Der Kampf um die Köpfe
Kriegspropaganda war gestern, denn heute ist diese „Kunst“ ein Teil der Kriegsführung und dabei überlassen die Profi-Propagandisten nichts mehr dem Zufall.
Gute Waffen sind das A und O beim Töten. Was helfen aber selbst ausgefeilte Waffensysteme, wenn die Menschen, die sie bedienen sollen, nicht ausreichend motiviert sind? Was helfen selbst gut gedrillte Soldaten, wenn die Heimatfront aufgrund unausrottbarer pazifistischer Weichlichkeit nicht mitzieht? Zu eben diesem Zweck ist Propaganda da. „Soldaten sind, man glaubt es nicht, aufs Sterben gar nicht so erpicht“, dichtete Reinhard Mey. Und die meisten von ihnen können auch dem Töten gar nicht so viel abgewinnen. Dies ist aus Sicht der Mächtigen ein bedauerliches Problem — es ist jedoch ein lösbares. Die Kriegsindustrie agiert schon lange nicht mehr nur zu Wasser, zu Lande und der Luft. Das wichtigste Schlachtfeld unserer Zeit sind die Köpfe der Menschen. Und wenn die nicht zu den Kriegsabsichten passen, werden sie passend gemacht. Der Autor beschreibt einige besonders drastische Beispiele. Eine Rezension zu „Kognitive Kriegsführung: Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO“.
Masha Borzunova hat seit einiger Zeit eine kleine Sendereihe bei arte. Die russische Endzwanzigerin, die im lettischen Exil arbeitet, erzählt von ihrer Heimat Russland. Sie sieht gut aus, wirkt taff. Ein echter Hingucker, könnte man sagen. Aber Achtung, Borzunova ist eine Waffe — ein kognitiver Leopard-Panzer, wenn man so will. Denn ihre Sendereihe „Fake News“ berichtet nicht aus Russland, sondern versucht Stimmung zu machen gegen das absolut Böse aus Osteuropa.
Sie arbeitet als Faktencheckerin für die westliche Medienwelt — und ist damit Teil der Kognitivarmee, die sich die NATO und auch andere westliche Organisationen halten. Die Russen tun das übrigens auch. Der Krieg der Zukunft, er findet auch auf dem kognitiven Feld statt — und zwar auf allen Seiten. Der Propagandaforscher Jonas Tögel hat darüber ein Buch geschrieben, es heißt: „Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO.“
Die Propaganda der Anderen
Ausgerechnet bei arte läuft das eingangs erwähnte Format: Der deutsch-französische Sender gilt gemeinhin als ausgewogen, als nicht aufgedreht. Mit der Reihe „Fake News“ hat man jedoch erstmals eine ziemlich eindimensionale Reihe gestartet — sie ist auch bei YouTube zu finden, man will schließlich möglichst viele Köpfe erreichen. Der gute Ruf von arte macht ein solches Konzept besonders attraktiv. Wenn die das ausstrahlen, muss diese Parole doch stimmen: Die Russen betreiben Fake News! Und zwar nur die Russen!
Dazu durchforsten Borzunova und ihr Team die russische TV-Landschaft. Vieles, was sie da ausgraben, ist durchaus kurios. Warum auch nicht? Natürlich manipulieren auch die Russen die Stimmung im eigenen Lande. Kognitive Kriegsführung ist auch ihnen nicht fremd. Würde man allerdings hierzulande jeden Bericht, jedes Programm durchstöbern, erhielte man auch unglaubliche „Einblicke in die deutsche Seele“ – oder in das, was man sich als solche ausdenkt. Oder ist das, was RTL2 ausstrahlt, wirklich Abbild dessen, was die Deutschen sind und wohin sie wollen? Borzunova macht aber genau das mit dem russischen Fernsehen.
Kein Wunder, als sogenannte Faktencheckerin gehört sie zur kognitiven Armee, die der Westen, besser gesagt die NATO, in Stellung bringt. Dass das so ist, tut man als Verschwörungstheorie ab. Auch dieses Framing ist eine Manipulationswaffe, wie Tögel schreibt — er bezieht sich dabei auf Propagandafachmann Edward Bernays, der die USA vom Ersten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre hinein außenpolitisch in Sachen Public Relations beriet. PR ist dabei nur ein anderes Wort für Propaganda — die machen nämlich nur die anderen: Damit fängt kognitive Kriegsführung an.
Die Anfänge der Wahrnehmungslenkung
Sie birgt aber noch viel mehr. Tögel zeichnet die Geschichte der kognitiven Kriegsführung nach, die im Grunde ja eine Geschichte der Kriegspropaganda ist — ihren Anfang nahm sie Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich die Tiefenpsychologie und der Behaviorismus gewissermaßen politisierten. Beide Fächer konnten gut für politische Zwecke ausgeschlachtet werden, sie waren die Soft Power, die den Mächtigen der westlichen Massengesellschaften — in den USA und in Europa erwuchs die Kriegspropaganda — als hilfreiches Mittel erschien.
Tögel nennt als ersten Pionier der Massenmanipulation einen PR-Spezialisten namens Ivy Lee. Der hatte zur Aufgabe, den Großindustriellen und Räuberbaron John D. Rockefeller aufzuhübschen. Der Milliardär hatte speziell nach einem Bergarbeiterstreik mit etlichen Toten einen schlechten Ruf, der Tod der Arbeiter erschien ihm nur als Kollateralschaden, der erlitten wurde, weil sie sich nicht fügten. Dass wir heute den Namen Rockefeller mit Wohltätigkeit verbinden, hat mit der Wahrnehmungslenkung Lees zu tun. Schon damals wurden Faktenchecker eingesetzt, also begünstigte Journalisten, die ein recht einseitiges Bild Rockefellers zeichnen sollten.
Als kurz danach der Erste Weltkrieg tobte, hatte der amtierende US-Präsident Woodrow Wilson ein Problem: In seinem Wahlkampf versprach er, sich aus Abenteuern in Übersee herauszuhalten. Doch dieser Isolationismus war nicht haltbar, die Vereinigten Staaten mussten aus ökonomischen Gründen eintreten. Wie konnte man das dem amerikanischen Wähler vermitteln? Auftritt jenes Edward Bernays: Er wandte die moderne Psychologie an, schuf eine Art „unabhängiger“ Presseagentur, die vermittelte, dass die Deutschen Unmenschen seien. Kurz und gut: Die Kriegspropaganda moderner Prägung war geboren – und um psychologische Kniffe angereichert worden.
Die sechste Front
Mittlerweile muss man den plumpen Begriff der Propaganda neu definieren, denn sie erlebt gerade eine massive Aufwertung seitens der NATO. Propaganda ist nicht mehr einfach nur etwas, was man sozusagen nebenher bestellt, mehr oder weniger dem Zufall überlässt: Die NATO möchte sie zum Teil der Kriegsführung erheben. Zur sechsten Front, die nach dem Kampf zu Wasser, zu Lande, in der Luft, im Internet und im Weltraum entsteht.
In einem Papier des NATO Innovation Hub steht unter anderem, dass „eine Überschneidung zweier operationaler Bereiche, die bisher getrennt verwaltet wurden: Psy-Ops und Einflussoperationen (Soft Power) auf der einen Seite und Cyberoperationen (Cyberverteidigung), welche das Ziel haben, physische Informationsquellen zu verschlechtern oder zu zerstören, auf der anderen Seite“ angedacht ist. Man könnte interpretieren: Die Propaganda soll gesteuert werden. Das Vorhaben wird unter dem Deckmantel der Progressivität gehalten, denn es habe das Zeug, ein Kriegsschauplatz ohne Tote zu werden — im optimalen aller Fälle, manipuliert man so geschickt, dass die Soft Power die Hard Power aussticht und kein Panzer rollen muss.
Jonas Tögel beschreibt in seinem Buch Techniken und etwaige Vorstellungen der NATO. Manches bleibt dabei vage, weil das Bündnis sich wortkarg gibt — und vermutlich selbst nicht ganz genau weiß, wohin moderne Technologien, die sich mit tiefenpsychologischem Geschick vereinen, noch führen können. Dass wir dem Treiben aber schutzlos ausgeliefert sind, schließt der Autor aus. Ein erster Schritt, sich nicht manipulieren zu lassen, so schreibt er, sei das Wissen darüber.
Sein Buch ist ein Beitrag dazu, es sensibilisiert und macht skeptisch gegenüber dem, was uns vermeintlich unabhängige Medien servieren. Nach der Lektüre sieht man Borzunova durchaus anders. Man erkennt die Raffinesse, die in diesem Konzept steckt: Eine junge, attraktive Frau mit russischen Wurzeln, die vorgibt, beim aufrichtigen Sender arte über Russland aufzuklären — guter Versuch, arte! Wer das Buch von Jonas Tögel gelesen hat, geht der jungen Frau nicht auf dem Leim.