Der nächste zerstörte Staat
Im Sudan ist ein blutiger Konflikt ausgebrochen, für den Regierungen und Geheimdienste des Westens mitverantwortlich sind — die Folgen könnten Europa massiv betreffen.
In Afrika kämpfen verschiedene Akteure verbittert um Einflusszonen, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Der derzeitig blutigste Schauplatz ist der Sudan, wo es um geostrategische Interessen und um die Ressource Gold geht. Im April letzten Jahres begann der verheerende Krieg in dem Sahara-Staat, den Thierry Meyssan als die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt, noch vor dem Gaza- oder dem Ukrainekrieg, bezeichnet (1). Von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert, bekämpfen sich im Sudan zwei ehemals verbündete Generäle, jeweils befeuert von ihren ausländischen Unterstützern, ohne dass ein Ende der Schlachten in Sicht wäre.
Die „reguläre Armee“ SAF kämpft für den „Regierungschef“ General Abdel Fattah al-Burhan, die aufständische Miliz Rapid Support Force RSF wird von General Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) befehligt. General al-Burhan ist der Vorsitzende des sudanesischen Übergangsrats, während RSF-Kommandant Dagalo vor Ausbruch der Kämpfe sein Stellvertreter war. Inzwischen ist die al-Burhan-‚Regierung‘ von der Hauptstadt Khartum nach Port Sudan geflohen, wo sie von Ägypten mit Waffen beliefert wird. Al-Burhan hat bereits die Kontrolle über die Hälfte des Landes verloren. Augenblicklich konzentrieren sich die Kämpfe auf al-Faschir, die Hauptstadt von Nord-Darfur. Deren Ausgang könnte sich als entscheidend für den weiteren Kriegsverlauf erweisen (2).
Inzwischen haben laut den Vereinten Nationen die militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem offiziellen sudanesischen Militär SAF und den paramilitärischen Milizen der RFS tausende Menschenleben gefordert und mehr als sechs Millionen von Kriegsflüchtlingen innerhalb des Landes erzeugt, weitere 1,7 Millionen Menschen mussten in die Nachbarländer fliehen (3).
Die bedeutendste Einnahmequelle des Sudans ist der Export von Gold, deren größte Minen Dagalo und seine RSF kontrollieren. Der Sudan liegt bei den Goldproduzenten Afrikas an dritter Stelle.
Ausländische Akteure
Die Unterstützerfronten sind verwirrend. Als sicher gilt, dass Russland auf Seiten der RSF von Dagalo steht, während die USA inzwischen sogar die Ukraine auf Seiten von al-Burhans SAF für sich kämpfen lässt. Allerdings hatte die sudanesische Regierung Russland einen Militärstützpunkt am Roten Meer zugesagt, dieses Abkommen wurde jedoch noch nicht bestätigt.
Die Vereinigten Arabische Emirate unterstützen Milizenführer Dagalo und wollen damit Katar, ihren Rivalen und großen Unterstützer der Moslembruderschaft, schwächen, während der ägyptische Präsident as-Sisi, ein ausgemachter Feind der Moslembrüder, der aber aufgrund der riesigen Wirtschaftsprobleme politisch manövrierunfähig, überraschender Weise und vermutlich auf Druck der USA die Position des von der Moslembruderschaft unterstützten al-Burhan stärkt.
Im benachbarten Libyen sind die Unterstützerseiten ebenso gespalten wie das Land selbst: Der Osten unter der Herrschaft der Libyschen Nationalarmee LNA und seines Oberkommandierenden Khalifa Haftar verhilft den Dagalo-Milizen zu Erfolgen, während das unter dem Einfluss des Westens, der Moslembruderschaft beziehungsweise der Türkei stehende westliche Libyen auf al-Burhan setzt (4).
Gescheiterte Vermittlungsbemühungen
Ende Februar versuchten die Türkei und der von der „internationalen Gemeinschaft“ in Libyen eingesetzte „Premierminister“ Abdul Hamid Dabaiba im Sudan-Konflikt zu vermitteln. Dazu hatte der den Moslembrüdern nahestehende Dabaiba al-Burhan und Dagalo zu „indirekten“ Gesprächen in die libysche Hauptstadt Tripolis eingeladen — direkte Gespräche wurden von den Konfliktparteien abgelehnt.
Am 26. Februar empfingen Dabaiba und der Vorsitzende des libyschen Präsidialrats, Mohamed al-Menfi, zunächst General al-Burhan, der sich als erstes für die Aufnahme zehntausender Bürgerkriegsflüchtlinge in dem selbst instabilen Libyen bedankte. Drei Tage später, am 29. Februar, traf General Dagalo von der RFS ein, der seine Sicht der Dinge erläuterte.
Die Gespräche führten zu keinem Ergebnis und die libysch-türkische Vermittlungsbemühung gilt als gescheitert, auch wenn Dagalo sie als „fruchtbar und konstruktiv“ beschrieb (5). Es hieß, Dagalo wäre einem Waffenstillstand mehr zugeneigt gewesen als al-Burhan.
Bei einem anschließenden Besuch in Ägypten konnte al-Burhan die Befürchtungen as-Sisis bezüglich seiner Nähe zur in Ägypten bekämpften Moslembruderschaft nicht entkräften, hatte sich vorher in Tripolis al-Burhan doch heimlich mit dem extrem-islamistischen Mufti al-Gharyan getroffen (6).
Überraschend war der Besuch von General Dagalo im westlichen Tripolis (7), gilt seine RFS-Miliz doch als Verbündeter der den Osten und Süden Libyens beherrschenden Libyschen Nationalarmee (LNA) unter General Khalifa Haftar, die die RFS mit Treibstoff-, Waffen- und Munitionslieferungen über die südliche libysche Grenze versorgen soll. Die Armee von al-Burhan hatte aus diesem Grund Waffenlager der RSF nahe der libyschen Grenze angegriffen.
Der Außenminister des Sudans, Ali, setzt nach wie vor auf „Niederschlagung der Rebellion“ von Dagalo und beruft sich dabei auf Vorschläge der sogenannten Dschidda-Plattform, nach der die RFS die sudanesische Hauptstadt Khartum räumen soll (8). Saudi-Arabien und die USA hatten im vergangenen Jahr erfolglos versucht, bei Gesprächen in Dschidda die Konfliktparteien zu einer Lösung zu drängen. Auch Initiativen der Intergovernmental Authority on Development (IGAD), ein regionaler Block von acht ostafrikanischen Staaten, konnten keine Fortschritte für eine Friedenslösung im Sudan erzielen.
Eher positiv bewertet wurden Gespräche in Manama, der Hauptstadt Bahrains, die auf Initiative von Ägypten und den Arabischen Emiraten Ende Januar zwischen den Oberkommandierenden der SAF und der RSF stattgefunden hatten.
Im Juli 2023 hatte Ägypten ein Gipfeltreffen in Kairo für die sieben Nachbarländer des Sudan organisiert, um über die Folgen des gewaltsamen Konflikts zwischen der SAF und der RSF zu beraten. Die Teilnehmer einigten sich darauf, einen „Minister-Mechanismus“ einzurichten, der auf eine Beendigung des Kriegs abzielt, was insbesondere im Interesse des instabilen und klammen Ägyptens wäre. Die Arabische Liga und die Afrikanische Union sollten die Ergebnisse des Gipfels umsetzen — bisher ohne Erfolg (9).
Die Resolution der Vereinten Nationen
Am 8. März verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2724 (2024) zum Sudan, in der er mit 14 Ja-Stimmen und einer Enthaltung (Russland) eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten während des am 10. März beginnenden Ramadans forderte. Alle Konfliktparteien wurden aufgefordert, eine nachhaltige Lösung durch Dialog zu suchen. Große Besorgnis wurde hinsichtlich der humanitären Situation im Land, insbesondere in und um Darfur, geäußert. Zivilisten müssten geschützt und ihr ungehinderter Zugang zu Hilfsgütern ermöglicht werden (10). Die stellvertretende Ständige Vertreterin Russlands, Anna Ewstignewa, zeigte sich darüber überrascht, dass vor der Abstimmung keinerlei persönliche Konsultationen stattgefunden und konstruktive Vorschläge ignoriert worden waren (11).
Dass dieser UN-Aufruf ungehört verschallen dürfte, steht außer Frage. Die sudanesische Regierung und ihre SAF-Streitkräfte haben nicht nur jede Prüfung eines Ramadan-Waffenstillstands und Verhandlungen mit der RSF abgelehnt, sondern auch einen von der RSF vorgeschlagenen Gefangenenaustausch (12). Die Hoffnungen der geplagten und verzweifelten Menschen im Sudan auf einen Waffenstillstand während der Zeit des Ramadans haben sich nicht erfüllt.
Merkwürdigerweise haben die Vereinten Nationen kein Waffenembargo über den Sudan verhängt, trotz der Unmengen der dort im Umlauf befindlichen Waffen, die den Konflikt weiter befeuern.
Die Ukraine im Sudan
Jeden Zweifel daran, dass es sich auch im Sudan-Krieg um einen Stellvertreterkonflikt zwischen den USA und Russland handelt, räumt ein Bericht des Wall Street Journals vom 3. März aus. Dort heißt es, die Ukraine habe auf Bitte von al-Burhan ukrainische Spezialkräfte in den Sudan entsandt, um die RFS-Kämpfer von Dagalo aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum zu vertreiben. Ukrainisches Militär habe auch mit der Ausbildung sudanesischer Soldaten im Umgang mit Drohnen begonnen. Damit habe sich Selensky für die heimlichen Waffenlieferungen durch al-Burhan an die Ukraine im Jahr 2022 bedankt. Und er hoffe, durch die ukrainische Kriegsbeteiligung im Sudan, die Kriegskosten für Russland in die Höhe zu treiben. Bereits zur Vorbereitung der Kämpfe im Sudan sollen Waffen von den westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine abgezweigt worden sein (13).
Russische Experten gehen davon aus, dass Kiew tatsächlich Militär in den Sudan geschickt haben könnte. Gegen Russland gerichtete Aktionen im Ausland seien laut dem ukrainischen Politologen Wladimir Skatschko normal (14).
Die Ukrainer lassen sich für die Interessen der USA also nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika verheizen, obwohl ihnen im Ukraine-Krieg aufgrund massenhafter Verluste die Soldaten ausgehen und sie nach Ansicht von Militärexperten den Krieg bereits verloren haben. Könnte dies mit ein Grund für das Ansinnen Frankreichs sein, Truppen für den Krieg gegen Russland in die Ukraine zu entsenden, so dass hier eine Art Soldaten-Ringtausch eröffnet wird?
Die libysche Nationalarmee unter Haftar und ihre Unterstützung der RSF
Am 10. März veröffentlichte eine UN-Expertengremium einen Bericht, nachdem die strategisch-militärischen Versorgungslinien, die über den Süden Libyens durch den Tschad und den Südsudan führen, entscheidend dazu beigetragen haben, dass die RSF in der Lage ist, ihre Kontrolle über riesige Gebiete in Darfur zu erweitern. So konnte die RSF moderne Waffensysteme, einschließlich Kampfdrohnen und Flugabwehrsysteme, einsetzen. Unterstützt wird die RSF dabei von lokalen Kräften der arabischen Gemeinden in Darfur (15).
Haftar und seine Libysche Nationalarmee erhalten breite Unterstützung von Russland, dessen Verteidigungsministerium inzwischen das Kommando über die nicht nur in Libyen und im Sudan tätigen ehemaligen Wagner-Kämpfer übernommen und ein Afrikacorps ins Leben gerufen hat.
Die Vorgeschichte
Die RSF-Miliz ging aus der schon damals von Dagalo kommandierten Dschandschawid-Miliz hervor, die im Darfur-Krieg auf Seiten der sudanesischen Regierung kämpfte. Durch einen gemeinsamen Staatsstreich von SAF und RSF wurde der damalige Machthaber al-Baschir im April 2019 mit großer Anteilnahme der Bevölkerung gestürzt (16). Danach führte eine Übergangsregierung von 2019 bis 2021 unter der Aufsicht des IWF harte ‚Reformen‘ durch, im Gegenzug wurden dem Land Schulden erlassen. Die andauernde katastrophale wirtschaftliche und humanitäre Lage verschärfte sich noch mehr, als 2021 die heutigen Feinde, Armee und RSF-Miliz, gemeinsam erneut putschten und der IWF daraufhin den Schuldenerlass einfror.
Das Ziel der 2019-Revolution der SAF und al-Burhans soll die Ausschaltung al-Baschirs und eine Sozialdemokratisierung des Landes gewesen sein, während Dagalo und seine Miliz, die von der herrschenden Schicht aus dem Niltal verachtet wurden, neben dem Sturz von al-Baschir auch anstrebten, das Machtmonopol der arabische Herrschaftsschicht, getragen von der militarisierten Bourgeoisie, zu brechen (17).
Europa und die Migration
Kriege in der Sahara-Sahel-Zone werden auch Europa in Mitleidenschaft ziehen, nicht zuletzt durch die zu erwartenden Migranten- und Flüchtlingsströme aus kriegszerstörten Ländern.
Das seit der Ermordung Muammar al-Gaddafis und dem Sturz der Dschamahirija-Regierung im Jahr 2011 in Auflösung befindliche Libyen wird für Kriegsflüchtlinge aus dem Sudan als Aufenthaltsort keine Alternative zur Überfahrt nach Europa darstellen.
Kein Ende des Kriegs und des Elends in Sicht
Der Krieg im Sudan ist keine rein regionale Auseinandersetzung, entstanden aus der Rivalität zweier Generäle, sondern die Strippen ziehen regionale und ausländische Geheimdienste, Militärs und Regierungen. Und diese werden auch entscheiden, wie lange dieser Krieg dauert.
Ein weiterer Krieg um Ressourcen und geopolitische Vorteile in einem der ärmsten Länder Afrikas, in einem von Konflikten zerrissenen Land, in dem Kämpfer leicht zu kaufen sind und zivile Opfer als Kollateralschaden nicht groß interessieren.
Sudan, der nächste Failed-State, der in Leid und Chaos versinkt.