Der Homo demens
Eine Essaysammlung beschreibt die uns aufgezwungene Disruption, aber auch den neuen Gemeinschaftsgeist, der sich aus den Trümmern erhebt. Exklusivabdruck aus „Homo Demens“.
Das dritte Jahr „New Normal“ hat sich unlängst mit einigem Getöse verabschiedet. Gemischte Gefühle bestimmen den unvermeidbaren Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate. Denn auf der einen Seite nimmt die oktroyierte „Zeitenwende“ mit all ihren Kollateralschäden weiter Fahrt auf — während sich auf der anderen Seite, auf den rauchenden Ruinen des neofeudalen Raubtierkapitalismus, bereits Keimzellen einer freiheitlich-dezentral organisierten Zivilgesellschaft von morgen verbinden. Aus der vermeintlichen Jahrhundert-Pandemie, deren disruptives Momentum die Zivilisation seit Anfang 2020 in Atem hielt, erhob sich binnen kürzester Zeit eine geradezu ohrenbetäubende Kakofonie multipler Krisen. Die leise Hoffnung auf eine Restauration der alten Normalität, die insgeheim wohl nicht wenige bis heute hegen, dürfte nun allmählich auch bei den größten Optimisten einem tristen Realismus weichen. Sozioökomische Turbulenzen weiten sich aus, die supranationale Machtübernahme demokratisch nicht legitimierter Bürokratien schreitet voran, und die im Kern inhumane „vierte industrielle Revolution“ durchdringt zusehends den Alltag. Die Gesellschaft ist gespaltener denn je, das ohnehin brüchige Konstrukt bundesdeutscher Fassadendemokratie zerschlagen wie eine Glasscheibe. Die Scherben lose auf dem Boden verteilt. Spontane Ordnung greift wider die evolutionäre Natur eher selten Raum. Und jeder neue Spaltpilz, den die Dirigenten des Chaos in den öffentlichen Raum treiben, wirkt wie ein Hammer, zerlegt die kläglichen Reste eines matt-trüben Zeitfensters mit Blick gen Zukunft in weitere Splitter. Die Echokammern werden kleiner — und die Angsträume größer.
Ja, tatsächlich wird absolut nichts mehr werden, wie es einmal war. Das ist vielleicht auch gut so. Denn auf der Habenseite hat das Jahr 2022 gezeigt, was möglich ist, wenn Gleichgesinnte zusammenfinden und -arbeiten, wenn Altruismus über finanziellen Interessen steht, wenn Liebe sich gegen Hass bewährt. Das Potenzial ist riesig — und das uns umgebende System von Grund auf krank und destruktiv. Zeit, es zu erneuern. Aus den Resten seiner autonomen Fundamente heraus anstatt durch Klassenkampf von oben. Eine gerechtere, humanere und dezentraler organisierte Welt ist jederzeit möglich. Zweifelsohne. Doch ohne die bitteren Erfahrungen, Erkenntnisse und Ernüchterungen der jüngeren Vergangenheit hätte sich die Menschheit vermutlich niemals aufgerafft, nie genötigt gesehen, dieses überbordende Veränderungspotenzial zu realisieren.
Bedauerlicherweise lernt der Homo sapiens oft erst durch Schmerz, anstatt sich durch Lehre oder Anleitung zu vernünftigerem Handeln inspirieren zu lassen. So sekundieren die in Unruhe, Unsicherheit und Unmut kulminierenden Krisen, Konflikte und Kriege der Postmoderne nicht nur das Ende einer Ära, sondern evozieren auch die natürliche Gegenbewegung. Die entmenschlichende Technokratie, die organisierte Kriminalität in der Spitzenpolitik, die mafiösen Umtriebe von „Public Private Partnerships“ und NGOs sowie die unstillbare Gier des globalisierten Korporatismus zeitigen ein Panoptikum an epochalen Zäsuren, das für die Spezies Mensch eine geradezu historische Chance offeriert. Die Chance, sich endlich von den Zwängen eines feudalistischen Systems zu lösen, das zulasten der vielen stets nur den wenigen gedient hat.
Zu keinem Zeitpunkt der Zivilisationsgeschichte waren sich dessen mehr Artgenossen auf diesem Planeten parallel bewusst als in diesem Moment. Denn das gesichtslose Imperium hat seine hässliche Fratze im Jahr 2022 vollends offenbart. Biosicherheitsdoktrin, schamlose Oligarchie und globalisierter Überwachungsstaat. Die geopolitischen Rochaden, die geoökonomischen Transformationsprozesse, die sozial-ethischen Dammbrüche sowie der kulturrevolutionäre Dogmatismus sprechen für sich. Die Masken sind endgültig gefallen. Der Gegner hat Kontur.
Risse in der Matrix eines aufblühenden Totalitarismus werden nur noch hastig und mit zunehmend schizophren anmutenden Narrativen oder Strohmännern kaschiert. Plumpe Flickschusterei für Lügengebilde und Potemkinsche Dörfer.
Wer jetzt noch mitmacht, ist entweder nicht im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten oder verschreibt sich wissentlich der dunklen Seite der Geschichte. Bornierter Mitläufer will ja später keiner gewesen sein.
So war 2022 für mich primär ein Jahr der Menschen. Das Jahr jener Despoten und Lügner, die eine Amnestie für ihre Vergehen im Zuge der COVID-Krise einfordern, sich aber Amnesie erhoffen. Jener Funktionäre, die sich nicht entschuldigen oder abtreten müssen, weil Rufmord an Andersdenkenden ihr Auftrag ist, ad hominem ihr Mittel der Wahl. Das Jahr jener Hetzer, die Begriffe wie Solidarität, Frieden und Pazifismus ad absurdum führten, um George Orwells 1984-Slogan „Krieg ist Frieden“ zu schwer erträglicher Realität werden zu lassen.
Das Jahr des Neusprech, des blinden Kollektivismus, der kognitiven Dissonanzen und fortgesetzten Devolution des Homo sapiens als Sklave von Plattformökonomie und technologischem Fortschritt — was auch den von einem meiner Essays übernommenen Buchtitel erklärt. Und das Jahr postfaktischer Propaganda jenseits düsterster Vorahnungen, in dessen Verlauf noch einmal unmissverständlich klargestellt wurde, dass von Konzern-, Leit- und Massenmedien kein Journalismus nach Definition des Pressekodex mehr zu erwarten ist. Die sogenannte vierte Säule der Demokratie formen längst die neuen Medien. Ohne ihr Engagement hätte sich der eisige Würgegriff des Totalitären ungleich schleppender gelockert. Aus diesem Grund werden sie so massiv attackiert, diffamiert, blockiert und zensiert. Ein bittersüßes Stigma des Erfolgs. Obgleich dieser Erfolg lediglich temporärer Natur sein dürfte. Denn die vergangenen drei Jahre waren wohl nur die Aufwärmphase für eine Dekade der Tyrannei. Der „Kick-off“. Sie haben den Weg nach Dystopia geebnet.
In Erinnerung bleiben wird mir das Jahr 2022 aber vornehmlich aufgrund all der positiven Begegnungen mit Menschen. Denn nie zuvor traten binnen weniger Monate so viele Personen in mein Leben, mit denen ich nicht nur Überzeugungen, Werte und moralische Prinzipien teile, sondern auch Leidenschaften, Lebenslust und die „unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (Milan Kundera, 1985). Es war dies ein äußerst produktives, ermutigendes und bereicherndes Jahr, das mir neuerlich vor Augen führte, was Worte bewegen. Dass die Feder mächtiger ist als das Schwert, habe ich immer schon gewusst. Dass sie — getränkt von Information, Authentizität und Courage — die schärfste Waffe der Aufklärung ist, das mächtigste Bollwerk der Wahrheit, durfte ich nun anno 2022 dank einer Vielzahl von Rückmeldungen am eigenen Leibe und in aufrichtiger Dankbarkeit erfahren.
Dies in einer Intensität, wie sie mir bisher nur im Rahmen meines musikalischen Schaffens begegnete. Die aus meiner Schreibarbeit entstandene Korrespondenz, die mannigfaltigen Kontakte und die zahlreichen Gespräche mit interessanten Menschen verschiedenster Couleur haben mein Leben zusätzlich bereichert. Es erfüllt mich mit einem ungemeinen Glücksgefühl, wenn ich erfahren darf, dass jene Buchstaben, die ich, zumeist umgeben von der losgelösten Ruhe der Nacht, auf weiße Seiten banne, Effekte haben, Veränderungen anstoßen, Momentum generieren und Prozesse auslösen. Wenn ich erkennen kann, dass die über Texte kommunizierten Informationen absorbiert, reflektiert, verifiziert und multipliziert werden. Denn die Gedanken sind frei und Ideen die weithin sichtbaren Leuchttürme im grauen, niederdrückenden Nebelschleier eines sedierenden Konformismus.
Also lasst uns realistisch sein und das Unmögliche versuchen.
Im Lichte dieses Mottos freue ich mich, in der vorliegenden Anthologie nun insgesamt 37 im Verlauf des vergangenen Jahres entstandene Texte, Artikel, Essays und Polemiken präsentieren zu können. Konserviert in physischer Form, auf Papier, um sie vor der digitalen Bücherverbrennung zu bewahren, die das freie Internet wie ein bösartig wuchernder Tumor durchdringt. Aufgrund des Formats meiner Arbeiten, die zumeist online publiziert werden, habe ich, wie im letzten Jahr, auf das Anfügen von Fußnoten im Buch selbst verzichtet, da alle referenzierten Quellen oder Links — und wir sprechen für 2022 von einer vierstelligen Anzahl — jederzeit über meine Webseite nachzuvollziehen sind, wo alle Texte kostenlos, nummeriert und in chronologischer Reihenfolge als PDF-Datei zum freien Download zur Verfügung stehen (URL: www.regenauer.press/blog).
Sollte die Webseite, aus welchen Gründen auch immer, einmal offline sein, sind alle Texte jederzeit als ZIP-Archiv via E-Mail an „regenauer.press@proton.me“ erhältlich. Begriffe, Informationen und Feststellungen, die im Originaltext mit weiterführenden Dokumenten belegt oder verlinkt sind, wurden im Buch unterstrichen, um die Verifikation der Angaben über das jeweilige PDF-Dokument zu erleichtern. Etwaige Redundanzen bei Quellenangaben oder Bezügen bitte ich bereits vorab zu entschuldigen. Die ein oder andere Information habe ich absichtlich in mehreren Artikeln referenziert, da ich sie für extrem wichtig halte.
Ausgangs möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie mit dem Erwerb dieses Buches dabei helfen, meine Arbeit in analoger Form für die Nachwelt zu erhalten. Denn „wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern“, wie André Malraux zu sagen pflegte. Daher: vielen herzlichen Dank!
Ich hoffe, mit meinen Texten einen fundiert recherchierten, ungefilterten Gegenpol zu offiziellen Narrativen und von Partikularinteressen geleiteter Propaganda darstellen zu können, um so den ein oder anderen konstruktiven Diskurs anzuregen. Ich will weder missionieren noch überzeugen — sondern kontextualisieren und kommentieren. Ich möchte Information und Wissen teilen, um jedem Leser zu ermöglichen, über Triangulation aller verfügbaren Daten seine eigene Position zu bestimmen. Denn nichts ist wichtiger für eine faire, inklusive und eigenverantwortlich organisierte Gesellschaft als offene Debattenräume. Nur in konstruktiver Auseinandersetzung mit allen verfügbaren Informationen, Ideen und Meinungen entstehen nachhaltige, holistische Denkmodelle. Und tragfähig sind Lösungen nur dann, wenn sie auf einem breiten Fundament ruhen. Wer Andersdenkende ausgrenzt, Deutungshoheit beansprucht, Medien zensiert und politische Gegner diffamiert, handelt zutiefst antidemokratisch und — im Wortsinn — asozial.
Denn wir sind eine Menschheitsfamilie. „Divide et impera“ dient nur jenen, die diese beherrschen wollen. So schreibe ich für alle und streite mit jedem. Das ist die Essenz von Demokratie. Eine Demokratie, die Meinungspluralismus verteufelt und eine gesunde Streitkultur unterbindet, ist keine.
Das Buch erscheint am 3. Februar 2023. Hier können Sie es bestellen.