Der Marsch
Nach dem Vorbild Gandhis machen sich zehntausende Palästinenser auf den „Großen Rückkehr-Marsch“.
Viele Palästinenser folgten am Freitag, den 6. April 2018, zum zweiten Mal dem Ruf zahlreicher Bürgerrechtsbewegungen und Organisationen, sich dem „Großen Rückkehr-Marsch“ anzuschließen, der sich über die nächsten Wochen bis zum „Nakba-Tag“, dem 15. Mai 2018 erstrecken soll. An diesem Datum feiert Israel den 70. Jahrestag seines Bestehens, während es für die Palästinenser den Beginn ihrer Katastrophe (arabisch „Nakba") markiert. Seit dem Beschluss der UNO im November 1947, Palästina in einen jüdischen Teil und einen Teil für die angestammte palästinensische Bevölkerung zu teilen, bemühten sich jüdische Untergrundorganisationen wie Palmach, Haganah, Etzel und andere, so viel Land wie nur irgend möglich zu erobern und von Palästinensern zu „befreien“. Bereits vor der Ausrufung des Staates waren Tausende aus ihren Dörfern vertrieben; nach dem 1948/49er Krieg hatten etwa 750.000 Palästinenser aus über 430 Dörfern ihre Heimat und ihren Besitz verloren. Sie und ihre Nachkommen gelten nach UNO-Resolutionen als Flüchtlinge mit Rückkehrrecht in ihre Heimat.
Seit Jahren eingesperrt im größten Freiluftgefängnis der Welt — dennoch finden diese Menschen Mut, Kraft und Hoffnung, um gewaltfrei und würdevoll zu demonstrieren, wissend, dass ihnen Panzer und Scharfschützen hochgerüstet gegenüberstehen.
Sie nähern sich der Pufferzone, die Israel auf palästinensischer Seite etwa 100 Meter breit zur No-Go-Area erklärt hat; Palästinenser sollen es nicht wagen, sich dem Zaun zu nähern.
Wissend, dass ein gezielter Schuss jede und jeden von ihnen treffen kann, haben einige Organisatoren des Marsches Zelte in einigermaßen sicherer Entfernung zum Grenzzaun errichtet. Dort wird gekocht und gegessen, aber es werden auch Verletzte versorgt.
Auf israelischer Seite sind Erdwälle aufgeschüttet, damit das Militär aus sicherer Entfernung von oben die Kontrolle über die Grenze hat. Von Israel aus werden Pflanzenvernichtungsmittel versprüht, die dafür sorgen, dass die Sicht frei bleibt.
Protestierende Palästinenser sammeln am 30. März 2018, östlich von Khan Younis, im südlichen Gazastreifen Autoreifen, um sie zu verbrennen. Durch den schwarzen Rauch wollen sie die Sicht der israelischen Truppen einschränken, die sich entlang des Grenzzauns zu Gaza auf israelischer Seite positioniert haben.
Ein junger Palästinenser schützt sich mit Tuch und Atemschutz vor Rauch — und Tränengas, das von Drohnen über den Demonstrierenden abgeworfen wird.
Palästinenser mit Steinschleuder hinter der Rauchwand; etwa 200 Meter dahinter befindet sich der Grenzzaun, dahinter haben sich Scharfschützen und Panzer positioniert. Dem Vernehmen nach wurde kein israelischer Soldat getroffen oder verletzt.
Ein Kind entfernt sich von dem Haufen brennender Reifen…
… ebenso wie dieser Mann mit Gehhilfe …
… und wie diese jungen Frauen, die in Richtung der Zelte rennen, die Tücher zum Schutz vor dem beißenden Rauch vor Mund und Nase gebunden.
Sie müssen sich auch vor dem Tränengas in Sicherheit bringen, das Drohnen über der Menschenmenge abgeworfen haben: Chemische Waffen im Einsatz gegen Zivilisten — international geächtet und als Kriegsverbrechen eingestuft. Aber hier ja findet kein Krieg statt, sondern „nur“ die „Verteidigung von Israels Sicherheit“ durch die „moralischste Armee der Welt“, wie Israels hochgerüstetes Militär sich gerne selbst bezeichnet.
Diese Menschen wissen auch, dass noch viel Blut ihrer Leute fließen wird, ehe die Welt aufschreit und nicht mehr bereitwillig zuschaut, wie von Israel aus Befehle erteilt werden zum Abschuss einer Menschenmenge — gegen jede Moral, jeden Anstand und jede Humanität.
Am 6. April 2018, dem zweiten Freitag des „Großen Rückkehr-Marsches“, wurden bisher zehn Todesopfer und 1.354 Verletzte gemeldet — allerdings nur in wenigen westlichen Medien. Was nicht berichtet wird, findet nicht statt. Und dazu muss die Welt sich nicht verhalten. Aber wie lange noch?!
Es werden noch viele Tausend Palästinenser marschieren. Auch Gandhi und seine Leute sind viele, viele Male marschiert.
Fotos: Ibrahim Omar Almadhon und Hassan Isleih
Text: Mohammed Abu Ramadan und Nirit Sommerfeld
Redaktionelle Anmerkung: Lesen Sie zum Thema bitte auch unsere Artikel „Israels Botschafter ausweisen!“, „Schluss mit Käfighaltung!“ und „Kolonialismus 2.0“.