Der grausame Sommer

Steigende Gewaltneigung in verschiedenen Ländern bestimmt das Bild auf den Straßen und in den Nachrichten. Die Obrigkeit hat darauf kaum eine andere Antwort als Repression.

Ist es ruhig im Land, verhängen die Regierenden Freiheitseinschränkungen; herrschen Unruhe und Chaos, geschieht dasselbe. Dem strukturellen Sadismus der Macht folgend — nach Erich Fromm ist damit der Wunsch gemeint, andere Lebewesen vollkommen zu beherrschen — fügen sie Stein auf Stein zu der Mauer, die uns einpferchen soll. Eine „Sommerpause“ ist es nicht, was wir derzeit erleben. Eher ein „Cruel Summer“, wie Taylor Swift ein Lied benannt hat, die Sängerin, deren Fans kürzlich zweimal Opfer schwerer Gewalttaten oder Gewaltdrohungen geworden sind. Das Trump-Attentat und die Folgen. Die anstehenden Wahlen in Ostdeutschland und die immer tiefer werdenden Gräben zwischen den Lagern. Der Verbots-Amoklauf der Bundesinnenministerin. Das fortgesetzte Massaker in Gaza und die Gefahr, dass der Iran und weitere Länder in den Krieg hineingezogen werden. Bürgerkrieg zwischen Muslimen und „Rechten“ in Großbritannien und ähnliche Verhältnisse in anderen Ländern … Der Globus brennt, und die Mitverantwortlichen scheinen chaotische Zustände eher als Vorwand zu nutzen, ihre autoritären Fantasien auszuleben. Helfen könnte jetzt nur ein klares Stoppsignal an die Adresse der Regisseure dieses Katastrophenfilms — und die Entschlossenheit der verschiedenen Opfergruppen, gemeinsam gegen ihren wirklichen Feind aufzustehen.

„The players gonna play, play, play, play, play. The haters gonna hate, hate, hate, hate, hate. Baby, I’m just gonna shake, shake, shake, shake, shake, I shake it off.“ Swifties, die Fans der Country-Pop-Sängerin Taylor Swift — dem Vernehmen nach der erfolgreichste Unterhaltungsstar unserer Zeit —, sangen das Lied ausgelassen auf den Straßen Wiens. Auf den ersten Blick ist es ein Nonsens-Text, die Hüpfenden und Singenden — überwiegend Mädchen — vermitteln ein Bild vollendeter Harmlosigkeit. Und trotzdem könnte die Auswahl des Hits auch Sinn ergeben, an einem Tag, als bekannt wurde, dass drei Swift-Konzerte in Wien aufgrund einer von der Polizei ermittelten Terrorgefahr abgesagt wurden. Welche Enttäuschung für die meist sehr hingebungsvollen Swifties! Und trotzdem: „Die Spieler mögen spielen, Hater mögen uns hassen — schütteln wir es ab!“

Warum Taylor Swift, warum ihre Fans? Zweimal wurden sie in jüngster Zeit Opfer von geplanten oder in grausamer Weise in die Tat umgesetzten Gewalttaten. Vor den Konzertabsagen in Wien am 8. bis 10. August 2024 wurden am 29. Juli drei Mädchen ermordet, die im englischen Southport einen Tanzkurs besuchen wollten, auf dem Bewegungen ihres Idols eingeübt werden sollten. Sie waren 6, 7 und 9 Jahre alt. Diese Kinder zu töten — ohne einen erkennbaren Grund — erscheint noch absurder als eine Messerstecherei zwischen großen Kerlen. Während der Tatverdächtige von Wien dem IS nahegestanden sein soll, war der Mörder von Southport vielleicht nicht einmal ein Muslim. Er war Brite mit Wurzeln in Ruanda. Die Tat gleicht dem Abschlachten von Lämmern, den Symbolen der Unschuld — gemein, unverständlich, abstoßend.

Die Mädchen von Southport

Taylor Swift ist nur eine Liebeslied-Sängerin. Weder sie noch ihre Fans machen den Eindruck, kämpferische islamfeindliche Theoretikerinnen zu sein wie der unlängst in Mannheim bei einem Messerattentat schwer verletzte Michael Stürzenberger. Allenfalls könnte man im Swiftie-Milieu eine Neigung zu „woken“ Thesen feststellen. Das Umfeld des Superstars könnte von Fundamentalisten als Sinnbild westlicher Dekadenz empfunden worden sein. Oder die Täter wollten den Bekanntheitsgrad der Künstlerin nur nutzen, um mit ihren Taten höhere Wellen zu schlagen und quasi Weltstars der Gewaltkriminalität zu werden. Gerade die Unverständlichkeit der Morde macht sie aber so erschreckend. Wenn es diesen Mädchen passieren kann — ohne erkennbaren Anlass —, kann es jedem passieren.

Bei dem Vorfall in Southport, bei dem zehn weitere Personen verletzt wurden, sollen sich „Szenen wie in einem Horrorfilm“ abgespielt haben. Erklärungsversuche psychologischer Art versagen hier weitgehend. Wie bei anderen Messerattacken, die es auch in Deutschland gab, drängt sich der Eindruck auf, Menschen hätten völlig enthemmt agiert, wie besessen von ihren zerstörerischen Impulsen.

Leider sind hilfreiche Analysen hierzu in den Medien selten. Entweder wird ein Migrationshintergrund aus politischen Gründen unter den Tisch fallen gelassen, oder er wird als der einzig relevante Einflussfaktor betont und entsprechend geframt, um bestimmte politische Forderungen — „die Grenzen dicht machen“ — zu platzieren.

Blank liegende Nerven

In Großbritannien schlossen sich an die Morde von Southport heftige „Riots“ (Krawalle) an, die sich generell gegen die so empfundene Überfremdung Großbritanniens richteten. In Middlesbrough zündeten Männer mit Kapuze unter anderem Autos an und warfen Steine in Fensterscheiben, hinter denen „Ausländer“ vermutet wurden. Es handelte sich also nicht einmal um Asylbewerberheime — das Ausländischsein genügte in vielen Fällen, um den Volkszorn zu erregen. Die Reporterin Annette Dittert versucht in ihrem Video eine Erklärung:

„Diese Krawalle hatten auch damit zu tun, dass die britische Regierung Asylbewerber gern in Hotels in ärmeren Gegenden Englands unterbringt, was die Briten, denen es auch dreckig geht, schon auch provoziert hat.“

Hauptsächlich seien die Krawalle aber von rechten Influencern aus dem Internet wie Tommy Robbinson ausgelöst worden.

Ein sichtlich verstörter Anwohner mit Migrationshintergrund berichtet hinter seiner eingeschlagenen Fensterscheiber im Erdgeschoss:

„Ich hörte einen Knall am Auto. Und da hatten sie auch schon die Scheibe hier zerschlagen. Das ist noch das Blut von einem der Angreifer.“

Ein weiterer Betroffener aus der muslimischen Gemeinde der Stadt erzählt:

„Da standen 30 oder 40 Typen. Sie hatten Steine in der Hand. Ich habe gesagt, meine Kinder sind im Haus. Aber sie haben trotzdem damit geworfen. Das waren ganz junge Typen, Kids, und jetzt liegen hier überall die Nerven blank. Warum? Wir sind hier geboren und leben hier. Das ist doch unser Zuhause.“

Ein grober Keil

Muslime, so der Sprecher der islamischen Gemeinde von Middlesbrough, wagen sich seither kaum noch auf die Straßen, speziell Frauen. Auf Demonstrationen von Migrationskritikern lautet der Slogan oft „Enough is enough. Stop the boats“. Dies spielt auf eine in Großbritannien schon länger schwelende Debatte über das „Überhandnehmen“ von Bootsflüchtlingen an.

Der neue britische Premier Keir Starmer griff hart durch. Über 700 Randalierer wurden festgenommen, was tatsächlich zunächst zu einer Beruhigung der Lage geführt haben soll. In einigen Fällen wurden auch mehrjährige Haftstrafen verhängt. Moderatorin Annette Dittert gibt aber zu bedenken: „Auf Dauer müssen die Gräben zwischen Arm und Reich zugeschüttet werden.“

Ja, aber wie, wenn es dafür offensichtlich keinen politischen Willen gibt? Auf den ersten Blick ist die Situation klar. Unter dem Schock der Nachrichten über eine furchtbare Mordtat — begangen von einem Menschen aus zweiter Migrantengeneration — ergoss sich der Volkszorn wahllos auf alle Migranten, also ganz überwiegend auf Unschuldige. Dies ist so wenig zu rechtfertigen, wie es pauschaler Hass gegen Norweger aufgrund der Taten von Anders Breivik wäre. Selbst wenn „Ausländer“ gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung überdurchschnittlich oft straffällig werden, rechtfertigt das nicht willkürliche Angriffe auf beliebige Menschen mit Migrationshintergrund. Die Vorgänge erinnern an brennende Asylbewerberheime in Städten wie Mölln, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen im Deutschland der Jahre nach der Wende.

Die Ungesehenen

Auffällig aber ist an der Medienberichterstattung, auch in Deutschland, dass sich der Fokus rasch von den Morden selbst hin zu den Reaktionen auf diese, also auf „rechte“ Gewalt verschob. Dabei werden Begriffe wie „rechtsradikal“ eher leichtfertig und ohne Einzelfallprüfung verwendet, auch um eine bestimmte politische Agenda voranzutreiben.

Einerseits ist die Annahme, die Täter seien „rechts“, naheliegend — denn wer sonst würde unschuldige Menschen angreifen, die „arabisch“ oder „afrikanisch“ aussehen; andererseits wäre es in vielen Fällen angebracht, zu differenzieren, denn es geht auch um die wachsende Sorge von Einheimischen wegen einer Kriminalität, derer die Obrigkeit nicht mehr Herr zu werden scheint.

Ja, man muss hinzufügen: einer Kriminalität, die von Politikern scheinbar sehenden Auges „ins Land geholt“ wurde.

Natürlich können die „Riots“, die viele Zuwanderer eingeschüchtert und verletzt haben, nicht einfach hingenommen werden; eine ausgewogene Medienberichterstattung müsste aber Sorge tragen, dass von zwei Gewalttätergruppen nicht diejenige mit Samthandschuhen angefasst wird, die man aufgrund politischer Grundüberzeugungen „lieber mag“. Denn in Großbritannien haben sich auch Banden migrantischer Jugendlicher gebildet, die Menschen angreifen, von denen sie sich provoziert fühlen. Wir haben es in Großbritannien nicht mit einer klaren Rollenverteilung zu tun — hier „Nazis“ als Täter, dort Migranten als Opfer —, eher kann man von einer allgemein gewaltträchtigen Stimmung und von teilweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen sprechen. Eine tendenziöse Berichterstattung würde hier nur das Gefühl der Benachteiligung, des „Nichtgesehenwerdens“ verstärken, das viele sozial schlecht gestellte Briten bewegt.

Wutbürger gegen „Kameltreiber“

Glänzend dargestellt finden wir die gesellschaftliche Stimmung in Großbritannien in dem Film „The Old Oak“ von Regie-Veteran Ken Loach („Ich, Daniel Blake“). In einer stillgelegten Bergarbeitersiedlung herrscht große Armut und Unzufriedenheit. Einheimische treffen sich rituell zum Bier im Wirtshaus „The Old Oak“, betrieben von dem gutherzigen Wirt T.J. Ballantyne. Da bekommen es die Menschen mit einer „Invasion“ syrischer Flüchtlinge zu tun.

Die Zuwanderer, angeführt von der patenten Yara, bringen ihre eigenen traumatischen Erfahrungen aus dem syrischen Bürgerkrieg mit. Die Briten reagieren verschieden auf die Neubürger. Einige Saufkumpane verhalten sich offen feindselig: „Scheiß Kameltreiber“, „Wir wollen keine Kanaken in unserer Kneipe sehen“. Es kommt auch zu gewalttätigen Belästigungen eines syrischen Jungen durch eine britische Jugendbande. Andere Bewohner versuchen den Neulingen zuzuhören und schaffen im Hinterzimmer von Ballantynes Kneipe einen Treffpunkt, wo Arme einheimischer wie ausländischer Provenienz gemeinsam ein kostenloses Essen zu sich nehmen könnten — ein fast utopisches Idyll inmitten einer aufs Äußerste gereizten gesellschaftlichen Atmosphäre.

Ken Loach rechtfertigt den Rassismus einiger Bewohner nicht, schafft aber doch in einigen Szenen Verständnis dafür, wo bei diesen der Schuh drückt. Leicht entsteht Neid, resultierend aus dem Gefühl, dass „die“ von der Regierung besser behandelt werden als „wir“. „Wohltätigkeit beginnt zu Hause“, sagt ein Kneipen-Stammgast, als er beobachtet, dass eine Gemeindehelferin Sachwerte an Flüchtlinge verteilt. Als ein syrischer Junge mit einem gebrauchten Fahrrad beschenkt wird, begehren einige junge Engländer auf: „Wieso kriegen die all die Sachen von euch? Die kriegen echt viel.“ „Aber die haben auch alles verloren“, argumentiert Ballantyne. „Als die hierherkamen, hatten die nur das, was sie auf dem Leib hatten.“ Ein Junge ist nicht ganz überzeugt: „Ich hätt‘ auch gern ein Fahrrad.“

„Wir pfeifen doch selbst aus dem letzten Loch“

In dieser und anderen Szenen zeigt sich: Es ist oft nicht ganz leicht, sich auf eine Seite zu stellen, wenn beide Positionen menschlich nachvollziehbar sind. Zumindest gilt das, solange keine Gewalt ins Spiel kommt. Eine einheimische Frau beklagt sich: „Ich bin keine Rassistin. Aber das mit der Schule geht echt nicht. All diese fremden Kinder da. Ist kein Vorwurf. Aber die meisten Kinder sprechen unsere Sprache nicht. Wie sollen unsere da was lernen?“ All diese scharf beobachten „Fälle“ in Großbritannien können ohne Weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragen werden.

Ein Mann merkt an, dass Flüchtlinge aus rätselhaften Gründen vorzugsweise in Armenquartiere gebracht werden:

„Die bringen die alle hierher, nie nach Chelsea oder Westminster. (…) Wir pfeifen doch in diesem Nest selbst aus dem letzten Loch. Und jetzt sollen wir auch noch alles mit denen teilen? Wir kennen die doch nicht mal. Und verliert man mal ein kritisches Wort, dann wird man von den Wichsern da oben als Rassist abgestempelt.“

Auch der Wirt, der sich sehr für die Ankömmlinge einsetzt und ihnen Räume zur Verfügung stellt, wird schließlich als eine Art Volksverräter abgestempelt:

„Diese Kanaken hier, die kriegen, was immer sie wollen. (…) Das ist der letzte Ort, wo wir uns zu Hause gefühlt haben. Wir wollen einfach nur unser Pub zurück.“

Katniss‘ Entscheidung

Ken Loach vergisst jedoch auch nicht, die Geschichten der Zuwanderer zu erzählen, etwa die von Yaras Vater, den das Assad-Regime in ein Foltergefängnis gesteckt hat — Unterbringungen, in denen unvorstellbare Zustände herrschen, mit oft vielen Dutzenden Leuten in einer einzigen Zelle. So sagt Yara, die mit dem „Ausländer raus“-Geschrei einiger Ewiggestriger konfrontiert wird, sie wolle eigentlich nichts lieber als wieder nach Hause gehen. Ballantyne konfrontiert seine Landsleute mit einer unbequemen Wahrheit:

„Wir suchen alle nach einem Sündenbock, wenn’s im Leben scheiße läuft, aber blicken nie nach oben. Immer nur nach unten. Beschuldigen die armen Schweine unter uns, die sind immer schuld. Das macht es leichter, den armen Schweinen auf die Fresse zu hauen.“

Tatsächlich trifft das den Kern: Zwei Gruppen von „Unterschichten“ erkennen nicht, dass sie beide Opfer der „Oberschicht“ sind. Man denke dabei an den zweiten Teil der Filmreihe „Die Tribute von Panem“, in der Bürger von ihrer Regierung gezwungen werden, gegeneinander in einem Schaukampf auf Leben und Tod anzutreten. In der Höhe einer Kuppel, oberhalb des „Domes“, wo das Gemetzel öffentlichkeitswirksam stattfindet, hocken die Täter, die Regisseure dieses grausamen Kampfes. Auf einmal zielt die Heldin der Geschichte, Katniss Everdeen, mit ihrem Bogen nicht auf einen ihrer Leidensgefährten — sie schießt den Pfeil nach oben ab, wo ihre sadistischen Peiniger hocken. Damit löst sie eine Explosion aus …

Mit dieser Geschichte will ich nicht der Gewalt gegen Politiker das Wort reden; es ist aber wichtig, dass wir bei unserer Kritik und unseren Protesten die „Schussrichtung“ ändern.

Nicht auf unsere Brüder oder Schwestern vielleicht syrischer Herkunft sollten wir zielen und auch nicht auf deren „rechte“ Kritiker, sondern auf die, die oben thronen und sich das ganze Szenario ausgedacht haben.

Im Stadium der Symptombekämpfung

Der Staat hatte auf die „Riots“ in Großbritannien keine andere Antwort als Härte. Man kann Menschen, die wahllos Jagd auf „fremd“ aussehende Menschen machen, nicht einfach gewähren lassen, gewiss. Dennoch befindet sich die Staatsmacht, in Großbritannien wie anderswo, noch immer im Stadium der Symptombekämpfung. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Regierungsvertreter diesbezüglich dümmer stellen, als sie sind, weil sie nicht wirklich an gesellschaftlichem Frieden interessiert sind, sondern an dem Ausbau des Überwachungsstaats und an der Einschränkung der Meinungsfreiheit — Vorhaben, die ihnen schon vorher am Herzen lagen, die aber in einer Atmosphäre gewaltsamer Unruhen leichter durchsetzbar erscheinen.

Die Hauptstoßrichtung der veröffentlichten Meinung ist in Anbetracht ausländerfeindlicher Krawalle zwar nachvollziehbar, dringt aber selten in die Tiefe des Phänomens vor. So dankte König Charles den Einsatzkräften für die erfolgreiche Niederschlagung der Aufstände in einigen britische Städten, hatte aber kein Wort für seine Landsleute übrig, das zur Heilung der Spaltung in Arm und Reich beitragen könnte. In seinem schottischen Landsitz Balmoral Castle dürfte ihm kein Flüchtlingsheim vor die Nase gesetzt worden sein. Auch dürfte es dem langjährigen Prince of Wales nie an einem Fahrrad gefehlt haben — vielen seiner Landsleute aber schon.

Brandstifter als Feuerwehrleute

Die hier beschriebene Dynamik ist universell. Deutschland hinkt der Entwicklung im Königreich nur um weniges hinterher, was die Gewalttätigkeit in Teilen der Bevölkerung betrifft, aber auch bezüglich der einerseits hilflos wirkenden, andererseits immer brutaler werdenden Maßnahmen der Staatsmacht.

Das Muster ist dieses: Der Staat schafft Probleme im Land oder ist unfähig, bei bestehenden Problemen Abhilfe zu schaffen. Er benutzt Migranten zur Destabilisierung der Gesellschaft. Doch Migranten sind nicht die eigentlich Schuldigen — mögen einige auch ein befremdliches Gewaltpotenzial mitbringen.

Wahllos werden Traumatisierte ins Land gelassen und Menschen, die psychisch auf ein Leben in einer so anders gearteten Kultur in keiner Weise vorbereitet sind. In keiner Weise werden der weltanschauliche Hintergrund oder die seelische Gesamtbefindlichkeit der Einreisewilligen vorher geprüft.

Wenn es dann „kracht“, zeigen sich die Behörden unfähig zu einem wirksamen Schutz der Bevölkerung. Die Medien schweigen oder kanzeln Protestierende als „rechts“ ab. Dadurch entsteht in Teilen der Bevölkerung ein Impuls, die Bürger müssten solche Angelegenheiten jetzt selbst in die Hand nehmen, anders könnten sie ihre Familien in einem gefährlicher werdenden Umfeld nicht mehr beschützen.

Die Mehrheit der Geflüchteten ist harmlos und guten Willens, Verallgemeinerungen verbieten sich. Allerdings sind — im Kontrast zum Film „The Old Oak“ — auch nicht alle lieb und einsichtig. Geht Gewalt von Einheimischen aus, fällt dem Staat eigentlich nie etwas anderes dazu ein, als draufzuknüppeln. Dies nährt den Verdacht, die Obrigkeit stünde eigentlich immer auf der Seite der Neulinge, sie kümmere sich nicht um jene, die das Land oft über Jahrzehnte mitaufgebaut und die Demokratie am Leben gehalten haben. Nun kommen „Verschwörungstheorien“ ins Spiel. Ist die Verschärfung von Repression, die Errichtung einer Diktatur etwa das Ziel der ganzen Veranstaltung, Migranten ins Land zu lassen dagegen nur das Mittel?

„Rechts“ — das Totschlagargument

In Deutschland soll auch verbale Kritik an Migration und Migrationspolitik unterbunden werden. Dazu wurde das Wort „rechts“ schon länger als Synonym für das schlechthin Inakzeptable und Unanständige eingesetzt. In der Folge konnten immer weitere kritische Meinungen rechts eingeordnet werden, konnten die Medien in denen, die sich für anständig halten, einen Hass auf die Hassenden erzeugen. Manchmal bekommt der repressive Feldzug Nancy Faesers zwar einen Dämpfer, die Gefahr einer weiteren Spielraumeinengung für kritische Medien aber bleibt bestehen. Olaf Scholz und die Koalitionsparteien vermögen die Innenministerin nicht zu bändigen — oder wollen dies gar nicht. Selbst heimliche Wohnungseinbrüche in Stasi-Manier erscheinen im Rahmen einer neuen Normalität als probates Mittel. Und die momentane Phase der Teilerfolge für die Freiheit könnte rasch zu Ende sein, sobald es zu einem Terroranschlag oder einem „rechts“ motivierten Verbrechen käme.

Der spirituelle Autor Armin Risi definierte das Eintreten für die eigenen Interessen einmal als „rechts“, das Eintreten für die Interessen anderer dagegen als „links“. Generell gilt der Altruismus zwar als edler als der Egoismus, doch bei genauerem Nachdenken zeigt sich: Beide Denkrichtungen können bei einer Gruppe von Menschen Leid verursachen.

Der Egoismus schädigt mitunter „andere“, etwa Flüchtlinge, der Altruismus die eigene, ursprüngliche Bevölkerung, die unter einem von oben verordneten Zwang zum kollektiven Edelmut zu leiden hat, etwa indem sie zunehmende Gewaltkriminalität im eigenen Wohnumfeld erdulden muss.

Ob „rechts“ oder „links“ das Gute für sich gepachtet haben, ist also nicht pauschal und eindeutig zu sagen. Die Klugheit würde es eigentlich gebieten, beide Richtungen sorgfältig gegeneinander abzuwägen und nach Kompromissen zu suchen. Der linke Mainstream allerdings strebt jetzt den Endsieg an und das Verschwinden all dessen, was er „rechts“ verortet.

Kleinliche Straftatbestände, sadistische Strafen

Matthew Feldman, Rechtsextremismus-Experte an der Liverpool Hope University, lobte in einem Beitrag Keir Starmers hartes Durchgreifen bei den Unruhen. Der „Abschreckungseffekt“ habe zur Beruhigung der Lage beigetragen. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet weiter über Feldmans Vorstoß:

„Überdies sei jedoch ein entschiedenerer Kampf gegen die Verbreitung von Hass und Hetze im Internet nötig. Großbritannien müsse eine neue und zeitgemäße Gesetzgebung im Umgang mit sozialen Medien entwickeln, um Probleme wie die Online-Aufstachelung zu Offline-Kriminalität anzugehen.“

Natürlich sind Aufforderungen zur Gewalt, etwa die Verabredung zu gemeinschaftlichen Angriffen auf ein Flüchtlingsheim, gefährlich. Aber geht es wirklich nur darum, wenn von „Hass und Hetze“ die Rede ist?

In Großbritannien wurde ein Mann unlängst wegen eines Facebook-Eintrags zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Äußerungen des Beklagten waren gewiss nicht „schön“: Der Mann schrieb, er wolle nicht, dass sein Geld an Migranten gehe, „die Kinder vergewaltigen und Priorität bekommen“. Aber wie schwer wiegt eine dumme, ausländerfeindliche Äußerung verglichen damit, was die „Guten“ diesem Mann jetzt antun: psychische Folter im Gefängnis, Freiheitsberaubung, vielleicht das Ende seiner bürgerlichen Existenz. Hier zeigt sich eine Maßlosigkeit im Strafen, der es nur noch um das Schüren von Angst in der Bevölkerung, um das Niederhalten unliebsamer Meinungen geht — nicht mehr um Angemessenheit.

Mr. Beans Plädoyer für die Freiheit

Der britische Schauspieler Rowan Atkinson („Mr. Bean“) hielt schon 2012 im Reform Club in London eine Rede über Meinungsfreiheit, die in diesem Zusammenhang in den letzten Wochen oft zitiert wurde. Atkinson forderte darin, ein besseres „Immunsystem gegen abweichende Meinungen“ zu entwickeln. Er sprach sich dafür aus, „alles zur Debatte zuzulassen, um Abwehrkräfte dagegen zu entwickeln und am Ende zu einem gesellschaftlichen Kompromiss ohne Freiheitseinschränkungen zu kommen“.

Ist zur Schau gestellte Strenge gegenüber abweichenden oder vielleicht auch schockierenden und grundfalschen Meinungen also nichts als eine Art geistige Immunschwäche der Verbietenden? Jedenfalls ist ein in diesem Sinne „starker Staat“ im Grunde ein schwacher, der den Spiegel, in dem sein wahres Gesicht zu sehen ist, mit Brutalität zerschlägt, ohne dass sein Gesicht dadurch schöner würde.

Ein Mann wurde in Oxford verhaftet. Er nannte ein Polizeipferd schwul. Ein Teenager wurde verhaftet, weil er die Scientology-Kirche eine Sekte nannte. Ein Cafébesitzer bekam es mit der Polizei zu tun, weil er Passagen der Bibel auf einem Fernsehschirm ausstellte. All diese Fälle werden von Rowan Atkinson als Beispiel für einen neuen britischen Strafen-Furor angeführt. Viele Anklagen dieser Art, so berichtet er, wurden nur deshalb fallengelassen, weil sie öffentlich sehr bekannt geworden waren und für Heiterkeit sowie Befremden sorgten. In vielen tausend anderen, weniger spektakulären Fällen kommen die „Täter“ nicht so glimpflich davon. Schon „verhaftet, verhört, dann wieder freigelassen“ zu werden, so Atkinson, stelle einen einschüchternden Übergriff der Staatsgewalt dar.

Der Terror übermäßiger Empfindsamkeit

Etwas Vergleichbares ist auch für den Fall des vorübergehend von Nancy Faeser verbotenen rechten Magazins Compact zu sagen. Der Ärger, den Journalisten selbst im Fall späterer günstiger Gerichtsentscheidungen mit der Staatsmacht bekommen, wirkt abschreckend. Entschädigungszahlungen für die Repressionsopfer oder Strafen für die obrigkeitlichen Täter, die mit Nötigung, dem Eindringen in die Privatsphäre von Bürgern und mit der Beschlagnahmung wichtiger privater Gegenstände gearbeitet haben, sind selten. Hier testet die Staatsmacht ganz offensichtlich ihre Grenzen aus und stellt fest: Besonders eng sind sie nicht. Denn auch wenn sich ein Magazin nicht dauerhaft verbieten lässt, werden die Macher doch behindert und schikaniert, wird bewirkt, dass nicht wenige kritische Geister ihre Worte künftig vielleicht besser wählen.

Rowan Atkinson geht in seiner Rede auch auf das Problem mit dem Verbot von Beleidigungen gegen empfindsame Minderheiten und Politiker ein.

„Zu viele Dinge können als solche interpretiert werden. Kritik wird von bestimmten Gruppen leicht als Beleidigung aufgefasst. (…) Die bloße Äußerung eines alternativen Blicks auf die Orthodoxie kann als Beleidigung ausgelegt werden.“

Atkinson argumentiert, dass mit einem „vernünftigen und gutgemeinten Ziel (…) eine Gesellschaft von außerordentlich autoritärem und kontrollierendem Charakter geschaffen wurde. Sie ist, was man die neue Intoleranz nennen könnte. Ein neuer, aber intensiver Wunsch, Stimmen des Dissenses zu knebeln.“ Womit er nicht jede Form der Beleidigung in politischen Auseinandersetzung gutheißt.

Ein Immunsystem für die öffentliche Debatte

Aber:

„Grundlegende Vorurteile, Unrecht oder Missgunst werden nicht durch die Verhaftung von Menschen beseitigt. Sie werden durch Benennen, Streiten und Auseinandersetzung angegangen, am besten außerhalb der juristischen Prozesse. Für mich ist der beste Weg, den gesellschaftlichen Widerstand gegenüber beleidigenden oder anstößigen Äußerungen zu erhöhen, viel mehr davon zuzulassen. (…) Die beste Waffe gegen hasserfüllte Rede ist nicht Unterdrückung, es ist mehr Rede. (…) Wenn wir eine robuste Gesellschaft wollen, brauchen wir mehr robusten Dialog. Das muss das Recht einschließen, zu beleidigen oder zu kränken.“

Und schließlich:

„Die Freiheit, unbedenklich zu sein, ist überhaupt keine Freiheit.“

„Mr. Bean“ hat hier einen gangbaren Weg aufgezeigt, nicht zu einer „befriedeten“ Gesellschaft im Sinne der von Friedrich Schiller so genannten „Ruhe eines Kirchhofs“, eher hin zu einer Gemeinschaft, in der sich verschiedene Interessengruppen zusammensetzen, ehrlich auseinandersetzen und schließlich zusammenraufen können.

Die momentane Strategie des Staates in Deutschland und wohl auch in Großbritannien folgt dagegen eher einer Salamitaktik unter Berufung auf beleidigte Leberwürste zum Ziel der Freiheitsabschaffung.

Ken Loach und eine mögliche Lösung

Dem müssen wir uns entgegenstellen, indem wir auf unserem Recht auf sprachliche Klarheit, auf Provokation und Konfrontation bestehen. Es gibt keine Freiheit ohne ein Recht auf Unbedarftheit, auf ein Denken und Sprechen, das sich nicht schon vorher mit Blick auf möglicherweise schimpfende Politiker, Influencer und Faktenchecker andauernd selbst kastriert.

Ken Loach, der gelernt hat, dem Volk aufs Maul zu schauen, zeigt uns, was soziale Politik unter den verschärften Bedingungen der Migration bedeuten kann — in Zeiten einer Linken im Modus des Selbstverrats.

Weltoffenheit und Sensibilität für die Nöte der „anderen“ — ja. Aber nicht um den Preis völliger Überforderung der eigenen Gruppe und nicht in einer Atmosphäre der permanenten hochnäsigen Beschimpfung und Beraubung sozial benachteiligter Einheimischer.

Der Film „The Old Oak“ entwickelt gegen Ende eine Vision, bei der man streiten kann, wie realistisch sie ist. Man könnte sie so beschreiben: ein gutes Zusammenleben zwischen Einheimischen und Migranten in selbstverwalteten Strukturen bei gleichzeitig vorhandener gesunder Skepsis gegenüber der Obrigkeit. Was hilft, ist nicht das Niederknüppeln möglicherweise noch vorhandener Vorurteile durch selbst ernannte Moralwächter, vielmehr ein natürlicher Prozess des Aufweichens dieser Vorurteile durch die lebendige Begegnung. Dazu gehört, wie es auch Rowan Atkinson vorschlug, eine gewisse robuste Gelassenheit im Zulassen sehr verschiedener, meinetwegen auch „gefährlicher“ Meinungen, die ein starkes Gemeinwesen aushalten kann und auch können muss.

Maulkorb für Kassandra

Neben dieser Utopie besteht aber leider auch die Möglichkeit, dass sich deren Gegenteil realisiert: die Dystopie. Dies wird umso wahrscheinlicher, je mehr kluge Warnungen in den Wind geschlagen werden, je mehr man die Boten des Unheils straft, anstatt dessen Ursachen zu beseitigen. Wie es auch in der Sage von der Seherin Kassandra zum Ausdruck kommt, der Taylor Swift ein Lied gewidmet hat.

„Als der erste Stein geworfen wurde, gibt es Geschrei.
In den Straßen tobt ein wütender Aufruhr.
Wenn sie rufen: ‚Verbrennt die Hexe‘, hört man ein Kreischen.
Wenn die Wahrheit herauskommt, ist es still.
Sie töteten Cassandra als Erste, weil sie das Schlimmste befürchtet hatte
und es der Stadt mitteilen wollte.“