Der Landwirt-Lockdown
Angesichts der existenzgefährdenden Ampelpolitik sind Landwirte und weitere systemrelevante Branchen fest entschlossen, das Land lahmzulegen — ob ihnen das gelingt? Teil 2 eines Vor-Ort-Berichts.
Ein lahmgelegtes Land ist seit 2020 nichts Unvorstellbares mehr. Doch kann einer branchenübergreifenden Allianz aus Menschen in systemrelevanten Berufen das gelingen, was einem Corona-Maßnahmenstaat im Handumdrehen gelang? Ein ganzes Land zum Stillstand zu bringen, um dadurch eine Veränderung beziehungsweise das Erreichen eines politischen Ziels zu erwirken? In zwei Jahren hat die Ampelregierung die Landwirte mit immer absurderen Vorgaben ständig mehr in Bedrängnis gebracht. Mit der Streichung der als klimaschädlich deklarierten, aber für die Landwirte existenziell notwendigen Subventionen wurde eine rote Linie überschritten. Seit Wochen kündigten nun die Landwirte für den Jahresbeginn 2024 große Proteste und Blockaden an. Und nun ist es so weit. Die Protestwoche hat begonnen. Wie viel Veränderungspotenzial steckt in dieser Bewegung? Kann sie sich gegen Unterwanderungs- und Spaltungsversuche wehren und die Veränderungsenergie ungehindert zielführend einsetzen? Der zweite Teil des mehrteiligen Vor-Ort-Berichts von der Protestwoche gibt, eingefangen auf der Bauerndemo in Augsburg am 10. Januar 2024, Einblicke in die Beweggründe der Landwirte. Sie berichten von existenzieller Bedrohung durch die Politik, von bürokratischer, kaum zu bewältigender Mehrarbeit sowie von neuerdings bestehender Satelliten- und Drohnenüberwachung eines jetzt schon durchdigitalisierten Landwirtschaftsalltags, der ohne Smartphone gar nicht mehr zu bewältigen ist.
Das Land ist lahm aber nicht lahmgelegt. Am Mittwoch, dem 10. Januar 2024 wurden die Bauernproteste- und -blockaden durch den Streik der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) ergänzt. Zumindest mein Zug von München — siehe Teil 1 — nach Augsburg fährt. Bereits auf der Hinfahrt kann ich durch das Zugfenster auf den Landstraßen die ersten Traktorkolonnen beobachten, die sich durch den winterlichen Morgennebel ihren Weg in Richtung Fuggerstadt bahnen.
Bereits vom Zug aus zu sehen: Die ersten Traktoren bewegen sich Richtung Ausgsburg. Foto: Nicolas Riedl
In Augsburg tut sich dann die Straßenbahn schwer, sich an den Traktoren vorbeizuquetschen, die laut hupend auf den Zufahrtsstraßen des Plärrer-Geländes Schlange stehen.
Foto: Nicolas Riedl
Durch das unbeirrte Streichen der Agrardiesel-Subvention durch die Ampelregierung — der Proteste zum Trotz — haben sich die Landwirte nicht entmutigen lassen, wie sie mir auf meine Nachfrage bestätigen. So füllt sich am Vormittag des dritten Tages der Protestwoche der Augsburger Plärrer mit einer scheinbar endlosen Schlange aus kleinen und großen Traktoren, die sternförmig aus dem schwäbischen Umland herantuckern.
Fotos: Nicolas Riedl
Die Temperaturen sind nicht minder eisig wie am Auftaktstag in München, doch zumindest schimmert die Sonne durch die Frostschwaden. Die Stimmung ist trotz des arroganten Medienechos und der Ignoranz Berlins ausgelassen und fröhlich. Die Polizei verhält sich ebenso zurückhaltend wie in München.
Schatten der Ampel
Auch am Plärrer war, wie schon am Münchner Odeonsplatz, eine Bühne errichtet worden, auf der ebenfalls wieder Günther Felßner, Präsident des bayerischen Bauernverbands, sprach und die knapp erste Hälfte der Protestwoche bilanzierte. So sei es gelungen, dass sich die Bewegung erfolgreich von links- und rechtsradikalen Strömungen und Klimaklebern abgegrenzt habe. Zudem verkündete er stolz, seine Nachfrage bei der bayerischen Polizei hätte ergeben, dass es zu keinerlei extremistischer Unterwanderung gekommen sei — anders als von den Medien kolportiert.
Es sei angedacht — so führte er weiter aus —, dass bei jeder bayerischen Großdemonstration der Dialog zur Ampel gesucht werde. Wie Karl Bär von den Grünen in einem Meer aus Buhrufen unterging, wurde in Teil 1 beschrieben. Auf der Bühne in Augsburg stand ein leerer Stuhl für die SPD, die den Dialog verweigerte. Die Sozialdemokraten hatten sich ironischerweise bauernscheu gezeigt. Sie verweigerten den Dialog, mit der Begründung, sich von gewaltsamen Bewegungen distanzieren zu wollen, so Felßner.
Obwohl derlei Symbolik vonseiten der Veranstalter nicht erwünscht war, bastelte ein Landwirt eine am Galgen hängende Ampel. Foto: Nicolas Riedl
Doch die Ampel war nicht ganz ausgefallen. Anstelle der SPD übernahm der junge FDP-Politiker Maximilian Funke-Kaiser den undankbaren Job, sich der wütenden Bauerntraube auf der Bühne zu stellen. Dabei erwies er sich als rhetorisch wesentlich geschickter als Karl Bär und schaffte es dadurch, mehrere Minuten am Stück eine vertröstende Beschwichtigungs- und Verteidigungsrede zu halten, ohne Buhrufe zu evozieren.
Ampelpolitiker Maximilian Funke-Kaiser schlägt sich wackerer als sein grüner Koalitionskollege. Foto: Nicolas Riedl
Dass ein explosives Gemisch in der Luft lag, musste Funke-Kaiser am Ende dann doch feststellen. Ein falsches Wort konnte die Stimmung zum Kippen bringen. Er versprach, die Kritik der Bauern „mitzunehmen“. Der Ausfall seines Parteivorsitzenden Christian Lindner gegenüber den Landwirten kam dem FDP-Politiker selbstredend nicht unbedingt zupass. Entsprechend verließ er, begleitet von „Du-kannst-nach-Hause-gehen“-Chören, die Bühne.
Den Landwirten auf den Zahn gefühlt
Am Rande der Demo komme ich mit einigen Bauern aus dem Augsburger Umland ins Gespräch. Ihr Redebedarf ist groß. Kaum habe ich eine Frage gestellt, kommt jeder anekdotisch vom Hundertsten ins Tausendste. Ein Bericht ist unglaublicher als der nächste.
Zukunftsängste
Jedem der Landwirte stellte ich die eine provokante Frage, ob sie — wie in den Niederlanden geschehen — ihren Hof schließen würden, falls sie im Gegenzug eine großzügige Entschädigungssumme des Staates erhielten. Ich war nicht einmal imstande die Frage zu Ende zu stellen, da schnaubten schon alle Umstehenden einhellig lachend auf. „Niemals!“, wurde mir direkt entgegengerufen, dicht gefolgt von der Schilderung, in der wievielten Generation der Hof bereits sei und wie viel Herzblut da seitdem reinfließe.
Die Landwirte eint zugleich eine große Sorge um die Zukunft der Höfe. Ihre Kinder würden zwar auf jedem Hof mit „Kusshand aufgenommen“ werden, doch ließe sich die heranwachsende Generation nur noch schwerlich für diesen Berufsstand begeistern, ob der vielen Unwägbarkeiten und bürokratischen Hürden (siehe unten).
„Früher haben wir in Generationen gedacht, durch die Politik müssen wir jetzt in Wochen denken. Wir haben jede Planungssicherheit verloren“, erklärt mir einer der Landwirte. Er sehnt sich zurück in eine Zeit, da in jedem Dorf nicht nur drei, sondern mehrere dutzend Bauern je einen Hof hatten, von denen jeder über knapp 10 Tiere verfügte und auf dem sich die Landwirte nicht um 60 Hektar, sondern um eine überschaubare Fläche kümmern mussten. Eine Rückkehr zu diesen Verhältnissen wünscht er sich.
Ernteausfall in der Parteienlandschaft
Kamen diese Missstände erst mit der Ampelregierung, möchte ich von den Bauern wissen. Hier spalten sich die Geister. Während die einen die signifikante Verschlechterung der Agrarpolitik unmittelbar der Ampelregierung zuschreiben, sehen andere Landwirte den Beginn des Abwärtstrends bereits in der Merkel-Ära oder sogar schon in den 1990er Jahren unter Helmut Kohl und Gerhard Schröder.
Bei den Landwirten, die bei der Frage die beiden letztgenannten Kanzler nennen, möchte ich wissen, von welcher Partei oder Parteienkonstellation sie sich eine Verbesserung zugunsten der hiesigen Landwirte erhoffen. Diese Frage vermag niemand so wirklich zu beantworten. Stellenweise sehe ich ein leicht beschämtes Grinsen, bei dem alle wissen, von welcher Partei man sich dies am ehesten erwarten würde — der Name ist jedoch unaussprechlich.
Auf den Protesten entsteht der Eindruck, die ganzen Verfehlungen würden auf die bloße Inkompetenz und Fachfremdheit der Ampelpolitiker zurückgehen. Doch wäre es nicht denkbar — so frage ich nach —, dass hier Vorsatz vorliegt, mit dem Ziel, das Bauernhofsterben zugunsten der aufstrebenden Smart-Farming-Industrie zu beschleunigen?
An Vorsatz wollen die meisten Landwirte, mit denen ich spreche, nicht so wirklich glauben. Überwiegend erklären sie sich die Entscheidungen schlicht mit „Blödheit“. Manche halten es aber auf meine Nachfrage durchaus für denkbar, dass den Landwirten so viele Steine in den Weg gelegt werden, bis sie irgendwann aufgeben — was jedoch niemand gedenkt. Siehe oben.
Wenn die Bauern aber schon nicht von den Parteien vertreten werden, dann gibt es ja immer noch den Bauernverband. Von diesem empfinden sich alle von mir befragten Landwirte angemessen vertreten. Sie sehen überwiegend auch keinen Konflikt darin, dass der Verband sowohl die Agro-Industrie, konventionelle Landwirte und ökologisch-bäuerliche geführte Höfe vertritt. Dass der Bauernverband sich auf einen faulen Kompromiss einlassen würde, kann sich aktuell niemand vorstellen, doch geben einige an, sie würden — falls notwendig — auch unabhängig vom Bauernverband weiter protestieren.
Entfremdung zwischen Land und Stadt
Die in Teil 1 schon beschriebene Entfremdung zwischen Stadt und Land wird hier vielfach beklagt. Ein Günzburger Landwirt lässt sich mir gegenüber ausführlich darüber aus, wie sich Stadt und Land immer weiter voneinander entfernen und das Landleben zugleich immer weiter aussterben würde. Das Verständnis der Städter, wie ihr Essen überhaupt auf den Teller kommt, sei verlorengegangen, ebenso die Solidarität, also die echte Solidarität, die es auf dem Land zwischen Nachbarn zuweilen immer noch gäbe. Völlig abhanden gekommen sei darüber hinaus jedes Gespür für das Leben im Einklang mit der Natur — unter den Städtern, Bürokraten und Technokraten (siehe unten) habe man kein Bewusstsein mehr für Anbau- und Erntezeit, das rhythmische Arbeiten mit den Jahreszeiten.
Kulturelle Verächtlichmachung des Bauernstandes
Der Günzburger Landwirt und die Frau an seiner Seite beklagen zudem die systematische Verächtlichmachung des landwirtschaftlichen Berufsstandes. Menschen mit einer handwerklichen Berufsausbildung — das, woran es den Bundestagsabgeordneten massiv mangle — werden immer geringer geschätzt, während eine immer größer werdende Kaste an lebensfremden Akademikern sich selbstgefällig über die vermeintlich ungebildeten Arbeiter erheben würde. Und er ist davon überzeugt: Diese Menschen würden es auf einem Hof keine Woche aushalten.
Ich frage die Günzburger Landwirtin, ob sie unter der Verächtlichmachung auch populäre Reality-Soaps wie RTL‘s „Bauer sucht Frau“ meint? Sie pflichtet mir bei und fügt anekdotisch hinzu, dass sie jemand kenne, der von RTL für die Sendung angefragt wurde. Der Sender wollte hingegen nur den Hof als Drehkulisse nutzen, der angefragte Bauer selbst habe zu „normal“ und nicht tölpelhaft genug gewirkt — das Attribut, mit dem der Trashsender die Bauern belegen möchte.
Hightech-Hof: Landwirtschaftliche Schreibtischarbeit und Smartphone-Zwang
Selbstredend lässt sich Landwirtschaft nicht vom Home-Office aus erledigen. Dennoch nimmt das „Office“ einen immer größeren Raum im Alltag der Landwirte ein. Vom bloßen Zuhören kann einem bei der Liste der ganzen Verpflichtungen schon schwindelig werden. Auf der Strecke bleibt selbstredend die eigentliche Arbeit, die auf den Äckern und in den Ställen.
Wahrlich erstaunt — weil mir das so nicht klar war — bin ich darüber, wie weit der Grad an (Zwangs)Digitalisierung im landwirtschaftlichen Bereich laut der Aussagen der Bäuerinnen und Bauern mittlerweile vorangeschritten ist. Von dem romantischen Bild des analogen und entschleunigten Bauernhofbetriebs ist nicht mehr viel übrig.
Es gibt mittlerweile so viele Bereiche im Landwirtschaftsalltag, bei denen per Smartphonekamera einzelne Vorgänge dokumentiert und auf zentralen, digitalen Plattformen zusammengetragen werden müssen. „Ist ein landwirtschaftlicher Betrieb ohne Smartphone überhaupt noch möglich“?, frage ich in die Runde und ernte Seufzer: „Wird schwierig“, bekomme ich zu hören.
Dass man zum Landwirtschaften ein digitales Endgerät benötigt, wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen! Auf die Frage, seit wann dieser Grad an Digitalisierung Einzug gehalten hat, erfahre ich, dass dies mit der Ampelregierung kam. Und es kommt noch dicker ...
Drohnen- und Satellitenüberwachung
In einem Nebensatz erwähnt der Günzburger Landwirt, dass er sich in bei all den bürokratischen und digital durchgesetzten Zwängen rechtfertigen muss für ... Satellitenbilder. Im ersten Moment denke ich, ich hätte mich verhört. Dann hakte ich noch einmal nach:
Im Jahr 2024 werden Landwirte von Satelliten überwacht?
Der Landwirt bestätigt das, kann mir aber nicht genau sagen, was das für Satelliten seien, wer sie betreibt und die Daten auswertet. Jedenfalls erhalten Landwirte dieser Tage Satellitenbilder, die zeigen, dass sie in irgendeiner Weise von der gesetzlichen Norm abgewichen seien und dann beginne eine lange Rechtfertigungsspirale, die ebenfalls wieder mit Smartphone-Fotos dokumentiert werden muss.
Während ich zuhöre, geht meine Fantasie mit mir durch. Ich stelle die Folgefrage — und rechne eigentlich damit, dass sie mit „Nein“ beantwortet wird — ob die Felder auch durch Drohnen überwacht werden. Die Realität ist meiner dystopischen Fantasie wohl voraus. Die Landwirte bestätigen mir, dass die Behörden die Felder mit Drohnen abfliegen und abscannen. Unangekündigt.
Einer der Bauern resümiert: „Früher hatten wir staatlicherseits ein beratendes System. Das ist mittlerweile zu einem vollkommenen Kontrollsystem mutiert.“