Der geschlossene Ölhahn

Ein hochrangiger Offizier ließ das asch-Scharara-Ölfeld im Süden Libyens schließen. Der Vorgang ist politisch fragwürdig.

Am 3. August 2024 wurde das asch-Scharara-Ölfeld teilweise geschlossen. Dies geschah wohl auf telefonische Anweisung von Saddam Haftar, hochrangiger Befehlshaber in der ostlibyschen Armee seines Vaters Khalifa Haftar. Grund für die Anordnung war die Verärgerung Saddam Haftars über seine kurzzeitige Festnahme während eines Italienbesuchs aufgrund eines spanischen Haftbefehls. Die Umstände dieser Verhaftung und die daraus folgenden Entscheidungen sind noch nicht vollständig transparent. Sicher ist: Es hat mit Europa zu tun — und sogar mit Fußball.

Das Scharara-Ölfeld ist das größte Ölfeld in Libyen mit einer Tagesproduktion von 350.000 Barrel und somit von 40 Prozent der libyschen Ölförderung. Es wird von einem Joint-Venture-Unternehmen der libyschen NOC-Tochtergesellschaft Akakus und der spanischen Repsol betrieben.

Saddam Haftar und die Anordnung zur Schließung des Ölfelds

Die Akakus-Ölgesellschaft versuchte zunächst, die Schließung des Scharara-Ölfelds der Wut-Bewegung im Fessan (Fezan Anger Movement) in die Schuhe zu schieben. Deren Anführer, Baschir asch-Scheikh, bestreitet jedoch heftig, dass die Gruppe an der Schließung des Scharara-Ölfelds beteiligt ist.

In einem Interview mit al-Wasat erklärte asch-Scheikh, dass Saddam Haftar die Anweisung zur Ölfeldschließung gegeben habe und die Menschen im Süden nichts damit zu tun haben. Es sei kein einziger Bürger vor Ort gewesen, wie dies auch die auf dem Erdölfeld tätigen Ingenieure bezeugen könnten. Trotz des Leids der Menschen im Süden, die gegen Vernachlässigung und harte Lebensbedingungen zu kämpfen haben, wolle die Wut-Bewegung im Fessan nicht die Erdölförderung behindern. Asch-Scheikh beschuldigte dagegen die von Haftar initiierte Bewegung Unterstützung des Wiederaufbaus im Fessan, für den Förderstopp im Scharara-Feld verantwortlich zu sein. Diese hätte im Auftrag von Saddam Haftar gehandelt.

Es hieß auch, dass Einheiten der 128. Brigade von Tariq bin Ziyad das Ölfeld besetzt haben. Bekannt ist, dass die PFG (Petroleum Facilities Guarde), die das Erdölfeld bewachen und unter dem Kommando der Armee im östlichen Libyen (Khalifa Haftar) stehen, gelegentlich den Befehl erhalten, Proteste nicht zu verhindern, sondern zuzulassen.

Von der NOC (National Oil Corporation) liegen bisher keine Stellungnahmen vor. Der Vorsitzende der General Petroleum Gewerkschaft, Salem ar-Rumaih, erklärte, dass die enge Beziehung des NOC-Vorstands zu der Partei, die das Scharara-Feld geschlossen hat, sie daran hindere, die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen. Rumaih forderte die NOC zu einer Stellungnahme auf.

Saddam Haftar in Italien

Die Berichterstattung der italienischen Presse über die Vorkommnisse um die Verhaftung von Saddam Haftar in Italien ist widersprüchlich. Es wird von einer Italienreise Saddams im Juli 2024 berichtet. Laut Repubblica landete am 21. Juli ein Privatjet auf dem Flughafen von Genua. Da keiner der Pässe der fünf an Bord befindlichen Libyer auf den Namen Saddam Haftar ausgestellt war, konnte das Flugzeug nach einer Routinekontrolle weiterfliegen.

Auf dem Rückflug von Rom nach Bengasi stellte sich bei einer Zwischenlandung in Neapel heraus, dass es sich bei einem der Passagiere um Saddam Haftar handelt. Es schrillten die Alarmglocken der neapolitanischen Polizei, denn der Name Saddam Haftar findet sich in der Schengen-Datenbank, wo spanische Behörden Saddam Haftar zur Überprüfung wegen Verdachts auf Waffenschmuggel ausgeschrieben haben. Die italienische Polizei war dementsprechend verpflichtet, ihre spanischen Kollegen über einen Aufenthalt des Gesuchten in ihrem Land zu informieren. Ob dies geschah und wer veranlasste, Saddam Haftar nach einer Stunde wieder auf freien Fuß zu setzen und weiterfliegen zu lassen, ist nicht bekannt.

Im Widerspruch dazu berichtete die libysche Presse, dass die kurzfristige Festnahme von Saddam Haftar in Italien erst vergangenes Wochenende, am 3./4. August, erfolgte, und Haftar nach seiner Rückkehr aus Verärgerung den Befehl zur Schließung des Scharara-Ölfelds gab. Der Grund für Haftars Italien-Besuch im August wurde nicht benannt.

Dagegen weiß man, dass Saddam Haftar bei seinem Juli-Besuch das am 23. Juli in Rom stattgefundene Finalspiel der libyschen Fußballmeisterschaft besuchte. Es gewann der Fußballclubs an-Nasr, der sich im Besitz von Saddam Haftar befindet.

Insgesamt scheinen Italien die Ereignisse um die Reisen und die Verhaftung Haftars sowie die Schließung des libyschen Ölfelds äußerst unangenehm zu sein. So wird die Festnahme Saddam Haftars als reine „Kontrollmaßnahme“ dargestellt, und der Zeitpunkt und die genauen Umstände der Geschehnisse bleiben unklar.

Handelt es sich um einen Vorgang im Juli oder um einen im August, oder gab es sogar zwei Vorfälle dieser Art? Und was hat es mit den Pässen von Saddam Haftar auf sich?

Dazu bleibt anzumerken, dass Italien die im westlichen Tripolis residierende Regierung unter Abdul Hamid Dabaiba unterstützt, die sich offiziell als Gegenspieler des Haftar-Clans, der das östliche und südliche Libyen kontrolliert, versteht. Inoffiziell haben der Dabaiba- und der Haftar-Clan allerdings einiges gemeinsam, insbesondere die Aufrechterhaltung ihrer Macht durch die Spaltung Libyens.

Interessant ist auch die Frage, wieso eigentlich libysche Fußballspiele in Italien ausgetragen werden. Die Endrunde dieser libyschen Meisterschaftsspiele fanden in Fußballstadien zwischen Kampanien und den Abruzzen statt.

Statt für sichere Austragungsorte in Libyen zu sorgen, fliegen ausgerechnet Personen wie Saddam Haftar, immerhin hoher Militär der östlichen libyschen Armee, zu libyschen Fußballspielen per Privatjet in Italien ein. Und wieso ist Saddam Haftar beim Hinflug offiziell nicht an Bord (Genua), beim Rückflug aber sehr wohl (Neapel)? Hat er dummerweise seine Pässe durcheinandergebracht? Warum wird Haftar nach kurzer Festnahme wieder auf freien Fuß gesetzt, obwohl von der spanischen Polizei wegen Waffenschmuggels nach ihm gefahndet wird?

Not und Elend für die libysche Bevölkerung, aber Wochenendtrips zu Fußballspielen nach Italien für den Haftar-Clan.

Die spanische Fahndung

Der Ausschreibung von Saddam Haftar zur Fahndung liegt eine Anklage Spaniens zugrunde, nach der er der Verwicklung in illegale Waffengeschäfte beschuldigt wird. Die spanische Policia Nacional hatte 2023 eine Ladung mit Waffen und Militärgütern abgefangen, die mit Zwischenstopp in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf dem Weg ins östliche Libyen, nach Bengasi, war. Die Militärgüter waren unter anderem als Lebensmittel falsch deklariert.

Schon damals habe Saddam Haftar aus Protest das Scharara-Ölfeld für eine Woche stilllegen lassen. Dies bestätigte auch Baschir asch-Scheikh, Anführer der Wut-Bewegung im Fessan. So sei die Gruppe Unterstützung des Wiederaufbaus, die Scheikh für die aktuelle Schließung des Ölfelds verantwortlich macht, auch für die Schließung des Feldes im vergangenen Februar verantwortlich. Die spanische Zeitung Cronica hatte bereits am 9. Februar 2024 einen Bericht darüber veröffentlicht. Offen bleibt die Frage, woher die Waffenlieferung ursprünglich stammte.

Reaktionen auf die Schließung des asch-Scharara-Ölfelds

Die Dabaiba-„Regierung“ in Tripolis verurteilte die Schließung des Ölfelds durch Saddam Haftar. Der Präsidialrat traf sich in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der westlichen Armee mit Generalstabschef Mohammed al-Haddad und Salah an-Namrusch, um die Schließung des Scharara-Ölfelds durch Saddam Haftar zu besprechen. Gleichzeitig sollen Bemühungen westlicher und lokaler Institutionen eingesetzt haben, Spanien zu veranlassen, den Haftbefehl gegen Saddam Haftar aufzuheben, damit die Ölförderung auf dem Scharara-Feld wieder anlaufen kann.

Ein libyscher Kommentartor vertrat die Meinung, dass die überwiegende Mehrheit der westlichen Diplomaten Saddam Haftar als Nachfolger seines Vaters begrüßt habe. Jetzt würden sie mit der Tatsache konfrontiert, dass Saddam, ebenso wie sein Vater, Libyens Öl einsetzt, um für sich Straffreiheit zu fordern.

Für viele Libyer stellt die Schließung des Scharara-Ölfeldes eine Straftat dar, weil mit der Schließung von Ölfeldern und Verladehäfen die Wirtschaft des Landes schwer geschädigt wird.

Baschir asch-Scheikh befürchtet, dass eine länger dauernde Schließung des Ölfelds dazu führen wird, dass die Tankstellen in Ubari geschlossen bleiben, was einen Stromausfall in den südlichen Städten und in der gesamten Region nach sich ziehen könnte.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Schließung des asch-Scharara-Ölfelds im Süden Libyens“ bei Gela News.