Der innere Lehrer
Beim Versuch, die Herkunft unseres Leides zu ergründen, stoßen wir in der Menschheitsgeschichte immer wieder auf die gleichen Ursachen.
Warum leiden wir? Warum fügen wir anderen Leid zu? Warum ist die Welt so, wie sie ist? Es sind Fragen, die seit Menschengedenken gestellt werden, und schon immer gab es Versuche, darauf eine Antwort zu finden, so auch heute. Selbst wenn man Tausende Jahre alte Schriften wie das Alte Testament liest, erkennt man auf Anhieb, dass die Probleme der damaligen Menschen den unseren sehr ähneln. Neid, Missgunst, Hochmut, Arglist und die damit ausgelebten Verhaltensmuster inklusive der daraus resultierenden Konsequenzen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte. Zwar werden wir hier keine absoluten Wahrheiten enthüllen, doch werden wir versuchen, mit den uns zugänglichen Mitteln aus der Geistesarbeit unserer Vorfahren der Wahrheit ein wenig näher zu kommen.
Viele Philosophen, Psychologen und Geistliche haben den Versuch unternommen, die abstrakte und unendliche Weite des Kosmos unseres Geistes zu kartografieren. Beispielsweise lehrte uns Sigmund Freud als einer der ersten, dass sich ein Großteil dessen, was unser Verhalten verursacht, im Unterbewusstsein — er nannte es das „Es“— abspielt, und begründete damit zugleich die Unterteilung des Geistes in Ebenen.
Das Unterbewusstsein ist eine Ebene, auf die wir keinen direkten Zugriff haben, welche jedoch erheblichen Einfluss auf unser Auftreten, unsere Haltung, unsere Vorlieben, unsere Reaktionen und unser Tun nimmt. Dort können wir auch die Quelle unseres Leidens verorten; doch die scheinbare Ferne dieser Ebene erschwert es uns, die dort herrschenden Abläufe zu erkennen und zu eliminieren beziehungsweise zu korrigieren. Vielmehr sehen wir uns mit der Aufgabe konfrontiert, ein Leben lang die Konsequenzen zu tragen und zu bewältigen.
Da wir es offensichtlich nicht schaffen, direkt auf das Unterbewusstsein einzuwirken und dort unsere Probleme zu lösen, können wir versuchen, uns mithilfe der Logik, der Deduktion sowie der Induktion zu helfen, um ein Fundament zu erschaffen, auf dem wir unseren Glauben an das Gute, die Liebe und die Hoffnung begründen können. Glücklicherweise wurden wir damit nicht alleine gelassen, sondern werden tatkräftig vom immerwährenden Universum in Form eines inneren Lehrers unterstützt. Die Christen nannten ihn den „Heiligen Geist“.
Der Heilige Geist fungiert als Mittler zwischen der Wahrheit und den Illusionen, die unser Geist spinnt. Er sieht beide Welten: die von uns gemachte, sich ständig verändernde Welt sowie die uns verborgene, beständig wahre Welt, welche zwar immer wieder durch das Dickicht des Lebens durchschimmert — beispielsweise wenn wir an einem herrlichen Frühlingstag an einer Magnolie riechen —, in die wir jedoch nach unserer Reise durch die Pforte des Todes endgültig zurückkehren werden.
Doch was ist der Tod?
Nahtoderlebnisse
Viele, wenn nicht die meisten, assoziieren den Tod mit etwas Negativem, vor dem sie Angst haben, mit etwas, dass es zu vermeiden gilt: mit dem absoluten Ende. Glücklicherweise völlig zu Unrecht. Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Übergang. Dank des medizinischen Fortschritts konnten mittlerweile zigtausend Menschen nach schweren Unfällen oder Krankheit wiederbelebt werden oder mit anderen Worten: Sie wurden in ihre Körper zurückgeholt. Man nennt das ein Nahtoderlebnis (NTE).
Unzählige berichten uns von dem, was „auf der anderen Seite“ passiert. Ein nicht geringer Teil derer, denen es wiederfahren ist, traut sich lange Zeit nicht, darüber zu sprechen, da sie sich davor fürchten, belächelt oder für verrückt erklärt zu werden. Dies hängt damit zusammen, dass unsere auf dem Materialismus aufbauende Kultur nur wenig für diese Themen übrig hat. Dabei sind die Erlebnisse, die sie uns zu erzählen haben, atemberaubend schön, wie Balsam für das Herz, wodurch sie imstande sind, unseren restlichen Tagen hier auf Erde eine gewisse Gelassenheit zu schenken.
Inzwischen haben sich auch Wissenschaftler der Sache angenommen und versuchen, eine Ordnung in die Thematik zu bringen. Zu den wohl bekanntesten gehören Raymond Moody (1), ein Pionier auf diesem Feld, Pim van Lommel, mit der umfangreichsten Studie zu NTEs (2), sowie Eben Alexander, ein Neurochirurg, der selbst eine Nahtoderfahrung machte und vom Skeptiker zum Gläubigen beziehungsweise Wissenden mutierte (3).
Besonders die beiden Letztgenannten versuchten, neben der Kategorisierung von NTEs, uns auch Erklärungsversuche für das grundlegendste aller Phänomene — nämlich das Bewusstsein — anzubieten, indem sie Erkenntnisse aus der Quantenphysik zu Hilfe zogen. Wer Schwierigkeiten mit dem Lesen von Büchern hat, dem empfehle ich, sich ein paar Videos auf YouTube zu diesem Thema anzuschauen. Viele Menschen haben sich entschieden, ihr Erlebnis öffentlich mit uns zu teilen, und ich bin ihnen sehr dankbar dafür; nicht selten kommen mir hierbei Tränen in die Augen.
Zwar vermuten Forscher, dass eine erhöhte Aktivität des Gehirns in einer NTE für diese Eindrücke verantwortlich ist. Einige Forschungsergebnisse deuten aber an, dass diese Erfahrungen erst bei geringeren Gehirnaktivitäten stattfinden. Bei Eben Alexander beispielsweise, dessen Gehirnaktivität während seines Komas überwacht wurde, waren die Gehirnareale durch eine bakterielle Meningitis stark beeinträchtigt, welche für Erfahrungen verantwortlich sind, die er zu diesem Zeitpunkt machte. Erklären könnte man es damit, dass das Gehirn eine Entität dieser Dimension ist und unser Bewusstsein für das hiesige Erleben anpasst.
Obwohl meines Erachtens die Erforschung dieses Wissenschaftsbereichs von enormer Wichtigkeit für die Menschheit wäre, findet nur wenig Forschung statt. Das hat mit der eben erwähnten materialistischen Vorherrschaft innerhalb der Gesellschaft und somit auch Wissenschaft zu tun sowie der unbewussten Gewissheit, dass wahre Erkenntnis der herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung diametral entgegensteht.
Die Welt und das Ego
Sigmund Freud betrachtete das Ego als eines der drei Hauptelemente in der menschlichen Psyche, zusammen mit dem Es und dem Über-Ich. Dieses Konzept unterscheidet sich von den neuen Theorien über die Psyche, welche weitgehend von Vertretern der sogenannten New-Age-Bewegung geprägt wurden, in dem Maße, da sie dem Ego einen viel größeren Anteil am menschlichen Innenleben zusprechen, als Freud es tat.
Ich würde sogar noch weiter gehen und möchte gleichzeitig an dieser Stelle den Versuch wagen, eine Makroperspektive zu kreieren, um ein besseres Verständnis unserer Natur und ihrer Wechselwirkung mit allem von uns Wahrnehmbaren zu ermöglichen, indem ich das Postulat aufstelle, dass dieselben Mechanismen, welche das Ego hervorgebracht haben, die ganze Dimension, die wir gerade bewohnen, erschufen.
Es scheint, als wäre das Ego mit der ganzen hier wahrnehmbaren Welt untrennbar verwoben. Dies begründe ich beispielsweise mit der Beobachtung von Tieren, welche dem Menschen sehr ähnliche Verhaltensmuster aufweisen, der oftmals erbarmungslosen natürlichen Ordnung von „Fressen und gefressen werden“ sowie den hier herrschenden dualistischen Prinzipien wie Licht und Dunkelheit, Kälte und Wärme, Liebe und Angst. Es hat eine Form von Spaltung stattgefunden, die in allem von uns Wahrnehmbaren wiedergespiegelt wird, und genau dieses Phänomen fand und findet auch in unserem Geiste statt. Innere und äußere Welt spiegeln sich exakt wider.
Die Welt ist eine Kreation des gespaltenen Geistes, und das Ego ist ihr Herrscher.
Der Materialismus ist die Domäne des Egos. Das Ego versucht, sich mithilfe der Ablenkung des Geistes von den essenziellen Fragen des Lebens hin zu Nichtigkeiten sein Überleben zu sichern. Dem unterliegen Wissenschaftler wie auch die Mehrheit unserer Gesellschaft . Das Ego ist nicht nur das Substrat und die Quelle für das Leid, das wir alle erfahren, sondern die inhärente Eigenschaft alles hier Wahrnehmbaren.
Das Konzept der Spaltung und das damit verbundene Leid
Die erste Spaltung, der erste trennende Gedanke, der Leid verursacht, ist der Gedanke einer Trennung von unserem Schöpfer, von Gott, vom großen Ganzen, dessen Teil wir alle sind. Dies ist auch die Geburt des Ego, unserer eingebildeten, vermeintlich autonomen, individuellen Identität und des damit verbundenen Gedankens der Schuld. Der Trennungsgedanke führt psychologisch unausweichlich zu einem Gefühl von Schuld und ist die tiefste Ursache für unsere Schwierigkeiten, uns selbst zu akzeptieren und zu lieben.
Sobald wir uns schuldig fühlen, erwarten wir eine Bestrafung, und das führt zu Angst. Die Vermutung liegt nahe, dass die ersten Christen dieses ganze Geschehen mit dem Wort „Erbsünde“ belegten, nur dass das Verständnis über die vergangenen Jahrtausende verloren gegangen ist. Wir erwarten unbewusst eine Bestrafung von unserem Schöpfer, wofür es etliche Hinweise im Alten Testament gibt. Die Autoren glaubten, Gott hätte Adam und Eva aus dem Paradies verbannt, dabei taten sie es selbst. Immer wieder schrieben sie von Gottes Zorn und seiner Rache, womit sie ihre eigenen Ängste auf ihren himmlischen Vater projizierten.
Der Mensch schuf Gott nach seinem Ebenbild
Erst Jesus machte dem ein Ende, womit er zeitgleich ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte einläutete, indem er das Bild eines gütigen und vergebenden Vaters zeichnete, von dem wir keine Angst zu haben brauchen. Wir sollen lediglich seine immerwährende Liebe akzeptieren, die keine Gegenleistung erwartet.
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15, 11-32) deutet Jesus an, dass die Verfehlungen des Sohnes für den Vater keinen Grund darstellen, ihn zu bestrafen. Im Gegenteil: Nachdem der Sohn seinen Teil des Vermögens verprasst hatte und demütig zum Vater zurückkehrte, umarmte ihn dieser voller Freude, gab ihm Kleider und Schmuck und bereitete ihm ein Fest. Das von Jesus neu angebotene Konzept der Schuldlosigkeit war für die überwiegende Mehrheit inakzeptabel, und so kreuzigte man ihn.
Schuldlosigkeit ist für das Ego inakzeptabel, weil diese Wahrheit das Fundament seiner eigenen Identität untergräbt.
Bedeutet diese Idee, dass wir tun und lassen können, was immer wir wollen? Im Grunde genommen ja, nur müssen wir all die negativen Konsequenzen für unsere verfehlten Wünsche, Begierden und Taten tragen, was letztendlich keiner von uns will. Es täte uns gut, unseren eigenen Willen auf die Waagschale zu legen, um zu sehen, wohin er uns führen wird. Wollen wir weiterhin leiden und Leid verursachen, oder wollen wir uns vom Leid befreien und glücklich werden?
Es ist nicht Ziel, gut sein zu müssen, sondern anzuerkennen, gut sein zu wollen. Um sich diesen Willen zu eigen zu machen, wies uns Jesus an, ins Innere zu schauen und dort unsere Probleme zu lösen. Matthäus 23,26: „Du blinder Pharisäer, reinige zum Ersten das Inwendige an Becher und Schüssel, auf das auch das Auswendige rein werde!“, Matthäus 15,10-11: „Was zum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was zum Munde ausgeht, das verunreinigt den Menschen.“
Das Ego , die Schuld und die Projektion
Nach meiner Beobachtung zieht sich dieses schuldbehaftete Denken auch heute noch durch die Gesellschaft. Nicht nur in der Religion, sondern auch in der Wirtschaft. Allein unser Geldsystem basiert auf dem Gedanken der Schuld. So schuf der Mensch ein Schuldgeldsystem, indem neues Geld hauptsächlich von kommerziellen Banken durch Aufnahme von Krediten ihrer Kunden emittiert wird. Ein perfides System, da durch den verlangten Zins mehr Geld gefordert wird, als sich im Umlauf befindet, und immer wieder neue Kredite aufgenommen werden müssen, um alte Kredite abzuzahlen, wodurch das Wirtschaftswachstum zur Notwendigkeit wird.
Würden alle Schulden abbezahlt, gäbe es so gut wie kein Geld mehr. Die Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Privatpersonen zwingt uns, mehr zu arbeiten, als wir eigentlich müssten, und zwar unabhängig davon, wie sinnvoll diese Arbeit ist und ob sie die Umwelt zerstört oder menschliches Leid verursacht.
Um zur Religion zurückzukehren — schauen wir uns die Dogmen des Christentums an: Die Erbsünde und die damit verbundenen Konsequenzen sind so tief im Glauben des Christentums verankert, dass die Gläubigen die Ideen, die Jesus ihnen angeboten hatte, bis heute nur teilweise akzeptieren können.
Der Mensch gilt bei den Christen als ein sündiges Wesen, das von seiner Sünde errettet werden muss, und zwar durch die Annahme von Jesus Christus als Erlöser. Für sein Bild vom Menschen hat das Christentum auch starke Argumente, indem es einfach auf den Zustand der Menschheit hinweist. Betrachten wir diesen, ist dem auch nur schwer etwas entgegenzusetzen.
In seinem Buch „Unser Glaube“ vergleicht Emil Brunner den Menschen mit einem Apfel, auf dem die Sünde nicht als kleiner dunkler Fleck beschrieben wird, den man mit einem Messer herausschneiden kann, sondern als eine vom Kern her verfaulte Frucht. Ich habe das Buch vor knapp zwanzig Jahren gelesen und kann mich noch immer sehr gut an diese Stelle erinnern, sie hat mich geprägt. Auch während Diskussionen mit Christen ist mir aufgefallen, dass sie stark an der Sünde und dem damit verbundenen Menschenbild hängen, woran ich eindeutig Merkmale der Funktionsweise des Egos erkenne.
Wenn man erst gelernt hat, die Handschrift des Egos zu lesen, erkennt man seine Spuren überall.
Da der Gedanke von Schuld für unseren Geist nur schwer zu ertragen ist, bietet das Ego uns zwei Lösungen an, um damit umzugehen. Zuerst empfiehlt es uns, dieses Gefühl „unter den Teppich zu kehren“, was eine Zeit lang gut zu funktionieren scheint. Sigmund Freud benutzte den Begriff „Verdrängung“, um diesen Mechanismus zu beschreiben, bei dem unerwünschte oder schmerzhafte Gedanken vom Bewussten ins Unbewusste gedrängt werden.
Die zweite Lösung, die uns das Ego anbietet, ist die Projektion. Dabei werfen wir das Unbehagen, welches in unserm Innern herrscht, auf unsere Mitmenschen und geben ihnen die Verantwortung für unser Befinden. Es scheinen Abläufe zu sein, die man mit einer gewissen Trivialität etikettieren wollte, doch sind sie letztendlich für das meiste Leid auf unserem Planeten verantwortlich.
Das neue Bild vom Menschen
Nicht nur die Tierwelt beziehungsweise die Welt der biologischen Körper befindet sich in einem evolutionären Prozess, sondern das ganze Universum, wozu ich auch den menschlichen Geist zähle.
In den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es eine bemerkenswerte geistige Entwicklung in den westlichen Ländern, welche unter dem Begriff „New Age“ zusammengefasst wurde. Es zeichnete sich ein neues Bild vom Menschen ab, weg vom sündigen und unvollkommenen Geschöpf Gottes hin zu einem sich in einem Entwicklungsprozess befindenden heiligen Wesen, welches ein viel innigeres Verhältnis zu seinem Schöpfer pflegt.
Auch wurde versucht, ein ganzheitlicheres Bild des Menschen und des Universums zu erschaffen, in dem der Mensch nicht mehr als ein von allem getrenntes und in eine ihm feindlich gesinnte Welt geworfenes Geschöpf verstanden wird, sondern als einen seine Umwelt kreierenden Schöpfer, der sich in ständiger Wechselwirkung mit dem Universum befindet.
Eckhart Tolle zähle ich zu den wohl bekanntesten Vertretern der New-Age-Bewegung sowie den großen spirituellen Lehrern unserer Zeit, die noch unter uns weilen. Er ist wie ein unübersehbarer Wegweiser auf dem Weg zur Erkenntnis. Zwar stimme ich heute nicht mehr mit allen Sichtweisen überein, die er in seinen Büchern „Jetzt — die Kraft der Gegenwart“ und „Eine neue Erde“ vertritt, doch bin ich ihm überaus dankbar für das, was er mich gelehrt hat. Ich kenne fast niemanden, der so gut das Ego beschrieben hat wie Tolle, und kann mich noch ziemlich gut an jenen Gedanken erinnern, der beim Lesen des Buches „Jetzt — die Kraft der Gegenwart“ aufgekommen ist. Nämlich dass sich die vielen dort beschriebenen Eigenschaften des Egos ziemlich gut mit denen, die man dem Teufel zuschreibt, decken.
Der Teufel wird von uns als eine mächtige und aktive Kraft wahrgenommen, die sich in Opposition zu Gott befindet und mit ihm um den Besitz seiner Schöpfungen ringt. Er lügt und betrügt, um sein Reich aufzubauen, und scheint mit seinen falschen Versprechungen die Menschen eher anzulocken, anstatt sie abzustoßen, indem er sie für Gaben, die keinen wirklichen Wert haben, dazu bringt, ihre Seelen zu verkaufen. Ähnliches gilt für das Ego, welches in Opposition zu unserem wahren Selbst entstanden ist und mit raffinierter List uns von sich selbst überzeugt und uns von der Selbsterkenntnis abhält.
Für viele mag es schwer zu akzeptieren oder zu fassen sein, aber wir sind vollkommen erschaffen worden. Dabei geht es nicht um unseren Körper, der es offensichtlich nicht ist, sondern um die Essenz dessen, was wir in Wirklichkeit sind, nämlich Geist. Vollkommen erschaffen, immerwährend geliebt, ohne einen Hauch von Sünde oder Schuld. Die Welt versucht uns das vergessen zu lassen, indem sie uns unendliche Möglichkeiten bietet, uns mit allem Möglichem zu identifizieren außer mit der Wahrheit. Ich glaube, dass die Welt genau aus diesem Verlangen heraus entstanden ist.
Über die Natur der Welt
Kehren wir nun zur Ausgangsfrage zurück, nämlich warum die Welt so ist, wie sie ist. Dazu möchte ich die Aufmerksamkeit zunächst noch auf ein Experiment lenken, welches schon 1801 vom britischen Forscher Thomas Young durchgeführt wurde, nämlich das Doppelspaltexperiment.
Bei der klassischen Form des Experiments werden Elektronen oder Photonen auf eine Platte mit zwei Spalten geschossen. Hinter der Platte steht eine Wand, auf der die Teilchen, welche durch die Spalten fliegen, registriert werden. Das dabei auf der Wand entstehende Interferenzmuster lässt uns schlussfolgern, dass Elementarteilchen Welleneigenschaften besitzen und durch beide Spalten gleichzeitig fliegen können. Interessant wurde es, als Wissenschaftler sich dazu entschlossen Messungen an den Spalten durchzuführen, um herauszufinden, welchen Spalt das Teilchen tatsächlich benutzt. Das Ergebnis war verblüffend. Das Interferenzmuster auf der Wand verschwand, und es war nur noch ein Abbild zweier Spalten zu sehen. Das Teilchen verhielt sich nicht mehr wie eine Welle, sondern wie eine Masse.
Das Resultat dieses Experiments legt nahe, dass der Akt der Beobachtung Einfluss auf das Verhalten von Teilchen nimmt. Die Konsequenz aus dieser Schlussfolgerung war und ist tiefgreifend für unser Verständnis der Realität. Sie beschäftigte die bekanntesten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts dermaßen, dass sie 1927 die Solvay-Konferenz abhielten — eine der berühmtesten Konferenzen in der Geschichte der Physik —, um über die Grundlagen der Quantenmechanik und die Natur der Realität zu diskutieren. Man fragte sich tatsächlich, ob es eine objektive Realität gibt oder ob sie nicht vielmehr durch das Bewusstsein kreiert wird. Ich tendiere zum Zweiten, möchte mich im Folgenden der Induktion im philosophischen Sinne bedienen und die Aufmerksamkeit auf das, was wir „träumen“ nennen, lenken.
Entsteht nicht in Träumen eine Welt, die ganz wirklich zu sein scheint? Die wenigsten von uns stellen diese Welt während des Träumens infrage, obwohl sie gegen so viele uns bekannte Gesetze verstößt. Wir wechseln Räumlichkeiten in Sekundenschnelle und erleben skurrile Szenerien mit kuriosen Gestalten. Dennoch sind sie für uns im Moment des Träumens real. Wir befinden uns in einer Welt, die um uns herum zu sein scheint, und doch existiert sie nur in der Abstraktion unseres Geistes. Wir erfahren Emotionen und machen die Welt, wie wir sie haben wollen.
Könnten wir nicht aus dem Traum eines vermeintlich individuellen Geistes auf das große Ganze schließen? Sind wir nicht vielleicht alle Teil eines großen Traums, aus welchem wir nach unserem Ableben zu einer anderen Realität erwachen? Verstößt diese Welt nicht zu sehr gegen die in unseren Herzen tief verankerten, unauslöschlichen Gesetze der Liebe, als dass sie die absolute Wahrheit sein könnte? Verbringen wir nicht vielleicht die ganze Zeit nur mit Träumen?
Wie im Kleinen, so im Großen
Die Welt ist so, wie sie ist, weil sie aus dem Trennungsgedanken entstanden ist. Wir alle sind „der verlorene Sohn“, der sein Vermögen verprasst hat, und einige von uns wollen die Rückkehr antreten. Der zu beschreitende Weg hat zwar einen diesseitigen, weltlichen Aspekt, doch befindet sich der Führer in der Abstraktion unseres Geistes, dem wir die Führung überlassen sollten. Er spricht die ganze Zeit zu uns, nur ist seine Stimme leise und befiehlt auch nicht, sondern leitet uns sanft an, den Traum der Trauer, der Angst und des Todes gegen einen glücklichen Traum einzutauschen. Alles, was wir dazu tun müssen, ist, still zu werden und bereitwillig zu sein.
Johannes 14, 16-17 :
„Und ich will den Vater bitten, und er soll euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch bleibe ewiglich: den Geist der Wahrheit, welchen die Welt nicht kann empfangen; denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr aber kennet ihn; denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“
Quellen und Anmerkungen:
(1) Raymond A. Moody: Leben nach dem Tod
(2) Pim van Lommel: Endloses Bewusstsein
(3) Eben Alexander: Blick in die Ewigkeit