Der nahöstliche Spielball

Israel — und nicht die „Befreier“ — wird über Syriens Schicksal entscheiden.

Nach der überstürzten Ausreise von Diktator Baschar al-Assad aus Syrien und der Übernahme großer Teile des Landes durch örtliche umbenannte Kräfte von al-Qaida erschien eine Flut von Artikeln zum Thema „Wie geht es mit Syrien weiter?“. Die Zukunft Syriens unter dem al-Qaida-Ableger HTS wird es nur in zwei Varianten geben, schreibt Jonathan Cook. Und beide haben mit Israel zu tun. Entweder Unterwerfung und Kollaboration wie im Westjordanland oder Zerstörung wie in Gaza.

Westliche Regierungen und Medien haben schnell den Erfolg des Hayat Tahrir al-Sham (HTS) gefeiert, obwohl diese Gruppe in den USA, Großbritannien und weiten Teilen Europas als Terrororganisation bezeichnet wird.

Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit Al-Qaida und dem Islamischen Staat (ISIS) sowie der Durchführung einer Reihe brutaler Attentate auf Zivilisten setzten die USA 2013 sogar ein Kopfgeld von 10 Millionen Pfund auf den Führer des HTS, Abu Muhammad Al-Dschaulani, aus.

Am Freitag (der Text erschien ursprünglich am 19. Dezember 2024, daher ist davon auszugehen, dass der 13. Dezember  gemeint ist; Anmerkung der Übersetzerin) hoben (Link am 03. März 2025 nicht mehr abrufbar) die USA das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld auf, nachdem sich Barbara Leaf, stellvertretende Außenministerin für den Nahen Osten, mit Al-Dschaulani in Damaskus getroffen hatte.

Einst hätte er wohl damit gerechnet, in einem orangefarbenen Overall im berüchtigten, geheimen Haft- und Folterlager der US-Amerikaner in Guantanamo Bay zu landen. Nun positioniert er sich, offenbar mit dem Segen Washingtons, als Thronanwärter Syriens.

Überraschender Weise beeilt sich der Westen, sowohl den HTS als auch Al-Dschaulani zu rehabilitieren, bevor diese sich in ihrer neuen Rolle an der Spitze Syriens bewähren können. Sowohl die USA als auch das Vereinigte Königreich bemühen sich um eine Aufhebung des Status des HTS als verbotene Organisation.

Um die außergewöhnliche Schnelligkeit dieser Absolution ins rechte Licht zu rücken, erinnern wir uns daran, dass Nelson Mandela, der international dafür gefeiert wurde, Südafrika von der Apartheidherrschaft zu befreien, erst 2008 von der Washingtoner Terroristenbeobachtungsliste gelöscht wurde — 18 Jahre nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis.

In ähnlicher Weise unterstützen die westlichen Medien Al-Dschaulani dabei, sich das neue Image eines angehenden Staatsmannes zu geben, indem sie seine früheren Gräueltaten vertuschen und statt seines Kampfnamens nun seinen Geburtsnamen Ahmed Al-Sharaa verwenden.

Den Druck erhöhen

Erzählungen von Inhaftierten, die aus Assads Kerkern befreit wurden, und von Familien, die feiernd auf die Straßen strömten, haben dazu beigetragen, eine zuversichtliche Berichterstattung zu verbreiten und eine wahrscheinlichere, düstere Zukunft für das neuerdings „befreite“ Syrien zu verschleiern, während die USA, das Vereinigte Königreich, Israel, die Türkei und die Golfstaaten um ein Stück des Kuchens wetteifern.

Syriens Schicksal als dauerhafter „failed state“ scheint besiegelt.

Israels Bombenangriffe, die in ganz Syrien Hunderte kritischer Infrastruktureinrichtungen zerstört haben, zielen auf genau dieses Ergebnis ab.

Schon nach wenigen Tagen brüstete sich das israelische Militär damit, 80 Prozent der syrischen Militäreinrichtungen zerstört zu haben. Seitdem wurden weitere vernichtet.

Am Montag (gemeint ist wohl der 16. Dezember, siehe oben; Anmerkung der Übersetzerin) führte Israel 16 Angriffe auf Tartus durch, einen strategisch wichtigen Hafen, an dem eine russische Flotte stationiert ist. Die Explosionen waren so stark, dass sie einen Wert von 3,5 auf der Richterskala erreichten.

Während Assads Herrschaft begründete Israel seine Angriffe gegen Syrien — die es mit den russischen Streitkräften, die Damaskus unterstützten, koordinierte — vor allem damit, sie seien notwendig, um Waffenlieferungen auf dem Landweg vom Iran zu dessen libanesischer Verbündeten Hisbollah zu verhindern. Derzeit ist dies jedoch nicht das Ziel. Die sunnitischen Kämpfer des HTS haben geschworen, Iran und die Hisbollah — die schiitische „Achse des Widerstands“ gegen Israel — aus syrischem Territorium fernzuhalten.

Stattdessen zieht Israel es nun vor, Syriens bereits angeschlagenes Militär — seine Flugzeuge, Marineschiffe, Radaranlagen, Flakbatterien und Raketenbestände — anzugreifen und damit das Land aller offensiven oder defensiven Fähigkeiten zu berauben.

Jede Hoffnung darauf, dass Syrien auch nur einen Anschein von Souveränität wahren kann, zerbröckelt vor unseren Augen.

Zu den jahrelangen Bemühungen des Westens, Syriens Integrität und Wirtschaft zu untergraben, kommen nun diese neuesten Angriffe. Das US-Militär kontrolliert Syriens Weizenanbau- und Ölgebiete und plündert mithilfe einer kurdischen Minderheit diese wesentlichen Rohstoffe.

Allgemeiner gesagt, hat der Westen Strafsanktionen gegen Syriens Wirtschaft verhängt. Genau dieser Druck hat Assads Regierung ausgehöhlt und zu ihrem Zusammenbruch geführt. Und nun übt Israel noch mehr Druck aus, um sicherzustellen, dass jeder Nachfolger einer noch schwierigeren Aufgabe gegenübersteht.

Landkarten eines Syriens nach Assads sind, wie bereits jene in der letzten Zeit seiner angeschlagenen Präsidentschaft, ein buntes Flickwerk mit der Türkei und ihren örtlichen Verbündeten, die Gebiete im Norden erobern, Kurden, die sich im Osten festklammern, US-Streitkräften im Süden und dem israelischen Militär, das vom Westen her vordringt.

Für die Beantwortung der Frage, wie es weitergeht, ist dies der richtige Kontext.

Zwei mögliche Schicksale

Syrien ist nun der Spielball eines Komplexes vage aufeinander abgestimmter staatlicher Interessen. Niemand hat dabei Syriens Belange als starker, geeinter Staat als Ziel.

Unter diesen Umständen wird die Priorität Israels darin bestehen, sektiererische Spaltungen zu fördern und die Entstehung einer zentralen Autorität zu verhindern, die Assad nachfolgen könnte.

Dies ist seit Jahrzehnten Israels Plan, der das Denken der herrschenden außenpolitischen Elite in Washington seit dem Aufstieg der sogenannten Neokonservativen unter Präsident George W. Bush in den frühen 2000er Jahren geprägt hat. Das Ziel ist eine Balkanisierung jedes Staates im Nahen Osten, der sich weigert, sich der israelischen und der US-Hegemonie zu unterwerfen.

Israel ist nur wichtig, dass Syrien durch interne Fehden und Machtspiele zerrissen wird. Seit 2013 betreibt Israel ein geheimes Programm zur Bewaffnung und Finanzierung von mindestens zwölf verschiedenen Rebellengruppen, wie aus einem Artikel im Foreign Policy-Magazin von 2018 hervorgeht.

In dieser Hinsicht folgt Syrien dem Schicksal Palästinas.

Es mag eine Wahl geben, diese wird sich jedoch auf zwei Varianten beschränken: Syrien kann zum Westjordanland werden oder zu Gaza.

Bis jetzt weist alles darauf hin, dass Israel die Gaza-Variante anstrebt. Washington und Europa scheinen die Westjordanland-Option zu bevorzugen, weswegen sie ich auf die Rehabilitation des HTS konzentriert haben.

Im Gaza-Szenario schlägt Israel weiter auf Syrien ein und entzieht der umbenannten Al-Qaida-Fraktion oder jeder anderen Gruppe die Fähigkeit, das Land zu regieren. Es herrschen Instabilität und Chaos.

Nach der Zerstörung von Assads Vermächtnis einer säkularen Herrschaft herrschen bittere sektiererische Rivalitäten, die Syrien dauerhaft in einzelne Regionen zerteilen. Sich befehdende Kriegsherren, Milizen und kriminelle Familien kämpfen gegeneinander um die lokale Vorherrschaft.

Sie richten ihre Aufmerksamkeit nach innen, zur Stärkung ihrer Herrschaft gegenüber ihren Rivalen, und nicht nach außen gegen Israel.

„Zurück in die Steinzeit“

In der Weltsicht Israels und der Neocons wäre dieses Ergebnis für Syrien nichts Neues. Es stützt sich auf Lehren, die Israel sowohl in Gaza als auch im Libanon glaubt, gelernt zu haben.

Lange bevor sie sich in der Lage dazu befanden, dieses Ziel mit dem derzeitigen Völkermord dort zu verwirklichen, sprachen israelische Generäle davon, Gaza „in die Steinzeit“ zurück zu versetzen. Dieselben Generäle testeten ihre Ideen zunächst in begrenzterem Umfang im Libanon, als sie die Infrastruktur des Lands im Rahmen der „Dahiya“-Doktrin zerstörten.

Israel war der Überzeugung, von solchen wahllosen Zerstörungsaktionen doppelt zu profitieren. Die immense Zerstörung zwang die örtliche Bevölkerung, sich auf das bloße Überleben zu konzentrieren, anstatt den Widerstand zu organisieren. Und längerfristig gesehen würde die betroffene Bevölkerung angesichts der Schwere der Bestrafung einsehen, dass sie zukünftig jeden Widerstand gegen Israel um jeden Preis vermeiden sollte.

Im Jahr 2007, vier Jahre vor Ausbruch des Aufstandes in Syrien, beschrieb Caroline Glick, Kolumnistin der Jerusalem Post und führendes Sprachrohr der Neocon-Agenda, Syriens baldiges Schicksal.

Sie erklärte, dass jegliche zentrale Autorität in Damaskus zerstört werden müsse. Die Begründung: „Zentralisierte Regierungen in der gesamten arabischen Welt sind die Hauptverursacher des arabischen Hasses auf Israel.“ Sie fügte hinzu:

„Wie gut könnte sich Syrien gegen die IDF, das israelische Militär, behaupten, wenn es gleichzeitig versuchen würde, einen Volksaufstand niederzuschlagen?“

Oder, besser noch: Syrien könnte in einen weiteren gescheiterten Staat verwandelt werden — wie Libyen nach dem Sturz und der Ermordung Muammar Gaddafis in 2003 mithilfe der NATO. Seitdem wird Libyen von Warlords regiert.

Auffallend ist, dass sowohl Syrien als auch Libyen neben dem Irak, Somalia, dem Sudan, dem Libanon und dem Iran auf einer Abschussliste standen, die israelnahe US-Beamte in Washington unmittelbar nach 9/11 erstellten.

Außer dem Iran sind alle nun gescheiterte oder scheiternde Staaten.

Sicherheitsdienst

Syrien als größere Version des Westjordanlandes wäre das andere mögliche Ergebnis.

In diesem Szenario würde es dem HTS und Al-Dschaulani gelingen, die USA und Europa davon zu überzeugen, sie seien so gefügig und bereit, alles zu tun, was man ihnen sagt, dass Israel von ihnen nichts zu befürchten habe.

Ihre Herrschaft würde entsprechend der des Mahmoud Abbas, dem Führer der äußerst unbeliebten Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, gestaltet werden. Seine Befugnisse sind kaum weitreichender als die eines Gemeindevorstehers, der die Schulaufsicht und die Müllabfuhr unter sich hat.

Seine Sicherheitskräfte sind leicht bewaffnet — praktisch eine Polizei — und werden für die interne Unterdrückung eingesetzt; Israels illegale Besatzung anzufechten, sind sie nicht in der Lage. Abbas hat seinen Einsatz für Israel, die Palästinenser daran zu hindern, sich gegen ihre jahrzehntelange Unterdrückung zu wehren, als „heilig“ bezeichnet.

Die aktive Komplizenschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde wurde am Wochenende wieder offenbar, als ihre Sicherheitskräfte einen von Israel gesuchten Widerstandsführer in Jenin ermordeten.

Ähnlich könnte auch Al-Dschaulani als Sicherheitsdienst aufgebaut werden. Vor allem Dank Israel verfügt Syrien nun weder über eine Armee noch über eine Marine oder Luftwaffe, sondern nur über leicht bewaffnete Gruppen wie den HTS, andere Rebellenmilizen wie die fälschlicherweise Syrische Nationale Armee genannte und kurdische Gruppierungen.

Unter der Obhut der CIA und der Türkei könnte der HTS gestärkt werden, allerdings nur so weit, wie es zur Unterdrückung von Dissens in Syrien erforderlich ist.

Der HTS hätte Befugnisse, wenn auch nur bedingte. Sein Überleben würde davon abhängen, Israel den Rücken freizuhalten — sowohl durch Einschüchterung anderer syrischer Gruppierungen, die androhen, Israel zu bekämpfen, als auch dadurch, andere lokale Widerstandsgruppen gegen Israel wie den Iran oder die Hisbollah fernzuhalten.

Und wie bei Abbas wäre Al-Dschaulanis Herrschaft in Syrien örtlich begrenzt.

Der Palästinenserführer hat damit zu kämpfen, dass große Teile des Westjordanlandes zu jüdischen Siedlungen unter israelischer Herrschaft wurden und dass er keinen Zugang zu wichtigen Ressourcen wie Grundwasserspeichern, Landwirtschaftsflächen und Steinbrüchen hat.

Auch hätte der HTS weder Zugang zu kurdischen Gebieten, die von der Türkei und den USA kontrolliert werden und in denen sich ein Großteil der Ölvorkommen des Landes befindet, noch zu einem großen Gebiet im Südwesten Syriens, in das Israel in den vergangenen zwei Wochen einmarschiert ist.

Es wird weithin angenommen, dass Israel diese syrischen Gebiete annektieren wird, um seine illegale Besetzung der Golanhöhen, die es Syrien 1967 entwendet hat, auszuweiten.

„Liebe“ zu Israel

Al-Dschaulani versteht nur zu gut, welche Optionen ihm offen stehen. Wenig überraschend scheint er viel lieber ein syrischer Abbas zu werden als ein syrischer Hamasführer Yahya Sinwar, der im Oktober von Israel ermordet wurde.

Angesichts seines sauberen militärischen Imagewechsels könnte Al-Dschaulani sich ausmalen, dass er sich eines Tages zum syrischen Äquivalent des von den USA unterstützten Führers der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, aufschwingen könnte.

Selenskyjs Rolle bestand jedoch darin, für die NATO einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen. Israel würde nie zulassen, dass der Führer eines Landes an seiner Grenze mit derartiger militärischer Macht ausgestattet wird.

Al-Dschaulanis Kommandanten beeilten sich zu erklären, sie hätten keinen Streit mit Israel und wollten keine Feindseligkeiten mit ihm provozieren.

In den berauschenden ersten Tagen der Herrschaft des HTS bedankten sich deren Führer bei Israel für die Unterstützung bei der Eroberung Syriens durch die Neutralisierung des Irans und der Hisbollah im Libanon. Es gab sogar „Liebeserklärungen“ an Israel.

Diesen Gefühlen hat auch die Invasion der großen entmilitarisierten Zone innerhalb Syriens an den Golanhöhen durch die israelische Armee keinen Abbruch getan — wobei gegen das Waffenstillstandsabkommen von 1974 verstoßen wurde.

Ebenso wenig wurden sie getrübt durch Israels unbarmherzige Bombardierung der syrischen Infrastruktur — ein Verstoß gegen die Souveränität, den die Nürnberger Prozesse am Ende des Zweiten Weltkriegs als das höchste internationale Verbrechen verurteilten.

Diese Woche schlug Al-Dschaulani kleinlaut vor, Israel könne das Land nun in Frieden lassen, nachdem es seine Interessen in Syrien durch Luftangriffe und Invasionen gesichert habe.

„Wir möchten keinen Konflikt, weder mit Israel noch mit irgendjemand anderem, und wir werden nicht zulassen, dass Syrien als Abschussrampe für Angriffe (gegen Israel) benutzt wird“, sagte er gegenüber der Londoner The Times .

Ein Reporter von Channel 4, der letzte Woche versucht hatte, einem HTS-Sprecher eine Aussage zu Israels Angriffen auf Syrien zu entlocken, war von der Reaktion überrascht.

Obeida Arnaout klang, als folgte er einem sorgfältig einstudierten Skript, als er Beamten aus Washington und Israel versicherte, der HTS habe keine größeren Ambitionen, als regelmäßig die Mülltonnen zu leeren.

Als er gefragt wurde, wie der HTS die Angriffe Israels auf ihre Souveränität beurteilte, antwortete Arnaout nur:

„Unsere Priorität ist die Wiederherstellung von Sicherheit und Dienstleistungen, die Wiederbelebung des zivilen Lebens und der Institutionen sowie die Versorgung der neuerdings befreiten Städte. Viele dringende Dinge des täglichen Lebens müssen wiederhergestellt werden: Bäckereien, (die Versorgung mit) Elektrizität und Wasser, Kommunikation; unsere Priorität ist also, den Menschen diese Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.“

Es scheint, als wollte sich der HTS nicht einmal rhetorisch gegen die israelischen Kriegsverbrechen auf syrischem Boden wenden.

Größere Ambitionen

All dies verschafft Israel eine starke Position, um seine Gewinne zu festigen und seine regionalen Ambitionen zu erweitern.

Israel hat Pläne bekanntgegeben, die Anzahl der jüdischen Siedler zu verdoppeln, die illegal auf besetztem syrischen Gebiet auf dem Golan leben.

Währenddessen haben syrische Gemeinden, die neuerdings in Gebieten, in die Israel seit Assads Sturz einmarschiert ist, unter israelischer Militärherrschaft stehen, an ihre nominelle Regierung in Damaskus und andere arabische Staaten appelliert, Israel zum Rückzug zu bewegen. Aus gutem Grund fürchten sie eine permanente Besatzung.

Wie vorauszusehen war, haben dieselben westlichen Eliten, die sich über die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine durch Russland so echauffiert hatten, dass sie Kiew drei Jahre lang in einem Stellvertreterkrieg gegen Moskau bewaffnet und damit einen möglichen Atomkrieg riskiert haben, keinen Ton der Besorgnis über Israels immer intensiveren Verletzungen der territorialen Integrität Syriens geäußert.

Schon wieder gilt ein Maßstab für Israel und ein anderer für jeden, den Washington als Feind betrachtet.

Ohne Syriens Luftwaffe hat Israel nun freie Bahn in Richtung Iran, um das letzte Ziel auf der Abschussliste der Neocons von 2001 entweder alleine oder mithilfe der USA anzugreifen.

Die israelischen Medien berichteten aufgeregt von Vorbereitungen auf einen Angriff, während das Übergangsteam des neuen US-Präsidenten Donald Trump scheinbar eine Beteiligung an einer solchen Operation ernsthaft in Betracht zieht.

Und zu allem Überfluss sieht es so aus, als sei Israel nun endlich kurz davor, „normale“ Beziehungen mit Saudi-Arabien, Washingtons anderem wichtigen Satellitenstaat in der Region, aufzunehmen — ein Vorhaben, das während des israelischen Völkermords in Gaza auf Eis gelegt werden musste.

Eine Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Israel und Riad ist nun vor allem deshalb wieder möglich, weil die Berichterstattung über Syrien den Völkermord in Gaza noch weiter von der westlichen Nachrichtenagenda verdrängt hat, obwohl die Palästinenser dort wahrscheinlich in größerer Zahl als je zuvor sterben — seit 14 Monaten von Israel ausgehungert und bombardiert.

Derzeit dominiert das Narrativ der „Befreiung“ Syriens die westliche Berichterstattung. Bis jetzt scheint jedoch die Übernahme von Damaskus durch den HTS nur Israel befreit zu haben, das nun seine Nachbarn ungehinderter tyrannisieren und terrorisieren kann, um sie zu unterwerfen.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Israel, Not the ‚Liberators‘, Will Decide Syria’s Fate“ auf dem Blog von Jonathan Cook. Er wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.