befinden. Die westliche Medien- und Konsumwelt fördere solche Charaktere vorzugsweise. Der Kern einer narzisstischen Persönlichkeit entstehe allerdings in den familiären Strukturen, also in der frühen Interaktion mit den Eltern.

Wenn also unter den linken Hipstern unzählige aus Haushalten stammen, in denen Übereltern den Spross insofern förderten, ihn zum Nabel der Welt für sie und ihr Umfeld zu küren, dann kitzelt man den kleinen Narziss an den Sohlen. An der Stelle mag manchem der eine oder andere studentische Radikalo einfallen oder einer dieser der Antifa nahestehenden AstA-Kollegen, denen Papa ein Studium finanziert.

Dass diese Gesellen sich so häufig als bessermenschelnde Narzissten aufführen, darf man nach dieser Lesart also bitte nicht mit einem Zufall verwechseln. Hier haben wir es vielmehr mit einer ganz logischen Folge dieses Umstandes zu tun.


Rechts gewinnt, weil Links versagt


Quellen und Anmerkungen:

(1) Fromm, Erich, Die Kunst des Liebens, New York, 1956
(2) Martin Walser in seiner Rede in der Paulskirche anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998.
(3) https://www.sozialismus.info/2005/07/11327/
(4) http://www.antifa-frankfurt.org/Nachrichten/eier_auf_lafontaine.html
(5) Maaz, Hans-Joachim, Die narzisstische Gesellschaft, München, 2012