Der Krieg gegen Flüchtlinge
Geflüchtete brauchen Schutz vor Repression, aber auch ein konsequentes Vorgehen gegen Fluchtursachen wie den Waffenhandel.
Angesichts der Aggression der Türkei gegen Nordsyrien und der Menschenrechtsbrüche von NATO-Staaten an der EU-Grenze zur Türkei veranstaltete die Bewegung „Seebrücke“ am 7. März bundesweit Demonstrationen unter dem Stichwort „Sicherer Hafen“. Dabei ging es einerseits um die Forderung nach Schutz für Menschen, die unter schlimmsten Verhältnissen auf ein Ende ihrer lebensgefährlichen Lage hoffen — schutzlos sind sie Wasserwerfern und anderen Waffen im Krieg gegen Fliehende ausgesetzt. Bei winterlichen Temperaturen steigt unter den geschwächten und traumatisierten Männern, Frauen und Kindern aus Familien mit vielen Kriegstoten und ohne Hab und Gut das Erkrankungsrisiko. Unterlassene Hilfeleistung und das Inkaufnehmen von Sterben gehört dort zum Alltag. Andererseits wandten sich die Redner gegen die Fluchtursachen: gegen Waffenexporte, Völkerrechtsbrüche durch Krieg und gegen die Heuchelei westlicher Politik, die erklärt, sie wolle Frieden durch kriegerisches Vorgehen herbeiführen. Bernhard Trautvetter sprach am 7. März auf der Seebrücken-Kundgebung in Essen für das Essener Friedensforum.
Liebe sozial engagierte Demonstrantinnen und Demonstranten!
Wir fordern ein Ende des Krieges gegen Flüchtlinge und der Fluchtursachen Waffenexport und Krieg! Nach den faschistisch motivierten Mordanschlägen von Kassel, Halle, Hanau und weiteren Gewaltverbrechen gegen das friedliche Zusammenleben fordern wir ein Ende der Verharmlosung und Begünstigung rechter Gewalt.
Die Menschenrechte, die nach dem Zivilisationsbruch, den der Terror des NS-Staates darstellte, vor 72 Jahren in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ beschlossen wurden, lassen sich nur dann umsetzen, wenn Bewegungen wie die Seebrücke, die Friedensbewegung und andere alternative Kräfte gemeinsam den Druck gegen die alltägliche strukturelle und direkte Gewalt aufbauen und auf die Einhaltung der Menschenrechte, der Genfer Flüchtlingskonvention, der Haager Landkriegsordnung und der UNO-Charta drängen.
Flüchtlinge haben das Recht auf freien Zugang zu den Gerichten in ihrem Aufenthaltsgebiet, auch um Asyl zu beantragen. Und Staaten sind selbst im Kriegsfall gezwungen, keine Gewalt gegen Zivilisten zu wenden. Das Völkerrecht verbietet Angriffe gegen fremdes Territorium. Der NATO-Staat Türkei bricht mit seiner Aggression in Nordsyrien das Gewaltverbot der UNO-Charta. Nach einem syrischen Angriff auf den Aggressor erklärte sich die NATO mit der Türkei solidarisch (1). Damit ist sie mit in einen Bruch des Völkerrechts verwickelt.
Die Türkei hat in der Folge des Krieges gegen die Kurden in Nordsyrien den Flüchtlingen im eigenen Land den Weg an die griechische EU-Grenze freigegeben. Es kam dann zu Tod durch Ertrinken im ägäischen Meer und zu Schüssen auf Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze am Fluss Evros (2).
Die EU erklärt ihre Solidarität nicht mit den gestrandeten und traumatisierten Männern, Frauen und Kindern, die durch den Krieg alles verloren haben und auf der Suche nach Zuflucht sind.
Die EU ist solidarisch mit griechischen bewaffneten Kräften, die erklären, sie schützen die EU-Außengrenze, und sie tun das mit Tränengas und Blendgranaten gegen Kriegsflüchtlinge. Mehr noch: Griechenland setzt das Asylrecht außer Kraft. Das ist ein erneuter Völkerrechtsbruch.
Wer damit solidarisch ist, der hat jede Glaubwürdigkeit aufgegeben, sich in anderen Bezügen auf die Menschenrechte und auf die Werte der UNO-Charta zu berufen. Die EU erklärt Flucht zum illegalen Grenzübertritt. Damit kriminalisiert sie die Opfer der Kriege! Und der baden-württembergische Innenminister Strobl bot zu allem Überfluss Mitte dieser Woche sogar an, Griechenland mit deutschen Polizisten beim so genannten Schutz der EU-Außengrenze zu unterstützen (3).
Die Tatsache, dass Neonazis sich an die griechische Grenze aufmachten, um den Krieg gegen Schutzsuchende mit auszufechten, macht deutlich, wie weit der Friedensnobelpreisträger EU gekommen ist.
Wenn wir uns dieser Politik des Unrechts und der Unmenschlichkeit entgegenstellen, verteidigen wir nicht nur die Opfer der Kriege gegen die Profiteure der Kriege, sondern wir verteidigen auch das Recht gegen die Barbarei der Strategen, die mit dem Unrecht des Stärkeren die Welt immer weiter aus den Angeln heben.
Die NATO-Staaten befeuern den Zerfall ganzer Regionen und auch noch den Zerfall der internationalen Rechtsordnung, die einen Rest an Reißleinen gegen den Abgrund in Krieg und Zusammenbruch darstellt. Das dürfen und werden wir nicht zulassen.
Die US-Armee lässt den nuklear bestückten Flugzeugträger Harry S. Truman im Mittelmeer kreuzen. Dies alleine macht deutlich, wie greifbar die Gefahr eines Flächenbrandes aufgrund der Handlungen der Militaristen ist. Sie rechtfertigen ihre Brutalität mit den Interessen der Menschen, indem sie behaupten, sie schützen Europas Freiheit, Rechtsordnung und Wohlstand. Sie meinen damit allerdings die Freiheit und den Wohlstand der Aktienbesitzer der Waffenindustrie und nicht den der Mehrheit der Bevölkerung. Wir sagen: Wer Waffen und Kriege exportiert, erntet Zerstörung und importiert Flucht. Er löst wissentlich Flüchtlingskatstrophen aus, die er dann zur Mutter aller Probleme erklären kann.
Derweil steigen die Kurse der Rüstungsaktien. Das Beispiel Rheinmetall macht das deutlich: Der Rüstungskonzern erreichte im Jahr 2015, als die Flüchtlingskatastrophe einen Höhepunkt erfuhr, mit 5,183 Milliarden Euro Umsatz ein Rekordhoch. Die Dividende stieg von circa 30 Cent auf weit über einen Euro pro Aktie (4). Anfang 2020 hielt dieser Höhenflug der Kriegsprofiteure noch an: Der Umsatz von Rheinmetall stieg 2019 auf rund 6,3 Milliarden Euro. Je Aktie bedeutete das eine Zulage von fast acht Euro (5).
Unsere Antwort kann nur lauten: Schluss mit Rüstung, Waffenhandel und Krieg! Hilfe für die Menschen in Not in den zerstörten Gebieten und auf der Flucht! Geld ist da, es fließt allerdings in bereits prall gefüllte Säcke der Profiteure der Gewalt. Sie lenken in den Medien von ihrer Verantwortung ab und erklären andere zum Problem: die Kriegsgegner der Türkei, die Flüchtlinge und diejenigen, die ihnen helfen. Sie kriminalisieren selbst die Seenotrettung, wie das Beispiel von Carola Rackete und der Sea Watch 3 zeigte (6).
Wenn wir das heuchlerische Spiel der Herrschenden, auch das der Desinformation durchbrechen, dann verhindern wir, dass die Katastrophen immer größere Ausmaße annehmen. Wir helfen auf diese Weise den potentiellen und bereits betroffenen Opfern von Gewalt und Krieg sowie uns selbst.
Deshalb gilt in unser aller Interesse:
Helfen wir den Menschen, verhelfen wir den Menschenrechten zum Durchbruch! Ohne Frieden zwischen den Menschen leiden die Menschen, die Natur und damit alles Leben. Der Weg zum Frieden ist der Frieden.
Wir unterstützen die „Aktion sicherer Hafen“ für die Gestrandeten. Hilfsbedürftige sind vor Krankheit und Tod zu retten! Unterlassene Hilfeleistung ist genauso ein Verbrechen wie das Zurückstoßen Hilfsbedürftiger auf offener See und an Grenzen durch so genannten Grenzschutz. Wer die Ordnung über die zu schützenden Menschen stellt, der trifft auf die Gegenwehr derer, die sich für ein zukunftsfähiges Leben auf diesem Planeten einsetzen.
https://seebruecke.org/
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.deutschlandfunk.de/syrien-nato-betont-solidaritaet-mit-der-tuerkei.2932.de.html?drn:news_id=1105772
(2) https://www.nzz.ch/international/migrationskrise-die-neusten-entwicklungen-ld.1535949
(3) https://www.focus.de/politik/ausland/fluechtlingskrise-griechenland-warnt-migranten-kommt-nicht-versucht-es-nicht_id_11719786.html
(4) https://www.derwesten.de/wirtschaft/rheinmetall-verzeichnet-rekord-umsatz-id11662978.html 18.3.2016
(5) https://www.wallstreet-online.de/nachricht/12227286-rheinmetall-steigert-gewinn-staerker-erwartet-prognose-2020-mitte-maerz/all
(6) https://www.welt.de/politik/ausland/article196207633/Sea-Watch-3-Kapitaenin-Carola-Rackete-Staatsanwalt-will-Ausweisung.html