Der Krypto-Krieg
Im Rahmen der „Operation Rubikon” knackten US- und deutsche Geheimdienste über viele Jahre die Verschlüsselungen anderer Staaten.
Manche halten es für die größte Geheimdienstoperation der Weltgeschichte. Über ein halbes Jahrhundert wurden 130 andere Nationen massiv ausspioniert, indem man ihre Verschlüsselungs-Codes knackte. Und, nein, die Rede ist nicht von russischen oder chinesischen Geheimdiensten. „Wir” waren es, die Länder, die sich gern auf der Seite des Guten wähnen. Die Schweizer Firma Crypto AG verkaufte von 1970 bis mindestens 1993 etlichen Staaten Verschlüsselungstechnik, die CIA und BND leicht knacken konnten. Wie sich später herausstellte, waren der US-amerikanische und der deutsche Geheimdienst Inhaber der Firma. Ein beispielloses Betrugsmanöver. Obwohl die Aktion auch als „Operation Rubikon” bekannt geworden ist, sind wir übrigens unschuldig und distanzieren uns davon.
Die Gehirnwäsche wird immer dreister. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz und auch schon beim Treffen mit seinem britischen Amtskollegen Ende Januar 2020 warnte der US-Außenminister Mike Pompeo vor China, wegen dessen Spionage-Aktivitäten. Er gab damit auch dem US-Verteidigungsminister Mark Esper Flankenschutz:
„Die USA haben den chinesischen Technologiekonzern Huawei als ‚trojanisches Pferd‘ und Gefahr für die NATO gebrandmarkt” (1).
Damit folgt er der Devise des Räubers, der laut schreit: Haltet den Dieb!, während er auf andere zeigt, um von sich abzulenken. Das Bild der Diebe und Räuber wird dem Ernst der Lage allerdings bei weitem nicht gerecht: Es geht um die Grundfesten der Politik nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Kalten Krieg. Es geht um die Crypto-Affäre. Über die Cryptoleaks-Affäre berichten deutsche und amerikanische Medien auf Sparflamme, wenn überhaupt.
Der Schweizer Tagesspiegel ordnete die Größenordnung des Skandals angemessen ein:
„Es ist eine der größten Spionageoperationen der Geschichte. Ihr Einfluss auf den Gang der Welt war enorm und reicht bis in die Gegenwart. US- und deutsche Geheimdienste haben ein halbes Jahrhundert lang die halbe Welt hintergangen — effizient und unverfroren” (2).
Es war mehr als die halbe Welt. Die betrogenen Regierungen und Staaten summieren sich bei gründlicher Recherche aller Dokumente auf circa 130. Die Regierungen der sich sozialistisch nennenden Staaten hatten aus offensichtlich gutem Grund auf ihre eigene Technik gesetzt. Der Kern der nun enttarnten Lüge besteht im ständig wiederholten Satz, wir im Westen seien die Guten, die Gefahr für Freiheit und Demokratie käme aus dem Osten. Direkt im Anschluss wird noch die sogenannte Marktwirtschaft, also der Kapitalismus zur Demokratie erhoben. In diesem Sinne folgerichtig verteidigt die NATO das Recht und die Freiheit aller Menschen gegen die Despoten und Militaristen, die unsere Sicherheit bedrohen.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Rückkehr zu einer Politik des Rechts. Er sagte: Wir müssen „uns weiter um die Schaffung einer übernationalen Rechtsordnung bemühen” (3). Das Wort „weiter“ lässt Schlimmes erahnen. Und der Bundesaußenminister Heiko Maas verstieg sich dann noch in der Aussage, Deutschland werde nicht nur am Hindukusch, sondern auch „im Irak, in Libyen und im Sahel” verteidigt (4). Er rechtfertigt damit die Politik, die zu unendlichem Leid, auch zum Anstieg der Fluchtkatastrophen und zum Zerfall der Großregion zwischen Irak und Mittelmeer geführt hat.
Die Fassade der Demokratie und Menschenrechte, die sich die westlichen Staaten nach außen hin zulegen, um Unterstützung für ihre imperiale Politik des Exports von Militär bis hin zum Krieg als Mittel der Politik zu erhalten, ist kurz vor der diesjährigen Sicherheitskonferenz erneut und ein für allemal eingestürzt.
Dasselbe gilt auch auf zunächst unabsehbare Zeit für das Lügengebäude. Und damit auch für das Märchen der Notwendigkeit, zur Verteidigung der Freiheit aufrüsten zu müssen.
In seiner Eröffnungsrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz wiederholte der Bundespräsident zudem das NATO-Mantra, demzufolge das „militärische Instrument für unsere Sicherheit unverzichtbar...” sei (5). Er tat das, obwohl allseits längst bekannt geworden war, dass die Politik des Westens zumindest seit Jahrzehnten nicht vor Lüge und Betrug, Mord, Massenmord und Krieg, Naturzerstörung und diktatorischen Maßnahmen zurückschreckt.
Leicht zu knackende Verschlüsselungstechnik
Auf der Website der Bundesregierung findet man unter dem Menüpunkt „Sicherheit und Verteidigung“:
„Die NATO ist das bedeutendste sicherheitspolitische Bündnis der Welt. Es versteht sich als Wertegemeinschaft freier und demokratischer Staaten” (6).
Mit der ständigen Wiederholung dieser Behauptung betreiben die Militärs und ihre Helfershelfer Gehirnwäsche, um die Hochrüstung zu legitimieren — auf Kosten der Bildungs- und Erziehungs-Politik, der Sozialpolitik, des Gesundheitssystems und auch des Umweltschutzes. Zudem lenken sie von den Gefahren ab, die sich aus der Existenz von Waffen ergeben. Das Damoklesschwert über der Zukunft wird ständig ausgefeilter und mit einem humanen Anstrich getarnt. Dazu gehört, dass die NATO und die sie unterstützenden Medien gebetsmühlenartig propagieren, Russland untergrabe mit hybrider Kriegsführung, angefangen bei verdeckten Manipulationen, die Demokratie in den westlichen Staaten. So berichtete der Stern am 20. April 2017, der Nachrichteagentur Reuters lägen Beweise für entsprechende russische Hackerangriffe und andere Manipulationen vor (7).
Am 12. Februar 2020 informierte nun der Schweizer Tagesspiegel seine Leserschaft, dass der größte Auslandsgeheimdienst der USA, die National Security Agency, NSA, der CIA und der Bundesnachrichtendienst über Jahrzehnte Regierungen in aller Welt betrogen. Mehr noch: Sie sind durch klammheimliches Mitwissen an zehntausenden Morden, Folter, Staatsstreichen und Heuchelei beteiligt.
Worum genau geht es dabei? Im Rahmen der von ihnen so genannten „Operation Rubikon“ (8) verkaufte die Schweizer Firma Crypto AG von 1970 bis mindestens 1993 der NSA, dem BND und etlichen Staaten Verschlüsselungstechnik, die CIA und BND leicht knacken konnten, da sie mit illegalen Hintertüren für die Spionage der CIA und des BND ausgestattet waren, von denen die weiteren Empfänger nichts wussten. Obwohl es stets abgestritten wurde, besaßen die CIA und der BND in Wirklichkeit diese Firma selbst (9).
Vor 65 Jahren hatten der NSA und Boris Hagelin, ein Kryptograph, der schon im Zweiten Weltkrieg Erfahrungen mit Spionagegeräten gesammelt hatte und der später die Schweizer Firma für Verschlüsselungstechnik Crypto AG gründete, eine Zusammenarbeit vereinbart (10). Die Crypto AG stieg danach in die Weltspitze der Verschlüsselungstechnik auf. Ihre Produkte, vor allem Chiffriergeräte, mit denen staatliche Kommunikation durch Verschlüsselung vor Spionage-Angriffen geschützt werden sollen, kauften Ministerien, Armeen, Polizei- und Nachrichtendienste. Crypto-Geräte waren seit Firmengründung ein Verkaufsschlager in mehr als der halben Welt, wie Dokumente des NSA belegen. Die Crypto-„Maschinen machen Text unlesbar, nur der Empfänger soll ihn entschlüsseln können. Nur: Crypto gehörte in Wahrheit der CIA und dem BND” (11).
So konnten die Westmächte die teils streng geheime diplomatische Kommunikation von über 100 Staaten, deren Regierungen Crypto-Kunden gewesen sind, unbemerkt mitlesen, während diese vertrauensselig auf die Perfektion der Schweizer Technik und auf die Vertragstreue der renommierten Firma setzten. Staaten wie der Iran, Vatikan, Libyen, Ägypten und Saudi-Arabien, Argentinien und Chile oder auch Israel waren unter den Abnehmern der insgeheim manipulierten Verschlüsselungsmaschinen.
Der Tagesspiegel und andere Schweizer Medien berichten, der blutige Putsch der faschistischen Militärjunta in Chile am 11. September 1973, erfolgte nicht nur, wie schon lange bekannt, mit Unterstützung solcher Weltkonzerne wie ITT, sondern eben auch mithilfe offizieller US-amerikanischer Institutionen. Die chilenische und die argentinische Militärjunta warfen meist linke Regierungsgegner/innen über den Ozeanen aus Flugzeugen ins Meer, und der Bundesnachrichtendienst sowie der NSA lasen die Kommunikation über diese Verbrechen mit, auch Berichte über weitere derartige Morde und Massenmorde; zehntausende wurden ermordet oder gelten als verschwunden. Die Zahl der Folteropfer lässt sich nicht ermitteln.
Doch weiter:
„Im Krieg um die Falklandinseln erhielten die Briten wertvolle Unterstützung aus den USA. Sie konnten die militärischen Nachrichten der Argentinier entschlüsseln. Das trug zum Entscheid bei, die ‚General Belgrano‘ zu versenken. ... Sogar der Vatikan ist Crypto-Kunde. So erfuhren die USA bei der Invasion im Dezember 1989, dass sich der Herrscher Panamas, Manuel Noriega, in der Vatikan-Botschaft versteckt“ (12).
Die Dimension des größten Spionage-Skandals mindestens seit dem Zweiten Weltkrieg reicht allerdings noch weiter:
„US-Präsident Jimmy Carter vermittelte im September 1978 auf seinem Sommersitz Camp David den Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel. Carter war während der zwölftägigen Verhandlungen jederzeit über die Kommunikation der ägyptischen Seite informiert” (13).
Die Crypto AG wurde 2018 aufgelöst, der BND stieg nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1993 aus.
„Der BND verdiente laut den Recherchen Millionen ohne Wissen der Bundesregierung, die in sogenannte ‚schwarze Kassen‘ flossen. Das wäre ein Verstoß gegen die parlamentarische Aufsicht, denn der Bundesnachrichtendienst ist dem deutschen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig” (14).
Außer dem BND war auch die Firma Siemens involviert.
„Weder der BND, noch das Bundeskanzleramt noch die Firma Siemens haben bisher eine Stellungnahme abgegeben. Genauso wie die CIA, die NSA und die US-Regierung” (15).
Die Schlussfolgerung aus alledem ist nicht nur, dass den westlichen Narrativen kein Glauben geschenkt werden darf und Militär, Machtmissbrauch, Hochrüstung und Krieg keine Steuergelder erhalten dürfen. Und dass ihren Propagandisten, Strategen und Befehlsempfängern die Möglichkeit entzogen werden muss, die Welt in die Irre zu treiben, ehe sie am Rande des Abgrunds landet.
Die Weltlage offenbart, dass dieser Rand ein Atomkrieg sein kann, den die NATO mit ständig ausgefeilterer Technik immer möglicher macht. Die Ostermärsche finden eine Woche vor dem nächsten großen Aktionstag der Ökologie-Bewegung statt, den „Fridays for Future“ initiierte.
SRF: Cryptoleaks: Wie CIA und BND mit Schweizer Hilfe weltweit spionierten
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.epochtimes.de/politik/welt/trojanisches-pferd-us-verteidigungsminister-bezeichnet-huawei-als-bedrohung-fuer-die-nato-a3156981.html
(2) Tages-Anzeiger, Zürich, 12.02.2020 Seite 2
(3) https://rp-online.de/politik/deutschland/muenchner-sicherheitskonferenz-2020-steinmeier-kritisiert-usa-china-und-russland-scharf_aid-48967039
(4) https://www.wiwo.de/politik/ausland/muenchner-sicherheitskonferenz-maas-deutsche-sicherheit-wird-auch-im-irak-und-libyen-verteidigt/25548888.html
(5) https://rp-online.de/politik/deutschland/muenchner-sicherheitskonferenz-2020-steinmeier-kritisiert-usa-china-und-russland-scharf_aid-48967039
(6) https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/sicherheit-und-verteidigung/internationale-organisationen/nato
(7) https://www.stern.de/politik/ausland/so-soll-russland-die-us-wahl-manipuliert-haben---geheime-plaene-aus-moskau-7419622.html
(8) den Rubikon überschreiten heißt, sich wagemutig auf eine riskante Handlung einlassen
(9) https://www.nsa.gov/news-features/declassified-documents/friedman-documents/ siehe dort unter 'Folder ID: ACC47111) Copies of Friedman-Hagelin Correspondence, 1943-1969'
(10) Tages-Anzeiger, Zürich, 12.02.2020
(11) Frank Garbely in: Rote Anneliese 30. Sep 2015, Quelle: https://www.infosperber.ch/FreiheitRecht/NSA-BND
(12) und (13) Tages-Anzeiger, Zürich, 12.02.2020
Süddeutsche Zeitung, 12. Februar 2020
(14) und (15) https://www.fr.de/politik/operation-rubikon-deckt-cryptoleaks-spionage-13534899.html (FR-online 12.02.2020)